OLG Celle bestimmt in Niedersachsen die Zuständigkeit in Kartellsachen

02. September 2010
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Eigener Leitsatz:

Da beim OLG Celle alle niedersächsischen Kartellsachen konzentriert sind, ist das OLG Celle zur Entscheidung im Streit über die kartellrechtliche Zuständigkeit zweier Gerichte aus unterschiedlichen OLG- Bezirken des LAndes berufen. Diese Zuständigkeit nach § 95 GWB ist eine ausschließliche, so dass sie gemäß § 91 GWB iVm.§ 87 GWB analog der allgemeinen Zuständigkeit des OLG Braunschweig aus § 36 ZPO vorgeht.

OLG Celle

Beschluss vom 01.06.2010

Az.: 13 AR 2/10

Leitsatz:   

Die ausschließliche Zuständigkeit des landesweit für
Kartellzivilsachen zuständigen Kartellsenats des Oberlandesgerichts
umfasst in entsprechender Anwendung der § 87 Abs. 1, § 91 GWB auch
die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und geht
insoweit der Zuständigkeit des ansonsten nach § 36 Abs. 2 ZPO
berufenen Oberlandesgerichts vor.

Beschluss

In dem Verfahren

E. GmbH, …,

Klägerin,

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. S, …

gegen

W. L., …,

Beklagte,

hat der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knoke sowie die
Richterinnen am Oberlandesgericht Ziemert und Rieke am 1. Juni 2010
beschlossen:

Das Amtsgericht Göttingen ist zuständig.

Gründe:

I.
Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, nimmt die Beklagte
auf Zahlung von offenen Rechnungsbeträgen in Höhe von 573,17 € aus
den Abrechnungen der Jahre 2005 – 2008 in Anspruch.

Sie stützt ihren Anspruch auf den mit der Beklagten geschlossenen
Strom und Gaslieferungsvertrag. Die Beklagte hält die Erhöhungen des
Arbeitspreises für Erdgas in dem von der Klägerin vorgenommenen
Umfang für unberechtigt und fordert von ihr eine Offenlegung ihrer
Kalkulationsgrundlage. Auf die Verfügung des Amtsgerichts Göttingen
vom 8. Februar 2010, in der das Gericht die von der Beklagten
vorgebrachten Einwände als Geltendmachung kartellrechtlicher Verstöße
nach §§ 19, 20 GWB bewertete, die gem. den §§ 87, 89 GWB i. V. m. §
14 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVO–Justiz in die ausschließliche
Zuständigkeit der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Hannover fielen, hat die Klägerin hilfsweise die Verweisung des
Rechtsstreits an das Landgericht Hannover beantragt. Zugleich hat sie
aber darauf hingewiesen, dass eine kartellrechtliche Zuständigkeit
mangels hinreichend substantiierten Tatsachenvortrags nicht in
Betracht komme. Ohne weitere Begründung hat das Amtsgericht Göttingen
sich mit Beschluss vom 2. März 2010 für sachlich unzuständig erklärt
und den Rechtsstreit an das Landgericht Hannover, 1. Kammer für
Handelssachen, verwiesen.
Die 21. Zivilkammer (1. Kammer für Handelssachen) des Landgerichts
Hannover hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 1.
April 2010 ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und den
Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle um Bestimmung des
zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ersucht. Zur
Begründung hat es ausgeführt, dass seine Zuständigkeit nach § 14 Abs.
1 Nr. 1 der Nds. ZustVO–Justiz (jetzt: § 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds.
ZustVOJustiz n. F.) nicht gegeben sei, da die Klage weder auf einer
kartellrechtlichen Anspruchsgrundlage beruhe, noch kartellrechtliche
Fragen von den Parteien zur Begründung ihrer Forderung oder ihrer
Einwendung geltend gemacht worden seien. Dem Verweisungsbeschluss des
Amtsgerichts Göttingen komme keine Bindungswirkung i. S. des § 281
Abs. 2 Satz 4 ZPO zu, da die Verweisung mangels Parteivorbringens mit
kartellrechtlichem Bezug objektiv willkürlich erscheine.

II.
1. Der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle ist gem. § 36 Abs. 1
Nr. 6 ZPO i. V. m. § 91 GWB entsprechend für die
Zuständigkeitsbestimmung zuständig.
Zwar sieht § 36 Abs. 2 ZPO grundsätzlich vor, dass in den Fällen, in
denen nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO der Bundesgerichtshof für die
Bestimmung von Landgerichten und Amtsgerichten verschiedener
Oberlandesgerichtsbezirke zuständig wäre, an dessen Stelle nunmehr
dem Oberlandesgericht die Zuständigkeitsbestimmung obliegt, zu dessen
Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört. In
Kartellsachen geht die gesetzliche Zuständigkeit des Kartellsenats
analog § 87 Satz 1, § 91 GWB aber derjenigen der allgemeinen
Zivilsenate auch in Frage der Zuständigkeitsbestimmung vor.

