Top-Urteil

Rechtsdokumentengenerator darf nicht weiterbetrieben werden

11. November 2019
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Ordner zur Rechtsberatung mit Stift im Vordergrund Urteil des LG Köln vom 08.10.2019, Az.: 33 O 35/19

Einem Verlag, der keine Erlaubnis besitzt, Rechtsdienstleistungen zu erbringen, wurde untersagt, einen sogenannten digitalen Rechtsdokumentengenerator zu betreiben. Dieser konnte benutzt werden, um verschiedene Verträge zu erstellen, Kunden mussten nur einige Fragen beantworten, um genau den Vertrag zu erhalten, der zu ihren Bedürfnissen passte. Dies sah das Gericht als Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz an, da die Beklagte keine Erlaubnis hatte, derartige rechtsberatende Tätigkeiten durchzuführen. Denn durch den Generator führte die Beklagte eine rechtliche Prüfung und Subsumtion des Einzelfalls durch. Dass dies quasi automatisiert war, ist unerheblich, da jemand den Generator dahingehend programmieren musste.

Landgericht Köln

Urteil vom 08.10.2019

Az.: 33 O 35/19

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihren Geschäftsführer/-innen (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 €, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)

zu unterlassen,

a. geschäftlich handelnd, entgeltlich und selbstständig Dritten gegenüber ohne entsprechende Erlaubnis außergerichtlich Rechtsdienstleistungen zu erbringen, anzubieten und/oder zu bewerben, indem sie für Dritte durch einen digitalen Rechtsdokumentengenerator auf Grundlage eines Frage-Antwort-Systems aus einer Sammlung alternativer Textbausteine individuelle Rechtsdokumente erstellt, wie geschehen unter www.T10.de wie aus Anlage 1 ersichtlich;

b. im geschäftlichen Verkehr in der Werbung für ihre Dienstleistungen wie folgt zu formulieren:

„Günstiger und schneller als der Anwalt“ und

„Rechtsdokumente in Anwaltsqualität“ und

„Individueller und sicherer als jede Vorlage und günstiger als ein Anwalt“ und

„Unsere Partner: Top-Anwälte und Spitzenkanzleien“ und

„Rechtsdokumente in Anwaltsqualität – unser Portfolio umfasst mehr als 190 Rechtsdokumente und Verträge jedes einzelne unserer Dokumente können Sie mit unserem individuellen Frage-Antwort-Dialog in wenigen Minuten selbst erstellen. All das ganz ohne juristisches Know-how – denn das haben wir: In Zusammenarbeit mit unseren Rechtsexperten – allesamt Profis auf ihren Gebieten – haben wir den Erstellungsprozess so gestaltet, dass er dem Gespräch mit dem Rechtsanwalt nachempfunden ist“,

wie geschehen unter www.T10.de wie aus Anlage 2 ersichtlich.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Höhe der Sicherheit beträgt für die Vollstreckung aus Ziff. 1.a) 200.000 €, aus Ziff. 1.b) 50.000 € und im Übrigen 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen eines behaupteten Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) und wegen geltend gemachter Irreführung von Werbeaussagen auf Unterlassung in Anspruch.

Die Klägerin ist die berufsständische Organisation der im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamburg zugelassenen Rechtsanwälte. Sie hat die Aufgabe, die beruflichen Belange ihrer Kammermitglieder zu wahren und zu fördern.

