Resozialisierungsinteresse verbietet individualisierende Berichterstattung

26. April 2011
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Eigener Leitsatz:

Wird in einem allgemein zugänglichen Internetarchiv ein Bericht veröffentlicht, welcher unter Nennung des Namens eines zu lebenslanger Haft Verurteilten, dessen Antrag auf Gewährung von Freigang zum Gegenstand hat, so hat der Betreiber der Datenbank derartige resozialisierungsgefährdende Beiträge umgehend zu löschen. In solch gelagerten Fällen geht das Anonymitäts- bzw. Resozialisierungsinteresse des betroffenen Verurteilten, dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit vor.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg

Urteil vom 15.03.2011

Az.: 7 U 45/10

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. März 2010, Az. 325 O 344/09, abgeändert und wie folgt neu gefasst: 

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), zu unterlassen,
den Beitrag aus der „F… R…“ vom 1. April 2006 mit der Überschrift „Das Recht des Mörders – Dem wegen des Falls S… Einsitzenden wird Ausgang verweigert, obwohl es ein Gericht wiederholt verfügte“, erneut zu verbreiten, soweit darin unter Nennung des Namens des Klägers berichtet wird, dass er wegen des Mordes an W… S… zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist. 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5 zu tragen. 

Das Urteil ist hinsichtlich des Unterlassungsausspruchs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 2.000,00, im Übrigen jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, über ihn im Zusammenhang mit dem Mord an W… S… unter voller Namensnennung zu berichten. 

Der Kläger ist zusammen mit seinem Bruder 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler W… S… zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Anfang 2008 ist er auf Bewährung aus der Haft entlassen worden. Die Beklagte unterhält eine über das Internet zugängliche Datenbank, in die unterschiedliche Verlage ihre älteren Artikel einstellen und so zum Abruf bereithalten. In diese Datenbank waren, jeweils unter Angabe der Fundstelle und des Datums der Erstveröffentlichung, Beiträge aus der „F… R…“ vom 1. 4. 2006, der „S… Z…“ vom 6. 10. 2004 und der „t…“ vom 23. 8. 1999 eingestellt, die sich mit Anträgen des Klägers auf Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. einem Antrag des Klägers auf die Gewährung von Freigang befassten. In dem Beitrag vom 1. 4. 2006 wurde darüber berichtet, dass die Strafvollzugsanstalt sich weigerte, dem Kläger Freigang zu gewähren. Der Kläger ließ die Beklagte mit Telefaxschreiben am 3. 9. 2009 zur Unterlassung auffordern. Die Beklagte leitete diese Aufforderung am Freitag, dem 4. 9. 2009 mit der Bitte um Prüfung und weitere Veranlassung an den Verlag der F… R… weiter. Der Verlag meldete sich an
dem Freitag der darauf folgenden Woche bei der Beklagten und stimmte einer Löschung seines Beitrags zu. Daraufhin nahm die Beklagte die Löschung vor, die bis um 10 Uhr morgens des darauf folgenden Montags vollzogen war. 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in vorangegangenen Parallelfällen abgewiesen. 

Der Kläger hat sich mit seiner Berufung zunächst gegen die Klagabweisung insgesamt gewendet. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat er dann nur noch die Abänderung des landgerichtlichen Urteils dahin 

beantragt,

es der Beklagten bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel zu untersagen, den Beitrag aus der „F… R…“ vom 1. April 2006 mit der Überschrift „Das Recht des Mörders – Dem wegen des Falls S………. Einsitzenden wird Ausgang verweigert, obwohl es ein Gericht wiederholt verfügte“, erneut zu verbreiten, soweit darin unter Nennung des Namens des Klägers berichtet wird, dass er wegen des Mordes an W… S… zu lebenslanger Haft verurteilt worden
ist. 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. 

Wegen der Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. 

II. Die Berufung des Klägers ist zulässig und im Umfang des zuletzt gestellten Antrages auch begründet. 

Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB  und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) ein Anspruch darauf zu, es zu unterlassen, den Beitrag vom 1. 4. 2006 erneut zu verbreiten, solange unter Nennung seines Namens darin über seine Verurteilung berichtet wird. Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den vorangegangenen Parallelfällen (z.B. BGH, Urt. v. 15. 12. 2009, NJW 2010, S. 757 ff., 758 f.), wonach das auf Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit und an der Achtung seines Privatlebens hinter dem von der Beklagten verfolgten, aus Art. 5 Abs. 1 GG  geschützten Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurückzutreten hat, wenn die beanstandete Veröffentlichung nicht geeignet ist, den Kläger als
Straftäter neu zu stigmatisieren. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Verbreitung der beanstandeten Berichterstattung im Zeitpunkt ihrer erstmaligen Veröffentlichung zulässig gewesen war, sie wahrheitsgemäße und sachlich gehaltene Aussagen über eine von dem Kläger begangene Tat enthält, die erhebliches öffentliches Aufsehen erregt hatte, und der Art und Weise, auf die der Bericht weiterhin zum Abruf bereitgehalten wird, eine nur geringe Breitenwirkung zukommt. 

