Top-Urteil

Fotos eines Entführungsopfers dürfen nicht ohne Einwilligung gezeigt werden

16. August 2023
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
394 mal gelesen
0 Shares
Recht am eigenen Bild Urteil des BGH vom 06.06.2023, Az.: VI ZR 309/22

Der BGH hob das Urteil des OLG Köln vom 17.03.2022 auf und stellte fest, dass das Interesse des Opferschutzes eines Entführungsopfers dem der Berichterstattung überwiege. Die beklagte Rundfunkanstalt hatte Fotos, Audiomitschnitte und Ausschnitte einer Illustrierten in einem Filmbeitrag über die Entführung eines Mädchens aus dem Jahre 1981 verwendet, ohne eine erneute Einwilligung des mittlerweile erwachsenen Opfers einzuholen. Der BGH erkannte nun, dass es sich nach einer so langen Zeit nicht mehr durch den Begriff des "Zeitgeschehens" rechtfertigen lasse, einen derartigen Eingriff hinnehmen zu müssen. Er erkannte zwar eine fachgerechte Verwendung sowie eine grundsätzliche Schutzbedürftigkeit der Interessen der Beklagten, es sei aber nicht hinzunehmen, dass die ursprüngliche Freigabe der Bilder durch die Eltern nicht auf diese Verwendung gerichtet war. Außerdem räumte der BGH ein, dass Opfer einer Straftat nach einem gewissen Zeitablauf selbst über die Verwendung ihrer Fotos entscheiden darf.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 06.06.2023

Az.: VI ZR 309/22

Leitsatz

Zur teilweisen Unzulässigkeit einer Filmberichterstattung über eine Kindesentführung wegen Schutzbedürftigkeit des Opfers.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 17. März 2022 aufgehoben.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 28. Juli 2021 aufgehoben, soweit die Klage abgewiesen worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Entführung der Klägerin in der Zeit vom 18. Dezember 1981 bis zum 16. Mai 1982 die auf Seite 2 der Klageschrift vom 21. Oktober 2020 (Gerichtsakte Band I, Seite 10) gezeigten Bildnisse der Klägerin zu veröffentlichen/veröffentlichen zu lassen und/oder zu verbreiten/verbreiten zu lassen, wenn dies geschieht wie im Beitrag “Entführte Kinder“, ausgestrahlt im Sender ZDFInfo am 25. Februar 2018, und veröffentlicht im Internet unter https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/entfuehrte-kinder-diefaellekronzucker-und-von-gallwitz-100.html.

Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 28. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die beklagte Rundfunkanstalt auf Unterlassung von Teilen einer Filmberichterstattung (Wiedergabe von drei Lichtbildern, eines Briefs und des Audio-Mitschnitts eines Telefongesprächs) in Anspruch.

Im Jahr 1981 wurde die damals acht Jahre alte Klägerin entführt und etwa fünf Monate später nach Zahlung eines Lösegelds freigelassen. Der Journalist T. vermittelte gemeinsam mit F. während der Entführung der Klägerin zwischen deren Eltern und den Entführern. Die Tat ist nicht aufgeklärt und mittlerweile verjährt.

Die Beklagte sendete in ihrem Programm unter anderem am 25. Februar 2018 den Filmbeitrag „Entführte Kinder – Die Fälle K. und v. G.“ und hielt diesen im Internet zum Abruf bereit. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht der Journalist T., der erstmals öffentlich seine Erinnerungen an diese und an eine andere Kindesentführung schildert. Im ersten Teil des Filmbeitrags geht es um den anderen Entführungsfall, in dem T. ebenfalls vermittelte. Der zweite Teil befasst sich mit der Entführung der Klägerin und schildert, wie es zur Vermittlung durch T. kam, wie sich die Entführung aus seiner Sicht darstellte und warum er damit noch nicht abgeschlossen hat. Im Filmbeitrag werden zwei Fotos der Klägerin gezeigt, die einige Wochen vor der Entführung gemacht und den Ermittlungsbehörden übergeben wurden. Sie dienten während der Entführung zur öffentlichen Suche nach der Klägerin. Auf einem weiteren im Filmbeitrag gezeigten Bild ist die Klägerin gemeinsam mit ihrer Mutter auf der Titelseite einer Illustrierten zu sehen. Dieses Foto wurde nach der Freilassung der Klägerin aufgenommen und für einen Artikel der Illustrierten über die Klägerin und ihre Familie verwendet. Im Filmbeitrag werden außerdem ein von der Klägerin während ihrer Entführung geschriebener Brief mit dem Inhalt

„Sehr geehrter Vermittler. […] Die haben mir einfach meine Haare kurz geschnitten. Eine Gemeinheit ist das! HAHA. Ich glaube das es dieses mal klappt! Sie auch? Bitte Grüßen sie meinen Vater, meine Mutter, S., P. und B.“

und der Audio-Mitschnitt eines ebenfalls während der Entführung geführten Telefongesprächs wiedergegeben, in dem die Klägerin zum Ablauf einer geplanten Lösegeldübergabe äußerte

„Autobahn A 1 nach Westhofen-Kreuz. 1000 Meter vor Westhofen-Kreuz ist eine Schilderbrücke über der Autobahn.“

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, die Veröffentlichung des Briefes und des Audio-Mitschnitts des Telefonats zu unterlassen, sowie die Klage hinsichtlich der Veröffentlichung der drei Lichtbilder abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen sowie auf die Anschlussberufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet.

