Berichterstattung der BILD über jugendliche Promis oder: Informationsinteresse vs. Anonymitätsschutz

05. Januar 2010
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Eigener Leitsatz:

Die BILD hat Berichterstattungen über Taten prominenter Jugendlicher zu unterlassen, wenn das Anonymitäts- das Informationsinteresse überwiegt. Insbesondere ist dies bei Jugendlichen aufgrund ihrer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Fall. Die Pressefreiheit wird hier durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht begrenzt. Besonders Kinder Prominenter sind der Einschätzung durch die Öffentlichkeit ausgesetzt. Dabei muss der Jugendliche auch dann keine Berichterstattung über sein alltägliches Leben und die damit einhergehenden Verfehlungen hinnehmen, wenn er seinerseits bereits in Filmen mitgewirkt hat und eine eigene Karriere in der Öffentlichkeit verfolgt.

Landgericht Hamburg

Urteil vom 02.10.2009

Az.: 324 O 174/09

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an der Geschäftsführung der Beklagten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre)

        zu unterlassen,

        über den Kläger zu verbreiten oder zu äußern:

        „Telefonzelle demoliert, Blumenbeete zerstört“

        und/oder

        „Polizei schnappt O….-Söhne“

        und/oder

        im Zusammenhang mit dem Kläger über die Tatsache einer Sachbeschädigung in der Nacht zum 1. Mai 2008 in der Innenstadt von München zu berichten.

II. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Inanspruchnahme durch die Rechtsanwälte RAe E. und Dres. Stefanie S. und Stefan K. auf Zahlung von Anwaltshonoraren in Höhe von EUR 1.685,46 freizustellen.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

V. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 30.000,00 und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung einer Wortberichterstattung und Freistellung von Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Der Ende 1991 geborene Kläger, Sohn des Schauspielers Uwe O…., ist selbst Schauspieler und Sänger. Er ist durch die Mitwirkung in acht Filmen, insbesondere in der Filmreihe „Wilde Kerle“, bekannt. Er und sein zwei Jahre älterer Bruder Wilson Gonzales O…. waren gemeinsam Preisträger des Undine Awards als „Beste Filmdebütanten“. Sie waren Talkgäste zum Beispiel bei „Wetten, dass“, in den Sendungen „Johannes B. Kerner“ und „Beckmann“ sowie bei „TV Total“. Der Kläger veröffentlichte als Sänger ein Album und verschiedene Singles (Anlage B 3). Es gibt auf der Internetseite Wikipedia einen Eintrag zu ihm (Anlage B 1), und er verfügt über eine eigene Fan-Website (Anlage B 4). Die Jugendzeitschrift BRAVO veröffentlicht regelmäßig Beiträge über den Kläger und seinen Bruder (vgl. Anlagenkonvolut B 5). Der Kläger wurde mehrfach mit dem „BRAVO-Otto“ und anderen Preisen ausgezeichnet. In einem BRAVO-Interview vom 4. Juni 2008 (Anlagenkonvolut B 5) äußerte der Kläger unter Bezugnahme auf seinen Bruder:

        Wir prügeln uns oft. (…) Wilson hat mir sogar mal mit einer Steinschleuder absichtlich ins Gesicht geschossen. Das tat ziemlich weh. Und einmal hat er mich mit einem hart gefrorenen Schneeball genau ins Auge getroffen.

In einem Interview mit „Bild der Frau“ vom 24. Mai 2008 (Anlage B 8) erklärte der Kläger über seine Verehrerinnen:

        Sie fragen mich, ob ich eine Freundin habe, ob sie sich mit mir treffen können. Einige wollen sogar Geld dafür zahlen. Bisher wurden aber noch keine konkreten Summen genannt. [Auf die Frage nach mitgeschickten Slips oder BHs: (…)] Das kommt alles in die Garage. Inzwischen haben wir da gar keinen Platz mehr für Autos.

