Versicherungsunternehmen muss negative Kritik an Produkt dulden

08. Oktober 2009
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Eigener Leitsatz:

Der Herausgeber einer Broschüre, die für Verbraucher unterschiedliche Geldanlagen bewertet, wurde von einem Versicherungsunternehmen auf Unterlassung verklagt, weil in der Broschüre Geldanlagen, welche auch der Kläger anbietet, als ungeeignet für die Altersvorsorge eingestuft wurden. Im Widerspruchsverfahren wurde die einstweilige Verfügung gegen den Broschürenherausgeber mit der Begründung aufgehoben, dass sich die Wertungen über die Geldanlagen nicht gegen ein bestimmtes gewerbliches Unternehmen richteten, sondern eher im Rahmen eines allgemeinen Systemsvergleichs aufgestellt wurden.

 

Landgericht Berlin

Urteil vom 10.09.2009

Az.: 27 O 778/09

Tenor:

1. Die einstweilige Verfügung vom 13. August 2009 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Antragsteller kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Kostenbetrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % leistet.

Tatbestand:

Die Antragstellerin ist ein Versicherungsunternehmen, dessen Hauptgeschäft der mittelbare und unmittelbare Betrieb von Lebensversicherungen und damit verbundenen Zusatzversicherungen in verschiedenen Varianten ist.

Der Antragsgegner gibt die 44-seitige Broschüre “Ampelcheck Geldanlage” heraus, mit der Verbraucher “auf einen Blick erkennen können [sollen], ob ihre Geldanlage zu ihnen passt oder nicht”. Von 16 “Produktgruppen” werden jeweils die Sicherheit, die Rendite, die Liquidität und die Transparenz mit den Ampelfarben rot (“Achtung – Gefahr!”), gelb (“ein Risiko oder ein Nachteil ist vorhanden”) und grün (“empfehlenswert oder unbedenklich”) markiert. Zum Teil werden Abstufungen (gelb-grün, gelb-rot, rot-grün) mit zuweilen unterschiedlich großen Farbanteilen verwandt. Neben der jeweiligen Ampelfarbe wird in einer kurzen Bemerkung eine “Erläuterung” vorgenommen. Für jede Produktgruppe wird ferner mit “ja” oder “nein” beantwortet, ob sie für die Altersvorsorge geeignet sei. Schließlich wird jeweils ein “Extra-Tipp” geäußert.

Auf den Seiten 16 und 17 der Broschüre werden die Anlagetypen “Kapital-Lebensversicherung, Private Rentenversicherung (auch fondsgebunden) auch ‘Riester’-Versicherungsvertrag” gemeinsam besprochen. Sicherheit und Rendite werden mit einer rot-gelben Ampel versehen, Liquidität und Transparenz mit einer roten. Ferner wird geäußert, diese Produktgruppe sei nicht für die Altersvorsorge geeignet.

Auf S. 24 der Broschüre wird die “Rürup-Basisrente als Rentenversicherungsvertrag” besprochen. Die Rürup-Rente erhält in allen Kategorien dieselbe Bewertung wie die vorgenannten Versicherungsprodukte.
Hinsichtlich des Inhalts der Broschüre im Einzelnen wird auf die Anlage ASt 2 verwiesen.

Die Antragstellerin sieht sich durch die negative Darstellung ihrer Anlageprodukte, insbesondere deren Bewertung als ungeeignet für die Altersvorsorge im Kernbereich ihrer Geschäftstätigkeit verletzt und nimmt den Antragsgegner auf Unterlassung in Anspruch. Die falschen Aussagen über ihre Versicherungsprodukte im Vergleich zu anderen Produkten berührte ihr Unternehmen unmittelbar. Sie sei als Vertreiber der streitgegenständlichen Anlageprodukte betroffen. Die Beurteilung beruhe auf offensichtlich falschen Tatsachen, falschen Bewertungskriterien und einer unzulässigen Methodik. Es fänden sich dort folgende Fehleinschätzungen:

• klassische Versicherungen unterlägen einer “doppelten” Insolvenzabsicherung und hätten aufgrund der Kapitalgarantie kein Kursrisiko. In der Geschichte der Lebensversicherungen habe es noch nie einen Ausfall gegeben. Trotzdem werde diesen Produkten eine schlechtere Sicherheit bescheinigt als beispielsweise Aktienfonds, Zertifikaten, Fondsparpläne, Gold, Immobilien und Antiquitäten.

