Kein „fliegender Gerichtsstand“ bei Urheberrechtsverletzungen

30. Dezember 2011
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Eigener Leitsatz:

Es besteht keine Zuständigkeit unter dem Gesichtspunkt des so genannten „fliegenden Gerichtsstands“ bei im Internet begangenen Rechtsverstößen. Vielmehr ist der Gerichtsstand dort gegeben, wo sich der behauptete Rechtsverstoß in dem konkreten Verhältnis der Prozessparteien tatsächlich ausgewirkt hat. Damit ergibt sich eine Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO zum einen am Wohnort/Geschäftssitz des Beklagten, weil davon auszugehen ist, dass hier das angeblich urheberrechtswidrige Angebot in das Internet eingestellt worden ist, zum anderen aber auch am Wohnort des Klägers, da er dort das Angebot des Beklagten bestimmungsgemäß aus dem Internet abgerufen und sich demgemäß auch dort in seinem Urheberrecht verletzt gesehen hat.

Amtsgericht Frankfurt am Main

Urteil vom 01.12.2011

Az.: 30 C 1849/11 – 25

 

 
Tenor:

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Anspruch, die ihm infolge der Verletzung seines Rechts am eigenen Bild und seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts entstanden sein sollen.

Der Kläger ist Mitglied des deutschen Hochadels. Die Beklagte betreibt einen Online-Nachrichtendienst. Dort hat sie den Artikel „Die peinlichsten adligen Deutschlands“ veröffentlicht. Der Artikel ist mit einer Fotografie des Klägers illustriert. Die Veröffentlichung erfolgte ohne Einwilligung des Klägers.

Mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 11.05.2011 forderte der Kläger die Beklagte unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit der Bildnisveröffentlichung zur Abgabe einer strafbewährten Unterlassungsverpflichtungserklärung auf, die die Beklagte mit Schreiben vom 12.05.2011 vollumfänglich unterzeichnete.

Mit Schreiben vom 12.05.2011 verlangte der Kläger die Erstattung der durch die Beauftragung seines Rechtsanwalts entstandenen Kosten, die er unter Zugrundelegung eines Gegenstandswerts von 15.000,00 € auf 1.034,11 € bezifferte.

Die Beklagte hielt mit Antwortschreiben vom 13.05.2011 allenfalls einen Gegenstandswert von 5.000,00 € und die Berechnung einer 1,3 Geschäftsgebühr für angemessen und sagte den Ausgleich eines insoweit von ihr errechneten Betrags in Höhe von 489,45 € zu. Eine Zahlung erfolgte nicht.

Der Kläger hält seine Gebührenforderung für berechtigt.

Er beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber seinem Rechtsanwalt Herrn Felix D., Frankfurt am Main, von Verbindlichkeiten in Höhe von 833,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält das angerufene Amtsgericht Frankfurt am Main für örtlich nicht zuständig, im Übrigen die Gebührenforderung für übersetzt.

Wegen des Parteivorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, mit Ausnahme des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 24.10.2011, der erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 03.11.2011 am 04.11.2011 bei Gericht einging.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unzulässig.

Das angerufene Amtsgericht Frankfurt am Main ist zur Entscheidung über den Freistellungsanspruch des Klägers örtlich unzuständig.

Gegenstand der Klage ist ein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte in der Form eines Freistellungsanspruchs von Rechtsanwaltskosten. Der für die Verfolgung dieses Anspruchs von dem Kläger in Anspruch genommene Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO beim Amtsgericht Frankfurt am Main ist nicht gegeben.

