Die Nachfragewerbung als unzumutbare Belästigung

09. September 2009
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
5406 mal gelesen
0 Shares

Eigener Leitsatz:

Mitbewerber-Eigenschaft kann auch dann gegeben sein, wenn der eine Produkte verkauft und der andere nur im Vertrieb als Dienstleister tätig ist. Die Zugehörigkeit auf demselben Dienstleistungsmarkt in lediglich unterschiedlichen Wirtschaftsstufen bewirkt mitunter das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses. Eine E-Mail des eigentlichen Verkäufers an den Dienstleister mit enthaltenem Abwerbeangebot ist als Nachfragewerbung zu sehen, die bei nicht vorliegender Einwilligung des Empfängers eine unzumutbare Belästung für diesen darstellt.

Oberlandesgericht Karlsruhe

Beschluss vom 10.03.2009

Az.: 4 U 168/08

Tenor
Der Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten wird zurückgewiesen.

Gründe
I.
Die Verfügungsklägerin (im folgenden: Klägerin) handelt im Wege des sogenannten Network-Marketing, bei dem selbständige Geschäftspartner ihre Produkte an Endkunden vertreiben, mit Nahrungsergänzungsmitteln, Parfum, Kosmetikartikeln und Accessoires. Der Vertrieb durch selbständige Geschäftspartner ist in der Form eines hierarchischen Strukturvertriebs organisiert. Die Vertriebspartner auf einer höheren Ebene der Struktur erhalten Provisionen nicht nur für die von ihnen selbst vermittelten Geschäfte, sondern auch für die Geschäfte, welche von Vertriebspartnern einer unteren Ebene der Struktur vermittelt werden, wenn diese Vertriebspartner der unteren Ebene von dem Vertriebspartner der oberen Ebene für die Vertriebstätigkeit geworben wurden. Vertragliche Beziehungen bestehen hierbei allerdings nur zwischen der Klägerin und ihren jeweiligen Vertriebspartnern („Teampartnern“). Hingegen bestehen in diesem Vertriebssystem keine vertraglichen Beziehungen zwischen einem Teampartner auf einer oberen Ebene der Struktur und den von ihm geworbenen Vertriebspartner einer unteren Ebene.
 
Der Verfügungsbeklagte (im folgenden: Beklagte) war für die Klägerin als Vertriebspartner tätig. Mit Schreiben vom 24.06.2008 kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten. Die Parteien streiten – in einem anderen Rechtsstreit – um die Wirksamkeit dieser Kündigung.
 
Der Beklagte hatte während seiner Tätigkeit für die Klägerin u.a. Herrn S. als weiteren Vertriebspartner für die Klägerin geworben. Am 16.07.2008 schickte der Beklagte an Herrn S. – der zu dieser Zeit weiter für die Klägerin tätig war – eine E-Mail, u.a. mit folgendem Inhalt:
 
„… nachdem meine bisherigen Auftraggeber anscheinend finanzielle Schwierigkeiten haben und die Auszahlung der Provisionen sich teilweise sehr arg hinauszögert bzw. zum Teil gar nicht bezahlt wird, musste ich mich nach einem neuen Vertragspartner umschauen.
 
Durch Zufall wurde mir ein Geschäft angeboten, in dem ich das, was ich bei dem letzten Network-Unternehmen in zwei 1/2 Jahren erreichte, innerhalb von 1 1/2 Monate, also 6 Wochen erreichte.
 
Ich bin kein besonderer Held, denn das, was ich kann, kannst Du erst recht!
 
Melde Dich einfach, komm zum Gespräch und prüfe das Business. Dann kannst Du Dich immer noch entscheiden oder aber mit ruhigen Gewissen sagen: Nein!
 
Egal, was Du bisher gemacht hast, egal was Du bisher machst, das Neue beißt sich nicht mit dem Alten, bzw. derzeitigen Business“.
 
