Wem steht das Folgerecht des Urhebers zu?

28. April 2010
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Eigener Leitsatz:

Das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerkes gewährt dem Urheber oder seinem Rechtsnachfolger einen Anspruch auf Beteiligung am Verkaufspreis aus jeder Weiterveräußerung nach der ersten Weiterveräußerung durch den Urheber. Der EuGH hat entschieden, dass die Richtlinie über das Folgerecht des Urhebers einer Vorschrift nicht entgegensteht, nach der allein die gesetzlichen Erben des Künstlers unter Ausschluss der durch Testament eingesetzten Vermächtnisnehmer einen Anspruch auf Folgerechtsvergütungen haben. Nach den mit der Richtlinie verfolgten Zielen soll es den Mitgliedstaaten freistehen, ihre eigenen gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen, um die Kategorien von Personen festzulegen, denen nach dem Tod des Urhebers eines Kunstwerks das Folgerecht zugutekommen kann. Die Richtlinie sollte lediglich eine Situation beheben, nach der sich Kunstverkäufe auf Mitgliedstaaten konzentrieren, in denen ein Folgerecht nicht oder in geringerer Höhe besteht als in anderen Mitgliedstaaten.

Europäischer Gerichtshof

Urteil vom 15.04.2010

Az.: C-518/08

In der Rechtssache C-518/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal de grande instance de Paris (Frankreich) mit Entscheidung vom 29. Oktober 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 27. November 2008, in dem Verfahren

Fundación Gala-Salvador Dalí,

Visual Entidad de Gestión de Artistas Plásticos (VEGAP)

gegen

Société des auteurs dans les arts graphiques et plastiques (ADAGP),

Juan-Leonardo Bonet Domenech,

Eulalia-María Bas Dalí,

María del Carmen Domenech Biosca,

Antonio Domenech Biosca,

Ana-María Busquets Bonet,

Mónica Busquets Bonet

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász, J. Malenovský (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: N. Nanchev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Fundación Gala-Salvador Dalí und der Visual Entidad de Gestión de Artistas Plásticos (VEGAP), vertreten durch P.-F. Veil, avocat,

– der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,

– der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten,

– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Krämer und C. Vrignon als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. Dezember 2009

folgendes

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks (ABl. L 272, S. 32).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fundación Gala-Salvador Dalí und der Visual Entidad de Gestión de Artistas Plásticos (im Folgenden: VEGAP) einerseits und der Société des auteurs dans les arts graphiques et plastiques (im Folgenden: ADAGP) sowie Herrn Bonet Domenech, Frau Bas Dalí, Frau Domenech Biosca, Herrn Domenech Biosca, Frau Ana-María Busquets Bonet und Frau Mónica Busquets Bonet, die der Familie des Malers Salvador Dalí angehören, andererseits wegen Folgerechtsvergütungen, die bei Verkäufen von Kunstwerken Salvador Dalís eingenommen wurden.

Rechtlicher Rahmen

Die Richtlinie 2001/84

Die Erwägungsgründe 3 und 4 der Richtlinie 2001/84 lauten:

„(3) Das Folgerecht soll den Urhebern von Werken der bildenden Künste eine wirtschaftliche Beteiligung am Erfolg ihrer Werke garantieren. Auf diese Weise soll ein Ausgleich zwischen der wirtschaftlichen Situation der bildenden Künstler und der Situation der anderen Kunstschaffenden hergestellt werden, die aus der fortgesetzten Verwertung ihrer Werke Einnahmen erzielen.