A.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, eine Einwilligung der Klägerin in die Veröffentlichung der Lichtbilder liege nicht vor. Die Einwilligung der Eltern, welche zwei Bilder den Ermittlungsbehörden zum Zweck der öffentlichen Suche nach der Klägerin und ein Bild der Illustrierten für einen Artikel zur Verfügung gestellt hätten, wirke nicht fort. Denn jedenfalls mit der Veröffentlichung der Beklagten hätten sich die Eltern nicht einverstanden erklärt. Die drei Bildnisse stellten aber solche aus dem Bereich der Zeitgeschichte dar und ihre konkrete Veröffentlichung verletze die Rechte der Klägerin nicht. Im Kern gehe es um die Berichterstattung über die Geschehnisse der beiden Entführungen. Im Gesamtkontext würden durch die Veröffentlichung des Beitrags mit den Bildnissen überwiegende Informationsinteressen der Öffentlichkeit wahrgenommen. Mit der Sicht des Vermittlers T. werde eine neue, teilweise sehr persönliche Perspektive eingenommen, die die Öffentlichkeit noch nicht kenne und an der auch aufgrund der kriminalhistorischen Bedeutung des Entführungsfalls ein hohes gesellschaftliches Interesse bestehe. Es liege eine ernsthafte und sachbezogene Auseinandersetzung vor. Relevante Aspekte des Entführungsgeschehens würden aus Sicht des Vermittlers dargestellt und die Tätigkeit der Ermittlungsbehörden kritisch hinterfragt. Hinter diesem Informationsinteresse müssten die Interessen der Klägerin zurücktreten. Die Bildnisse zeigten die Klägerin nicht als Entführungsopfer, sondern in fröhlicher und gelöster Stimmung. Alle drei Bildnisse seien bereits Gegenstand öffentlicher Berichterstattung gewesen und mit Einwilligung der Eltern zur öffentlichen Suche nach der Klägerin den Ermittlungsbehörden überlassen bzw. nach ihrer Freilassung im Rahmen eines Artikels durch eine der größten deutschen Illustrierten verbreitet worden. Zwar sei die Klägerin als damals minderjähriges Opfer einer Straftat besonders schutzwürdig und sei die Freigabe zweier Bilder zur Suche nach der Klägerin erforderlich gewesen. Dies sei jedoch durch die nach der Freilassung der Klägerin erfolgte Freigabe auch des dritten Fotos an eine bundesweit verbreitete Illustrierte zumindest relativiert, da die Eltern der Klägerin insoweit eine bewusste Entscheidung in Richtung Öffentlichkeit getroffen hätten. Die Bildnisse seien nicht zusammenhanglos in den Beitrag eingebaut, sondern würden als authentische Bestandteile auf einer Pinnwand der Ermittlungsbehörden und der Einblendung in einer Nachrichtensendung gezeigt. Der Wiedererkennungswert sei sehr gering. Die Berichterstattung enthalte weder in den angegriffenen Bildnissen noch sonst im Gesamtkontext einen Bezug zur Klägerin als erwachsener Person.

Der Opferschutz und der damit verbundene Anspruch auf Anonymität rechtfertige kein überwiegendes Interesse. Zwar sei die Klägerin nicht prominent und habe nicht auf andere Weise die Öffentlichkeit gesucht. Allerdings sei sie Teil eines die Öffentlichkeit in hohem Maße berührenden Kriminalfalls gewesen. Die namentliche Identität der Klägerin und ihr Aussehen als Kind seien aufgrund der damaligen öffentlichen Suche sowie der späteren Berichterstattung bereits bekannt gewesen. Die Berichterstattung enthalte weder in den Bildnissen noch sonst einen Bezug zur Klägerin als erwachsener Person und sie müsse nicht befürchten, als Opfer der damaligen Straftat erkannt zu werden. Die Klägerin werde nicht mit einem aktuellen Foto als Opfer einer Jahrzehnte zurückliegenden Straftat identifiziert, sondern es werde unter Verwendung damaliger Sendungen und Aufzeichnungen lediglich ihre optische Identität als achtjähriges Kind offengelegt, was bereits damals zum Zweck der Suche und zum Zweck der journalistischen Aufarbeitung des glücklichen Ausgangs einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Insofern enthalte der Opferschutz kein geringeres Schutzniveau als der Täterschutz. Denn dem Opfer einer Straftat schlage – anders als dem Täter – gerade nicht die gesellschaftliche Missbilligung und Ablehnung entgegen, die vom Täter nach Verbüßung der Strafe und angestrebter Resozialisierung nur unter bestimmten Umständen hinzunehmen sei. Die Wahrung der Anonymität der Klägerin sei durch die Veröffentlichung der Bildnisse nicht maßgeblich gefährdet. Denn eine Erkennbarkeit der nunmehr erwachsenen Klägerin anhand der Kinderfotos und der sonstigen Angaben im Beitrag sei beim durchschnittlichen Rezipienten nicht gegeben. Die Veröffentlichung der Bilder enthalte keine neuen zusätzlichen Belastungen. Ein Unterlassungsanspruch bestehe nicht allein wegen des Zeitablaufs seit der Entführung. Die Klägerin habe nicht ausreichend dargelegt, dass die konkrete Gefahr einer Retraumatisierung bestehe, die über die Belastungen durch die Berichterstattung als solche und das damit verbundene Wiedererleben hinausgehe.

Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung des Briefs und des Tonband-Mitschnitts zu. Es sei schon zweifelhaft, ob der Brief in den Schutzbereich des Rechts am eigenen Wort falle. Denn es handele sich nicht um eine vertrauliche Äußerung der Klägerin, sondern sie habe den Brief auf Anweisung der Entführer geschrieben, um ein Lebenszeichen zu senden. Selbst wenn das Schriftstück in den Schutzbereich einbezogen sei, sei die konkrete Veröffentlichung rechtmäßig, da das öffentliche Informationsinteresse überwiege. Im Beitrag werde der Brief in den Händen von T. gezeigt, der aus ihm vorlese. Zum anderen werde ein Ausschnitt aus einer Pressekonferenz während der Entführung eingeblendet, in der aus diesem Brief vorgelesen werde. Der Brief sei nicht nur bei der Pressekonferenz der breiten Öffentlichkeit mit Zustimmung der Eltern der Klägerin vorgelesen worden, sondern auch im Rahmen des Artikels an die Illustrierte verkauft worden. Es bestehe ein öffentliches Interesse an der Darstellung der Geschehnisse um die Verlesung des Briefs. Im Gesamtkontext werde die Situation verdeutlicht, in der T. als Vermittler einen Weg habe finden müssen, um die Verfasserin zu retten.

Es sei auch zweifelhaft, ob der Schutzbereich des Rechts am gesprochenen Wort betroffen sei. Bei der Tonband-Aufnahme handele es sich nicht um eine Äußerung der Klägerin, über deren Verbleib sie selbst habe befinden wollen und sollen, sondern um eine mündliche Information der Entführer an T., die von der Klägerin habe gesprochen werden müssen. Es sei eine Aufnahme der Klägerin, die mit der Zielsetzung an die Behörden bzw. den Vermittler gerichtet gewesen sei, die Modalitäten der Lösegeldübergabe vorzubereiten. Es handele sich um eine nach außen und an unbestimmte Personen gerichtete Ansage, die nicht als vertrauliches Telefonat oder Äußerung in einem begrenzten Kommunikationsbereich mit der Erwartung erfolgt sei, nicht dauerhaft fixiert zu werden. Jedenfalls müssten die Interessen der Klägerin gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurücktreten. Die Aufnahme sei in der Folgezeit mehrfach öffentlich abgespielt worden und aufgrund einer Entscheidung der Klägerin bzw. ihrer Eltern an die Öffentlichkeit gelangt. Der Mitschnitt untermale in authentischer Art und Weise die Situation des Vermittlers, der nach wochenlangen Verhandlungen vor der möglicherweise alles entscheidenden Lösegeldübergabe gestanden habe. Dazu sei der erste örtliche Bezugspunkt durch die Tonaufnahme des Opfers der Entführung übermittelt worden, was im Beitrag kontextgerecht eingebunden werde. Dort würden zur Stimme der Klägerin die Hinweisschilder auf das Westhofener Kreuz eingeblendet, an dem der Vermittler in Begleitung des Kamerateams der Beklagten vorbeifahre.

B.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche hinsichtlich der Wiedergabe der beiden vor ihrer Entführung aufgenommenen Fotos und des nach ihrer Entführung aufgenommenen Fotos auf dem Titelblatt der Illustrierten (I.) sowie des von ihr während der Entführung geschriebenen Briefes und des von ihr während der Entführung geführten Telefonats (II.) zu.

