Meinungsäußerung oder Schmähkritik im politischen Diskurs?

25. Januar 2011
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Eigener Leitsatz:

Zur Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung ist, ist diese in ihrem Gesamtzusammenhang zu würdigen. Hierbei ist es auch beachtlich, wenn die Äußerung im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung fällt. So müssen Teilnehmer des politischen Meinungskampfes unter Umständen Äußerungen dulden, die bei einer isolierten Betrachtungsweise die Grenze der Schmähkritik überschreiten würden.

Landgericht Lübeck

Urteil vom 28.10.2010

Az.: 14 S 135/10

 

Tenor

Das Urteil des Amtsgerichts Ahrensburg vom 07.04.2010 und der Beschluss
vom 10.03.2010 (14 S 135/10) werden aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Der Verfügungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter
Instanz nach einem Streitwert von 4.000 € zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 313a Abs.1 Satz 1,
540 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Dem Verfügungskläger steht ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem beantragten und vom Amtsgericht zuerkannten Inhalt nicht zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich entgegen der Auffassung des Amtsgerichts vorliegend nicht aus §§ 1004, 823 BGB analog.

Bei den von dem Verfügungskläger beanstandeten Äußerungen des Verfügungsbeklagten handelt es sich insgesamt um Meinungsäußerungen, die dem Schutzbereicht des Art 5 Abs. 1 GG unterfallen. Eine danach gebotene Abwägung der Meinungsfreiheit einerseits mit dem Recht der persönlichen Ehre und dem öffentlichen Ansehen des Verfügungsklägers andererseits fällt zu Lasten des Verfügungsklägers aus.

Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, bedarf es der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Insbesondere ist jede beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BGH NJW 2009, 3580-3582 m.w.N, zit. nach Juris). So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem – zu würdigenden – Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird (BGH a.a.O.).Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden (BGH a.a.O.).

Diesen Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung trägt das Urteil des Amtsgerichts nicht vollständig Rechnung.

Bei Zugrundelegung der dargestellten Maßstäbe ergibt sich in dem hier vorliegenden Fall, dass die Äußerungen des Beklagten im Gesamtkontext einen sachlichen Bezug zu den Meinungsäußerungen des Verfügungsklägers haben und aus Gründen des Ehrschutzes nicht zu beanstanden sind.

Sowohl der Verfügungskläger als auch der Verfügungsbeklagte haben im Zusammanhang mit der Wahl des Bürgermeisters in Ahrensburg aufeinander bezogene Texte im Internet veröffentlicht. Der Verfügungskläger, der sich selbst als Journalist und Satiriker bezeichnet, hat dabei nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien unter anderem ein verfremdetes Wahlkampffoto des Verfügungsbeklagten veröffentlicht, das diesen – offenbar in Anspielung auf seinen Nachnamen – nicht als lebenden Menschen, sondern verfremdet als verzerrten menschlichen Schädel (Totenkopf) darstellt.

Vor dem Hintergrund der zwischen den Parteien im öffentlichen Raum des
Internets geführten politischen Auseinandersetzung sind die Äußerungen des Verfügungsbeklagten nicht zu beanstanden. Vielmehr sind die Äußerungen des Verfügungsbeklagten, der Verfügungskläger "spiele den P… der C…-Ahrensburg", er sei der "P… Nr. 2" bzw. "D… gehört zum Psychiater zur Begutachtung" und "Wer bezahlt den aus meiner Sicht psychisch kranken Herrn D… für seine diffamierende "journalistische" Tätigkeit??" und "Der eingangs erwähnte D…-Artikel ist eine Werbeveranstaltung für Herr T… – Scientology und HSH-Bank-Aufklärer – K…" unzweifelhaft als Kritik an den Äußerungen des Verfügungsklägers zu verstehen. Bei der gebotenen Betrachtung der Äußerungen im Gesamtkontext kann insbesondere die Äußerung des Verfügungsbeklagten nicht darauf reduziert werden, der Verfügungsbeklagte habe behauptet, der Verfügungskläger sei psychisch krank.

Der Verfügungsbeklagte hat – auch nach Darstellung des Verfügungsklägers – mit konkretem Bezug zu dem von ihm verfremdeten Foto unter anderem ausgeführt:

"Mit deren menschenverachtender Zustimmung verschandelte und veröffentliche er bis heute rechtswidrig und unter Mißachtung jeglichen Anstandes mein Wahlfoto in dieser hier nebenstehenden Art und Weise".

Die Äußerungen des Verfügungsbeklagten sind daher als Reaktion im Meinungskampf zu verstehen und damit von dem Verfügungskläger, der sich gleichermaßen mit drastischen Mitteln an diesem Kampf beteiligt, als freie Meinungsäußerung hinzunehmen. Der Verfügungskläger hat kein Recht
darauf, den Verfügungsbeklagten durch die Äußerung seiner Meinung erheblich anzugreifen und vor einer ebenso drastischen Meinungsäußerung seines Gegners aus Gründen des Ehrschutzes geschützt zu werden.

Die Grenze zur Schmähkritik ist nach Auffassung der Kammer nicht überschritten. An die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil andernfalls eine umstrittene Äußerung ohne Abwägung dem Schutz der Meinungsfreiheit entzogen und diese damit in unzulässiger Weise verkürzt würde. Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll, nimmt die Äußerung den Charakter einer unzulässigen Schmähung an (BGH a.a.O.). Ein solcher Fall liegt nicht vor. Die Äußerungen des Verfügungsbeklagten haben – wie ausgeführt – einen sachlichen Bezug zu den Äußerungen des Verfügungsklägers.

Soweit die Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers beantragt hat, zu dem verfremdeten Foto umfangreich weiter vorzutragen, war ein Schriftsatznachlass nach § 283 ZPO nicht zu bewilligen. Zum einen gilt die Vorschrift im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht (Zöller, ZPO 2010, § 283 Rn. 2 a.E.). Zum anderen hat der Verfügungskläger das verzerrte Foto selbst zum Gegenstand seines Vortrages gemacht.

Er hat noch mit Schriftsatz vom 30.09.2010 als Anlage einen Text des Verfügungsbeklagten vorgelegt, aus dem sich unwidersprochen ergibt, dass der Verfügungskläger diese Darstellung im Internet veröffentlicht hat (Bl. 188/189 der Akte).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Entscheidung zum Streitwert folgt aus § 48 Abs. 2 GKG.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die hierfür nach § 543 Abs. 2 ZPO erforderlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich.

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