Öffentliche Wiedergabe von TV-Programmen im Verein lizenzpflichtig

22. März 2017
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Wort "Lizenz" auf einer Stahlplatte umrandet von verschiedenen Buchstaben Urteil des LG Halle vom 08.08.2016, Az.: 4 O 335/15

Die Lizenzpflicht trifft einen Verein dann, wenn dessen Ermöglichung des Empfangs von TV-Programmen eine „öffentliche Wiedergabe“ darstellt. Die Öffentlichkeit ist bei einer unbestimmten Anzahl potenzieller Adressaten und ab einer dreistelligen Personenzahl zu bejahen. Ob eine unbestimmten Anzahl potenzieller Adressaten auszuschließen ist, bestimmt sich etwa nach Vereinssatzung und tatsächlichen Gegebenheiten. Ergibt sich aus Satzung und tatsächlichen Gegebenheiten keine zahlenmäßige Eingrenzung, kann von einer „öffentlichen Wiedergabe“ ausgegangen werden.

Landgericht Halle

Urteil vom 08.08.2016

Az.: 4 O 335/15

 

Tenor

1.) Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin getrennt nach Kalenderjahren und beginnend mit dem 01.01.2006 Auskunft zu erteilen über den Umfang der im Rahmen seines Geschäftsbetriebs vorgenommenen Kabelweitersendungshandlungen bezogen auf Kabelnetze, an die jeweils mehr als 75 Wohneinheiten angeschlossen waren bzw. sind,

unter Angabe der Anzahl der je Kabelnetz direkt versorgten Kabelendkunden sowie der jeweils erzielten Einnahmen,

insbesondere unter Angabe

a) der laufenden Entgelte für Kabelanschlüsse, wenn sie nicht ausschließlich für andere Zwecke als die Bereitstellung von Rundfunkprogrammen durch den Beklagten dienen („Kabelanschlussentgelte“),

b) der Signalbezugsentgelte, die der Beklagte von nicht mit ihm verbundenen nachgelagerten Kabelnetzbetreibern erhält,

jeweils einschließlich der Umsätze, die mit der Weiterverbreitung von Rundfunkprogrammen in Abschattungsgebieten zusammenhängen, sowie der Umsätze, die zusätzlich zu den Kabelanschlussentgelten wiederkehrend für die gesonderte Freischaltung eines verschlüsselten digitalen Free-TV-Paketes erwirtschaftet werden, sowie anderer Entgelte oder Gegenleistungen, soweit sie aus Endkunden-Sicht wirtschaftlich an die Stelle der sonstigen Kabelanschlussentgelte oder Signalbezugsentgelte treten.

2.) Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 1.000,00 €.

Tatbestand

Die Klägerin macht als Verwertungsgesellschaft im Rahmen einer Stufenklage einen Auskunftsanspruch gegen den Beklagten geltend. Dieser betreibt in Form eines Vereins in K., einem Ortsteil der Stadt H., seit 1990 ein Kabelnetz, über das er seinen rund 250 Mitgliedern (Wohneinheiten) den Empfang von Rundfunkprogrammen ermöglicht.

Die Klägerin ist der Auffassung, damit sei der Beklagte für die von ihm vorgenommenen Kabelweitersendungshandlungen lizenzpflichtig und deshalb gegenüber der Klägerin gemäß § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG zum Schadenersatz bzw. gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zur Herausgabe des infolge der Urheberrechtsverletzung Erlangten verpflichtet. Im Wege einer Stufenklage begehrt die Klägerin zunächst Auskunft über den Umfang der seit dem 01.01.2006 durch den Beklagten vorgenommenen Kabelweitersendungshandlungen.

Die Klägerin beantragt, wie erkannt.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass er nicht lizenzpflichtig sei, weil es mangels Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit an einer Kabelweitersendung im Sinne der §§ 20, 20b UrhG fehle. Der Beklagte sei vielmehr mit einem reinen Betreiber einer Gemeinschaftsanlage vergleichbar, der lediglich die erforderlichen technischen Vorrichtungen bereit stelle und betreibe, um einen organisierten Privatempfang für seine lediglich ca. 250 Mitglieder und beschränkt auf die zahlenmäßig gleichbleibenden Wohneinheiten des Dorfes K. zu ermöglichen, weshalb die maximale Anzahl der Mitglieder durch die Höchstzahl der erschlossenen Wohneinheiten vorgegeben sei. Die Weitersendung erfolge ohne kommerzielle Interessen allein aufgrund eines nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses und der persönlichen Verbundenheit der Vereinsmitglieder als Dorfbewohner von K., beschränke sich somit auf besondere Personen einer privaten Gruppe und stelle deshalb keine öffentliche Wiedergabe im Sinne des Urheberrechtsgesetzes dar.

Entscheidungsgründe

I.