  1. Hinsichtlich der Wiedergabe der Fotos hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 22, 23 KUG, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
  2. Das Recht am eigenen Bild nach §§ 22, 23 KUG zielt als spezialgesetzliche Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darauf ab, die Persönlichkeit davor zu schützen, gegen ihren Willen in Gestalt der Abbildung für andere verfügbar zu werden. Als Hauptmerkmal seiner Persönlichkeit bringt das Bild des Einzelnen die Besonderheit seiner Person zum Ausdruck und ermöglicht ihm, sich von seinen Mitmenschen zu unterscheiden. Das Recht der Person auf Schutz des eigenen Bildes stellt somit eine der wesentlichen Bedingungen für ihre persönliche Entfaltung dar (vgl. Senat, Urteil vom 18. Mai 2021 – VI ZR 441/19, BGHZ 230, 71 Rn. 21 mwN; siehe weiter EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2022 – C-460/20, juris Rn. 95 zu Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wonach das Recht der Person auf Schutz am eigenen Bild eine der wesentlichen Voraussetzungen für ihre persönliche Verwirklichung darstellt und in erster Linie die Kontrolle der Person über ihr eigenes Bild und insbesondere die Möglichkeit voraussetzt, dessen Verbreitung zu untersagen).
  3. Die Beklagte zeigte in ihrem am 25. Februar 2018 veröffentlichten Filmbeitrag zwei im Jahr 1981 wenige Wochen vor der Entführung der damals acht Jahre alten Klägerin aufgenommene Fotos. Abgebildet ist jeweils der Kopf der lächelnden Klägerin, die in die Kamera blickt. Weiter zeigte die Beklagte in ihrem Filmbeitrag ein Foto als Titelbild einer Illustrierten. Dieses Foto wurde nach der Freilassung der Klägerin aufgenommen. Abgebildet ist die lächelnde und in die Kamera blickende Klägerin auf dem Arm ihrer Mutter, die die Klägerin auf die Wange küsst.

Dabei handelt es sich im Sinne von § 22 Satz 1 KUG um Bildnisse der Klägerin. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Aufnahme der Fotos acht bzw. neun Jahre alt war und diese erst 35 Jahre später im Filmbeitrag der Beklagten wiedergegeben wurden. Denn der Begriff des Bildnisses setzt lediglich die Erkennbarkeit der abgebildeten Person voraus. Das Recht am eigenen Bild wird schon dann beeinträchtigt, wenn der Abgebildete begründeten Anlass hat, anzunehmen, er könne identifiziert werden. Ebenso wenig wird verlangt, dass schon der nur flüchtige Betrachter den Abgebildeten auf dem Bild erkennen kann; es genügt die Erkennbarkeit durch einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis. Entscheidend ist der Zweck des § 22 KUG, die Persönlichkeit davor zu schützen, gegen ihren Willen in Gestalt der Abbildung für andere verfügbar zu werden (siehe oben B.I.1.). Der besondere Rang des Anspruchs darauf, dass die Öffentlichkeit die Eigensphäre der Persönlichkeit und ihr Bedürfnis nach Anonymität respektiert, verlangt eine Einbeziehung auch solcher Fallgestaltungen in den Schutz dieser Vorschrift (vgl. Senat, Urteil vom 29. September 2020 – VI ZR 445/19, MDR 2020, 1374 Rn. 18 mwN). Jedenfalls Personen, denen die Klägerin bereits seit ihrem Kindesalter bekannt ist, können diese wiedererkennen. Zudem wird die Klägerin im Beitrag der Beklagten wiederholt mit vollem Geburtsnamen genannt und ist auch deshalb für die, die sie noch unter diesem kennen, identifizierbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. Juni 1965 – Ib ZR 126/63, NJW 1965, 2148, juris Rn. 9).

  1. Die Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung richtet sich nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG (vgl. Senat, Urteile vom 8. November 2022 – VI ZR 22/21, NJW 2023, 610 Rn. 15; vom 11. Juni 2013 – VI ZR 209/12, NJW 2013, 3029 Rn. 7; vom 10. März 2009 – VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 9; jeweils mwN). Dieses steht sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben als auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang (vgl. BVerfGE 120, 180, 211 ff., juris Rn. 78 ff.; EGMR, NJW 2012, 1053 Rn. 114 ff.).

Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Hiervon bestehen allerdings gemäß § 23 Abs. 1 KUG Ausnahmen. Diese Ausnahmen gelten aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. Senat, Urteile vom 8. November 2022 – VI ZR 22/21, NJW 2023, 610 Rn. 16; vom 11. Juni 2013 – VI ZR 209/12, NJW 2013, 3029 Rn. 7; vom 10. März 2009 – VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 9; jeweils mwN).