Die Klägerin hat dies zum Anlass genommen, gegen den Beklagten den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu beantragen. Das Landgericht hat – nach mündlicher Verhandlung – antragsgemäß eine einstweilige Verfügung wie folgt erlassen:
 
Auf Antrag der Verfügungsklägerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung dem Verfügungsbeklagten bei Meldung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,– EURO, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt, im geschäftlichen Verkehr zum Vertrieb von Produkten an Vertriebspartner der Antragstellerin ohne deren zumindest mutmaßliche Einwilligung E-Mails, in denen für die Tätigkeit im Vertrieb eines anderen Unternehmens geworben wird, zu versenden und/oder versenden zu lassen, insbesondere mit folgendem Inhalt:
 
„… nachdem meine bisherige Auftraggeber anscheinend finanzielle Schwierigkeiten haben und die Auszahlung der Provisionen sich teilweise sehr arg hinauszögert bzw. zum Teil gar nicht bezahlt wird, musste ich mich nach einem neuen Vertragspartner umschauen.
 
Durch Zufall wurde mir ein Geschäft angeboten, in dem ich das, was ich bei dem letzten Network-Unternehmen in zwei 1/2 Jahren erreichte, innerhalb von 1 1/2 Monate, also 6 Wochen erreichte.
 
Ich bin kein besonderer Held, denn das, was ich kann, kannst Du erst recht!
 
Melde Dich einfach, komm zum Gespräch und prüfe das Business. Dann kannst Du Dich immer noch entscheiden oder aber mit ruhigen Gewissen sagen: Nein!
 
Egal, was Du bisher gemacht hast, egal was Du bisher machst, das Neue beißt sich nicht mit dem Alten, bzw. derzeitigen Business“.
 
Gegen das Urteil des Landgerichts vom 18.09.2008 richtet sich die Berufung des Beklagten. Er ist der Meinung, der Klägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. Sie sei schon deshalb nicht berechtigt, einen solchen Anspruch geltend zu machen, weil die Klägerin und der Beklagte keine Mitbewerber im Sinne des Wettbewerbsrechts seien. Dies ergebe sich daraus, dass die Klägerin bestimmte Produkte verkaufe, während der Beklagte Dienstleistungen im Vertrieb erbringe (bzw. erbracht habe). Ein Strukturpartner eines Strukturvertriebs stehe generell nicht in einem Wettbewerbsverhältnis mit einem Unternehmen, welches sich zum Vertrieb seiner Produkte eines Strukturvertriebs bediene. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte während seiner Tätigkeit für die Klägerin Herrn S. selbst angeworben habe, so dass Herr S. als Vertriebspartner des Beklagten und nicht als Vertriebspartner der Klägerin anzusehen sei. Aus dieser Unterordnung ergebe sich, dass der Beklagte berechtigt gewesen sei, Herrn S. in einer E-Mail, wie am 16.07.2008, anzuschreiben. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass das Abwerben von Mitarbeitern wettbewerbsrechtlich grundsätzlich erlaubt sei. Es müsse dem Beklagten daher gestattet sein, Vertriebspartner, welche für die Kläger tätig sind, auf die Möglichkeit anderer Tätigkeitsfelder hinzuweisen.
 
Der Beklagte beantragt Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. Die Durchführung der Berufung biete hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin tritt der Berufung und dem Prozesskostenhilfeantrag entgegen. Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts.
 
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.
Die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen nicht vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 S. 1 ZPO). Zu Recht hat das Landgericht die beantragte einstweilige Verfügung erlassen. Das Vorbringen des Beklagten im Berufungsverfahren lässt eine abweichende Entscheidung nicht erwarten. Der Unterlassungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 3 Abs. 1, 7 Abs. 2 Nr. 3, 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG. Gemäß § 12 Abs. 2 UWG kann die Klägerin diesen Anspruch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend machen.
 