• Die Bewertungskriterien seien weder offen gelegt noch nachvollziehbar. Es fehle die Berücksichtigung individueller Anlagekriterien. Sämtliche Versicherungsprodukte (mit Ausnahme der Rürup-Rente) würden in einer Kategorie gemeinsam bewertet, obwohl klassische Versicherungen sich hinsichtlich Sicherheit und Rendite systematisch von fondsgebundenen unterschieden.

• Die staatliche Förderung bleibe bei den Rentenversicherungen unberücksichtigt, obwohl sie bei anderen Produkten als wesentliches Kriterium für hohe Sicherheit und Rendite angesehen werde.

• Die Rendite der Versicherungen sei schlechter bewertet worden als beinah alle Vergleichsprodukte, obwohl die Versicherungsprodukte eine Kapitalgarantie mit Mindestverzinsung böten und Vergleiche der durchschnittlichen Renditen zeigten, dass Versicherungsprodukte keinesfalls schlechter abschnitten.

• Bei der Beurteilung der Geeignetheit eines Produktes für die Altersvorsorgen werde das sog. Langlebensrisiko nicht berücksichtigt. Nur bei den Rentenversicherungen sei jedoch gewährleistet, dass kein Kapitalverzehr noch zu Lebzeiten eintrete, sondern eine gleiche Rente unabhängig vom Alter des Berechtigten gezahlt werde.

• Stattdessen werde bei der Beurteilung das Kriterium der Liquidität der Anlage berücksichtigt, welches für die Altersvorsorge praktisch keine Rolle spiele. Aus dem Grund sei eine gesetzliche Förderung der Altersvorsorge auch an die Langfristigkeit der Anlage gebunden.

Die Antragstellerin hat die einstweilige Verfügung vom 13. August 2009 erwirkt, mit der dem Antragsgegner unter Androhung gesetzlicher Ordnungsmittel untersagt worden ist,
    
1. in Wort- oder Bildsprache zu behaupten, nicht fondsgebundene Kapitallebens- und private Rentenversicherungen sowie Rürup-Basis-Renten als Rentenversicherungsvertrag böten eine geringere Sicherheit als Festgelder/ Tagesgelder/ Sparbücher, Aktienfonds, Riester-Fondssparpläne, Anleihen, Zertifikate, Immobilien, Gold und/oder Antiquitäten/ Briefmarken/ Bilder/ Kunst; insbesondere in Form eines Anlagenvergleichs wie in der Broschüre “Ampelcheck” (Anlage Ast 2) erfolgt.

2. in Wort- oder Bildsprache zu behaupten,

1. Die Sicherheit von Kapitallebens- und privaten Rentenversicherungen sowie von Rürup-Basis-Renten als Rentenversicherungsvertrag sei mit teilweise “Achtung – Gefahr!” und teilweise “Ein Risiko oder ein Nachteil ist vorhanden” zu beschreiben; und/oder

2. die Rendite von Kapitallebens- und privaten Rentenversicherungen sowie von Rürup-Basis-Renten als Rentenversicherungsvertrag sei mit teilweise “Achtung – Gefahr!” und teilweise “Ein Risiko oder ein Nachteil ist vorhanden” zu beschreiben; und/oder

3. Kapitallebens- und private Rentenversicherungen sowie Rürup-Basis-Renten als Rentenversicherungsvertrag seien nicht für die Altersvorsorge geeignet; insbesondere in Form eines Anlagenvergleichs wie in der Broschüre “Ampelcheck” (Anlage Ast 2) erfolgt.

Gegen die zwecks Vollziehung zugestellte einstweilige Verfügung richtet sich der Widerspruch des Antragsgegners. Seines Erachtens ist die Antragstellerin nicht individuell betroffen, da weder sie noch ihre Anlageprodukte in der Broschüre Erwähnung fänden. Die Kritik beziehe sich bloß auf “Warengattungen” und stelle einen Fall der so genannten zulässigen Systemkritik dar. Es fehle an einem unmittelbaren, betriebsbezogenen Eingriff. Die Kriterien des vergleichenden Wartentests könnten hier nicht herangezogen werden. Die angegriffenen Äußerungen verständen sich als verbraucherpolitischer Kontrapunkt zur Eigendarstellung der Finanz- und Versicherungsbranche und seien als verbraucherpolitische Stellungnahme im öffentlichen Meinungskampf über die Qualität und Transparenz von Anlageprodukten zulässig. Die beanstandeten Tatsachenbehauptungen seien wahr.

