„Größter unabhängiger Nationalvertrieb Deutschlands“: Werbeaussage bei 80% Fremdbeteiligung irreführend

10. April 2014
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Urteil des OLG Köln vom 05.07.2013, Az.: 6 U 4/13

Die Aussage "Größter unabhängiger Nationalvertrieb Deutschlands" ist irreführend, wenn an diesem Unternehmen zwei große Verlagsgruppen jeweils einen Anteil von 40% und damit die Möglichkeit haben, gemeinsam bestimmenden Einfluss auf dieses zu nehmen. Das so werbende Unternehmen ist daher auf Grund der tatsächlich bestehenden Fremdbeteiligung alles andere als "unabhängig".

Oberlandesgericht Köln

Urteil vom 05.07.2013

Az.: 6 U 4/13

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 4. 12. 2012 verkündete Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 33 O 138/12 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Dieses Urteil und das genannte Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Unterlassungstenors des landgerichtlichen Urteils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 EUR, ansonsten in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 50.000 EUR (Unterlassungstenor) beziehungsweise 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Parteien sind Dienstleister, die für Verlage den Vertrieb von Presseerzeugnissen übernehmen. Zu diesem Dienstleistungsangebot gehört die Lieferung der Verlagsprodukte an Großhandel und Bahnhofsbuchhandlungen. Im Markt konkurrieren sowohl unabhängige als auch einzelnen oder mehreren großen Verlagen angegliederte Vertriebsdienstleister. Die letztgenannte Feststellung ist von der Beklagten mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag beanstandet worden, den das Landgericht zurückgewiesen hat.

Kommanditisten der Beklagten sind die X GmbH & Co. Zeitschriften- und Beteiligungs- KG, F, und die C GmbH, P, wobei streitig ist, ob diese zu je 40 % oder zu je 50 % beteiligt sind. Beide Gesellschafter gehören jeweils zu einer der größten Verlagsgruppen Deutschlands. In der Komplementär-GmbH halten diese beiden Kommanditisten jeweils 40 % der Geschäftsanteile. Ein weiterer Komplementär der Beklagten ist Herr J, der zugleich einer der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH ist. Von der Geschäftsführung der Beklagten ist er ausgeschlossen. In ihrem Internetauftritt bezeichnet sich die Beklagte als „größten unabhängigen Nationalvertrieb Deutschlands“.

Die Klägerin meint, diese Aussage verstoße gegen die §§ 3, 5 UWG. Angesichts der Gesellschafterstruktur der Beklagten könne von einem unabhängigen Vertrieb keine Rede sein.

Die Klägerin hat beantragt, der Beklagten im geschäftlichen Verkehr die Behauptung zu untersagen, es handele sich bei ihr um den „größten unabhängigen Nationalvertrieb Deutschlands“, wenn dies wie auf dem nachstehend wiedergegebenen Auszug ihrer Internetseite unter www.mzv.de geschehe:

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die streitgegenständliche Werbung sei nicht irreführend. Sie sei vollkommen unabhängig strukturiert. Sie sei von ihrem heutigen Komplementär als eigenständiger Vertriebsdienstleister für Drittverlage gegründet worden. Erst später seien ihre zwei herausragenden Großkunden Gesellschafter geworden. Dennoch besitze sie vollkommene Eigenständigkeit. Im Übrigen seien die angesprochenen Verkehrskreise mit den geschäftlichen Verhältnissen und Verbindungen vertraut.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt und zur Begründung ausgeführt, die beanstandete Aussage sei irreführend. Aus der Sicht des angesprochenen Verkehrs, zu dem auch eine Vielzahl kleinerer nicht konzerngebundener Verlage gehöre, sei nicht zu erwarten, dass die Beklagte ohne Rücksicht auf die Interessen ihrer Mehrheitsgesellschafter am Markt agieren werde. Dies sei aber für den angesprochenen Verkehr maßgeblich; insbesondere kleinere Verlage würden von einem unabhängigen Vertrieb erwarten, dass er ihre Vertriebsinteressen besser wahrnehmen werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe der Entscheidung des Landgerichts verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der sie weiterhin das Ziel der Klageabweisung verfolgt. Sie rügt die fehlende Bestimmtheit des Antrags, da die Klägerin es nicht beanstande, dass sie sich als der „größte Nationalvertrieb“ bezeichne. Dies entspreche auch den Marktverhältnissen. Ferner habe das Landgericht nicht beachtet, dass sie nicht in einer konzernrechtlichen Abhängigkeit im Sinne des § 17 AktG von ihren Gesellschaftern stehe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. 12. 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Es sei verfehlt, wenn die Beklagte nunmehr auf § 17 Abs. 2 AktG abstelle. Auch bei Beteiligungen unter 50% könne ein Unternehmen bereits Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben, wie die §§ 35 ff. GWB zeigen würden.

