Online-Videorecorder

20. März 2007
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Eigener Leitsatz:

Eine Vervielfältigung zum privaten Gebrauch ist nur dann urheberrechtlich zulässig, wenn die Kopie selbständig ohne Einschaltung eines Dritten hergestellt wird. Mithin unterliegt das Anbieten eines Online-Videorecorders nicht der urheberrechtlichen Privilegierung des Privatgebrauchs.

Oberlandesgericht Dresden

Urteil vom 20.03.2007

Az.: 14 U 2328/06

Aus den Gründen:

1. Das LG hat zu Recht angenommen, dass die Privilegierung des Privatgebrauchs nach § 53 Abs. 1 UrhG nicht eingreift. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG liegen nicht vor, da der Hersteller der Aufzeichnung die Verfügungsbekl. zu 1) und nicht der Endnutzer ist. Maßgebend für diese Einschätzung ist nicht die Frage, wer bei formal begrifflicher, technischer Betrachtung die Herrschaft über den Herstellungsvorgang ausübt. Es kommt nicht auf den eher zufälligen Umstand an, wer „auf den Knopf drückt“, um den Herstellungsvorgang einzuleiten. Angesichts der immer schneller fortschreitenden technischen Entwicklung, die der Gesetzgeber beim Erlass von Schrankenbestimmungen kaum voraussehen konnte, gelangen begriffliche Definitionen nämlich schnell an ihre Grenzen. Die Auslegung des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG, insb. hinsichtlich der Frage, wer als Hersteller der Vervielfältigung anzusehen ist, kann deshalb nicht unter bloßen Rückgriff auf den technischen Vorgang erfolgen. Sie darf sich nicht auf eine oberflächliche, rein deskriptive Betrachtung beschränken, sondern hat eine normative Bewertung vorzunehmen, die insb. am Schutz der gesetzlichen Regelung auszurichten ist (so auch LG Braunschweig ZUM-RD 2006, 396, 298 – Online-Videorekorder). Ausschlaggebend sind dabei vor allem folgende Kriterien:

a) § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG ist im Lichte der historischen Verhältnisse, wie sie zum Zeitpunkt der Einführung der Privilegierung vorlagen, restriktiv auszulegen, um der Gefahr einer teilweisen Aushöhlung des Vervielfältigungsrechts zu begegnen. Eine extensive Interpretation i.S.e. dynamischen Anpassung der Privilegierung an neue technische Verhältnisse ist mit diesem Grundsatz nicht vereinbar.

b) Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Regelung des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG von der Vorstellung des Gesetzgebers geprägt ist, dass derjenige, der die Privilegierung in Anspruch nimmt, die Vervielfältigung zum Zwecke des privaten Gebrauchs selbstständig ohne Einschaltung eines Dritten herstellt, wie dies bei der Anfertigung von Fotokopien oder aber der Aufzeichnung von Fernsehsendungen durch einen häuslichen Videorekorder der Fall ist. Bestätigt wird diese Einschätzung auch dadurch, dass nach der Rspr. des BGH selbst das privilegierte Herstellenlassen durch einen Dritten nur in Fällen vorliegen kann, in denen der Dritte lediglich „notwendiges Werkzeug“ des eigentlich privilegierten Privatnutzers ist (BGH GRUR 1997, 459, 462 – CB-Infobank I, ebenso LG Braunschweig, a.a.O.). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass nach § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG ein Dritter noch nicht einmal als Werkzeug eingesetzt werden darf, um in den Genuss der Privilegierung des Privatgebrauchs zu gelangen. In Anbetracht dessen erweist sich das Argument, dass das Geschäftsmodell der Verfügungsbekl. zu 1) lediglich als die Bereitstellung eines ausgelagerten Videorekorders anzusehen ist, der den häuslichen Videorekorder ersetzt, als nicht durchschlagend. Sie bietet vielmehr eine Leistung an, die sich als Gesamtpaket darstellt, das sich nicht auf die bloße Zurverfügungstellung eines Speicherplatzes für die Aufzeichnung von Sendungen reduzieren lässt.

c) Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Verfügungsbekl. zu 1) darüber hinaus dem Endnutzer die Vervielfältigung durch den Empfang der Sendung beschafft (so auch LG Braunschweig, a.a.O.). Dies ergibt sich insb. daraus, dass es das System der Verfügungsbekl. zu 1) ermöglicht, die Sendungen der Kl. weltweit und völlig unabhängig davon zu empfangen, ob in der fraglichen Region die Sendungen ausgestrahlt oder über Kabel empfangen werden können. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Empfangs- und Aufzeichnungsmöglichkeiten, die dem privaten Endnutzer selbst zur Verfügung stehen.