  1. Es ist nicht festgestellt und wird von der Revisionserwiderung nicht als übergangen gerügt, dass die Klägerin selbst in die Verbreitung ihrer Fotos durch die Beklagte einwilligte (§ 22 Satz 1 KUG). Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung liegen jedenfalls insoweit auch keine fortgeltenden Einwilligungen der Eltern der Klägerin vor, weil diese während der Entführung die zwei Fotos an die Ermittlungsbehörden übergaben und nach der Entführung mit der Verwendung eines Fotos für den Artikel in der Illustrierten einverstanden waren. Dabei kann im vorliegenden Zusammenhang offenbleiben, ob die Eltern der damals acht bzw. neun Jahre alten Klägerin allein einwilligungsbefugt waren (vgl. dazu Senat, Urteil vom 28. September 2004 – VI ZR 305/03, NJW 2005, 56, juris Rn. 10; Wandtke/Bullinger/Fricke, Urheberrecht, 6. Aufl., § 22 KUG Rn. 14; BeckOK UrhR/Engels, 37. Ed. 1.2.2023, § 22 KUG Rn. 42; BeckOK InfoMedienR/Herrmann, 39. Ed. 1.2.2023, § 22 KUG Rn. 17). Ebenso kann offenbleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit eine von Eltern für ihr minderjähriges Kind erklärte Einwilligung mit dessen fortschreitendem Alter ihre Wirksamkeit verliert oder zumindest widerrufen werden kann. Denn nach den getroffenen Feststellungen übergaben die Eltern der Klägerin die beiden vor der Entführung aufgenommenen Fotos an die Ermittlungsbehörden ausschließlich für die Suche nach der Klägerin, weshalb der Verwendungszweck darauf beschränkt war. Abweichendes ergibt sich entgegen der Revisionserwiderung nicht allein daraus, dass mit einer Weiterverwendung durch Medien zu rechnen war (vgl. dazu Senat, Urteile vom 13. Oktober 2015 – VI ZR 271/14, BGHZ 207, 163 Rn. 38; vom 28. September 2004 – VI ZR 305/03, NJW 2005, 56, juris Rn. 12 f.; Wandtke/Bullinger/Fricke, Urheberrecht, 6. Aufl., § 22 KUG Rn. 16 f.). Entsprechendes gilt für das Foto auf dem Titelblatt der Illustrierten. Denn nach den getroffenen Feststellungen waren die Eltern der Klägerin ausschließlich mit der Verwendung dieses Foto für den in der Illustrierten veröffentlichten Bericht einverstanden. Dabei kann dahinstehen, ob – wie vom Berufungsgericht festgestellt – die Eltern der Klägerin der Illustrierten das Foto zur Verfügung stellten oder – wie von der Revision als übergangen gerügt – das Foto von T. aufgenommen sowie an die Illustrierte verkauft wurde und die Eltern der Klägerin dem zustimmten, um dadurch einen Teil des gezahlten Lösegelds zu kompensieren.
  2. Die Beklagte durfte in ihrem Beitrag die Fotos der Klägerin nicht gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG verbreiten.
  3. a) Die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zuzuordnen ist, erfordert eine – revisionsrechtlich voll zu überprüfende – Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Medien aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits.

Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse. Es gehört zum Kern der Freiheit der Medien, dass diese innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzen, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden können, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Medienerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Bilder können einen Bericht ergänzen und dabei der Erweiterung seines Aussagegehalts dienen, etwa der Unterstreichung der Authentizität des Geschilderten. Auch kann ein von Art. 5 Abs. 1 GG geschütztes Informationsanliegen darin liegen, durch Beigabe von Bildnissen die Aufmerksamkeit des Lesers für den übrigen Bericht zu wecken. Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen (vgl. BVerfG [K], NJW 2017, 1376 Rn. 11, 16; Senat, Urteile vom 8. November 2022 – VI ZR 22/21, NJW 2023, 610 Rn. 19; vom 11. Juni 2013 – VI ZR 209/12, NJW 2013, 3029 Rn. 9; vom 10. März 2009 – VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 10 f.; jeweils mwN).

Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Es bedarf einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln ist, insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, oder ob sie – ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis – lediglich die Neugier der Leser befriedigen (vgl. Senat, Urteile vom 8. November 2022 – VI ZR 22/21, NJW 2023, 610 Rn. 20; vom 11. Juni 2013 – VI ZR 209/12, NJW 2013, 3029 Rn. 9; vom 10. März 2009 – VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 12; jeweils mwN).

Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird. Von Bedeutung ist ebenfalls die Rolle des Betroffenen in der Öffentlichkeit (vgl. Senat, Urteile vom 8. November 2022 – VI ZR 22/21, NJW 2023, 610 Rn. 21; vom 11. Juni 2013 – VI ZR 209/12, NJW 2013, 3029 Rn. 7; vom 10. März 2009 – VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rn. 14; jeweils mwN). Die von der Freiheit der Meinungsäußerung umfasste Veröffentlichung von Fotos betrifft einen Bereich, in dem der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besondere Bedeutung hat (vgl. Senat, Urteil vom 8. November 2022 – VI ZR 22/21, NJW 2023, 610 Rn. 22 mwN).

  1. b) Danach handelt es sich bei den Fotos der Klägerin, die die Beklagte in ihrem Beitrag wiedergab, nicht um Bildnisse der Zeitgeschichte.
  2. aa) Im Mittelpunkt des von der Beklagten verbreiteten Filmbeitrags „Entführte Kinder – Die Fälle K. und v. G.“ steht der Journalist T., der seine Erinnerungen an die Entführung der Klägerin und an eine andere Kindesentführung schildert. Im ersten Teil des Filmbeitrags geht es um den anderen Entführungsfall, in dem T. ebenfalls vermittelte. Der zweite Teil befasst sich mit der Entführung der Klägerin und schildert, wie es zur Vermittlung durch T. kam, wie sich die Entführung aus seiner Sicht darstellte und warum er damit noch nicht abgeschlossen hat.
  3. bb) Zwar besteht im Ausgangspunkt ein nicht unerhebliches Berichterstattungsinteresse. Denn eine Straftat gehört zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung begründet grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über die Tat. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise, Schwere oder wegen anderer Besonderheiten von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt (vgl. Senat, Urteil vom 31. Mai 2022 – VI ZR 95/21, NJW-RR 2022, 1559 Rn. 20 mwN). Die Entführung der Klägerin im Alter von acht Jahren über den Zeitraum von fünf Monaten war im Jahr 1981 ein ganz außergewöhnlicher, spektakulärer Kriminalfall und bleibt es auch rückblickend aus heutiger Sicht. Es war den Ermittlungsbehörden nicht gelungen, die Klägerin zu finden oder die Tat im Nachhinein aufzuklären. Aktualität gewinnt der Filmbeitrag dadurch, dass sich T. erstmals vor der Kamera zu den Ereignissen äußerte und seine Perspektive dargestellt wird.