In der Nacht zum 1. Mai 2008 alberten der Kläger und sein Bruder im Rahmen einer privaten Unternehmung in einer Gruppe von etwa zehn Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Münchner Innenstadt. Der Kläger tat in einer Telefonzelle so, als hielte ihn der Telefonhörer gefangen, wobei dieser abriss. Er wurde von der Polizei auf die Wache mitgenommen, wohin ihn sein Bruder begleitete. Beide wurden nach Feststellung der Personalien entlassen. Die Staatsanwaltschaft München I stellte das gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren ein; gegen seinen Bruder wurde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Die Beklagte verbreitete auf der von ihr betriebenen Homepage www.bild.de ab dem 10. Mai 2008 unter der Überschrift „Polizei schnappt O….-Söhne“ einen Artikel über die Vorfälle. Wegen der Einzelheiten der Berichterstattung wird auf die vom Kläger eingereichte Anlage 1 Bezug genommen. Eine entsprechende Berichterstattung erschien auch in der von der Axel Springer AG verlegten Tageszeitung „Bild“ vom 10. Mai 2008, obwohl der Kläger und sein Bruder dieser zuvor durch Anwaltsschreiben mitgeteilt hatten, dass sie eine Berichterstattung über die Vorfälle nicht wünschten.

Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 21. Mai 2008 ließ der Kläger die Beklagte auf Unterlassung der streitgegenständlichen Berichterstattung und auf Zahlung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.196,43 in Anspruch nehmen (Anlage 2 des Klägers). Die Prozessbevollmächtigten des Klägers stellten ihm wegen dieses Schreibens unter dem 21. Mai 2008 eine entsprechende Rechnung mit Fristsetzung zum 30. Mai 2008. Nachdem der Kläger eine einstweilige Verfügung der Kammer (Az. 324 O 440/08) erwirkt und diese der Beklagten am 3. Juli 2008 zugestellt hatte, ließ er die Beklagte mit Rechtsanwaltsschreiben vom 1. August 2008 vergeblich auffordern, eine Abschlusserklärung abzugeben und ihm hierfür weitere EUR 1.196,43 zu erstatten (Anlage 3 des Klägers). Dem Kläger wurde hierfür unter dem 1. August 2008 Rechnung gelegt mit Fristsetzung zum 15. August 2008. Für den Bruder des Klägers sandten die Prozessbevollmächtigten des Klägers jeweils wortgleiche Schreiben an die Beklagte.

Der Kläger trägt vor, weder die Art der vorgeworfenen Taten noch seine Person rechtfertigten die Annahme eines überwiegenden Informationsinteresses. Bei den berichtsgegenständlichen Vorfällen handele es sich um jugendtypische Taten, die Ausdruck jugendlicher Unreife seien. Sie seien weder singulär noch herausgehoben noch fielen sie in den Bereich der Schwerstkriminalität, sondern seien am unteren Rand des Bagatellbereichs einzuordnen. Die Bezeichnung des Klägers als „Randalierer“ sei eine schwerwiegende Übertreibung. Sie stigmatisiere ihn und ziele darauf ab, ihn mit einem negativen Image, zudem einem als Gewalttäter zu belegen. Er bedürfe als Jugendlicher hinsichtlich der Gefahren, die von dem Interesse der Medien und ihrer Nutzer an den Betroffenen ausgingen, eines besonderen Schutzes. Er habe ein überwiegend schützenswertes Recht auf unbehelligte persönliche Entwicklung.

Er habe keine Vorbildfunktion. Seine Reife- und Persönlichkeitsbildung sei noch nicht abgeschlossen. Die besondere Schutzbedürftigkeit von Jugendlichen gelte auch für die Kinder Prominenter und für Jugendliche, die selbst bei Teilen der jugendlichen Öffentlichkeit bekannt sind. Gerade dem jugendlichen Kläger müsse in Ansehung seiner Bekanntheit zugebilligt werden, einen Teil seines Reifeprozesses fernab öffentlicher Berichterstattung zu durchleben, ohne bei jedem Grenzübertritt oder Fehlverhalten mit medialer Berichterstattung und öffentlichen Vorverurteilungen konfrontiert zu werden.