2. Das LG ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass das Angebot der Verfügungsbekl. zu 1) nicht das vom Senderecht der Verfügungskl. auf öffentliche Zugänglichmachung (§§ 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 15 Abs. 2 Nr. 2, 19a UrhG) verletzt.

a) Zwar trifft es zu, dass der Kunde der Verfügungsbekl. zu 1) die fragliche Sendung „von Orten seiner Wahl“ und „zu Zeiten seiner Wahl“ ansehen kann, weil die gespeicherte Sendung an jedem beliebigen Ort zu jeder Zeit durch einen PC abgerufen werden kann. Auch das Merkmal eines „Zugänglichmachens“ wird durch die Möglichkeit eines interaktiven Abrufs verwirklicht (so OLG Köln GRUR-RR 2006, 5 [= MMR 2006, 35] – Personal Video Recorder; Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl. 2005, § 16 Rdnr. 13).

b) Allerdings fehlt es an einer Zugänglichmachung ggü. der „Öffentlichkeit“. Das Geschäftsmodell der Verfügungsbekl. zu 1) ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass jede einzelne konkrete Aufzeichnung nur jedem einzelnen Kunden, der sie aufgezeichnet hat, zum interaktiven Abruf zugänglich gemacht wird (Dreier, in: FS Ullmann, 2006, S. 37, 44). Wenn man gleichwohl auf die Gesamtheit aller Nutzer abstellt (so OLG Köln, a.a.O. – Personal Video Recorder), so wird dabei außer Acht gelassen, dass sich das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG (ebenso wie die übrigen Nutzungsrechte) immer nur auf jeweils ein konkretes Werk bezieht, das Mitgliedern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden muss (Dreier, a.a.O.). Auch bei § 19a UrhG bedarf es einer Öffentlichkeit i.S.d. § 15 Abs. 3. Danach ist die Zugänglichmachung nur öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Dies setzt zumindest die Möglichkeit eines zeitversetzten Zugriffs durch eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit voraus. Hieran fehlt es, wenn, wie im vorliegenden Fall, nur einer bestimmten Person mittels eines entsprechenden Zugangscodes eine bestimmte Sendung „zugänglich gemacht“ wird.

3. Entgegen der Auffassung des LG steht der Verfügungskl. kein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG zu, da das beworbene Angebot nicht gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 5 JMStV verstößt.

a) Es trifft zwar zu, dass auch die Kombination der jeweiligen Zugangshürden, nämlich die Angabe einer Telefonnummer, einer existierenden Bankverbindung, der Personalausweiskennziffer und der Eingabe der Postleitzahl der ausstellenden Behörde, keine absolute Gewähr dafür bieten, dass Jugendliche diese Hindernisse überwinden und Fernsehsendungen wahrnehmen, die zur Beeinträchtigung ihrer Entwicklung geeignet sind.

b) Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die Verfügungsbekl. der sich aus § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3, 1 JMStV ergebenden Pflicht, durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots „wesentlich zu erschweren“, nachgekommen sind. Bei den Anforderungen, die an eine „wesentliche Erschwerung“ durch die Ausgestaltung eines entsprechenden Altersverifikationssystems (AVS) zu stellen sind, kommt es entscheidend darauf an, welche Maßnahmen dem Anbieter von Fernsehsendungen zumutbar sind. Dabei ist insb. zu berücksichtigen, dass ein System, das die Einhaltung des gebotenen Jugendschutzes mit absoluter Sicherheit garantiert, oftmals kaum erreichbar ist. Hierin liegt auch der Grund dafür, dass die Regelung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV die „wesentliche Erschwerung“ des Zugangs genügen lässt. Mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ferner zu beachten, dass an das AVS der Verfügungsbekl. keine strengeren Anforderungen gestellt werden dürfen, als an die Schutzmaßnahmen, die von den Fernsehsendern selbst verlangt werden.

c) Die von den Verfügungsbekl. ergriffenen Maßnahmen sind dementsprechend in Relation zur Regelung des § 5 Abs. 4 Satz 1 JMStV zu setzen. Danach erfüllt der Anbieter bei Vorliegen einer entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkung seine Sorgfaltspflicht ggü. Kindern oder Jugendlichen, wenn das Angebot nur zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr verbreitet oder zugänglich gemacht wird. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Verfügungsbekl., bei dem sie sich auf eine Untersuchung von media control stützen, sind z.B. Fernsehsendungen, die in der Zeit von 23:00 bis 24:00 Uhr ausgestrahlt werden, von einem Anteil von 3,8% von Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 13 Jahren, einem Anteil von 12% von Kindern und Jugendlichen im Alter von 13 bis 16 Jahren und einem Anteil von 14,3% von Kindern und Jugendlichen im Alter von 17 bis 18 Jahren wahrgenommen worden. I.Ü. weisen die Verfügungsbekl. überzeugend darauf hin, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass Kinder und Jugendliche über ein Video/Festplattenrekorder oder einen Computer mit TV-Karte verfügen, mit dem sie die im Abend- und Spätprogramm ausgestrahlten Sendungen ohne irgendeine Überprüfung ihres Alters aufnehmen und anschließend jederzeit anschauen können. Nach den Angaben in der von den Verfügungsbekl. vorgelegten JIM-Studie 2006 (Jugend, Information, [Multi-)Media, Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland) des Medienpädagogischen Forschungsverbands Südwest besitzen 65% aller Jugendlichen ein eigenes TV-Gerät und 43% einen eigenen Videorekorder.

d) Hieraus folgt, dass auch bei Einhaltung der Schutzmaßnahmen, denen die Fernsehsender im Hinblick auf die vorgeschriebenen Sendezeiten für Angebote mit entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten unterliegen, der Jugendschutz nicht mit absoluter Sicherheit gewährleistet werden kann. Es hängt vielmehr entscheidend davon ab, dass die Eltern oder andere Aufsichtspersonen dafür sorgen, dass Jugendliche von derartigen Inhalten ferngehalten werden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Verfügungsbekl. die sie treffenden jugendschutzrechtlichen Sorgfaltspflichten erfüllen, weil die von ihnen ergriffenen Maßnahmen der Altersverifikation den Zugang zu entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten „wesentlich erschweren“.

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