Außerdem beschränkt sich der Filmbeitrag der Beklagten nicht auf die Berichterstattung über die Entführung der Klägerin. Zu Beginn werden Kindesentführungen als früher vergleichsweise häufigeres Phänomen dargestellt. Vor dem Bericht über die Entführung der Klägerin wird eine weitere Kindesentführung nachgezeichnet. Das verbindende Element beider Fälle ist die Vermittlungstätigkeit des Journalisten T., dessen Schilderung und Sichtweise den roten Faden des Filmbeitrags bilden sowie dessen Charakter bestimmen. Dies vermittelt sowohl besondere Einblicke als auch eine Perspektive, die sich nicht auf einen einzelnen Fall beschränkt, sondern diesen in Zusammenhänge einordnet.

Die Beklagte verwendet die Bilder in ihrem Filmbeitrag auch kontextgerecht. Zwei Fotos der Klägerin, die einige Wochen vor der Entführung gemacht und den Ermittlungsbehörden übergeben wurden, dienten während der Entführung zur öffentlichen Suche nach der Klägerin. Das Foto auf der Titelseite einer Illustrierten, auf dem die Klägerin gemeinsam mit ihrer Mutter zu sehen ist, wurde nach der Freilassung der Klägerin aufgenommen und mit Zustimmung der Eltern der Klägerin für einen Artikel der Illustrierten über die Klägerin, ihre Familie und die Entführung verwendet. Der Filmbeitrag der Beklagten stellt insoweit auch optisch keine neuen Zusammenhänge her, sondern zeichnet ausschließlich das frühere Geschehen authentisch nach.

Daraus ergibt sich zugleich, dass sowohl die Bildnisse als auch die damit im Zusammenhang stehenden Ereignisse bereits früher einer breiten Öffentlichkeit bekannt waren, was das Gewicht des Eingriffs mindert. Entsprechendes gilt für das Einverständnis der Eltern der Klägerin, wenngleich jedenfalls die vor der Entführung aufgenommenen Fotos in der Notsituation der Entführung zum Zweck der Suche nach der Klägerin veröffentlicht wurden.

Im Übrigen weist die Revisionserwiderung zutreffend darauf hin, dass es sich bei den von der Beklagten verwendeten Fotos um Bilder der damals acht bzw. neun Jahre alten Klägerin aus den Jahren 1981 und 1982 handelt und dass der Filmbeitrag über deren Vor- sowie damaligen Familiennamen hinaus keine aktuellen Bezüge zur Klägerin (wie etwa aktuelles Aussehen, aktueller Familienname, Wohnort oder Beruf) enthält, weshalb die Möglichkeit der aktuellen Identifizierung und Zuordnung stark eingeschränkt ist (vgl. dazu Senat, Urteile vom 8. November 2022 – VI ZR 22/21, NJW 2023, 610 Rn. 33; vom 29. September 2020 – VI ZR 449/19, AfP 2020, 488 Rn. 33 f.).

  1. cc) Dennoch überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Beklagten nicht diejenigen der Klägerin.

Die Klägerin wendet sich vorliegend – wie sie auch in der Revisionsverhandlung verdeutlicht hat – nicht generell dagegen, durch die Berichterstattung als Opfer einer Straftat identifiziert werden zu können. Es geht ihr vielmehr um den Schutz davor, dass ihre Bildnisse Jahrzehnte nach der Entführung dazu verwendet werden, sie in sehr persönlicher Weise in ihrer Opferrolle darzustellen.