Wegen des geltend gemachten Freistellungsanspruchs trägt der Kläger vor, er und sein Bruder hätten ihren Prozessbevollmächtigten getrennte Anwaltsaufträge erteilt, die auch nicht identisch bearbeitet worden seien. Der Kläger, dem als Jugendlicher eine stärkere Position als seinem Bruder zugekommen sei, habe sich nach entsprechender Erläuterung zu einer getrennten Durchsetzung seines Anspruchs entschlossen. Nach der streitgegenständlichen Veröffentlichung habe seine Mutter ein Gespräch mit seinem Prozessbevollmächtigtem, dem Zeugen Rechtsanwalt RA E., geführt und sich nach Aufklärung über die Risiken eines einheitlichen Vorgehens, aber auch über die unterschiedlichen Kostenfolgen entschieden, dass die Unterlassungsansprüche ihrer Söhne unabhängig voneinander geprüft, angemeldet und durchgesetzt werden sollten.

Der Kläger beantragt,

        1. die Beklagte zu verpflichten, bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollziehen für die Beklagte an einem der Geschäftsführer der Beklagten, es zu unterlassen, über den Kläger zu verbreiten oder zu äußern,

            „Telefonzelle demoliert, Blumenbeete zerstört“

            und/oder

            „Polizei schnappt O….-Söhne“

            und/oder

            im Zusammenhang mit dem Kläger über die Tatsache einer Sachbeschädigung in der Nacht zum 1. Mai 2008 in der Innenstadt von München zu berichten.

        2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der Inanspruchnahme durch die Rechtsanwälte RA E. und Dres. Stefanie S. und Stefan K. auf Zahlung von Anwaltshonoraren in Höhe von EUR 2.392,86 zuzüglich 5% über dem Basiszinssatz der EZB aus einem Teilbetrag in Höhe von 1.196,43 jährlich seit dem 01.06.2008 sowie aus einem Teilbetrag in Höhe von 1.196,43 EUR seit dem 16.08.2008 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, an der Person des Klägers bestehe aufgrund seiner eigenständigen Prominenz ein gesteigertes Berichterstattungsinteresse. Er nehme für die Jugendlichen seiner Altersgruppe und für Jüngere eine Vorbildfunktion ein. Die angegriffene Berichterstattung habe einen eigenständigen Informationswert. Sie thematisiere ein Fehlverhalten vor dem Hintergrund eines öffentlich und marketingträchtig verbreiteten Images des Wilden Kerls. Vor dem Hintergrund der laufenden Selbstinszenierung als rebellisch und wild müsse die Berichterstattung über die Vorgänge am 1. Mai 2008 zulässig sein. Dem berechtigten Informationsinteresse stehe eine allenfalls geringfügige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber. Gerade wegen der im Bagatellbereich anzusiedelnden Tat werde das Persönlichkeitsrecht des Klägers nur leicht tangiert.

Hinsichtlich des geltend gemachten Freistellungsantrags bestreitet die Beklage eine getrennte Auftragserteilung durch den Kläger und seinen Bruder. Nach den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung handele sich bei den Abmahnungen beider Brüder gegen die Beklagte und die Axel Springer AG insgesamt um eine Angelegenheit i.S.d. §§ 15 Abs. 2, 22 Abs. 1 RVG. Ein Freistellungsanspruch wegen des Abschlussschreibens sei schon deshalb nicht entstanden, weil der Kläger nach der Zustellung der einstweiligen Verfügung eine Wartefrist von einem Monat hätte einhalten müssen; jedenfalls sei allenfalls eine 0,8 Gebühr nach dem Gegenstandswert des Verfügungsverfahrens erstattungsfähig.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet.

1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog in Verbindung mit Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu. Die Veröffentlichung der aus dem Tenor ersichtlichen Berichterstattung verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers.