Die Beklagte ist ein in Köln ansässiger Verlag mit Tätigkeitsschwerpunkt in den Bereichen Recht, Wirtschaft und Steuern. Sie ist nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und besitzt auch sonst keine Erlaubnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Zu den von ihr vertriebenen Produkten gehört das an fachfremdes Publikum gerichtete Produkt „T10“. Hierbei handelt es sich um einen elektronischen Generator für Rechtsdokumente unterschiedlichster Rechtsgebiete, den die Beklagte als „digitale Rechtsabteilung für Ihr Unternehmen“ anpreist. Sowohl Unternehmen wie auch Verbraucher können entweder im Rahmen eines Abonnements oder im Wege des Einzelkaufes Rechtsdokumente, insbesondere Verträge zu diversen Rechtsthemen, erwerben. Hierzu wird der Kunde durch einen Fragen-Antwort-Katalog geführt. Der Erstellungsprozess ist dabei laut Bewerbung durch die Beklagte „dem Gespräch mit dem Rechtsanwalt nachempfunden“. Basierend auf den Angaben des Kunden wird sodann das Dokument inhaltlich individuell erstellt. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten zur Funktionsweise des Vertragsgenerators wird auf die als Anl. K5 und K7, AB, eingereichten Screenshots der Internetdomain www.T10.de zur exemplarischen Veranschaulichung der Schritte für die Erstellung eines Lizenzvertrages für Bild/Film bzw. eines Grafikdesignervertrages sowie auf die in Anl. K1, AB, wiedergegebene Produktbeschreibung auf der Internetdomain www.T10.de Bezug genommen. Im Rahmen der Bewerbung des Produkts „T10“ im Internet traf bzw. trifft die Beklagte u.a. die folgenden Aussagen:

„Günstiger und schneller als der Anwalt“ und

„Rechtsdokumente in Anwaltsqualität“

„Individueller und sicherer als jede Vorlage und günstiger als ein Anwalt“

„Unsere Partner: Top-Anwälte und Spitzenkanzleien“

„Rechtsdokumente in Anwaltsqualität – unser Portfolio umfasst mehr als 190 Rechtsdokumente und Verträge jedes einzelne unserer Dokumente können Sie mit unserem individuellen Frage-Antwort-Dialog in wenigen Minuten selbst erstellen. All das ganz ohne juristisches Know-how – denn das haben wir: In Zusammenarbeit mit unseren Rechtsexperten – allesamt Profis auf ihren Gebieten – haben wir den Erstellungsprozess so gestaltet, dass er dem Gespräch mit dem Rechtsanwalt nachempfunden ist“

(vgl. hierzu Anl. K1, AB). Das Impressum der Beklagten enthält die Hinweise: „Bitte beachten Sie, dass wir keine Rechtsberatung leisten dürfen“ sowie „Mit dem Angebot auf www.T10.de bietet die X GmbH keine Rechtsberatung an, sondern ausschließlich Verlagsleistungen zu Rechtsthemen“ (vgl. Anl. K9, AB).

Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.09.2018 (vgl. Anl. K10, AB) mahnte die Klägerin die Beklagte ab. Diese gab hieraufhin mit Schreiben vom 28.09.2018 eine Teil-Unterlassungserklärung hinsichtlich der – vorliegend nicht streitgegenständlichen – Werbeaussage „Wie bei einem Anwalt erhalten Sie ein für Sie optimales Dokument“ ab, verweigerte jedoch die Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung im Übrigen (vgl. Anl. K11, AB).

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte verstoße mit dem Angebot „T10“ gegen §§ 2, 3 RDG, weil es sich bei den von ihr hierin erbrachten Dienstleistungen um Rechtsdienstleistungen handele. Die Beklagte sei daher zur Unterlassung dieser Dienstleistungen verpflichtet. Ebenso seien die angegriffenen Werbeaussagen irreführend iSd. § 5 UWG, weil der Verkehr über die Rechtmäßigkeit des Leistungsangebots getäuscht werde. Zudem vermittelten die Aussagen den Eindruck, die von ihr erbrachten Leistungen entsprächen qualitativ denen eines Rechtsanwalts.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das Angebot des Produktes „T10“ beinhalte keine unzulässige Rechtsdienstleistung und die Werbung hierfür sei nicht irreführend. Hierzu trägt sie vor, ihre Dienste seien denen der seit über 20 Jahren auf dem Markt erhältlichen EDV-basierten Steuererklärungsprogrammen gleichzusetzen, die aktuell einen höheren Grad an Komplexität aufwiesen als das Produkt „T10“. Ein Vertragsgenerator übertrage das Prinzip der computergestützten eigenen Anfertigung der Steuererklärung auf eine computergestützte eigene Anfertigung von Verträgen. Das Produktangebot richtet sich an eine Zielgruppe, die aus Kosten- oder Zeitgründen keine individuelle Beratung durch einen Rechtsanwalt bzw. -dienstleister erwartet oder nachfragen würde, sondern ihre Verträge selbst erstellen möchte und hierfür traditionell auf klassische Formulare bzw. Muster zurückgegriffen hätte. Sie ist der Ansicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 2 Abs. 1, 3 RDG nicht erfüllt seien, da diese stets die Tätigkeit eines Menschen voraussetzten. Zudem liege zum Zeitpunkt der Konzeption und Programmierung der relevanten Software noch keine „konkrete“ fremde Angelegenheit vor, während im Zeitpunkt des Einsatzes der Software nur der Nutzer selbst in eigenen Angelegenheiten tätig werde. Hierbei werde dieser nur durch allgemein-abstrakte Hinweise des Programms unterstützt.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Parteien wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.09.2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.