Während die im Filmbeitrag der Beklagten behandelten Themen auch heute noch von Interesse sind (Kindesentführungen, Vermittlung durch T. in zwei Fällen) und der Filmbeitrag zudem einen aktuellen Bezug herstellt (erstmalige Äußerung des T.), hat das öffentliche Interesse gerade an der Person der Klägerin und erst recht an ihrer sehr individualisierten und persönlichen Darstellung erheblich an Bedeutung verloren. Seit der Entführung der Klägerin sind bis zur Veröffentlichung des Films 35 Jahre und bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht 40 Jahre vergangen. Weder aus dem Kontext des Filmbeitrags der Beklagten noch aus sonstigen Feststellungen ergibt sich eine gleichwohl fortdauernde Bedeutung gerade der Person und vor allem der Persönlichkeit der Klägerin. Abweichendes folgt auch nicht aus dem von der Revisionserwiderung in Bezug genommenen Instanzvortrag, wonach über die Entführung der Klägerin in einer Vielzahl von Rückblicken berichtet worden sei und in späteren Entführungsfällen Parallelen gezogen worden seien. Denn auch dies zeigte lediglich ein öffentliches Interesse an der Tat, nicht aber auch gerade an der Person und an der Persönlichkeit der Klägerin. Entsprechendes gilt für den Hinweis der Revisionserwiderung auf ein im Jahr 2021 erschienenes Buch, das sich in einem Kapitel auf über 22 Seiten mit der Entführung der Klägerin befasse und ebenfalls ein von der Beklagten in ihrem Filmbericht verwendetes Foto enthalte.

Die Klägerin ist als damals minderjähriges Opfer einer schweren Straftat in ganz besonderem Maße schutzwürdig (vgl. Senat, Urteile vom 18. Mai 2021 – VI ZR 441/19, BGHZ 230, 71 Rn. 45; vom 30. April 2019 – VI ZR 360/18, NJW 2020, 53 Rn. 26; Götting/Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2. Aufl., § 12 Rn. 80; jeweils mwN). Sie wurde im Alter von acht Jahren entführt und erst fünf Monate später nach Lösegeldzahlung freigelassen. Entgegen der Revisionserwiderung umfasst der gebotene Schutz nicht nur die Verhinderung einer erstmaligen Identifikation eines bis dahin in der Öffentlichkeit unbekannten Opfers (vgl. dazu EGMR, NJW 2013, 771 Rn. 53). Denn nach der Zielrichtung des Rechts am eigenen Bild soll die Persönlichkeit davor geschützt werden, gegen ihren Willen in Gestalt der Abbildung für andere verfügbar zu werden (siehe oben B.I.1.). Dies gilt im Grundsatz unabhängig davon, in welchem Maße aufgrund der Berichterstattung eine Konfrontation des Opfers mit der Tat und darüber hinaus psychische Beeinträchtigungen zu befürchten sind. Diese Gesichtspunkte sind zwar abwägungsrelevant. Aber auch unabhängig davon kann das Opfer einer Straftat nach einem gewissen Zeitablauf Anspruch darauf haben, selbst zu entscheiden, ob sein Bildnis noch zur Illustration und erneuten Vergegenwärtigung seiner damaligen Opferrolle verwendet werden darf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Fotos der Klägerin aus Kindertagen ohne die an ihr verübte Straftat nicht in die Öffentlichkeit gelangt wären. Bei den Fotos, die den Ermittlungsbehörden übergeben wurden, kommt hinzu, dass sie in einer damals ausweglosen Zwangssituation veröffentlicht wurden, um die Chancen der Klägerin auf ihre Befreiung zu erhöhen. Angesichts des erheblichen Zeitablaufs und des nachlassenden öffentlichen Interesses an ihrer Person und ihrer Persönlichkeit hat die Klägerin nunmehr einen Anspruch darauf, die Verfügungsgewalt über ihre Kinderfotos zurückzuerlangen und die in die Öffentlichkeit getragene Verknüpfung zwischen der schweren Straftat, deren Opfer sie als Kind geworden ist, und den Abbildungen ihrer Person aufzulösen.

  1. Hinsichtlich der Wiedergabe des von der Klägerin während ihrer Entführung geschriebenen Briefes und der Aufnahme des von ihr während der Entführung geführten Telefonats hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
  2. Im Filmbeitrag der Beklagten wird folgender Inhalt eines von der Klägerin während der Entführung als Lebenszeichen geschriebenen Briefes wiedergegeben:

„Sehr geehrter Vermittler. […] Die haben mir einfach meine Haare kurz geschnitten. Eine Gemeinheit ist das! HAHA. Ich glaube das es dieses mal klappt! Sie auch? Bitte Grüßen sie meinen Vater, meine Mutter, S., P. und B.“

Gezeigt wird sowohl der Ausschnitt einer Pressekonferenz, in der dieser Teil des Briefs vorgelesen wurde, als auch der nach Schriftbild und farblicher Aufmachung auf den ersten Blick als Schreiben eines Kindes erkennbare Brief in Nahaufnahme.

Außerdem wird im Filmbeitrag der Beklagten der Audio-Mitschnitt eines ebenfalls während der Entführung geführten Telefongesprächs wiedergegeben, in dem die Klägerin zum Ablauf einer geplanten Lösegeldübergabe sagte:

„Autobahn A 1 nach Westhofen-Kreuz. 1000 Meter vor Westhofen-Kreuz ist eine Schilderbrücke über der Autobahn.“