Demzufolge hat der Kartellsenat eines Oberlandesgerichts, bei dem die
Kartellzivilsachen durch Rechtsverordnung nach § 92 Abs.1 i.V.m. § 93
GWB in einem Land konzentriert sind, als das nächst höhere Gericht
auch dann zu entscheiden, wenn zwei Landgerichte desselben
Oberlandesgerichtsbezirks über die kartellrechtliche Zuständigkeit
streiten und das übergeordnete (gemeinsame) Oberlandesgericht keinen
Kartellsenat hat (Dicks in: Loewenheim/MeessenRiesenkampff,
Kartellrecht 2. Aufl. § 87 Rdn. 29 mit Hinweis auf: OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 18. Juli 2005 – VIW (Kart) 6/05). Dasselbe gilt, wenn –
wie hier – die beiden über die kartellrechtliche Zuständigkeit
streitenden Gerichte zu unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken
eines Landes gehören, allerdings bei einem Oberlandesgericht die
Kartellsachen landesweit konzentriert sind. Da der erkennende
Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle gemäß § 7 Abs. 2 i.V.m
Abs.1 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung zur Regelung der Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung vom
18. Dezember 2009 – ZustVOJustiz, (früher: § 14 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1
Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz a. F.) aufgrund der landesweit
erstinstanzlichen Zuständigkeit des in seinem Bezirk gelegenen
Landgerichts Hannover in Kartellzivilsachen ausschließlich nach § 95
GWB für diese Entscheidungen in Niedersachsen zuständig ist, geht
diese ausschließliche Zuständigkeit nach § 91 GWB i. V. m. § 87 GWB
analog der Zuständigkeit des ansonsten nach § 36 Abs. 2 ZPO berufenen
Oberlandesgerichts Braunschweig vor.

2. Das für den Rechtsstreit zuständige Gericht ist gem. § 36 Abs. 1
Nr. 6 ZPO zu bestimmen, nachdem sich sowohl das Amtsgericht Göttingen
als auch das Landgericht Hannover für unzuständig erklärt haben.

Das Amtsgericht Göttingen ist gem. § 23 Nr. 1 GVG, § 13 ZPO sachlich
und örtlich zuständig, da eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit
einem unter 5.000 € liegenden Streitwert gegeben ist, für die keine
besondere Zuständigkeitsregelung gilt, und die Beklagte im dortigen
Gerichtsbezirk wohnt. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts ist weder
durch § 87 GWB noch durch § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ausgeschlossen.

a) Die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit des
Landgerichts Hannover nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz
(früher: § 14 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz a. F.) ist nicht
gegeben. Danach müsste der Rechtsstreit die Anwendung des GWB
betreffen (§ 87 Abs. 1 Satz 1 GWB) oder teilweise von einer
Entscheidung abhängen, die nach dem GWB zu treffen ist (§ 87 Abs. 1
Satz 2 GWB). Die kartellrechtliche Vorfrage müsste auf einem
entsprechenden Tatsachenvortrag beruhen (Karsten Schmidt in:
Immenga/Mestmäcker, GWB 4. Aufl., § 87 Rdnr. 24) und zudem
entscheidungserheblich sein. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die
Klägerin stützt sich weder auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen
noch wird das Kartellrecht in irgendeiner Form zur Begründung des
geltend gemachten Klageanspruchs herangezogen. Auch die Beklagte
beruft sich nicht auf einen Einwand aus dem Kartellrecht. Sie
verlangt lediglich eine vollständige und nachvollziehbare Offenlegung
der Kalkulationsgrundlagen der Klägerin, um deren Berechtigung zur
einseitigen Preisanpassung überprüfen zu können, und macht damit die
Unbilligkeit der von der Klägerin vorgenommenen einseitigen Anpassung
des Arbeitspreises für Gas nach § 315 Abs. 3 BGB geltend.

b) Die Zuständigkeit des Landgerichts Hannover ergibt sich auch nicht
aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen, weil diesem
keine Bindungswirkung zukommt.

Zwar sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich unanfechtbar (§ 281
Abs. 2 Satz 2 ZPO) und für das Gericht, an das die Verweisung
erfolgt, bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Das entzieht auch einen
sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich
jeder Nachprüfung (BGHZ 102, 338, 340). Ausnahmsweise besteht aus
rechtsstaatlichen Gründen aber dann keine Bindung, wenn der
Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt, sodass sie als objektiv
willkürlich erscheint (BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2003 – X ARZ 92/03, NJW 2003, 3201, und vom 27. Mai 2008 – X ARZ 45/08, NJWRR
2008, 1309).

Nach diesen Grundsätzen entfaltet der Verweisungsbeschluss des
Amtsgerichts Göttingen keine Bindungswirkung. Das ergibt sich schon daraus, dass der Verweisungsbeschluss keine Begründung enthält und
daher nicht erkennen lässt, dass sich das Gericht mit den
Voraussetzungen für die Annahme einer kartellrechtlichen Frage
überhaupt auseinandergesetzt hat (vgl. OLGR Brandenburg 2007, 277).
Auf die von der Klägerin dazu zitierte Rechtsprechung geht das
Amtsgericht mit keinem Wort ein. Darüber hinaus sind dem
Parteivorbringen keine Anhaltspunkte für einen kartellrechtlichen
Bezug zu entnehmen.

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