Der Umstand, dass der Kläger wegen einer Sachbeschädigung in der Nacht zum 1. Mai 2008 aufgegriffen worden ist und die Polizei seine Personalien aufgenommen hat, rechtfertigt keine diesbezügliche Berichterstattung über ihn. Der Beklagten steht zwar der besondere Schutz der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG zur Seite; auch diese gilt aber nicht schrankenlos, sondern wird ihrerseits durch das ebenfalls aus grundrechtlich geschützten Positionen, nämlich aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers begrenzt. So ist für den Bereich der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren anerkannt, dass eine den Verdächtigen identifizierende Berichterstattung nur zulässig ist, wenn an der Preisgabe der Identität des in Verdacht Geratenen ein besonderes öffentliches Interesse besteht, es sich um eine Straftat von erheblicher öffentlicher Bedeutung handelt und ein nicht unerheblicher Tatverdacht vorliegt (vgl. Breutz in Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, 1.Aufl. 2008, Rdnrn. 39.78 ff.; Soehring, Presserecht, 3. Aufl. 2000, Rdnrn. 19.34 ff.). Der einer Straftat Verdächtigte hat – nicht zuletzt wegen der mit einer Presseveröffentlichung verbundenen Prangerwirkung – ein anzuerkennendes öffentliches Interesse an Anonymitätsschutz, soweit nicht ein öffentliches Informationsinteresse überwiegt (vgl. BVerfG, Beschluss v. 24.3.1998, AfP 1998, S. 386, 388). Diese Grundsätze sind erst recht anzuwenden, wenn es lediglich zur Aufnahme der Personalien kommt und die Sache im Übrigen nicht weiter verfolgt wird.

Die sich aus diesen Grundsätzen ergebende Abwägung führt vorliegend zu einem Überwiegen des Interesses des Klägers, so dass das Interesse der Beklagten an einer Berichterstattung hinter dem Interesse des Klägers daran, dass eine öffentliche Erörterung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe unter Bekanntgabe seines Namens in der Öffentlichkeit unterbleibt, zurückstehen muss. Von ausschlaggebender Bedeutung ist es, dass der Kläger als zum Zeitpunkt der Berichterstattung sechzehnjähriger Jugendlicher seinen Platz im Leben in sozialer wie beruflicher Hinsicht noch nicht gefunden hat und dass sein weiterer Werdegang in näherer Zukunft in vielfacher Hinsicht von der Einschätzung seiner Person durch Dritte abhängen wird. Er hat deswegen ein gesteigertes Interesse daran, dass Verfehlungen, die er sich hat zuschulden kommen lassen, nicht in die Öffentlichkeit getragen werden. Dass dieses Interesse des jugendlichen Klägers auch nach Begehung einer Straftat noch als besonders schützenswert anzusehen ist, findet seinen Ausdruck auch in grundsätzlichen Entscheidungen des Gesetzgebers: Die sich aus § 33 Abs. 1 JGG ergebende Zuständigkeit der Jugendgerichte für Verfehlungen Jugendlicher hat gemäß § 48 Abs. 1 JGG die Nichtöffentlichkeit der Verhandlung einschließlich der Verkündung der Entscheidungen zur Folge. Dieser Regelung tragen die Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz vom 14./15. April 1994 (RLJGG, in Kraft seit 1. August 1994) Rechnung, indem nach Satz 3 Halbsatz 2 der Richtlinie zu § 48 JGG der Vorsitzende, wenn er sich dennoch entschließt, die Presse in der Hauptverhandlung gegen einen Jugendlichen zuzulassen, darauf hinwirken soll, dass der Name des Angeklagten nicht genannt, sein Lichtbild nicht veröffentlicht und auch jede andere Angabe vermieden wird, die auf die Person des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden hindeutet.

Angesichts dieser, der besonderen Schutzbedürftigkeit des Jugendlichen Rechnung tragenden Wertung des Gesetzgebers, die auch im Rahmen der Interessenabwägung bei der Entscheidung der Frage der Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung in einem Stadium vor der Einleitung eines Strafprozesses Berücksichtigung finden muss, hat das Informationsinteresse hinter dem Anonymitätsinteresse grundsätzlich zurückzustehen, wenn nicht die begangene Tat von außergewöhnlicher Schwere ist. Dies ist hier indessen nicht der Fall: Die Sachbeschädigung, die dem Kläger vorgeworfen wurde, ohne dass die Staatsanwaltschaft die Angelegenheit weiter verfolgt hätte, ist dem Bereich der Bagatellkriminalität zuzuordnen.