II.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Die Bedenken der Beklagten gegen die Bestimmtheit des Antrags greifen nicht durch. Die Klägerin beanstandet mit ihrem Antrag die Äußerung „größter unabhängiger Nationalvertrieb“ in der konkreten Verletzungsform auf der Internetseite der Beklagten; dieser ist damit hinreichend bestimmt. Er ist auch nicht zu weit gefasst (und damit teilweise unbegründet), da die Klägerin diese Äußerung ausdrücklich nicht kumulativ unter den Gesichtspunkten „unabhängig“ und „größter“ beanstandet. Sie beanstandet sie vielmehr allein unter dem Gesichtspunkt, dass die Beklagte kein unabhängiger Vertrieb sei (Schriftsatz vom 12. 11. 2012, S. 2 = Bl. 81 d. A.). Die Klägerin hat auch dargelegt, auf welches konkrete Verkehrsverständnis der angesprochenen Verkehrskreise sie abstellt: Diese würden „unabhängig“ dahingehend verstehen, dass ein unabhängiger Vertrieb nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis von Großverlagen steht.

2. Mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, hat das Landgericht einen Verstoß gegen §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 8 Abs. 1 UWG angenommen.

„Abhängigkeit“ kann je nach angesprochener Zielgruppe auf den unterschiedlichsten Faktoren wie beispielsweise Bindungen an eine politische Partei, an eine konfessionelle oder weltanschauliche Richtung oder an eine wirtschaftliche oder berufsständische Interessengruppe beruhen. Maßgeblich ist, ob ein sich als „unabhängig“ bezeichnendes Unternehmen Bindungen unterliegt, die ihm nach Auffassung eines nicht unerheblichen Teils der in Betracht kommenden Verkehrskreise die Eigenschaft der „Unabhängigkeit“ nehmen (BGH, Urteil vom 21. 2. 1968 – Ib ZR 60/66 – GRUR 1968, 440, 441 – Luftfahrt-Fachzeitschrift). Im vorliegenden Fall werden Verleger als die angesprochenen Verkehrskreise unter „Unabhängigkeit“ in erster Linie die Unabhängigkeit des Vertriebs von anderen Verlegern, mithin von Konkurrenzunternehmen, verstehen. Es bedarf dabei keiner vertieften Erläuterung, dass es für einen Verleger, der einen Vertriebskanal für sein Presseerzeugnis sucht, von entscheidender Bedeutung ist, ob und wie das Vertriebsunternehmen in Abhängigkeit von konkurrierenden Verlegern steht.

Dies, und hierauf hat bereits das Landgericht mit Recht hingewiesen, folgt auch aus dem Wert, den die Beklagte selber auf ihre Werbung mit der Eigenschaft „unabhängig“ legt. Auch wenn die Beklagte, wie sie in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, diese Aussage dahingehend verstanden wissen will, dass sie ein organisatorisch selbständiger Vertrieb im Gegensatz zu einer einem Verlag eingegliederten Vertriebsabteilung sei, so wird aus diesem Verständnis ebenfalls deutlich, dass die Beziehung zwischen dem Vertrieb und großen Verlagsunternehmen für die angesprochenen Verkehrskreise von Bedeutung ist.

Die Beklagte meint, den angesprochenen Verkehrskreisen – Verlegern von Zeitschriften – sei bekannt, dass die Presselandschaft von einer Vielzahl von Beteiligungen und Verflechtungen gekennzeichnet sei. Diese würden daher nur geringe Anforderungen an die „Unabhängigkeit“ stellen. Aber auch die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass es tatsächlich unabhängige Pressevertriebe – wie eben den der Klägerin – gibt, an denen kein großes Verlagsunternehmen wirtschaftlich beteiligt ist. Dafür spricht auch der von der Klägerin vorgelegte „Fallbericht“ des Bundeskartellamts vom 27. 1. 2010, in dem über die Freigabe der Beteiligung der Burda GmbH an der Beklagten berichtet wird. Dort wird die Beklagte als „Gemeinschaftsunternehmen“ bezeichnet, das in Konkurrenz zu ebenfalls zu großen Verlagshäusern gehörenden Nationalvertrieben und verlagsunabhängigen Dienstleistern stehe (Anlage K 12, Bl. 65 f. d. A.). Wenn es solche völlig unabhängigen Unternehmen gibt, so besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass relevante Teile der angesprochenen Verkehrskreise die beanstandete Aussage dahingehend verstehen, dass auch die Beklagte zu diesen Unternehmen gehört. Daher teilt der Senat auch nicht die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretene Auffassung, „unabhängig“ werde im Sinn von „organisatorisch selbständig“ – im Gegensatz zu einer einem Verlag eingegliederten Vertriebsabteilung – verstanden. Für die angesprochenen Verkehrskreise ist nicht die rechtliche Organisationsform, sondern die tatsächlich bestehende Möglichkeit der Einflussnahme maßgeblich.