(4) Das Folgerecht ist Bestandteil des Urheberrechts und stellt ein wesentliches Vorrecht der Urheber dar. Um den Urhebern ein angemessenes und einheitliches Schutzniveau zu gewährleisten, ist die Einführung des Folgerechts in allen Mitgliedstaaten notwendig.“

Die Erwägungsgründe 9 und 10 der Richtlinie 2001/84 lauten:

„(9) Das Folgerecht ist derzeit in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der meisten Mitgliedstaaten vorgesehen. Diese Rechtsvorschriften weisen – soweit sie bestehen – Unterschiede insbesondere in Bezug auf die erfassten Werke, die Anspruchsberechtigten, die Höhe des Satzes, die diesem Recht unterliegenden Transaktionen und die Berechnungsgrundlage auf. Die Anwendung oder Nichtanwendung eines solchen Rechts hat insofern erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt, als das Bestehen oder Nichtbestehen einer aus dem Folgerecht resultierenden Abführungspflicht ein Aspekt ist, der von jeder an dem Verkauf eines Kunstwerks interessierten Person in Betracht zu ziehen ist. Daher ist dieses Recht einer der Faktoren, die zu Wettbewerbsverzerrungen und Handelsverlagerungen in der Gemeinschaft beitragen.

(10) Diese Unterschiede hinsichtlich des Bestehens des Folgerechts und seiner Anwendung durch die Mitgliedstaaten haben unmittelbare negative Auswirkungen auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts im Sinne von Artikel 14 des Vertrags, soweit er Kunstwerke betrifft. Artikel 95 [EG] ist daher die geeignete Rechtsgrundlage.“

Die Erwägungsgründe 13 bis 16 der Richtlinie 2001/84 lauten:

„(13) Bestehende rechtliche Unterschiede sollten beseitigt werden, soweit sie den Binnenmarkt in seiner Funktion beeinträchtigen, und es sollte verhindert werden, dass neue Unterschiede auftreten. Unterschiede hingegen, die sich voraussichtlich nicht nachteilig auf den Binnenmarkt auswirken, können bestehen bleiben bzw. müssen nicht verhindert werden.

(14) Eine Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes sind Wettbewerbsbedingungen, die keine Verzerrungen aufweisen. Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften zum Folgerecht lassen Wettbewerbsverzerrungen und Handelsverlagerungen in der Gemeinschaft entstehen und führen – je nachdem, wo die Werke verkauft werden – zu einer Ungleichbehandlung der Künstler. Die zur Prüfung stehende Frage weist somit transnationale Aspekte auf, die sich durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht befriedigend regeln lassen. Eine Untätigkeit der Gemeinschaft wäre unvereinbar mit dem Gebot des Vertrags, Wettbewerbsverzerrungen und Ungleichbehandlung entgegenzuwirken.

(15) In Anbetracht des Ausmaßes der Unterschiede zwischen den nationalen Bestimmungen ist es daher erforderlich, Harmonisierungsmaßnahmen zu erlassen, um Disparitäten zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in den Bereichen zu beheben, in denen diese Disparitäten die Schaffung oder die Aufrechterhaltung von Wettbewerbsverzerrungen zur Folge haben könnten. Eine Harmonisierung sämtlicher Bestimmungen der Mitgliedstaaten zum Folgerecht erscheint jedoch nicht erforderlich; damit so viel Spielraum wie möglich für einzelstaatliche Entscheidungen bleibt, genügt es, nur diejenigen einzelstaatlichen Vorschriften zu harmonisieren, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken.

(16) Diese Richtlinie entspricht daher in ihrer Gesamtheit dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip nach Artikel 5 des Vertrags.“

Der 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/84 lautet:

„Es erscheint angezeigt, unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips den Kreis der Personen zu bestimmen, denen die Folgerechtsvergütung zusteht. Das Erbrecht der Mitgliedstaaten sollte von dieser Richtlinie unberührt bleiben. Die Rechtsnachfolger des Urhebers müssen jedoch, zumindest nach Ablauf des oben genannten Übergangszeitraums, das Folgerecht nach dem Tod des Urhebers in vollem Umfang in Anspruch nehmen können.“

Art. 1 („Gegenstand des Folgerechts“) Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen zugunsten des Urhebers des Originals eines Kunstwerks ein Folgerecht vor, das als unveräußerliches Recht konzipiert ist, auf das der Urheber auch im Voraus nicht verzichten kann; dieses Recht gewährt einen Anspruch auf Beteiligung am Verkaufspreis aus jeder Weiterveräußerung nach der ersten Veräußerung durch den Urheber.“