I.

Der Klägerin steht der gem. Ziff. 1a) tenorierte Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2 UWG iVm. § 3 RDG zu.

1.

Die Klägerin ist als berufsständische Vertretung der Rechtsanwälte ein Verband zur Förderung selbständiger beruflicher Interessen iSd. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG und damit klagebefugt (vgl. BGH, GRUR 2012, 215 – „Zertifizierter Testamentsvollstrecker“; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2013, 171 – „Spezialist für Familienrecht“; Köhler/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. [2019], § 8 Rn. 3.33; Hohlweck, in: Büscher, UWG, 1. Aufl. [2019], § 8 Rn. 298). Zu den Aufgaben des Vorstandes zählt es u.a., die Belange der Rechtsanwaltskammer zu wahren und zu fördern, § 73 Abs. 1 S. 3 BRAO. Hierzu zählt die Wahrung der Gesamtinteressen der in der Kammer zusammengeschlossenen Berufsangehörigen und damit auch die Befugnis, die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung berufsrechtswidriger Zustände zu treffen und Wettbewerbsverstöße zu verfolgen. Dabei ist die Rechtsanwaltskammer nicht auf die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen von Mitgliedern beschränkt. Die Rechtsanwaltskammer kann vielmehr auch gegen von Außenstehenden begangene Wettbewerbsverstöße vorgehen, soweit die Verstöße den Wettbewerb ihrer Mitglieder berühren (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3765/3766; BGH, GRUR 2006, 598/599 – „Zahnarztbriefbogen“; Hohlweck, a.a.O. mwN.). Dies ist der Fall, soweit – wie im Streitfall – die Unterlassung der Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Unbefugte verfolgt wird.

2.

Ein den Unterlassungsanspruch begründender Rechtsbruch iSd. § 3a UWG ist wegen einer Zuwiderhandlung der Beklagten gegen § 3 RDG vorliegend gegeben.

a)

Gemäß § 3 RDG ist die selbstständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch Gesetz erlaubt wird. Die Bestimmung ist anerkanntermaßen eine Marktverhaltensregelung iSd. § 3a UWG (vgl. BGH, GRUR 2016, 820/821 – „Schadensregulierung durch Versicherungsmakler“; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., § 3a Rn. 1.118 ff.; Hohlweck, in: Büscher, a.a.O., § 3a Rn. 529), bei deren Verletzung auch von der nötigen Spürbarkeit auszugehen ist (vgl. BGH, GRUR 2003, 886/889 – „Erbenermittler“; Köhler, a.a.O.). Über den Wortlaut des § 3 RDG hinaus erfüllt bereits das Angebot einer solchen Rechtsdienstleistung den Rechtsbruchtatbestand, da schon das Erbieten zur Rechtsdienstleistung ohne entsprechende Erlaubnis die Gefahr begründet, der Empfänger des Angebots werde sich an einen nicht ausreichend qualifizierten Rechtsdienstleister wenden (vgl. Hohlweck, a.a.O., § 3a Rn. 533).

b)

Die Beklagte erbringt im Zusammenhang mit dem entgeltlichen Anbieten eines EDV-gestützten Generators zur Erstellung von Rechtsdokumenten eine gemäß § 3 RDG erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung iSv. § 2 Abs. 1 RDG ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis zu besitzen.

aa)

§ 2 Abs. 1 RDG bestimmt, dass als Rechtsdienstleistung jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten zu verstehen ist, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.