Bei der Gesellschafterstruktur der Beklagten kann eine so verstandene Unabhängigkeit von großen Verlagshäusern nicht angenommen werden. Der Verweis auf die Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG, nach der bei einer Aktiengesellschaft vermutet wird, dass sie ein – im konzernrechtlichen Sinn der § 15 ff. AktG – „abhängiges“ Unternehmen ist, sofern dieses Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung an der Aktiengesellschaft hält, greift nicht durch. Nur am Rande ist dabei darauf hinzuweisen, dass auch im Rahmen des § 17 AktG allgemein anerkannt ist, dass ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem zwei Unternehmen gleichgeordnet beteiligt sind, in einem Abhängigkeitsverhältnis von diesen Unternehmen stehen kann (BGH, Urteil vom 4. 3. 1974 – II ZR 89/72 – NJW 1974, 855, 857; MünchKomm AktG/Bayer, 3. Aufl. 2008, § 17 Rn. 77 m. w. N.). Näher liegt im hier zu beurteilenden Fall tatsächlich die Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 37 Abs. 1 Nr. 3b GWB, nach dem ein – kartellrechtlich relevanter – Zusammenschluss von Unternehmen bereits bei einer Beteiligung von 25 % angenommen wird. Diese Überlegungen sind aber nicht ausschlaggebend, da es für die angesprochenen Verkehrskreise nicht auf die Einzelheiten der Gesellschaftsstruktur der Beklagten und ihre konzern- oder kartellrechtliche Bewertung, sondern auf tatsächlich bestehende Möglichkeiten der Einflussnahme ankommt.

Zutreffend ist sicher, dass nicht jede wirtschaftliche Bindung eine solche ist, die in den Augen der angesprochenen Verkehrskreise die Eigenschaft der „Unabhängigkeit“ entfallen lässt. Im vorliegenden Fall ist aber maßgeblich, dass zwei Unternehmen, die jeweils einer großen Verlagsgruppe angehören (WAZ und Burda), zusammen mindestens 80 % der Anteile an der Beklagten halten sowie weitere 80 % an der Komplementär-GmbH, der die Geschäftsführung der Beklagten übertragen ist. Damit haben sie jeweils die Möglichkeit, gemeinsam bestimmenden Einfluss auf die Beklagte zu nehmen. In der Entscheidung „T“ hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass die öffentliche Hand auf ein Unternehmen, an dem sie nur eine Minderheitsbeteiligung hält, keinen bestimmenden Einfluss hat und es daher irreführend ist, wenn der Anschein erweckt wird, es handele sich bei dem Unternehmen um ein öffentliches Unternehmen (Urteil vom 13. 6. 2012 – I ZR 228/10 – GRUR 2012, 1273 Rn. 20). Umgekehrt gilt, dass ein Unternehmen, an dem zwei große Verlagsgruppen zusammen jedenfalls 80 % der Anteile halten, in einem Abhängigkeitsverhältnis von diesen Verlagen steht.

Der Umstand, dass die Gesellschafter der Beklagten diese Möglichkeit der Einflussnahme möglicherweise tatsächlich nicht in Anspruch nehmen, steht der Bewertung der Aussage, die Beklagte sei „unabhängig“, als irreführend nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass die Möglichkeit einer solchen Einflussnahme besteht (OLG Frankfurt, Urteil vom 2. 10. 2010 – 6 U 238/09 – GRUR-RR 2011, 220, 221 f.). Soweit die Beklagte darauf verweist, dass die Verlagsgruppen WAZ und Burda selber in einem Konkurrenzverhältnis stehen und sich daher wechselseitig „neutralisieren“ würden, so schließt ein solches Konkurrenzverhältnis nicht aus, dass sie gemeinsam Entscheidungen treffen, die zu Lasten dritter Konkurrenzunternehmen gehen. Auch insoweit gilt, dass bereits die Möglichkeit einer Einflussnahme die Bezeichnung als „unabhängig“ als Irreführung erscheinen lässt.

Schließlich kann auch nicht angenommen werden, dass den angesprochenen Verkehrskreisen diese Beteiligungsverhältnisse bekannt sind. Selbst im vorliegenden Verfahren ist die genaue Höhe der Beteiligung der Verlagsgruppen Burda und WAZ an der Beklagten (je 40 % oder 50 %) streitig geblieben, da sich dies bei einer KG nicht durch Einsichtnahme in das Handelsregister aufklären lässt (dem sich die Beteiligung der Komplementäre, anders als die der Kommanditisten, nicht entnehmen lässt). Vor allem ist wiederum zu berücksichtigen, dass es tatsächlich verlagsunabhängige Dienstleister – wie eben die Klägerin – gibt. Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass ein relevanter Anteil der angesprochenen Verkehrskreise die Werbung „größter unabhängiger Nationalvertrieb Deutschlands“ dahingehend verstehen wird, dass die Beklagte frei vom bestimmenden (sei es auch nur potentiellen) Einfluss großer Verlagsgruppen ist und somit tatsächlich zu den „unabhängigen“ Dienstleistern gehört. Insofern liegt eine Irreführung vor.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung außer Streit. Im Übrigen beruht die Entscheidung auf einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 50.000 EUR.

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