Auch der Umstand, dass der Kläger als Sohn des Schauspielers Uwe O…. und aufgrund seiner eigenen künstlerischen Tätigkeit in der Öffentlichkeit bekannt ist, führt nicht dazu, dass er die angegriffene Berichterstattung hinnehmen müsste. Dass er an Spielfilmen mitgewirkt hat und mitwirkt und als Sänger auftritt, stellt ihn nicht Erwachsenen gleich, die ihre soziale und berufliche Stellung in der Gesellschaft bereits gefunden haben. Er bleibt Jugendlicher, dessen Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Die Entscheidung, in diesen künstlerischen Bereichen tätig zu werden und sich dabei der Öffentlichkeit zuzuwenden, hat der Kläger weder alleinverantwortlich getroffen, noch kann davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um endgültige Entscheidungen handelt. Insbesondere darf von dem Kläger weder erwartet noch ihm zugemutet werden, dass er die Art und Weise, wie er sich in der Öffentlichkeit präsentiert, wie ein in der Öffentlichkeit bekannter, erfahrener Erwachsener steuert oder steuern kann. Umso mehr gilt dies für das Verhalten des Klägers im privaten und sozialen Umfeld. Er muss wie andere Jugendliche auch die Möglichkeit haben, in diesem („normalen“) Umfeld den Wirkungskreis seines Verhaltens als einzelner und als Mitglied z.B. einer Freundesgruppe zu erproben und zu erfahren und für etwaige Grenzüberschreitungen einzustehen, ohne dass dies vermittelt durch die Medien von einer breiten Öffentlichkeit beobachtet und kommentiert wird.

Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Soweit das Bundesverfassungsgericht – auch für den Bereich der „bloßen Unterhaltung“ – darauf abstellt, dass auch die Normalität des Alltagslebens oder in keiner Weise anstößige Handlungsweisen prominenter Personen der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden dürfen, wenn dies der Meinungsbildung zu Fragen von allgemeinem Interesse dienen kann (Absatz-Nrn. 60ff. des Beschlusses des BVerfG vom 26.2.2008, 1 BvR 1602/07, 1 BvR 1606/07 und 1 BvR 1626/07), bedeutet dies keinen Freibrief für eine Berichterstattung über jeden alltäglichen Schritt einer bekannten Persönlichkeit. Vielmehr bedarf es der abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen (Absatz-Nr. 65). Der zitierte Beschluss verhält sich nicht zu der Frage, wie diese Abwägung bei einer Wortberichterstattung über die Verfehlung eines Jugendlichen vorzunehmen ist, sondern befasst sich mit der Veröffentlichung von Bildnissen erwachsener Personen. Demnach darf die Presse anlässlich der Erkrankung des regierenden Fürsten von Monaco darüber berichten, wie es seinen (erwachsenen) Kindern gelinge, Verpflichtungen zur innerfamiliären Solidarität mit der Wahrung berechtigter Belange ihres eigenen Privatlebens unter Einschluss ihres Wunsches nach Urlaub zu einem Ausgleich zu bringen, und in diesem Zusammenhang darf eine im Urlaub der Tochter aufgenommene Fotografie veröffentlicht werden (Absatz-Nrn. 94ff.).