In diesem Zusammenhang ist allgemein anerkannt, dass die bloße Überlassung bzw. Veröffentlichung von standardisierten Vertragsmustern keine Rechtsdienstleistung darstellt, da hiermit regelmäßig keine juristische Prüfung im Einzelfall verbunden ist (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2011, 119/120; Deckenbrock/Henssler, RDG, 4. Aufl. [2015], § 2 Rn. 54; Krenzler, in: Krenzler, RDG, 2. Aufl. [2017], § 2 Rn. 43). Auch die (menschliche) Hilfeleistung bei dem Ausfüllen eines solchen standardisierten Vertragsformulars kann noch erlaubnisfrei sein, wenn diese sich auf das Erfragen der erforderlichen Angaben und das Einsetzen in das Dokument beschränkt (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2011, 119/120). Andererseits ist die (menschliche) Anfertigung von individualisierten Vertragsentwürfen ohne weiteres als Rechtsdienstleistung zu bewerten (vgl. BGH, NJW 1978, 322; Deckenbrock/Henssler, RDG, 4. Aufl. [2015], § 2 Rn. 53).

bb)

Über die Frage, ob eine Rechtsdienstleistung iSd. § 2 Abs. 1 RDG tatbestandlich überhaupt in Betracht kommt in Fällen von Dienstleistungen, die unter Einsatz vollständig automatisierter Systeme erfolgen (sog. „Legal Tech“), und welche Anforderungen ggf. hieran zu stellen sind, ist – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung bislang nur vereinzelt entschieden worden.

In einer Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 26.07.2018 (Az. 67 S 157/18), die einen im Internet betriebenen „Mietpreisrechner“ zum Gegenstand hatte, der die Miete auf Grundlage einer detaillierten Dateneingabe des jeweiligen Nutzers (Mieters) ermittelte, stufte das Landgericht Berlin das dort streitige Geschäftsmodell als Rechtsdienstleistung ein, weil der Betreiber des „Mietpreisrechners” über diesen die auf einer detaillierten Dateneingabe des jeweiligen Mieters beruhende Miete ermittele und benenne. Dass es sich dabei um eine Rechtsdienstleistung iSd. § 2 Abs. 1 RDG handele, auch wenn die Dienstleistung im Wege des so genannten Legal Tech erbracht werde, entspreche – so das Landgericht Berlin – dem unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers. Denn dieser wolle nur Tätigkeiten, die sich lediglich an die Allgemeinheit oder einen unbestimmten Personenkreis richten, nicht von § 2 RDG erfasst sehen. Dies treffe nicht auf sachverhaltsbezogene Rechtsfragen einer bestimmten, Rat suchenden Person zu (vgl. LG Berlin, NJW 2018, 2901/2902).

Im Schrifttum wird die Frage, ob Dienstleistungen im Bereich des Legal Tech in den Anwendungsbereich von § 2 Abs. 1 RDG fallen, unterschiedlich bewertet. Ein Teil der Literatur lehnt dies ab, weil hiermit keine menschliche Tätigkeit verbunden sei und es damit an einem „Dienstleistenden“ fehle. Zudem komme es nicht zu einem rechtlichen Subsumtionsvorgang; vielmehr liefere der Computer ein „mathematisch zwingend durch logische Entscheidungsbäume determiniertes Ergebnis“ (vgl. etwa Weberstaedt, AnwBl. 2016, Bl. 535 ff. = Anl. B5, Bl. 177 ff. d.A.; Deckenbrock/Henssler, a.a.O., § 2 Rn. 46; anders aber dies., § 6 Rn. 54). Nach der derzeit wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur kann dagegen auch die mittels Legal Tech automatisierte Dienstleistung eine Rechtsdienstleistung iSd. § 2 Abs. 1 RDG darstellen (vgl. Schmidt, in: Krenzler, a.a.O., § 6 Rn. 38 mwN.; Krenzler, in: Krenzler, a.a.O., § 2 Rn. 44; Wettlaufer, MMR 2018, 55 ff.; Degen/Krahmer, GRUR-Prax 2016, 363 ff.; Fries, ZRP 2018, 161 ff.; Remmertz, BRAK-Mitteilungen 2/2017, 55 ff. = Bl. 216 ff. d.A.). Auch der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Legal Tech der Frühjahrskonferenz der Justizministerinen und Justizminister vom 5./6. Juni 2019 (vgl. Anl. K18, Bl. 107 ff. d.A.) gelangt zu einem solchen Ergebnis.

cc)

Gemessen an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 RDG und unter Berücksichtigung des vorerwähnten Diskussionsstandes zur rechtlichen Einordnung von Legal Tech-Angeboten ist vorliegend der sachliche und persönliche Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 RDG eröffnet. Das Angebot des streitgegenständlichen Produkts „T10“ durch die Beklagte ist dabei als eine relevante Rechtsdienstleistung zu qualifizieren.