Er ergibt sich insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt des so genannten „fliegenden Gerichtsstands“ bei im Internet begangenen Rechtsverstößen. Denn das Willkürverbot und das Gebot der Einhaltung des gesetzlichen Richters im Sinne des Artikel 101 Grundgesetz gebieten, dass keine willkürliche Gerichtsstandswahl erfolgt, sondern ein örtlicher Gerichtsstand des Begehungsorts der unerlaubten Handlung nur dort gegeben sein kann, wo sich der behauptete Rechtsverstoß in dem konkreten Verhältnis der Prozessparteien tatsächlich ausgewirkt hat (OLG Celle, Urteil vom 17.10.2010, Az. 4 AR 81/02, abzurufen aus Juris zum Stichwort „fliegender Gerichtsstand“; LG Potsdam, MMR 2001, 833; LG Bremen, ZUM 2001, 257). Damit ergibt sich eine Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO (nur) an den Orten, in denen sich die behauptete unerlaubte Handlung im konkreten Verhältnis der Prozessparteien tatsächlich ausgewirkt hat, mithin zum einen am Wohnort/Geschäftssitz des Beklagten, weil davon auszugehen ist, dass hier das angeblich urheberrechtswidrige Angebot in das Internet eingestellt worden ist, zum anderen aber auch am Wohnort des Klägers, da er dort das Angebot des Beklagten bestimmungsgemäß aus dem Internet abgerufen und sich demgemäß auch dort in seinem Urheberrecht verletzt gesehen hat (vergleiche OLG Celle, a.a.O.). Im ähnlichen Sinne hat sich das Landgericht Krefeld in einer Entscheidung vom 14.09.2007 geäußert (Az. 1 S 32/07, abzurufen unter Juris), wenn es feststellt, dass einer „Ausuferung des fliegenden Gerichtsstand“ bei im Internet begangenen unerlaubten Handlungen dadurch Einhalt zu geben sei, dass darauf abgestellt wird, ob sich die Verletzungshandlung, das heißt die Internetseite mit rechtsverletzenden Inhalt, im Bezirk des angerufenen Gerichts im konkreten Fall bestimmungsgemäß habe auswirken sollen. Folgerichtig soll nach Auffassung des Landgerichts Krefeld die allein technische Abrufbarkeit der Internetseite, die eine Rechtsverletzung enthält, zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit nicht ausreichen. Mit dem Landgericht Krefeld ist das hier erkennende Gericht der Auffassung, dass einer „uferlosen Ausdehnung“ des „fliegenden Gerichtsstands“ im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot durch einschränkende Kriterien Einhalt gegeben werden muss. Das hier erkennende Gericht vermag nicht zu erkennen, warum für die urheberrechtswidrige und den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzende Veröffentlichung des inkriminierten Artikels der Beklagten einschließlich eines Fotos des Klägers auf ihrer Internetplattform nach Wahl des Klägers beliebige Gerichtsstände von Flensburg bis Konstanz, von Saarbrücken bis Rostock eröffnet sein sollen, begrenzt lediglich durch die Zahl der vorhandenen Gerichte in Deutschland. Ein hierfür auch nur im Ansatz anerkennenswertes Rechtsschutzinteresse des Klägers ist nach Auffassung des hier erkennenden Gerichts nicht erkennbar. Ihm sind andererseits keinerlei Rechte betreffend die Inanspruchnahme der Beklagten abgeschnitten, da ihm mit dem Gerichtsstand des Sitzes der Beklagten und dem Gerichtsstand des eigenen Wohnorts hinreichend Möglichkeiten gegeben sind, Rechtsschutz nachzusuchen. Es ist kein gesetzlich geschütztes oder gar gefordertes Interesse des Klägers erkennbar, sich für die Verfolgung von Rechtsverstößen ein beliebiges Gericht in Deutschland aussuchen zu können. Eine solche Privilegierung der Klägerseite ist außerhalb des Bereichs Rechtsverstöße im Internet nirgendwo gegeben. Nicht unberücksichtigt bleiben darf in diesem Zusammenhang auch die Überlegung, dass es nicht angängig sein kann, sich durch die Möglichkeit einer „freien Wahl des Gerichtsstands“ bestimmte Gerichte für die Entscheidung bestimmter Rechtsfragen je nach Bereich des Rechtsverstoßes „auszusuchen“ und, je nach dem Ergebnis des gesuchten Rechtsschutzes, das ausgesuchte Gericht wiederholt und dauernd bei Rechtsverstößen gleicher Art in Anspruch zu nehmen oder aber – im Fall als unzureichend bewerteter Rechtssprechungsergebnisse – künftigen Rechtsschutz bei beliebigen anderen Gerichten zu suchen. Die Auswahl des gesetzlichen Richters in das freie Belieben des Klägers zu stellen, ist der Zivilprozessordnung fremd.

Dies gilt umso mehr, als es sich bei den Zuständigkeitsvorschriften der §§ 12 ff. ZPO „nicht um bloße Zweckmäßigkeitsvorschriften handelt, sondern um Regelungen mit ausgesprochenem Gerechtigkeitsgehalt, die grundsätzlich von einer Begünstigung des Beklagten ausgehen, da der Kläger schon den Vorteil hat, dass er diesem das Ob, Wann und Wie der Klageschrift aufzwingen kann“ ( Urteil des hier erkennenden Gerichts vom 20.10.1998, Aktenzeichen 30 C 1635/98 – 25, abgedruckt in NJW 2000, 1802; Zöller, ZPO, Kommentar, 28. Auflage, Anm. 2 zu § 12 ZPO; ), mit denen der Gesetzgeber „ eine allgemeine, an der Natur der Sache und dem allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken orientierte prozessuale Lastenverteilung vorgenommen hat (AG Köln, NJW-RR 1995, 185). Der „favor defensionis“ (BGHZ 88, 335) gebietet, den Beklagten „nicht auch noch zusätzlichen Erschwerungen dadurch auszusetzen, den ihm aufgezwungenen Rechtsstreit an einem auswärtigen Gericht führen zu müssen“ (Zöller, a.a.O.).