  1. Die Klägerin ist in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung der Privatsphäre betroffen. Thematisch umfasst der Schutz der Privatsphäre insbesondere Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsgehalts typischerweise als “privat“ eingestuft werden. Dazu können auch Situationen großer emotionaler Belastung wie das Bangen um das Leben eines nahen Angehörigen gehören (vgl. Senat, Urteil vom 17. Mai 2022 – VI ZR 123/21, MDR 2022, 1023 Rn. 15), erst recht das Bangen um die eigene Person. In einer solchen Situation sind Brief und Audio-Mitschnitt entstanden. Die Klägerin wurde von ihren Entführern veranlasst, unter deren Kontrolle einen Brief zu schreiben und Anweisungen für die Lösegeldübergabe zu sprechen. Dieses Geschehen war – wie die gesamte Entführungssituation – geprägt durch die gewaltsame Trennung der Klägerin als achtjähriges Kind von ihrer Familie und von der damaligen Ungewissheit, ob sie diese je wiedersehen oder die Entführung überhaupt überleben würde. Die Entführungssituation war mit einer enormen emotionalen Belastung verbunden und bleibt dies auch in der Rückschau. Hinzu kommt die persönliche Prägung des Briefes durch dessen Gestaltung und die persönliche Prägung des Telefon-Mitschnitts insofern, als die Stimme der Klägerin wiedergegeben wird.
  2. Die Wiedergabe des Briefes und des Telefon-Mitschnitts im Filmbeitrag der Beklagten verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin.
  3. a) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.

Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse der Klägerin am Schutz ihres Persönlichkeitsrechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit abzuwägen. Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erstreckt sich auch auf die Äußerung von Tatsachen, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können. Zum Kern der Presse- und Meinungsfreiheit gehört es, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu. Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Stets abwägungsrelevant ist auch die Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Diese ist als gering zu werten, wenn es sich um zutreffende Tatsachen handelt, die entweder belanglos sind oder sich allenfalls oberflächlich mit der Person des Betroffenen beschäftigen, ohne einen tieferen Einblick in seine persönlichen Lebensumstände zu vermitteln und ohne herabsetzend oder gar ehrverletzend zu sein (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2023 – VI ZR 338/21, VersR 2023, 662 Rn. 31 ff. mwN).

  1. b) Das Schutzinteresse der Klägerin überwiegt die schutzwürdigen Belange der Beklagten.

Zwar besteht ein nicht unerhebliches Berichterstattungsinteresse. Der Filmbeitrag der Beklagten zeichnet das frühere Geschehen authentisch nach. Brief und Audio-Mitschnitt belegen die Authentizität und veranschaulichen das Geschehen. Außerdem waren der Brief und der Audio-Mitschnitt sowie die damit im Zusammenhang stehenden Ereignisse bereits früher einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Der Brief wurde zudem mit Zustimmung der Eltern der Klägerin öffentlich verlesen und an die Illustrierte verkauft (siehe oben B.I.5.b.bb).

Allerdings hat das öffentliche Interesse gerade an der Person der Klägerin und erst recht an ihrer persönlichen Darstellung erheblich an Bedeutung verloren. Die Klägerin ist als damals minderjähriges Opfer einer schweren Straftat in ganz besonderem Maße schutzwürdig. Das Opfer einer Straftat hat nach einem gewissen Zeitablauf Anspruch darauf, nicht mehr in sehr persönlicher Weise in seiner Opferrolle dargestellt zu werden (siehe oben B.I.5.b.cc). Die Entführer instrumentalisierten das gewaltsam von der Außenwelt abgeschottete achtjährige Kind in einer emotional enorm belastenden Zwangssituation, um Lebenszeichen und die Modalitäten der Lösegeldübergabe zu übermitteln. Sie bedienten sich dazu besonders persönlicher Ausdrucksformen der Klägerin, wie sie sich in der kindlichen Schrift und Gestaltung des Briefs sowie in ihrer Stimme manifestierten. Die so gewonnenen und festgehaltenen persönlichen Ausdrucksformen der Klägerin werden durch die Einblendung des Briefs und des Telefon-Mitschnitts in der streitgegenständlichen Berichterstattung (erneut) der Öffentlichkeit präsentiert. Dies vermittelt einen noch persönlicheren und unmittelbareren Bezug zur Person und Persönlichkeit der Klägerin in der Entführungssituation als die Wiedergabe der – für sich genommen neutralen – Lichtbilder. Angesichts des erheblichen Zeitablaufs und des nachlassenden öffentlichen Interesses an ihrer Person und ihrer Persönlichkeit hat die Klägerin nunmehr einen Anspruch darauf, die in die Öffentlichkeit getragene Verknüpfung zwischen der schweren Straftat, deren Opfer sie als Kind geworden ist, und dem Brief sowie dem Telefon-Mitschnitt als persönlichen Ausdrucksformen aufzulösen.

III. Die für den Unterlassungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog) erforderliche Wiederholungsgefahr wird aufgrund der erfolgten Rechtsverletzung vermutet; diese Vermutung hat die Beklagte nicht entkräftet (vgl. Senat, Urteile vom 14. Dezember 2021 – VI ZR 403/19, NJW-RR 2022, 419 Rn. 21; vom 30. April 2019 – VI ZR 360/18, NJW 2020, 53 Rn. 30).

 

C.

 

Das Urteil des Berufungsgerichts ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a