Diese Erwägungen bieten genauso wenig wie die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur zulässigen Bebilderung eines Berichts über die Vermietung einer in Kenia gelegenen Villa, der Anlass für sozialkritische Überlegungen der Leser sein könnte (Absatz-Nrn. 103ff.), Anhaltspunkte dafür, im vorliegenden Fall von einem Überwiegen des Berichterstattungsinteresses auszugehen. Ob ein Jugendlicher – irgendein Jugendlicher oder ein prominenter Jugendlicher – in der Nacht zum 1. Mai im Zuge der üblichen Streiche so weit geht, das Kabel eines öffentlichen Telefons zu beschädigen, und ob dies unter Umständen zu einem Strafverfahren führen kann, mag für viele Leser Anlass zu sozialkritischen oder sonstigen Überlegungen oder einfach nur von Unterhaltungswert sein. Dieses Informationsinteresse kann aber zumindest teilweise befriedigt werden, ohne den Namen des Jugendlichen zu nennen. Soweit sich das Informationsinteresse vorliegend daran festmacht, dass der Kläger in der Öffentlichkeit bekannt ist (ohne Nennung seines Namens der Bericht also uninteressant wäre), und insbesondere daran, dass er sich in der Öffentlichkeit durch und wegen seiner Filmrolle als „Wilder Kerl“ gezeigt hat, muss es aus den oben ausgeführten Gründen hinter dem Anonymitätsinteresse des Klägers zurückstehen. Das Interesse des Klägers, sich wie ein „normaler“, in der Öffentlichkeit unbekannter Jugendlicher in einem Kreis von Freunden unbeachtet von der medialen Öffentlichkeit in den Straßen einer Stadt bewegen zu können, wiegt stärker. Weil er sich durch seine Filmrollen und Sangeskarriere der Öffentlichkeit präsentiert hat und in diesem Zusammenhang auch einige Fragen zu privaten Umständen beantwortet hat (vgl. Anlagenkonvolut B 5, Anlage B 8), muss er nicht eine mediale Berichterstattung über sein alltägliches Leben und/oder geringfügige Verfehlungen hinnehmen.

Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr besteht, da zu vermuten ist, dass ein einmal erfolgter rechtswidriger Eingriff wiederholt wird. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt.

2. Dem Kläger steht gemäß §§ 823 Abs. 1, 249, 257 BGB i.V.m. Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ein Freistellungsanspruch wegen seiner Rechtsverfolgungskosten zu, allerdings nur in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe. Sowohl die Abmahnung vom 21. Mai 2008 als auch das Abschlussschreiben vom 1. August 2008 waren durch den streitgegenständlichen, den Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht verletzenden Eingriff veranlasst. Der Eingriff erfolgte auch schuldhaft. Denn die Mitarbeiter der Beklagten als Medienunternehmen hätten erkennen können und müssen, dass die Berichterstattung den Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt.

a) Dem Kläger ist durch die Belastung mit Rechtsanwaltskosten für das Abmahnschreiben ein Schaden entstanden. Allerdings hat der Geschädigte einen Anspruch auf Erstattung bzw. Freistellung von den Kosten eines mit der Sache befassten Anwalts nur unter der Voraussetzung, dass die konkrete anwaltliche Tätigkeit aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten, mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2009, Az. VI ZR 174/08, Absatz-Nr. 28). Anwaltskosten für die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen, die in einem Zusammenhang stehen, können getrennt berechnet und vom Schädiger ersetzt verlangt werden, wenn im konkreten Fall vertretbare sachliche Gründe für eine getrennte Verfolgung bestanden und nicht lediglich Mehrkosten verursacht worden sind (vgl. BGH, a.a.O., Absatz-Nr. 29).

Vorliegend handelt es sich im Verhältnis des Klägers zu seinem Bruder um eine Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 1 RVG. Der Kläger und sein Bruder verfolgten dasselbe Ziel, nämlich die Unterlassung der identischen Wortberichterstattung. Dass bei ihren Unterlassungsansprüchen aufgrund ihres unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Lebensläufe gegebenenfalls abweichende Abwägungen vorzunehmen waren, führt noch nicht dazu, dass es sich insoweit nicht um eine Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 1 RVG handelt. Denn die Annahme einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne setzt nicht voraus, dass der Anwalt nur eine Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Ausreichend ist die Möglichkeit einer einheitlichen verfahrensrechtlichen Bearbeitung (vgl. hierzu BGH, a.a.O., Absatz-Nr. 25). Der Umstand, dass die beiden Abmahnschreiben wortgleich formuliert waren, zeigt bereits, dass sie auch in einem einheitlichen Schreiben hätten zusammengefasst werden können. Ohnehin kann es nicht maßgeblich darauf ankommen, ob ein oder zwei Schreiben versandt werden. Vielmehr kommt es darauf an, ob die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammen gehören (vgl. BGH, a.a.O., Absatz-Nr. 26).