(1) Dem steht nicht bereits der Umstand entgegen, dass vorliegend die Beratungsleistung zum Zeitpunkt der konkreten Benutzung des Produkts allein EDV-basiert und damit ohne menschliche Interaktion erfolgt. Eine relevante „Tätigkeit“ des Anbieters der Software ist hiermit gleichwohl verbunden (so auch Krenzler, in: Krenzler, a.a.O., § 2 Rn. 44). Nach der Gesetzesbegründung zum RDG ist es nämlich grundsätzlich unerheblich, mit welchen technischen Hilfsmitteln die Rechtsdienstleistung erbracht wird (vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 47 f.; so auch Deckenbrock/Henssler, a.a.O., § 2 Rn. 45). Ausdrücklich heißt es hierzu in den Gesetzesmaterialien, dass „das Vorliegen einer Rechtsdienstleistung nicht etwa deshalb ausgeschlossen [sei], weil der Rechtsuchende keinen persönlichen Kontakt zu dem Dienstleistenden aufnimmt, sondern etwa über eine Telefon-Hotline oder ein Internetforum seine konkreten Rechtsfragen prüfen lassen will.“ Vielmehr sei bei der Prüfung, ob die Beratung als Rechtsdienstleistung einzustufen ist, auf den Inhalt des Beratungsangebots abzustellen (vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 48).

(2) Die Beratungsleistung im Rahmen des Angebots „T10“ ist zudem auf einen konkreten Sachverhalt gerichtet. Entscheidend ist hierbei, ob es sich um eine nicht fingierte, sondern wirkliche, sachverhaltsbezogene Rechtsfrage einer bestimmten, Rat suchenden Person handelt (vgl. BT-Drs. 16/3655, S. 48). Auch dies ist – wie bereits das LG Berlin in Bezug auf einen „Mietpreisrechner“ entschieden hat – vorliegend zu bejahen. Zwar werden die Software und die von ihr verwendeten Textbausteine zum Zeitpunkt ihrer Programmierung für eine Vielzahl verschiedener abstrakter Fälle entwickelt. Im Zeitpunkt der Anwendung durch den Nutzer aber erhält dieser ein konkret auf den von ihm im Rahmen des Fragen-Antwort-Katalogs geschilderten Sachverhalt zugeschnittenes Produkt. Entscheidende Bedeutung erlangt hierbei nach Dafürhalten der Kammer, dass die „T10“-Produkte – wie sich aus dem in den Anl. K5 und K7 exemplarisch aufgezeigten Erstellungsprozess ergibt – einen hohen Grad der Individualisierung aufweisen. Die vom Nutzer abgefragten Angaben erschöpfen sich nicht in allgemeinen Daten (wie etwa Adressdaten oder Angaben zur Vergütungshöhe), sondern betreffen spezifische Fragen zum Gegenstand und zur Reichweite des zu erstellenden Vertrages. Der Fragenkatalog für einen Lizenzvertrag Bild/Film umfasst etwa knapp 30 Fragen, jener für einen Grafikdesignervertrag knapp 40 Fragen. Dies geht über das Format eines klassischen Formularhandbuchs erheblich hinaus und kann auch nicht nur als weiterentwickelte digitale Formularsammlung begriffen werden. Das Formularhandbuch beinhaltet nämlich eine rein abstrakte Behandlung von Rechtsfragen mit unterschiedlichen Lösungsvorschlägen. Der Nutzer eines Formularhandbuchs ist dabei gehalten, anhand der in dem Formularhandbuch enthaltenen allgemeinen Hinweise einen für sich passenden Vertragstext zusammenzustellen. Er ist derjenige, der die abstrakten Informationen selbst in ein konkretes Dokument transferiert. Hinsichtlich der Auswahl des konkreten Produktes folgt er dabei gerade nicht einer fremden Empfehlung. Anders ist dies hingegen bei den Produkten des hier streitgegenständlichen Vertragsgenerators. Aufgrund der Vielzahl der im Erstellungsprozess gestellten Fragen entsteht nämlich ein individuelles Bild von dem konkreten Fall des Betroffenen und dieser erhält ein unmittelbar zur Anwendung geeignetes („unterschriftsreifes“) Produkt. Die Entscheidung, welche Formularbausteine im konkreten Fall für ihn passend sind, wird dem Rechtssuchenden durch den Vertragsgenerator abgenommen.