Art. 6 („Anspruchsberechtigte“) Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 sieht vor:

„Die Folgerechtsvergütung nach Artikel 1 ist an den Urheber des Werks und, vorbehaltlich des Artikels 8 Absatz 2, nach seinem Tod an seine Rechtsnachfolger zu zahlen.“

Art. 8 („Schutzdauer des Folgerechts“) Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2001/84 bestimmt:

„(1) Die Schutzdauer des Folgerechts entspricht der in Artikel 1 der Richtlinie 93/98/EWG [des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte] vorgesehenen Schutzdauer [an Werken der Literatur und Kunst im Sinne des Art. 2 der Berner Übereinkunft, die das Leben des Urhebers und 70 Jahre nach seinem Tod umfasst].“

(2) Abweichend von Absatz 1 brauchen die Mitgliedstaaten, die das Folgerecht am [Zeitpunkt des Inkrafttretens nach Art. 13] nicht anwenden, während eines Zeitraums, der spätestens am 1. Januar 2010 abläuft, ein Folgerecht zugunsten der nach dem Tod des Künstlers anspruchsberechtigten Rechtsnachfolger nicht anzuwenden.

(3) Ein Mitgliedstaat, auf den Absatz 2 Anwendung findet, verfügt erforderlichenfalls über einen zusätzlichen Zeitraum von höchstens zwei Jahren, um die Wirtschaftsteilnehmer in diesem Mitgliedstaat in die Lage zu versetzen, sich unter Wahrung ihrer wirtschaftlichen Lebensfähigkeit allmählich an das Folgerechtssystem anzupassen, bevor dieses Recht zugunsten der nach dem Tod des Künstlers anspruchsberechtigten Rechtsnachfolger angewandt werden muss. …“

Art. 12 („Umsetzung der Richtlinie“) Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/84 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie vor dem 1. Januar 2006 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.“

Nationales Recht

Durch die Loi n° 2006-961 relative au droit d’auteur et aux droits voisins dans la société de l’information (Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft) vom 1. August 2006 (JORF vom 3. August 2006, S. 11529), mit der die Richtlinie 2001/84 in das innerstaatliche französische Recht umgesetzt wurde, wurde Art. L. 122-8 des Code de la propriété intellectuelle (Gesetzbuch des geistigen Eigentums, im Folgenden: CPI) wie folgt neu gefasst:

„Den Urhebern des Originals eines Werks der bildenden Künste, die Angehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, steht ein Folgerecht zu, bei dem es sich um ein unveräußerliches Recht auf Beteiligung am Erlös jeder Veräußerung des Werks, an der als Verkäufer, Käufer oder Vermittler ein Vertreter des Kunstmarkts beteiligt ist, nach seiner ersten Veräußerung durch den Urheber oder seine Rechtsnachfolger handelt …“

Art. L. 123-7 CPI, der bei der Umsetzung der Richtlinie 2001/84 nicht geändert wurde, bestimmt:

„Nach dem Tod des Urhebers besteht das in Art. L. 122-8 erwähnte Folgerecht zugunsten seiner Erben und, was den Nießbrauch gemäß Art. L. 123-6, angeht, seines Ehegatten unter Ausschluss sämtlicher Vermächtnisnehmer und Rechtsnachfolger während des laufenden Kalenderjahrs und den folgenden 70 Jahren fort.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

Der Maler Salvador Dalí starb am 23. Januar 1989 in Figueras (Spanien) und hinterließ fünf gesetzliche Erben. Mit letztwilliger Verfügung vom 20. September 1982 hatte er seine gesamten Immaterialgüterrechte dem spanischen Staat als Gesamtvermächtnisnehmer im Sinne des französischen Erbrechts vermacht. Diese Rechte werden von der Fundación Gala-Salvador Dalí verwaltet, die 1983 auf Initiative und unter Kontrolle des Malers als Stiftung spanischen Rechts gegründet worden war.