Die gemäß § 254 ZPO zulässige Stufenklage hat in der ersten Stufe der Auskunftsklage in der Sache Erfolg.

1.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere bedurfte es vorliegend nicht der vorherigen Anrufung einer Schiedsstelle im Sinne von § 16 Abs. 1 UrhWarnG i.V.m. § 139 Abs. 3 VGG. Denn im Streit stehen weder die Anwendbarkeit oder Angemessenheit des Tarifs im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 1 UrhWarnG, noch sind diese – jedenfalls auf der jetzigen Stufe des geltend gemachten Auskunftsanspruchs – entscheidungserheblich. Da nämlich der Beklagte seine Lizenzpflichtigkeit dem Grunde nach bestreitet, ist zunächst hierüber innerhalb der Auskunftsklage eine Entscheidung zu treffen. Im Übrigen wird sich auch im Falle einer gerichtlich festgestellten Lizenzpflichtigkeit der anzuwendende Tarif erst anhand der daraufhin gemachten Auskünfte ergeben. Erst in der zweiten Stufe mag die Frage der Anwendbarkeit und Angemessenheit des Tarifs relevant werden mit der Folge einer Aussetzung des Rechtsstreits und Anrufung der Schiedsstelle gemäß § 16 Abs. 2 S. 2 UrhWarnG i.V.m. § 139 Abs. 3 VGG.

2.

Der Klägerin als Verwertungsgesellschaft im Sinne von § 2 VGG steht dem Grunde nach der geltend gemachte Schadenersatz- und Bereicherungsanspruch zu aus § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG, §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 818 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, 20, 20b UrhG i.V.m. § 9 S. 1 VGG.

Das Recht zur Kabelweitersendung im Sinne von § 20b UrhG stellt einen besonderen Fall des Senderechts im Sinne von § 20 UrhG und damit einen besonderen Fall der öffentlichen Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 2 S. 1 UrhG dar (BGH, Urteil vom 17.09.2015, Az. I ZR 228/14, Rn. 29; nach juris).

a)

Zweifelhaft ist hier allein der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne der vorgenannten Norm und hier derjenige der „Öffentlichkeit“. Dabei ist nach der vom Bundesgerichtshof übernommenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union der Begriff der „Öffentlichkeit“ nur bei einer unbestimmten Anzahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt (BGH a.a.O. Rn. 45). Beides ist hier zu bejahen:

aa)

Um eine „unbestimmte Zahl potentieller Adressaten“ handelt es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören (BGH a.a.O. Rn. 46).

Dabei ist bei der danach zu treffenden Unterscheidung zwischen einer „unbestimmten Zahl potentieller Adressaten“ einerseits und „besonderen, einer privaten Gruppe angehörenden Personen“ andererseits für den vorliegenden Fall aus Sicht der Kammer entscheidend auf den Vereinszweck wie auch die in der Vereinssatzung enthaltenen Regelungen zum Mitgliederbeitritt abzustellen. Sind danach Beitritte weiterer Mitglieder möglich, die zu einer nicht unwesentlichen Erhöhung von deren Gesamtzahl führen können, ist das Merkmal der „unbestimmten Zahl potentieller Adressaten“ grundsätzlich erfüllt und kann dann lediglich deshalb im Ergebnis noch zu verneinen sein, weil die (aus der Vereinssatzung nicht ersichtlichen) tatsächlichen Gegebenheiten (z.B. Bebauung etc.) einen weiteren Mitgliederzuwachs gar nicht zulassen würden.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Vorliegen einer „unbestimmten Zahl potentieller Adressaten“ zu bejahen:

Gemäß § 2 der Vereinssatzung besteht der Vereinszweck darin, „durch die Nutzung, den weiteren Ausbau und die laufende Wartung und Instandhaltung der Antennenanlage für die Vereinsmitglieder effektive Empfangsmöglichkeiten zu gewähren.“ Eine zahlenmäßige oder auch nur räumliche Eingrenzung der Anzahl der Vereinsmitglieder ergibt sich daraus nicht.

Wer die gemäß § 5 Nr. 1 der Satzung für den Anschluss an das Kabelnetz erforderliche Vereinsmitgliedschaft erwerben kann, ist in § 5 Nr. 2 der Satzung wie folgt geregelt: „Mitglied des Vereins kann auf Antrag jede natürliche Person, jede juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, aber auch jede nicht rechtsfähige Personenvereinigung werden, die für den eigenen Bedarf einen Anschluss an das gemeinschaftliche Kabelnetz des Vereins wünscht. Bei Ehepaaren oder eheähnlichen Lebensgemeinschaften gelten beide Partner als Mitglied.“ Auch aus dieser Bestimmung ist eine Begrenzung und damit Bestimmbarkeit der Mitgliederzahl nicht ersichtlich.

Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang vorträgt, die Mitgliedschaft und damit die Versorgung stehe nur den Nutzern derjenigen Wohneinheiten zu, die an das Kabelnetz des Beklagten angeschlossen seien, wobei es sich ausschließlich um zahlenmäßig gleichbleibende Wohneinheiten des Dorfes K. handele, mag dies dem derzeitigen Stand entsprechen, ist aber für die hier zu beantwortende Frage nach möglichen weiteren, zukünftigen Nutzern („potentiellen Adressaten) unerheblich. Nach der Satzung des Beklagten ist für einen Mitgliedsbeitritt nämlich keineswegs zwingende Voraussetzung, dass das beitrittswillige Mitglied etwa seinen Wohnsitz in K. hat.

Darauf, dass das Kabelnetz des Beklagten nach dessen Vortrag (derzeit) auf das Gebiet dieses Ortsteils beschränkt ist, kommt es ebenfalls nicht an, da diese räumliche Beschränkung der Netzausdehnung keineswegs garantiert ist. So ist für die Zukunft ohne weiteres denkbar, dass der Beklagte das von ihm betriebene Kabelnetz auch auf Wohneinheiten außerhalb der Ortsteilgrenzen von K. ausweitet. Und selbst wenn man hiervon nicht ausgehen wollte, wäre damit immer noch nicht ausgeschlossen, dass sich die Anzahl der Mitglieder durch eine weitere oder zumindest veränderte Bebauung des Ortsteils (Errichtung von Neubauten, insbesondere von Mehrfamilienhäusern etc.) weiter erhöht.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist daher weder nach seiner eigenen Satzung noch nach den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort die maximale Anzahl seiner Mitglieder „durch die Höchstzahl der erschlossenen Wohneinheiten“ vorgegeben, da die Versorgung nach der Satzung − wie oben ausgeführt − auch auf bislang nicht versorgte Wohneinheiten erstreckt werden kann und eine solche Ausweitung der Versorgung auch weder technisch noch baulich ausgeschlossen ist. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall entscheidend von dem Sachverhalt, der der oben genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde lag, wo es um die Versorgung eines in sich abgeschlossenen Wohngebäudes ging, bei dem nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Erhöhung der darin befindlichen Wohneinheiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Dies ist aus den oben genannten Gründen bei einem Kabelnetz, welches sich über eine größere Fläche erstreckt und satzungsmäßig jede Wohneinheit zu versorgen bezweckt, deren Bewohner Vereinsmitglied ist, gerade nicht der Fall.

bb)

Das Merkmal „recht viele Personen“ ist aus Sicht der Kammer bei einer Personenzahl im dreistelligen Bereich und somit auch bei der vom Beklagten vorgetragenen Anzahl von rund 250 Mitgliedern zweifellos erfüllt.

b)

Soweit der Beklagte eine Lizenzpflicht überdies mit dem Argument abgelehnt, dass er mit der Weitersendung keine kommerziellen Interessen verfolge, kann er damit ebenfalls nicht gehört werden. Zwar hat der Bundesgerichtshof hierzu ausgeführt, dass es nicht unerheblich sei, ob die betreffende Nutzungshandlung Erwerbszwecken diene, zugleich aber klargestellt, dass der Erwerbszweck keine zwingende Voraussetzung einer öffentlichen Wiedergabe sei (BGH a.a.O. Rn. 49). Abgesehen davon vermag die Kammer bereits nach der Satzung den völligen Ausschluss kommerzieller Interessen nicht zu erkennen. So ist gemäß § 3 Nr. 1 der Satzung der Beklagte zwar „selbstlos tätig“; zugleich heißt es dort aber auch, dass er „nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke“ verfolge, was jedenfalls dem Wortlaut nach die Verfolgung solcher Zwecke (sozusagen „in zweiter Linie“) nicht ausschließt, sondern im Gegenteil nahelegt. Zudem nimmt der Beklagte ausweislich des von ihm ausgefüllten Fragebogens der Klägerin (Anlage K 2) von pro Wohneinheit/Mitglied einen Jahresbeitrag von derzeit 30,00 € ein, was bei 250 Wohneinheiten/Mitgliedern immerhin einer Jahreseinnahme von 7.500,00 € entspricht. Dabei ist aber weder aus der Satzung ersichtlich noch sonst vorgetragen, wie mit etwaigen Überschüssen verfahren wird, weshalb auch insoweit eine eigenwirtschaftliche Betätigung des Beklagten zumindest nicht ausgeschlossen ist.

II.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO, wobei die Kammer die Höhe der Sicherheitsleistung nach dem voraussichtlichen Aufwand an Zeit und Kosten der Auskunftserteilung geschätzt hat (vgl. Zöller, ZPO, 30. Auflage, § 709 Rn. 6).

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