Der Antragsgegner beantragt,
    
die einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,
    
die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Er verteidigt den geltend gemachten Anspruch und vertieft sein bisheriges Vorbringen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe:

Die einstweilige Verfügung vom 13. August 2009 ist aufzuheben und der Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen, weil sie zu Unrecht ergangen ist (§§ 936, 925 ZPO). Denn der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen den Antragsgegner wegen der im Ratgeber “Ampelcheck Geldanlage” beanstandeten Äußerungen aus keinem rechtlich in Betracht kommenden Grund zu.

Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei den beanstandeten Äußerungen in dem Ratgeber um Tatsachenbehauptungen oder um Werturteile handelt. Im ersteren Fall käme als Anspruchsgrundlage, sofern die behaupteten Äußerungen unwahr und betriebsschädigend wären, nur § 1004 i. V. mit § 824 BGB in Betracht; im letzteren Fall könnten betriebsschädigende Unwerturteile nur gem. § 1004 i. V. mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB) verboten werden. Beide Anspruchsgrundlagen setzen aber voraus, dass sich die Behauptungen oder Wertungen unmittelbar gegen ein bestimmtes gewerbliches Unternehmen richten, “betriebsbezogen” sind (BGH NJW 1963, 1871 – Elektronenorgeln; NJW 1976, 620 –Warentest” OLG Köln NJW 1985, 1643 – Stadtreinigung). Daran fehlt es vorliegend. Wie der Antragsgegner zu Recht hervorhebt, sind Gegenstand der Broschüre verschiedene Gattungen von Geldanlage- oder Altersvorsorgeprodukten. Es handelt sich um einen Fall der so genannten allgemeinen Systemkritik, bei der ohne einen Bezug auf ein bestimmtes Unternehmen kein unmittelbarer Eingriff in den Gewerbebetrieb eines individuellen Unternehmens und damit auch nicht dem des Antragstellers vorliegt.

Für den Bereich des § 824 BGB hat der Bundesgerichtshof (a. a. O. – Elektronenorgeln) entschieden, dass die Haftung nach dieser Vorschrift nur gerechtfertigt sei, wenn sich die Äußerung, so wie sie im Verkehr verstanden wird, mit dem Betroffenen selbst befasst oder wenn die verbreitete Tatsache doch in enger Beziehung zu seinen Verhältnissen, seiner Betätigung oder seiner gewerblichen Leistungen steht. Dafür genügt es grundsätzlich nicht, wenn die Behauptung im Rahmen eines allgemeinen Systemvergleichs aufgestellt werde und der Kläger lediglich als ein Vertreter des Systems betroffen sei. Käme § 824 BGB auch hier zur Anwendung, so würde das in seiner Auswirkung eine empfindliche Behinderung der freien Meinungsäußerung bedeuten. Denn dann wäre die öffentliche Auseinandersetzung über allgemein interessierende Probleme für die Beteiligten mit einem ernsthaften Risiko verbunden. Sie müssten damit rechnen, sich bei Verfehlung der Wahrheit gegenüber den mittelbar betroffenen Unternehmen schadensersatzpflichtig zu machen und mit Widerrufs- und Unterlassungsprozessen überzogen zu werden. Damit wäre der Schutz der gewerblichen Betätigung zum Nachteil der freien Meinungsäußerung und öffentlichen Meinungsbildung über Gebühr ausgedehnt. So liegt es auch hier; der Antragsgegner hat gerade keinen Warentest unter namentlicher Nennung von Anbietern durchgeführt, sondern allein seine – wenn auch möglicherweise kritikwürdige – Meinung wiedergegeben.

Entsprechendes gilt, soweit sich die Antragstellerin auf ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beruft. Auch hier genügt die mittelbare Betroffenheit nicht, sondern ist zur notwendigen Eingrenzung des Rechts am Gewerbebetrieb die unmittelbare Betriebsbezogenheit des Angriffs erforderlich. Wie der Bundesgerichtshof in seiner Warentest-Entscheidung (NJW 1976, 620, 624) entschieden hat, kann die Hervorhebung eines Konkurrenzproduktes in einem Test zwar auch den Gewerbebetrieb der Konkurrenten berühren, weil deren Absatzchancen ihres Produktes herabgesetzt würden. Eine solche Reflexwirkung reicht aber nicht aus, auf der Grundlage des gewährten Schutzes des eigenen Betriebes Dritten außerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses – wie hier – eine wertende Beurteilung von Produkten ihrer Konkurrenten zu verbieten.

Mangels unmittelbarer Betroffenheit hat die Antragstellerin die angegriffenen Äußerungen daher hinzunehmen, so dass es nicht auf die Frage ankam, ob die beanstandete Veröffentlichung den Anforderungen an einen vergleichenden Warentest standhielte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

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