Daraus ergibt sich hier, dass der Kläger die Verbreitung des Beitrags vom 1. 4. 2006 nicht dulden muss. Soweit in diesem Beitrag unter Nennung des Namens des Klägers berichtet wird, dass er wegen des Mordes an W… S… zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist, erfüllt dies nicht die vom Bundesgerichtshof konkretisierten Voraussetzungen, unter denen das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und die Pressefreiheit dem Anonymitätsinteresse des Betroffenen vorgehen. Denn zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrages hatten, wie sich aus dem Beitrag selbst
ergibt, die wegen des Mordes an W… S… Verurteilten fast 15 Jahre Haft verbüßt, so dass demnächst über ihre Entlassung zur Bewährung zu entscheiden sein würde. Um eben diesen Umstand ging es auch bei dem Geschehen, das den Gegenstand der beanstandeten Berichterstattung bildete,
denn einen Anspruch auf Gewährung von Freigang hatte der Kläger eben deshalb, weil er schon so lange einsaß und der Zeitpunkt seiner möglichen Haftentlassung näher rückte. Zu diesem Zeitpunkt kam dem Resozialisierungsinteresse der Verurteilten auch bei Berücksichtigung des Umstandes, dass noch einige Monate vergehen würden, bis es zur tatsächlichen Haftentlassung zur Bewährung kam, ein so hoher Stellenwert zu, dass die Nennung ihrer Namen in einem Beitrag, der ein aktuelles Geschehen zum Gegenstand hat und daher einen hohen Verbreitungsgrad aufweist, nicht
mehr zulässig war (vgl. BVerfG, Urt. v. 5. 6. 1973, BVerfGE 35, S. 202 ff., 233 ff.). Wenn danach aber schon in der erstmaligen Veröffentlichung des Artikels der Name des Klägers nicht hatte genannt werden dürfen, durfte dieser Beitrag auch nicht in dieser Weise in ein allgemein zugängliches Internetarchiv eingestellt werden. Damit war auch das Vorrätighalten dieses Beitrags in der allgemein zugänglichen Datenbank der Beklagten im Grundsatz rechtswidrig. 

Allerdings ist angesichts der Struktur des Geschäftsbetriebs der Beklagten weiter zu berücksichtigen, dass nicht die Beklagte selbst es ist, die die Beiträge aussucht, die in ihrer Datenbank veröffentlicht werden. Selbst dann, wenn – wie die Beklagte vorträgt – die einzelnen Verlage in so großer Zahl Beiträge in die von ihr betriebene Datenbank einstellen, dass ihr eine Kontrolle jedes einzelnen Beitrages mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand nicht möglich und daher nicht zumutbar ist, ist sie hier Störer hinsichtlich des noch streitigen Beitrags im Sinne
von § 1004 Abs. 1 BGB  analog. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Betreiber eines Internetauftritts, in den er dritte Personen in großer Zahl Inhalte einstellen lässt, demjenigen gegenüber, der von einem von der einstellenden Person auf diese Weise rechtswidrig
verbreiteten Inhalt in seinen Rechten verletzt wird, zwar nicht ohne Weiteres zur Unterlassung verpflichtet, wohl aber dann, wenn ihm erkennbar wird, dass sein Angebot einen solchen Beitrag enthält, und er die Rechtsverletzung nicht abstellt (zuletzt BGH, Urt. v. 17. 12. 2010, NJW 2011, S. 753 ff., 754 m.w.N.). So liegen die Dinge hier; denn die Beklagte hat, nachdem sie durch die Abmahnung des Klägers Kenntnis von dem die Rechtsverletzung enthaltenden Beitrag erhalten hatte, diesen Beitrag noch über eine Woche nach Erhalt der Abmahnung zum Abruf bereitgehalten. Dieser Zeitraum übersteigt deutlich die Zeit, die dem Betreiber eines Internetangebots zugestanden werden kann, um die Störung zu beseitigen, so dass jedenfalls schon in der auf den Zugang der Abmahnung folgenden Woche die weitere Abrufbarkeit des Beitrags einen
rechtswidrigen Zustand bildete, für dessen Aufrechterhaltung die Beklagte als Störer verantwortlich ist. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie die Löschung des Beitrags aufgrund ihres Vertrages mit dem Verlag, der den Beitrag bei ihr eingestellt hatte, nicht ohne dessen Zustimmung habe vornehmen dürfen. Denn die mit Erkennbarwerden der Rechtsverletzung entstehende Pflicht zur Überprüfung und ggf. Löschung der von ihr rechtswidrig verbreiteten Inhalte trifft die Beklagte als eigene Pflicht gegenüber der
von diesen Inhalten betroffenen Person. Dem in dem Verhältnis zu dieser Person bestehenden gesetzlichen Anspruch aus § 1004 BGB  analog kann die Beklagte sich nicht dadurch entziehen, dass sie mit dritten Personen Abreden trifft, in denen sie sich verpflichtet, das gegenüber dem Verletzten zu unterlassende Verhalten fortzusetzen. Das Risiko, sich insoweit einander
widerstreitenden Verpflichtungen ausgesetzt zu sehen, trifft die Beklagte; dies gilt schon deswegen, weil sie es ist, die dieses Risiko vermeiden kann, indem sie sich in den Verträgen mit den Verlagen vorbehält, Beiträge aus ihrem Angebot zunächst zu entfernen, wenn ihr mitgeteilt wird, dass deren Verbreitung rechtswidrig sei, und die Klärung, ob das der Fall ist, dem Verlag
überlässt, der den abgemahnten Beitrag eingestellt hat. 

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Bei der Bemessung der Kostenquote war zu berücksichtigen, dass das Unterlassungsbegehren des Klägers letztlich nur hinsichtlich eines von drei Beiträgen Erfolg hatte, und auch hinsichtlich dieses Beitrags nur in engerem Umfang als ursprünglich begehrt. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht. Sowohl die Frage, unter welchen Voraussetzungen der verurteilte Straftäter die Unterlassung einer seinen Namen nennenden
Berichterstattung verlangen kann, als auch die, unter welchen Voraussetzungen der in seinen Internetauftritt die Beiträge dritter Personen aufnehmende Betreiber als Störer anzusehen ist, sind durch die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt; der Senat hat sich mit
seiner Entscheidung an diese Vorgaben gehalten.

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