Für die Annahme einer „konkreten“ Angelegenheit spricht ferner, dass auch bei menschlicher Beratungsleistung im Rahmen einer Vertragsgestaltung die Grenze zur Rechtsdienstleistung dann überschritten wird, wenn der Dienstleister auf Wunsch des Kunden die im Formular vorgegebenen rechtlichen Regelungen überprüft und Alternativen vorschlägt (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2011, 119/120). Würden die von der Beklagten angebotenen Rechtsdokumente im Rahmen einer Telefon-Hotline angeboten, bei denen die Callcenter-Mitarbeiter den im Erstellprozess der „T10“-Produkte herangezogenen Fragen-Antwort-Katalog mit den Kunden zunächst durchgingen und dann (bspw. unter Verwendung des Vertragsgenerators) das Endprodukt erstellten und dem Nutzer zum Verkauf anböten, erschiene wenig zweifelhaft, dass eine solche Dienstleistung auf eine konkrete Rechtsangelegenheit bezogen ist. Die Tatsache, dass das Dazwischensschalten eines menschlichen Verkaufsagenten im Geschäftsmodell der Beklagten technisch entbehrlich geworden ist, kann kein tragfähiges Argument dafür sein, das Tatbestandsmerkmal der „konkreten Angelegenheit“ in Frage zu stellen. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Rechtssuchende unter Umständen anonym bleibt (wofür es beim Geschäftsmodell der Beklagten im Übrigen keinen Anhaltspunkt gibt, da eine vertragliche Beziehung zweifellos mit dem Nutzer eingegangen und von diesem im Übrigen vergütet wird). Der in § 1 Abs. 1 S. 2 RDG statuierte Zweck des RDG, „die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen“ spricht vielmehr dafür, individualisierte Legal Tech-Dienstleistungen nicht anders zu behandeln, als Dienstleistungen menschlicher Berater. Denn der nach dem RDG verfolgte Kontrollzweck kann nicht durch eine einengende Auslegung des Begriffs der Rechtsdienstleistung erreicht werden (vgl. hierzu auch BGH, GRUR 2016, 820/825 – „Schadensregulierung durch Versicherungsmakler“).

(3) Die Beratungsleistung erfolgt auch im Interesse des Nutzers und damit in – für die Beklagte – fremden Angelegenheiten.

(4) Das mit dem Vertragsgenerator verbundene Angebot erfordert auch eine rechtliche Prüfung iSv. § 2 Abs. 1 RDG. Die Vorschrift erfasst mit diesem Erfordernis jede konkrete Subsumtion eines Sachverhalts unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen, die über eine bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinausgeht. Ob es sich um eine einfache oder schwierige Rechtsfrage handelt, ist dabei unerheblich (vgl. BGH, GRUR 2016, 820/824 – „Schadensregulierung durch Versicherungsmakler“; Köhler, a.a.O., § 3a Rn. 1.119; Hohlweck, § 3a Rn. 537).

