Vertragliche und deliktische Ansprüche stellen nicht „denselben Anspruch“ im Sinne von Art. 27 Brüssel-I-VO dar

18. März 2016
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Richter hält Richterhammer in der Hand Urteil des BGH vom 28.01.2016, Az.: I ZR 236/14

Macht ein Unternehmen vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Ansprüche geltend, muss sichergestellt werden, dass keine Entscheidungen ergehen, die miteinander unvereinbar sind. Auf einem Vergleich beruhende, vertragliche Ansprüche und deliktische, markenrechtliche Ansprüche stellen dabei keinen gleichen Anspruch im Sinne des Art. 27 Brüssel-I-VO dar, es besteht insbesondere keine Gefahr widersprechender Entscheidungen, da sich die Ansprüche nicht wechselseitig präjudizieren. Ein etwaiger von einem Gericht zugesprochener Schadensersatzbetrag kann dabei in Deutschland im Betragsverfahren berücksichtigt werden.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 28.01.2016

Az.: I ZR 236/14

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter …, die Richter …, …, … und die Richterin … beschlossen:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg – 3. Zivil-senat – vom 18. September 2014 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auf 1.650.000 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I. Die Parteien stellen Jeanshosen her und vertreiben sie. Die Klägerin ist Inhaberin der deutschen Bildmarke Nr. 909 346 (Klagemarke 1) sowie der Gemeinschaftsbildmarken Nr. 65 342 (Klagemarke 2), Nr. 2 285 443 (Klagemarke 3) und Nr. 2 298 933 (Klagemarke 4).

Die Beklagte vertreibt über ihre Bekleidungsgeschäfte die Jeansmodelle „AMISU“ (in verschiedenen Ausführungen), „ANN CHRISTINE“ und „FISHBONE“.

Die Klägerin erwarb in den Jahren 2009 und 2010 bei der Beklagten insgesamt fünf Jeanshosen. Sie sieht in der Gestaltung der Gesäßtaschen dieser Jeanshosen eine Verletzung der Klagemarken. Sie hat die Beklagte in der genannten Reihenfolge der Klagemarken mit der Klageschrift vom 9. September 2010 wegen der Jeanshosen des Modells „AMISU“ in drei Ausführungen und mit der Klageerweiterung vom 9. Februar 2011 wegen der Jeanshosen „ANN CHRISTINE“ und „FISHBONE“ auf Unterlassung, Auskunft und Erstattung vor-gerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch genommen und die Feststellung der Schadensersatzpflicht begehrt.

Die Parteien haben bereits am 21. Juli 2006 wegen von der Klägerin geltend gemachten Verletzungen ihrer Marken durch die Beklagte einen englischsprachigen, als „Settlement Agreement“ bezeichneten Vergleich abgeschlossen. In diesem Vergleich erkannte die Beklagte den Bestand der Klagemarken und weiterer Marken der Klägerin sowie deren Bekanntheit an, verpflichtete sich zur Unterlassung des Vertriebs bestimmter Jeansmodelle in Europa und ver
sprach für den Fall von  Zuwiderhandlungen eine Vertragsstrafe v on 50 €  proWUDJWWUDI verkaufter Jeanshose. Im Vergleich war die Geltung belgischen Rechts und die Zuständigkeit belgischer Gerichte vereinbart. Die Klägerin hat die Beklagte in Bezug auf die Modelle „AMISU“ in zwei Ausführungen, „FISHBONE“ und „ANN CHRISTINE“ mit verfahrenseinleitendem Schriftsatz vom 21. September 2010 vor dem Handelsgericht Brüssel (Tribunal de Commerce de Bruxelles) auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Handelsgericht Brüssel hat die Beklagte mit Urteil vom 21. Ok
tober 2011 zur Unterlassung und zur Zahlung einer vorläufig mit 1.250.00 0 € bemessenen Summe wegen des unter Verstoß gegen die in dem Vergleich übernommenen Verpflichtungen erfolgten Verkaufs von 25.000 Jeanshosen verurteilt. Das Verfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Das Landgericht hat die Beklagte wegen einer Verletzung der Klagemarke 1 antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht (OLG Hamburg, GRUR 2015, 272 = WRP 2015, 87) hat die Revision nicht zugelassen. Mit der angestrebten Revision möchte die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgen.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen greifen nicht durch und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert auch im Übrigen eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

1. Die Beschwerde macht ohne Erfolg geltend, das Berufungsgericht habe in zulassungsrelevanter Weise Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (ABl. EG Nr. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1 – nachfolgend Brüssel-I-VO) unrichtig an-gewendet und zu Unrecht die Zulässigkeit der Klage betreffend die Jeansmo-delle „ANN CHRISTINE“ und „FISHBONE“ bejaht.