Daher vermag das erkennende Gericht nicht der von der Klägerseite zutreffend zitierten vielfältigen Rechtsprechung zur Frage des „fliegenden Gerichtsstands“ zu folgen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die die Rechtsprechung des fliegenden Gerichtsstands begründenden Entscheidungen des BGH (NJW 1971, 323 und NJW 1977, 1590) zu seinerzeitigen Veröffentlichungen in Zeitungsartikeln erging. Es handelt sich medientechnologisch gesehen hierbei um „prähistorische“ Entscheidungen, die unter den heute gegebenen Möglichkeiten der internetmedialen Verbreitung mit gänzlich anderen Verbreitungs- und Aufmerksamkeitsbesonderheiten so keinen Bestand mehr haben können.

Hoeren (ZRP 2009, 223) weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass das Internet nicht mit Presse oder Fernsehen gleichgesetzt werden kann und bezeichnet in diesem Zusammenhang die „unreflektierte“ Übertragung der seinerzeitigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf Rechtsverletzungen im Internet zutreffend als „ein Fossil und ein Ärgernis“.

Im Übrigen darf nicht verkannt werden, dass selbst der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 02.03.2010 (Az. VI ZR 23/09), wenn auch vordergründig zur Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß § 32 ZPO, Rechtsgrundsätze entwickelt hat, die eine alsbaldige Änderung der Rechtsprechung zu den „fliegenden Gerichtsständen“ erwarten lassen.

Letztendlich sei nur für den hiesigen Bezirk auf die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 07.02.2011 (Az. 25 W 41/10, abgedruckt in AfP 2011, 278) verwiesen, in der klargestellt ist, dass „allein die Möglichkeit, dass ein Internetbenutzer im Gerichtsbezirk zufällig auf die betreffende Website stößt und den das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers betreffenden Artikel auffindet, nicht ausreicht, um eine konkrete Eignung zur Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung zu bejahen“.

Dass – nach der noch herrschenden Meinung – der Verzicht auf Abgrenzungskriterien zur wertungskonformen Anwendung des den Kläger begünstigenden Wahlgerichtsstands des § 32 ZPO diesen „zu einem „Selbstbedienungsladen“ der Prozessbevollmächtigten bei persönlichkeitsverletzenden Delikten im Internet verkommen lässt“ (so zugespitzt die Formulierung des Amtsgerichts Charlottenburg in AfP 2010, 86), erfordert ein Gesetzesverständnis von § 32 ZPO, wonach zur Bejahung des § 32 ZPO ein „deutlicher Bezug“ der im Internet erfolgten Rechtsverletzung zu dem in Anspruch genommenen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung im Sinne des § 32 ZPO vorliegen muss (vergleiche in diesem Sinne die zunehmend kritische Rechtsprechung der Instanzgerichte, etwa Landgericht Mosbach, K&R 2007, 486; Landgericht München I, Urteil vom 21. August 2007, Az. 33 O 3699/07 (Juris); Amtsgericht Luckenwalde, K&R 2007, 344; Amtsgericht Krefeld, K& R 2007, 229; Landgericht Krefeld, AfP 2008, 99; Amtsgericht Frankfurt am Main, MMR 2009, 480).

Der Wohnsitz des Klägers befindet sich in Göttingen, die Beklagte hat ihren Sitz in Berlin. Ein deutlicher Bezug der von der Beklagten im Internet begangenen Rechtsverletzungen zum Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt am Main im Sinne des § 32 ZPO besteht nicht.

Das angerufene Amtsgericht Frankfurt/Main ist daher örtlich unzuständig.

Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob sich die örtliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt/Main schon daraus ergibt, dass Gegenstand der Klage nicht ein Urheberrechtsverstoß bzw. eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als solche ist, sondern lediglich ein Kostenerstattungsanspruch wegen der dem Kläger bei der Verfolgung seiner Rechte entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Insoweit liegt ein bloßer Zahlungsanspruch vor, für den die Grundsätze des „fliegenden Gerichtsstands“ schon deshalb nicht heranzuziehen sind, weil diese (allenfalls) für die Verfolgung der Rechtsverstöße selbst (etwa für einen Unterlassungsanspruch) in Betracht zu ziehen wären, nicht jedoch für die Geltendmachung eines Folgeanspruchs. Demgemäß hat das Landgericht Berlin in einer Entscheidung vom 26.04.1979 (16 S 1/79) zutreffend darauf erkannt, dass die Erstattung von Kosten für Abmahnschreiben ihre Rechtsgrundlage in den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag i. S . der §§ 670, 677, 683 findet und daher eine Klage auf ihre Erstattung weder im Gerichtstand des § 24 Absatz 2 UWG noch im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO erhoben werden könne.

Von einem Verweisungsantrag hat die Klägerseite ausdrücklich Abstand genommen.

Die Klage war als unzulässig abzuweisen.

Der Kläger hat, da er in dem Rechtsstreit unterlegen ist, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.

Soweit der Kläger nach Schluss der mündlichen Verhandlung noch einen klageerweiternden Schriftsatz eingereicht hat, bestand kein Anlass für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO.

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