Fotos eines „U-Bahn-Schlägers“

17. September 2009
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Eigener Leitsatz:

Ein als "U-Bahn-Schläger" bekannt gewordener Straftäter muss die Veröffentlichung seines Fotos durch die BILD-Zeitung nicht hinnehmen. In der Berichterstattung über die gewalttätigen Vorfälle in einer U-Bahn bildete die BILD-Zeitung auch Fotos des Straftäters ab. Entscheidend ist die Abwägung der beiderseitigen Interessen: Hier gaben die Richter dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten den Vorzug, da die Gefahr bestehe, dass nach Ablauf der Haftzeit ihm die Tat weiterhin vorgehalten werden würde. Dies wiederum erschwere dem Täter die soziale Rehabilitation.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg

Urteil vom 11.08.2009

Az.: 7 U 37/09

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. März 2009, Az. 324 O 680/08, wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich des Unterlassungsausspruchs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 30.000,00, hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts, mit dem sie dazu verurteilt worden ist, im Rahmen einer Berichterstattung über ein Strafverfahren gegen den Kläger wegen versuchten Mordes ein Bildnis des Klägers erneut zu veröffentlichen.

Mitte April 2008 gab die Staatsanwaltschaft München bekannt, dass sie beabsichtige, gegen den Kläger Anklage wegen versuchten Mordes zu erheben, weil der Kläger, der am 4. Juni 1990 geboren ist, am 20. Dezember 2007 mit einem Mittäter auf einem Münchener U-Bahnhof einen Rentner angegriffen und schwer verletzt haben soll. Diese Tat war in der Öffentlichkeit erregt diskutiert worden. Im Verlag der Beklagten erscheint u.a. die Tageszeitung „Bild“. In deren Ausgabe vom 17. April 2008 wurde in einem mit „U-Bahn-Schläger S… und S… Anklage wegen versuchten Mordes!“ überschriebenen Beitrag eine den Kläger zeigende Fotografie mit der Bildnebenschrift „S… L. (18) trat dem Rentner mit Anlauf gegen den Kopf“ veröffentlicht. Am 8. Juli 2008 ist der Kläger vom Landgericht München I wegen u.a. versuchten Mordes zu einer Jugendstrafe von 8 Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Unterlassung verurteilt und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger aufgrund seiner Minderjährigkeit im Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat besonders schutzbedürftig sei und daher sein Anonymitätsinteresse das Berichterstattungsinteresse der Beklagten überwiege.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie hält sich angesichts der Schwere der Tat und des öffentlichen Aufsehens, das die Tat erregt hat, für berechtigt, das den Kläger zeigende Bildnis zu veröffentlichen.

Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. 3. 2009 (Az.: 324 O 680/08) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden. Sie ist indessen nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, der der Senat folgt und auf die Bezug genommen wird, ist das Landgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit §§ 823 Abs. 2 BGB, 22, 23 KUG gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der erneuten Verbreitung des Bildnisses zusteht.

Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass der gegen den Kläger erhobene Tatvorwurf so schwer war, dass die Erhebung der Anklage gegen ihn ein zeitgeschichtliches Ereignis im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG war. Die Umstände der angeklagten Tat – dem Kläger wurde vorgeworfen, er habe im voll schuldfähigen Zustand an einem frei zugänglichen und durch Kameras überwachten Ort zusammen mit einem Freund einen Rentner nur deswegen totprügeln oder tottreten wollen, weil dieser sie aufgefordert hatte, das auf einer U-Bahnhaltestelle geltende Rauchverbot zu beachten –, sowie die öffentlichen Diskussionen, die die Tat hervorgerufen hatte und die eine zusätzliche politische Dimension dadurch erhalten hatten, dass die Beschuldigten das Opfer u.a. als „deutsches Arschloch“ beschimpft haben sollten – begründeten ein erhebliches berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit daran, über die Tat und das Strafverfahren gegen die Beschuldigten informiert zu werden. Das aber hat das Landgericht nicht verkannt, indem es den Unterlassungsanspruch des Klägers ausdrücklich nicht darauf gestützt hat, dass ein Fall des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nicht gegeben wäre, sondern auf die Norm des § 23 Abs. 2 KUG, wonach auch bei Vorliegen eines zeitgeschichtlichen Ereignisses das Bildnis einer daran beteiligten Person nicht verbreitet werden darf, wenn dadurch ein berechtigtes Interesse der abgebildeten Person verletzt wird. Im Rahmen der danach erneut anzustellenden Abwägung zwischen dem aus Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und der für die Beklagte streitenden, in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Berichterstattungsfreiheit ist das Landgericht zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Umstand, dass der Kläger sowohl zur Tatzeit als auch im Zeitpunkt der Veröffentlichung noch minderjährig war, dazu führt, dass sein Interesse daran, nicht im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über die Tat in identifizierbarer Weise im Bild gezeigt zu werden, das Interesse der Beklagten daran, sein Bildnis zu veröffentlichen, überwiegt. Das folgt nicht allein aus den vom Landgericht in Bezug genommenen Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes, die gegenüber den allgemeinen strafprozessualen Bestimmungen besondere Vorschriften zum Schutz des zur Tatzeit noch minderjährigen Beschuldigten vorsehen, sondern insbesondere aus der Wertung des Gesetzgebers, die in diesen gesetzlichen Regelungen zum Ausdruck kommt. Denn der Sache nach geht es zum einen darum, dass der bei Begehung der Tat noch minderjährige Straftäter oder einer Straftat Beschuldigte gegenüber einer Veröffentlichung über die ihm zur Last gelegte Tat deswegen besonders schutzbedürftig ist, weil die Veröffentlichung Verhaltensweisen publik macht, die – mag er auch im Übrigen voll schuldfähig sein – im Zustand der Unreife begangen worden sind. An dem daraus folgenden, im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Schutzbedürfnis kann sich daher nichts dadurch ändern, dass der Beschuldigte während des Strafverfahrens volljährig wird; dass dies mit der Wertung des Gesetzgebers übereinstimmt, ergibt sich aus § 48 JGG, wonach es in der Frage, ob zu der Hauptverhandlung die Öffentlichkeit zugelassen ist, nicht auf das Alter des Beschuldigten im Zeitpunkt der Verhandlung, sondern allein auf sein Alter im Zeitpunkt der Tat ankommt. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, auf die die Beklagte sich zu der Frage beruft, ob eine Person, die inzwischen volljährig geworden ist, es zu dulden haben kann, wenn Bildnisse verbreitet werden, die sie als noch Minderjährige zeigen (BGH, Urt. v. 28. 9. 2004, NJW 2005, S. 56 ff., 58), kann hinsichtlich des Schutzes von (im Zeitpunkt der Tat oder der Veröffentlichung) noch minderjährigen Straftätern schon deswegen nichts entnommen werden, weil diese Entscheidung eine gänzlich andere Fallgestaltung betraf. Zum anderen besteht bei Beschuldigten, die zum Zeitpunkt der ihnen vorgeworfenen Tat noch minderjährig waren, in besonderem Maße die Gefahr, dass ihnen die einmal veröffentlichte Bezeichnung als Täter später immer wieder vorgehalten werden wird und es ihnen dadurch erschwert wird, in sozialer wie beruflicher Hinsicht einen Platz im Leben zu finden. Diesen Schutzes bedarf der minderjährige Straftäter in wesentlich höherem Maße als der erwachsene Straftäter, dessen Persönlichkeitsentwicklung und Einnahme einer Stellung in der Gesellschaft bei Begehung der Tat weiter fortgeschritten, wenn nicht schon abgeschlossen war und der daher nicht so sehr in der Gefahr ist, seinen Platz im Leben nicht mehr (oder: nicht wieder) finden zu können, wenn sein Fehlverhalten publik gemacht wird. Dem Umstand, dass die sich an eine verhängte Strafhaft anschließende Resozialisierung eines Straftäters durch eine ihn im Bild zeigende Veröffentlichung über seine Tat beeinträchtigt werden kann, kommt bei jugendlichen Straftätern schon während des Ermittlungs- und Strafverfahrens zudem deswegen eine deutlich höhere Bedeutung zu als bei volljährigen Straftätern, weil das Höchstmaß der Freiheitsstrafe, die gegen sie verhängt werden kann, auch bei schwersten Taten nach § 18 Abs. 1 JGG deutlich unter dem Maß liegt, das gegen erwachsene Straftäter verhängt werden könnte, und eine Aussetzung des Restes einer einmal verhängten Jugendstrafe nach § 88 JGG unter einfacheren Voraussetzungen – und damit potentiell wesentlich eher – erfolgen kann als die Aussetzung einer nach Erwachsenenstrafrecht verhängten Freiheitsstrafe.