a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die auf § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 MarkenG gestützte Klage sei hinsichtlich sämtlicher beanstandeter Verletzungsformen und hinsichtlich sämtlicher Anträge zulässig. Das zwischen den Parteien geführte Verfahren vor dem Handelsgericht Brüssel, in welchem die Klägerin Unterlassung und Schadensersatz wegen Vertriebs der Modelle „AMISU“ in zwei Ausführungen, „FISHBONE“ und „ANN CHRISTINE“ verlange, begründe keine entgegenstehende Rechtshängigkeit im Sinne von Art. 27 Brüssel-I-VO. Auch wenn der Sachverhalt beider Verfahren jedenfalls teilidentisch sei, weil tatsächliche Grundlage der Vertrieb identischer Jeansmodelle in Deutschland sei, unterschieden sich die herangezogenen Rechtsvorschriften. Im vorliegenden Fall gehe die Klägerin wegen der Verletzung von Markenrechten auf deliktischer Grundlage gegen die Beklagte vor, im Brüsseler Verfahren mache sie hingegen die Rechtsfolgen der Verletzung eines zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages geltend. Die Gefahr widersprechender Entscheidungen bestehe nicht, weil die Inanspruchnahme auf vertraglicher oder deliktischer Grundlage sich wechselseitig nicht präjudiziere. Je nach Vertragsinhalt könne auch der Anspruchsgrund unterschiedlich ausgestaltet sein. Soweit die Klägerin im vorliegenden Verfahren die Feststellung der deliktischen Schadensersatzpflicht dem Grund nach verlange, drohe auch deshalb kein dem Brüsseler Verfahren widersprechendes Ergebnis, weil eine dort zugesprochene Schadensersatzsumme im hiesigen Betragsverfahren mindernd berücksichtigt werden könnte. Diese Erwägungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstan-den.

b) Die internationale Zuständigkeit richtet sich vorliegend nach der Brüssel-I-Verordnung. Diese Verordnung ist zwar durch Art. 80 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU Nr. L 351 vom 20. Dezember 2012, S. 1) mit Wirkung ab dem 10. Januar 2015 aufgehoben worden. Nach Art. 66 Abs. 1 dieser Verordnung gilt die neue Verordnung aber nur für Verfahren, die nach dem 9. Januar 2015 eingeleitet worden sind. Da die Klägerin die Klage vorher erhoben hat, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit weiter nach der Brüssel-I-Verordnung.

c) Nach Art. 27 Abs. 1 Brüssel-I-VO setzt, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Der Streitgegenstandsbegriff des Art. 27 Brüssel-I-VO ist nicht nach dem Prozessrecht der jeweiligen, in verschiedenen Mitgliedstaaten angerufenen Gerichte, sondern unionsrechtsautonom auszulegen (zu dem gleichlautenden Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ: EuGH, Urteil vom 8. Dezember 1987 – 144/86, Slg. 1987, 4861 = NJW 1989, 665 Rn. 11 – Gubisch Maschinenfabrik; Urteil vom 6. Dezember 1994 – C-406/92, Slg. 1994, I-5439 = JZ 1995, 616 Rn. 30 – Tatry). Die Auslegung des Begriffs „derselbe Anspruch“ in Art. 21 EuGVÜ und Art. 27 Brüssel-I-VO hat sich daran zu orientieren, dass soweit wie möglich Parallelprozesse vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten vermieden werden, in denen Entscheidungen ergehen können, die miteinander „unvereinbar“ im Sinne von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ und Art. 34 Nr. 3 Brüssel-I-VO sind und deshalb in dem jeweils anderen Staat nicht anerkannt werden (EuGH, NJW 1989, 665 Rn. 8 und 13 – Gubisch Maschinenfabrik). Für die Unvereinbarkeit zweier Entscheidungen im Sinne des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ und Art. 34 Nr. 3 Brüssel-I-VO und die Beurteilung, ob in zwei Prozessen derselbe Anspruch verfolgt wird, kommt es deshalb nicht auf die „formale Identität“ der Klagen, sondern darauf an, ob der „Kernpunkt“ beider Rechtsstreitigkeiten derselbe ist (EuGH, NJW 1989, 665 Rn. 16 und 17 – Gubisch Maschinenfabrik; BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 – VIII ZR 106/01, NJW 2002, 2795 f.). Zur Klärung der Frage, ob eine solche Unvereinbarkeit vorliegt, ist zu prüfen, ob die betreffenden Entscheidungen Rechtsfolgen haben, die sich gegenseitig ausschließen (EuGH, Urteil vom 4. Februar 1988 – 145/86, Slg. 1988, 645 Rn. 22 – Hoffmann; Urteil vom 6. Juni 2002 – C-80/00, Slg. 2002, I-4995 = NJW 2002, 2087 Rn. 40 – Italian Leather).