Die Fundación Gala-Salvador Dalí betraute 1997 die VEGAP, eine Gesellschaft spanischen Rechts, exklusiv und weltweit mit der kollektiven Verwaltung und Wahrnehmung der Urheberrechte am Werk von Salvador Dalí.

Die VEGAP ist vertraglich mit ihrer Schwestergesellschaft in Frankreich, der ADAGP, verbunden, die mit der Verwaltung der Urheberrechte von Salvador Dalí im französischen Staatsgebiet beauftragt ist.

Die ADAGP erhob seit 1997 die für die Verwertung des Werks von Salvador Dalí geschuldeten Beträge und leitete sie über die VEGAP an die Fundación Gala-Salvador Dalí weiter, ausgenommen jedoch die Folgerechtsvergütungen. Diese zahlte die ADAGP gemäß Art. L. 123-7 CPI, wonach die Folgerechtsvergütungen unter Ausschluss von Vermächtnisnehmern und Rechtsnachfolgern allein den Erben zustehen, unmittelbar an die Erben von Salvador Dalí.

Da die Fundación Gala-Salvador Dalí und die VEGAP der Ansicht waren, dass aufgrund des Testaments von Salvador Dalí und des spanischen Rechts die aus Versteigerungen von Werken des Künstlers im französischen Staatsgebiet erzielten Folgerechtsvergütungen an sie selbst zu zahlen seien, erhoben sie am 28. Dezember 2005 vor dem Tribunal de grande instance de Paris eine entsprechende Zahlungsklage gegen die ADAGP, die ihrerseits den Erben des Malers den Streit verkündete, um die Wirkungen des zu erlassenden Urteils auf sie zu erstrecken.

Vor diesem Hintergrund hat das Tribunal de grande instance de Paris das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann die Französische Republik nach Erlass der Richtlinie 2001/84 ein den Erben unter Ausschluss von Vermächtnisnehmern oder Rechtsnachfolgern vorbehaltenes Folgerecht beibehalten?

2. Gestatten die Übergangsbestimmungen des Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/84 der Französischen Republik eine Ausnahmeregelung?

Zu den Vorlagefragen

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

Die spanische Regierung und die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig sei.

Zur Begründung führen sie aus, dass sich angesichts der Tatsachenlage im Ausgangsrechtsstreit die Bestimmung der Rechtsnachfolger des Urhebers des Werks im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 nicht nach französischem Recht, sondern ausschließlich nach dem spanischen Erbrecht richte, da der Maler Salvador Dalí, der die spanische Staatsangehörigkeit besessen habe, an seinem Wohnsitz in Figueras in Spanien verstorben sei. Die Frage, ob Art. L. 123-7 CPI mit der Richtlinie 2001/84 vereinbar sei, sei darum im Ausgangsrechtsstreit, der allein dem spanischen Recht unterliege, nicht entscheidungserheblich.

Der Gerichtshof ist jedoch nicht befugt, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens darüber zu entscheiden, wie nationale Vorschriften, etwa solche des internationalen Privatrechts, auszulegen sind oder ob ihre Auslegung durch das vorlegende Gericht richtig ist. Der Gerichtshof hat nämlich im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gemeinschaftsgerichten und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 2008, Dynamic Medien, C-244/06, Slg. 2008, I-505, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Dem Vorabentscheidungsersuchen ist jedoch zu entnehmen, dass es auf der Prämisse beruht, dass im Ausgangsrechtsstreit das französische Recht, insbesondere Art. L. 123-7 CPI, anwendbar ist. Da das vorlegende Gericht Fragen nach der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/84 gestellt hat, um die Vereinbarkeit dieser Bestimmungen mit Art. L. 123-7 CPI beurteilen zu können, ist das Vorabentscheidungsersuchen für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit nicht offensichtlich unerheblich.

Demnach ist das Vorabentscheidungsersuchen für zulässig zu erklären.

Zur Sache

Zur ersten Frage

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift wie Art. L. 123-7 CPI entgegensteht, nach der auf Folgerechtsvergütungen unter Ausschluss durch Testament eingesetzter Vermächtnisnehmer allein die gesetzlichen Erben des Künstlers Anspruch haben.