Auch wenn, wie der Kläger geltend macht, seine Mutter seinen Prozessbevollmächtigten zu einer getrennten Prüfung, Anmeldung und Durchsetzung seines Unterlassungsanspruchs beauftragt hat, bleibt es dabei, dass die Aufträge der beiden Brüder angesichts der identischen Berichterstattung und des identischen Ziels zusammen gehörten und auch im Wesentlichen einheitlich bearbeitet werden konnten und wurden. Dass Unterlassungsansprüche höchstpersönlicher Natur sind, hindert weder deren gemeinsame bzw. einheitliche Prüfung, Anmeldung und Durchsetzung, noch besteht die Gefahr, dass sie durch ein einheitliches Vorgehen voneinander abhängig gemacht werden.

Ob hier außerdem im Verhältnis der Beklagten zur Axel Springer AG, also in Bezug auf die nahezu wortgleichen Berichterstattungen einerseits online und andererseits in der Tageszeitung, von einer Angelegenheit auszugehen wäre, kann offen bleiben. Denn für das an die Axel Springer AG bereits vor der Veröffentlichung gerichtete Schreiben besteht kein Freistellungsanspruch (vgl. Urteil der Kammer vom 2. Oktober 2009 zum Az. 324 O 90/09), so dass insoweit eine Kumulation der Streitwerte im Rahmen einer einheitlichen Abrechnung nicht in Betracht kommt.

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen besteht ein Freistellungsanspruch des Klägers für das Abmahnschreiben lediglich in Höhe von EUR 940,04. Die Höhe der gesamten erstattungsfähigen Gebühr, mit der der Kläger und sein Bruder je zur Hälfte zu belasten sind, berechnet sich im Einzelnen wie folgt:

    kumulierter Gegenstandswert in Höhe von EUR 60.000,00                           
    1,3 Geschäftsgebühr §§ 2, 13 RVG Nr. 2300 VV RVG     EUR      1.459,90
    Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG     EUR     20,00
    Zwischensumme     EUR     1.579,90
    19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG     EUR     300,18
    Gesamt     EUR     1.880,08

b) Hinsichtlich des Abschlussschreibens besteht ein Freistellungsanspruch nur in Höhe von EUR 745,42. Der Anspruch scheitert nicht daran, dass der Kläger das Abschlussschreiben zu früh an die Beklagte gesandt hätte. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer sind die Rechtsanwaltskosten für ein Abschlussschreiben erstattungsfähig, wenn das Schreiben nach einer Wartefrist von mindestens zwei Wochen nach Zustellung der einstweiligen Verfügung versandt wurde und für diese anwaltliche Tätigkeit eine 0,8 Geschäftsgebühr nach dem Gegenstandswert der Hauptsache angesetzt wird, hier also:

    Gegenstandswert in Höhe von EUR 30.000,00                          
    0,8 Geschäftsgebühr §§ 2, 13 RVG Nr. 2300 VV RVG      EUR      606,40
    Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG     EUR     20,00
    Zwischensumme     EUR     626,40
    19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG     EUR     119,02
    Gesamt     EUR     745,42

c) Hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs ist die Klage abzuweisen. Es ist nicht schlüssig dargetan, dass sich der Kläger gegenüber seinen Prozessbevollmächtigten mit der Zahlung der geltend gemachten Anwaltshonorare in Verzug befindet. Soweit der Kläger vorträgt, er sei gemahnt worden, fehlt es an tatsächlichen Angaben insbesondere zum Datum der Mahnung. Die einseitige Fristsetzung bis zum 30. Mai 2008 bzw. im Falle des Abschlussschreibens bis zum 1. August 2008 führt auch nicht dazu, dass eine Mahnung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich gewesen sei. Schließlich fehlt es an Vortrag zum Zugang der jeweiligen Zahlungsaufforderungen der Prozessbevollmächtigten beim Kläger, so dass von einem Verzug im Sinne von § 286 Abs. 3 BGB gleichfalls nicht ausgegangen werden kann.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO. Der Festsetzung des Streitwerts liegen die §§ 3, 4 ZPO zugrunde.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 30.000,- festgesetzt.

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