d) Nach diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Verfahren, das die Klägerin bei dem Handelsgericht Brüssel eingeleitet hat, nicht dieselben Ansprüche im Sinne von Art. 27 Brüssel-I-VO betrifft, die Gegenstand des Streitfalls sind. Die in Belgien geltend gemachten Ansprüche beruhen auf einer Unterlassungserklärung der Beklagten und ihrem Versprechen, bei Nichteinhaltung der Unterlassungsverpflichtung Schadensersatz zu zahlen; die vor den deutschen Gerichten geltend gemachten deliktischen Ansprüche beruhen auf dem Vorwurf markenverletzenden Verhaltens.

aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union liegt nach unionsrechtsautonomem Verständnis eine vertragliche Streitigkeit vor, wenn zwischen den Parteien eine freiwillig eingegangene rechtliche Son-derbeziehung besteht, die über die allgemeinen Verhaltensgebote des Delikts-rechts hinausgeht. Der Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ kann daher nicht so verstanden werden, dass er für eine Situation gilt, in der keine von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegt (vgl. zu der im Wesentlichen gleichlautenden Vorschrift in Art. 5 EuGVÜ EuGH, Urteil vom 17. Juni 1992 – C-26/91, Slg. 1992, I-3967 = JZ 1995, 90 Rn. 15 – Handte/TMCS; Urteil vom 27. Oktober 1998 – C-51/97, Slg. 1998, 6511, TranspR 1999, 151 Rn. 17 – Réunion Européenne; Urteil vom 20. Januar 2005 – C-27/02, Slg. 2005, I-481 = NJW 2005, 811 Rn. 50 – Engler). Dagegen sind deliktischer Natur nicht an einen Vertrag anknüpfende Klagen, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, zu denen auch Unter-lassungsklagen zählen (EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 – C-167/00, Slg. 2002, I­8111 = NJW 2002, 3617 Rn. 36 – Verein für Konsumenteninformation/Karl Heinz Henkel).

bb) Ausgehend von dieser Rechtsprechung zu der im EuGVÜ und in der Brüssel-I-VO angelegten Unterscheidung zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen (Art. 5 Nr. 1 und 3 der jeweiligen Verordnungen) können auf einem Vergleich beruhende und damit vertragliche Ansprüche und deliktische markenrechtliche Ansprüche nicht als derselbe Anspruch im Sinne von Art. 27 Brüssel-I-VO angesehen werden, auch wenn ihnen teilweise dasselbe tatsächliche Geschehen zugrunde liegt.

(1) Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf abgestellt, dass die Anspruchsvoraussetzungen für Ansprüche der Klägerin aus dem von den Parteien im Jahr 2006 geschlossenen Vergleich und für deliktische Ansprüche der Klägerin aus § 14 MarkenG nicht dieselben sind und die jeweiligen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche ein unterschiedliches Schicksal haben können. So stehen zwischen den Parteien im Brüsseler Verfahren – anders als im Streitfall – der Bestand der Klagemarke 1 und die Verwechslungsgefahr zwischen der Klagemarke 1 und den angegriffenen Taschengestaltungen bei den Jeansmodellen der Beklagten nicht in Streit. Dagegen wird dort über einen Verzicht der Klägerin auf ihre Ansprüche aus dem Vergleich gestritten. Dies ist eine Frage, die für den Streitfall ohne Bedeutung ist.

(2) Da die Anspruchsvoraussetzungen in den beiden von der Klägerin eingeleiteten Verfahren nicht identisch sind, besteht keine Gefahr, dass vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Entscheidungen ergehen, die miteinander unvereinbar sind. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf abgestellt, dass der vertragliche Anspruch aus Gründen des Vertragsrechts ein anderes Schicksal haben kann als der deliktische Anspruch, um den es im Streitfall geht. Soweit die Gefahr besteht, dass die Beklagte aufgrund von Handlungen, die sowohl als Verletzung der Pflichten aus dem Vergleichsvertrag als auch als Verletzung der Markenrechte der Klägerin angesehen werden können, in bei-den Verfahren zum Schadensersatz verurteilt wird, hat das Berufungsgericht zutreffend darauf verwiesen, dass ein in Belgien rechtskräftig zugesprochener Schadensersatzbetrag in Deutschland im Betragsverfahren berücksichtigt wer-den kann.

e) Die Frage, ob auf demselben tatsächlichen Geschehen beruhende deliktische und vertragliche Ansprüche „denselben Anspruch“ im Sinne von Art. 27 Brüssel-I-VO darstellen, hat der Gerichtshof der Europäischen Union bisher nicht entschieden. Es besteht jedoch keine Veranlassung, die Revision mit dem Ziel zuzulassen, diese Frage im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV zu klären. Im Streitfall bestehen keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts, so dass ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht geboten ist (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – C­283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 – C. I. L. F.I.T. ).

2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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