Sofern die Beklagte einwendet, dass dadurch ein mit dem Gebot der Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht vereinbarer, weil gleichsam „absoluter“ Schutz minderjähriger Straftäter vor identifizierenden Berichterstattungen geschaffen werde, verkennt sie, dass das Unterlassungsgebot nicht einem „Automatismus“ unterliegt, sondern sich als Ergebnis einer vorgenommenen Abwägung ergibt, in die nicht nur die Interessen des die Unterlassung begehrenden Klägers einzustellen sind, sondern in deren Rahmen auch das Gewicht des Interesses der Presse an der Berichterstattung über die Tat und die Verbreitung eines den Beschuldigten erkennbar zeigenden Bildnisses zu bewerten ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10. 6. 2009, Az. 1 BvR 1107/09, Rdnrn. 17 und 20 der Gründe). Dass aufgrund der besonderen Umstände der Tat, deren der Kläger beschuldigt ist, ein erhebliches Interesse der Beklagten daran besteht, über den Tatvorwurf zu berichten, ist bereits ausgeführt worden; dieses Interesse ist auch im Rahmen der Abwägung nach § 23 Abs. 2 KUG zu berücksichtigen. Auch dies hat das Landgericht aber nicht verkannt. Zu Recht ist es aber bei der Abwägung in diesem Fall zu dem Ergebnis gelangt, dass das Interesse der Beklagten, über den Tatvorwurf unter Beifügung der angegriffenen Aufnahme zu berichten, die Interessen des Klägers nicht zu überwiegen vermag. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Einschränkung, die der Beklagten mit dem Verbot der erneuten Verbreitung dieser Aufnahme auferlegt wird, nur gering ist. Denn es bleibt ihr unbenommen, über den Tatvorwurf gegen den Täter zu berichten und dabei auch Einzelheiten des Tatverlaufs und der einzelnen Stadien der Strafverfolgung wiederzugeben. Ebenfalls unberührt bleibt ihr Recht, entsprechende Beiträge zu illustrieren; in dieses, ebenfalls von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasste Recht, wird nur insoweit eingegriffen, als der Beklagten untersagt wird, im Rahmen ihrer Berichterstattung die angegriffene, den Kläger identifizierbar machende Aufnahme zu veröffentlichen. Diese Einschränkung kann der Beklagten auch unter Berücksichtigung ihrer berechtigten Interessen angesonnen werden; denn der Informationswert dieser Aufnahme ist nur gering. Sie zeigt den Kläger nicht nur nicht in einer im Zusammenhang mit der Tat stehenden Situation, es kommt dem genauen Aussehen des Klägers für eine Erörterung der Tat und ihrer Hintergründe auch keine erkennbare Bedeutung zu. Auch die Umstände, dass die Tat an einem allgemein einsehbaren Ort begangen und von Überwachungskameras sogar aufgezeichnet worden ist, oder dass der Kläger es (allerdings zu einem Zeitpunkt, der nach Veröffentlichung der angegriffenen Aufnahme lag) unterlassen hat, während der gegen ihn geführten Hauptverhandlung sein Gesicht zu verbergen, solange sich noch Pressefotografen im Raum befunden haben, sind nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis der Abwägung zu führen. Dass der Angeklagte sich während des Strafprozesses im Gerichtssaal filmen lässt, bedeutet schon nicht, dass er die Veröffentlichung der bei dieser Gelegenheit entstehenden Aufnahmen dulden muss; denn der Umstand, dass das Gericht – wozu es aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet sein kann (BVerfG, Beschl. v. 19. 12. 2007, NJW 2008, S. 977 ff., 978 f.) – es zulässt, dass die Beteiligten eines Strafprozesses und unter ihnen insbesondere auch die Angeklagten von Mitarbeitern von Presse- oder Fernsehunternehmen fotografiert oder gefilmt werden, hat nicht zur Folge, dass diese Aufnahmen ohne Rücksicht auf berechtigte Anonymitätsinteressen einzelner Beteiligte wie insbesondere minderjähriger Angeklagter öffentlich gezeigt werden dürften (vgl. BVerfG aaO. S. 980); um so weniger kann aus der Bereitschaft des Angeklagten, sich im Gerichtssaal filmen zu lassen, gefolgert werden, dass er es deswegen dulden müsste, dass andere ihn in identifizierbarer Weise zeigende Aufnahmen verbreitet werden.

III.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls beruht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

 

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