1. Die Versendung der E-Mail am 16.07.2008 an Herrn S. war eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (bzw. eine Wettbewerbshandlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG a.F.). Der Beklagte ist in dieser E-Mail als Nachfrager nach einer Dienstleistung aufgetreten, nämlich als Nachfrager von Vertriebsleistungen. Dass der Beklagte selbst als Vertriebspartner tätig war (oder tätig werden wollte), ändert am geschäftlichen (bzw. wettbewerblichen) Charakter der E-Mail nichts. Denn dem Beklagten ging es darum, im Rahmen eines Strukturvertriebs Vertriebspartner für eine untere Ebene der Vertriebsstruktur zu werben, so dass er selbst (als Vertriebspartner auf einer oberen Ebene der Struktur) von der Tätigkeit der zu werbenden Vertriebspartner durch Provisionseinnahmen profitieren konnte. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Beklagte zum Zeitpunkt der E-Mail (16.07.2008) im Rahmen eines Vertriebs für ein bestimmtes Unternehmen tätig war; es reicht aus, dass er mit der Mail einen möglichen Vertriebspartner für eine beabsichtigte eigene Tätigkeit im Rahmen eines Strukturvertriebs werben wollte. (Vgl. beispielsweise Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 26. Aufl. 2008, § 2 UWG Rdnr. 11 zum Begriff der „Wettbewerbshandlung“; die Erwägungen gelten für den neuen Begriff „geschäftliche Handlung“ in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG fort.). Bei dieser beabsichtigten eigenen Tätigkeit des Beklagten handelt es sich um eine unternehmerische Tätigkeit im Sinne des Wettbewerbsrechts. Wer – wie der Beklagte – im Rahmen eines Strukturvertriebs tätig ist, handelt als selbständiger Handelsvertreter. Selbständige Handelsvertreter sind grundsätzlich „Unternehmer“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG (vgl. Köhler a.a.O., § 2 UWG Rdnr. 8; BGH, NJW 1998, 2057).
 
2. Die E-Mail des Beklagten vom 16.07.2008 enthält eine unzumutbare Belästigung im Sinne von § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 UWG. Die E-Mail enthält eine Werbung, nämlich für eine mögliche Vertriebstätigkeit im Rahmen eines Strukturvertriebs in Zusammenarbeit mit dem Beklagten. Eine solche Werbung ist – wenn sie per E-Mail erfolgt – gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG stets eine unzumutbare Belästigung, wenn der Empfänger nicht vorher ausdrücklich eingewilligt hat. Unstreitig lag weder eine ausdrückliche noch eine mutmaßliche Einwilligung des Empfängers (Herr S.) vor.
 
Es kann dahinstehen, inwieweit die Rechtslage anders zu beurteilen wäre, wenn der Beklagte die E-Mail im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses zwischen ihm und Herrn S. an diesen geschickt hätte. Denn eine solches Vertragsverhältnis – das die E-Mail möglicherweise hätte rechtfertigen können – bestand nicht. Zwar hatte der Beklagte Herrn S. unstreitig zu einem früheren Zeitpunkt für den Strukturvertrieb der Klägerin geworben. Der Strukturvertrieb der Klägerin ist jedoch so aufgebaut, dass Vertragsbeziehungen jeweils nur zwischen ihr und den einzelnen Vertriebspartnern bestehen, und nicht zwischen den Vertriebspartnern der unterschiedlichen Strukturebenen untereinander. Die Argumentation des Beklagten, Herr S. sei Bestandteil „seiner“ (des Beklagten) Vertriebsstruktur gewesen, ist rechtlich daher nicht zutreffend. Es gab am 16.07.2008 – nachdem die Klägerin die Kündigung des Vertrages mit dem Beklagten erklärt hatte – auch keine anderweitige Zusammenarbeit zwischen dem Beklagten und Herrn S., die im Rahmen von § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG evtl. relevant sein könnte.
 
3. Bei der unzumutbaren Belästigung durch die E-Mail vom 16.07.2008 handelt es sich um eine unlautere geschäftliche Handlung im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG. Eine Nachfragewerbung gegenüber einem Dienstleister, der seine Dienste für ein anderes Unternehmen (die Klägerin) erbringt, ist generell geeignet, die Interessen anderer Marktteilnehmer zu beeinträchtigen. Die Erheblichkeitsschwelle in § 3 Abs. 1 UWG („spürbar zu beeinträchtigen“) ist bei einer unzumutbaren Belästigung generell überschritten (vgl. Köhler, .a.a.O., § 7 UWG Rdnr. 70).
 
4. Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 UWG ergibt sich aus der Zuwiderhandlung des Beklagten ein Unterlassungsanspruch, den die Klägerin gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG geltend machen kann; denn sie ist Mitbewerberin im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG.
 
Entscheidend für die Stellung der Klägerin als Mitbewerberin ist der Umstand, dass die Klägerin und der Beklagte als Nachfrager nach gleichartigen Dienstleistungen auf dem Markt auftreten (vgl. zum Nachfragewettbewerb Köhler, a.a.O., § 2 UWG Rdnr. 73). Denn sowohl die Klägerin als auch der Beklagte suchen Vertriebspartner, die im Direktmarketing tätig sind oder tätig werden wollen. Die Klägerin sucht solche Dienstleistungen für den Verkauf ihrer Produkte, der Beklagte sucht gleichartige Dienstleistungen für den Aufbau eines Strukturvertriebs. Wer als Vertriebspartner für die Klägerin tätig ist, könnte seine Dienstleistungen auch im Rahmen eines vom Beklagten aufzubauenden Strukturvertriebs (entsprechend der Werbung des Beklagten in der E-Mail vom 16.07.2008) erbringen. Umgekehrt kommen diejenigen Dienstleister, die an einer Tätigkeit im Rahmen eines Strukturvertriebs entsprechend der E-Mail des Beklagten vom 16.07.2008 interessiert sind, auch für die Klägerin als Vertriebspartner in Betracht. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass die Art der zu verkaufenden Produkte für eine Tätigkeit im sogenannten Direktmarketing kaum eine entscheidende Rolle spielt. Die Klägerin und der Beklagte sind mithin – und dies ist für den Begriff des Mitbewerbers entscheidend – Nachfrager auf demselben Dienstleistungsmarkt (Vertriebspartner im Direktmarketing).
 
Der Umstand, dass nur die Klägerin Produkte verkauft, während der Beklagte selbst nur im Vertrieb als Dienstleister tätig ist – bzw. tätig sein wollte – schließt die Mitbewerber-Eigenschaft entgegen der Auffassung des Beklagten nicht aus. Es ist anerkannt, dass insoweit die Zugehörigkeit der Mitbewerber zu unterschiedlichen Wirtschaftsstufen nicht entscheidend ist (vgl. Köhler, a.a.O., § 2 UWG, Rdnr. 68, 69). Relevant ist allein, dass sich die Mitbewerber auf dem selben Markt betätigen (hier: Nachfrage nach bestimmten Dienstleistungen, siehe oben).
 
5. Mit der einstweiligen Verfügung des Landgerichts wird dem Beklagten jede werbende Tätigkeit gegenüber Vertriebspartnern der Klägerin per E-Mail untersagt, wenn nicht (zumindest) eine mutmaßliche Einwilligung für die Zusendung von E-Mails bei dem Adressaten vorhanden ist. Auf den weiteren Inhalt solcher E-Mails kommt es nach der Entscheidung des Landgericht nicht an; bei dem im Tenor des Landgerichts wiedergegebenen Text der E-Mail vom 16.07.2008 handelt es sich lediglich um ein Beispiel („…. insbesondere …“), welches unter den Untersagungstenor fällt. Für den Verfügungsanspruch spielt es daher keine Rolle, ob und inwieweit der Inhalt der E-Mail vom 16.07.2008 zutreffend war oder nicht. Es kommt nicht darauf an, ob der Beklagte mit dem in „finanziellen Schwierigkeiten“ befindlichen Auftraggeber die Klägerin gemeint hat. Es kommt auch nicht darauf an, ob und inwieweit der Inhalt dieser E-Mail für die Klägerin herabsetzende Tatsachenbehauptungen enthält (§ 4 Nr. 8 UWG), oder ob eine gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG vorliegt.
 
6. Der Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ergibt sich aus § 12 Abs. 2 UWG.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a