Schon in objektiver Hinsicht erreichen die von der Beklagten mit dem Produkt „T10“ angebotenen Rechtsdokumente eine Komplexität, die erkennbar über eine bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen hinausgeht. Da es wie bereits erörtert auf die konkret verwendeten technischen Hilfsmittel nicht ankommt (vgl. unter I.2.b)cc)(1)), ist auch nicht entscheidend, dass die Computersoftware das konkret angebotene Produkt zum Zeitpunkt der Anwendung auf Basis eines vorprogrammierten Entscheidungsbaums zusammenstellt. Den notwendigen Subsumtionsvorgang schließt die standardisierte Fallanalyse nicht aus. Dem angebotenen Produkt liegt nämlich gleichwohl eine rechtliche Prüfung bei der Programmierung der Software dahingehend zugrunde, wie anhand eines nach bestimmten Kriterien zu entwickelnden Fragenkatalogs der maßgebliche Kundenwunsch zu ermitteln und hierauf basierend ein individueller Vertragsentwurf gefertigt werden kann und in welchen Fällen die Aufnahme bestimmter Vertragsklauseln in Betracht kommt. Insoweit unterscheidet sich die Vorgehensweise nicht grundlegend von dem Vorgehen eines Rechtsanwalts, sondern erfolgt lediglich zeitlich vorgelagert und aufgrund der Standardisierung in einem mehrfach reproduzierbaren Format.

Das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit der rechtlichen Prüfung ist zudem nicht rein objektiv zu bestimmen. Vielmehr ist im Rahmen der rechtlichen Prüfung zusätzlich die Verkehrsanschauung und erkennbare Erwartung des Rechtssuchenden zu berücksichtigen (vgl. Deckenbrock/Henssler, a.a.O., § 2 Rn. 35 ff. mwN.). Entsprechend sah der ursprüngliche Gesetzentwurf zunächst vor, als „Rechtsdienstleistung“ jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten zu definieren, sobald sie „nach der Verkehrsanschauung oder der erkennbaren Erwartung des Rechtsuchenden“ eine besondere rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Dieser Einschub wurde später zwar durch den Rechtsausschuss gestrichen, dies geschah aber aus Gründen der Straffung der Norm ohne hiermit eine inhaltliche Änderung zu beabsichtigen (vgl. BT-Drs. 16/6634, S. 51). Die Einbeziehung der Verkehrsanschauung erweitert daher den Anwendungsbereich des RDG im Interesse und zugunsten der Rechtsuchenden in den Fällen, in denen bei einer typisierenden, objektiven Betrachtung eine besondere rechtliche Prüfung nicht erforderlich und üblich wäre. So ist die Grenze zur Rechtsdienstleistung iSd. § 2 Abs. 1 RDG jedenfalls dann überschritten, wenn der Anbieter nicht deutlich zu erkennen gibt, dass mit seinem Angebot gerade keine rechtliche Prüfung des konkreten Falles des jeweiligen Nutzers verbunden ist (so auch Krenzler, in: Krenzler, a.a.O., § 2 Rn. 44). Diese Grenze ist nach Auffassung der Kammer vorliegend nicht mehr gewahrt. Die bewusst von der Beklagten geweckte Verkehrserwartung spricht dafür, ihre „T10“-Angebote als Rechtsdienstleistung zu qualifizieren. Zu dem angesprochenen Verkehrskreisen zählt fachfremdes Publikum, darunter auch Verbraucher. Der angesprochene Verkehr erwartet angesichts der Präsentation des Produkts „T10“ mehr als eine bloße Hilfestellung beim eigenständigen Erstellen und Ausfüllen eines Vertragsformulars. Derart eingeschränkend wird das Produkt von der Beklagten nämlich nicht beworben, sondern vielmehr gezielt als Alternative zum Rechtsanwalt positioniert. Bei Rechtssuchenden wecken Werbeaussagen wie „ganz ohne juristisches Know-how – denn das haben wir“, „Rechtsdokumente in Anwaltsqualität“ sowie „individueller und sicherer als jede Vorlage und günstiger als ein Anwalt“ daher die Erwartung, dass er für das zu leistende Entgelt ein auf seine konkreten Bedürfnisse zugeschnittenes Rechtsdokument erhalten werde und damit die eingekaufte Dienstleistung über die schematische Anwendung von Rechtsnormen hinausgeht. Auch wenn dem Verbraucher bewusst ist, dass am Ende des Erstellungsprozesses keine abschließende Prüfung durch einen menschlichen Berater erfolgt, wird zumindest ein relevanter Teil des angesprochenen Verkehrs davon ausgehen, dass die standardisierte (dem Anwaltsgespräch nachempfundene) Sachverhaltsprüfung so konzipiert ist, dass sie eine individuelle Fallprüfung gewährleistet („[wir haben] den Erstellungsprozess so gestaltet, dass er dem Gespräch mit dem Rechtsanwalt nachempfunden ist“). Der von der Beklagten vorgenommene Hinweis, der den (potentiellen) Nutzer auf der Internetseite darauf aufmerksam machen soll, dass die Beklagte keine Rechtsberatung anbiete, steht einer solchen Verkehrserwartung nicht entgegen, zumal der Disclaimer lediglich an wenig prominenter Stelle im Impressum erfolgt und daher im Gesamtkontext des Internetauftritts untergeht.

Schließlich verfängt der von der Beklagten bemühte Vergleich ihres Produktes mit der im Markt erhältlichen Software zur Abgabe von Steuererklärungen nicht. Schon im Ausgangspunkt trägt die Beklagte zu der genauen Funktionsweise solcher Steuererklärungssoftware nichts Konkretes vor. Insoweit wird auch der Vortrag, Steuererklärungsprogramme wiesen einen höheren Grad der Komplexität auf, nicht durch Tatsachen belegt. Nach dem Verständnis der Kammer besteht jedoch deren Nutzen in erster Linie darin, dem Anwender zu erläutern, an welchen Stellen im Steuerformular welche Daten einzugeben sind. Sie ist daher als nutzerfreundliche EDV-basierte Eingabehilfe zu werten, die keine relevante steuerberatende Tätigkeit entfaltet.

c)

Schließlich ist die rechtsberatende Tätigkeit der Beklagten nicht nach § 2 Abs. 3 RDG freigestellt. Ebenso ist hierin keine nach § 5 RDG erlaubte Nebenleistung verbunden. Auch eine Erlaubnis nach §§ 6-8 bzw. 10 RDG kommt nicht in Betracht.

II.

Die Kläger hat ferner einen Anspruch aus §§ 3, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2 UWG auf Unterlassung der angegriffenen Werbeaussagen.

Die Werbeaussagen sind insgesamt irreführend. Dabei kann offen bleiben, ob sich eine Irreführung daraus ergibt, dass die Beklagte mit den angegriffenen Werbeaussagen den unzutreffenden Eindruck vermittelt, die von ihr erbrachten Leistungen entsprächen qualitativ denen eines Rechtsanwalts. Unlauter ist nämlich bereits die Werbung für die selbstständige Erbringung von Dienstleistungen, wenn es sich – wie vorliegend – um unerlaubte Rechtsdienstleistungen handelt. Es liegt insoweit eine Irreführung iSv. § 5 UWG vor, weil die Beklagte gegenüber dem angesprochenen Verkehrskreis – hier u.a. Verbrauchern – mit einer Leistung wirbt, deren Erbringung ihr aus Rechtsgründen verwehrt ist (vgl. BGH, GRUR 2009, 1077/1080 – „Finanz-Sanierung“; Deckenbrock/Henssler/Seichter, a.a.O., § 3 Rn. 62).

Die Beklagte hat zwar auf ihrer Homepage einen Hinweis („Disclaimer“) vorgenommen, wonach sie keine Rechtsberatung anbietet. Dieser Hinweis steht indes in Widerspruch zu der tatsächlich von ihr erbrachten Beratungsleistung. Er ist nicht geeignet, aus der Irreführung des angesprochenen Verkehrs herausführen. Denn die relevante Irreführung des Verkehrs besteht nicht hinsichtlich der Frage, ob die Beklagte allgemein berechtigt ist, Rechtsdienstleistungen erbringen zu dürfen bzw. beabsichtigt, derartige Leistungen zu erbringen. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagte wegen des aufgezeigten Verstoßes gegen das RDG nicht zur Erbringung der beworbenen Leistungen berechtigt ist und der Verkehr hierüber getäuscht wird.

Der Umstand, dass nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten aktuell nicht mehr sämtliche der angegriffenen Werbeaussagen auf der Internetseite der Beklagten verwendet werden, lässt die Wiederholungsgefahr nicht entfallen (vgl. BGH, GRUR 1998, 1045/1046 – „Brennwertkessel“; Hohlweck, a.a.O., § 8 Rn. 14).

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: 250.000 €

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