Einleitend ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteile vom 17. November 1983, Merck, 292/82, Slg. 1983, 3781, Randnr. 12, vom 14. Oktober 1999, Adidas, C-223/98, Slg. 1999, I-7081, Randnr. 23, vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C-17/03, Slg. 2005, I-4983, Randnr. 41, und vom 10. September 2009, Eschig, C-199/08, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 38).

Es ist zunächst zu beachten, dass der Text der Richtlinie 2001/84 keine Erläuterung zu dem in ihrem Art. 6 Abs. 1 verwendeten Begriff der „Rechtsnachfolger“ des Urhebers des Werks enthält. Mangels einer ausdrücklichen Definition dieses Begriffs ist zu prüfen, welche Ziele dem Erlass der Richtlinie 2001/84 zugrunde lagen.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass für den Erlass der Richtlinie 2001/84 ein zweifaches Ziel maßgebend war. Zum einen sollte, wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Richtlinie hervorgeht, den Urhebern von Werken der bildenden Künste eine wirtschaftliche Beteiligung am Erfolg ihrer Werke garantiert werden, und zum anderen ging es, wie in den Erwägungsgründen 9 und 10 der Richtlinie klargestellt wird, um die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen auf dem Kunstmarkt, da die Zahlung von Folgerechtsvergütungen in bestimmten Mitgliedstaaten dazu angetan war, Verkäufe von Kunstwerken in Mitgliedstaaten zu verlagern, in denen es ein Folgerecht nicht gibt.

Das erste Ziel besteht darin, Künstlern ein bestimmtes Verdienstniveau zu gewährleisten. Aus diesem Grund ist nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 das Folgerecht als unveräußerlich konzipiert, und es kann darauf auch im Voraus nicht verzichtet werden.

Die Verwirklichung dieses ersten Ziels wird aber dadurch, dass das Folgerecht nach dem Tod des Künstlers auf bestimmte Kategorien von Rechtssubjekten unter Ausschluss anderer übergeht, keineswegs beeinträchtigt, wobei dieser Übergang für dieses Ziel nur von nachgeordneter Bedeutung ist.

Was das zweite Ziel anbelangt, erschien es unerlässlich, im Hinblick auf Kunstwerke und Verkäufe, die vom Folgerecht erfasst werden, sowie dessen Bemessungsgrundlage und Höhe eine Harmonisierung herbeizuführen. Der Gesetzgeber wollte nämlich, wie aus dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie eindeutig hervorgeht, eine Situation beheben, in der sich die Verkäufe von Kunstwerken in Mitgliedstaaten konzentrierten, in denen das Folgerecht nicht oder nur in geringerer Höhe bestand als in anderen Mitgliedstaaten, wodurch die in Letzteren ansässigen Auktionshäuser oder Kunsthändler benachteiligt wurden.

Dieses zweite Ziel erklärt die Wahl der Rechtsgrundlage, auf der die Richtlinie 2001/84 erlassen wurde, nämlich Art. 95 EG. Diese Wahl bestätigt, dass sich der Erlass der Richtlinie in den Rahmen der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten einfügt, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Folglich sind, wie aus den Erwägungsgründen 13 und 15 der Richtlinie 2001/84 hervorgeht, zwischen den nationalen Rechtsvorschriften bestehende Unterschiede, die sich nicht nachteilig auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken können, nicht zu beseitigen und ist es, damit so viel Spielraum wie möglich für einzelstaatliche Entscheidungen bleibt, ausreichend, nur diejenigen nationalen Vorschriften zu harmonisieren, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken.

Diese Beurteilung wird durch den 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/84 gestützt, wonach die Intention des Unionsgesetzgebers dahin ging, dass zwar die Rechtsnachfolger des Urhebers nach dessen Tod das Folgerecht in vollem Umfang in Anspruch nehmen können, hingegen im Einklang mit dem Subsidiaritätsgrundsatz das Erbrecht der Mitgliedstaaten durch die Richtlinie unberührt bleibt, womit es jedem einzelnen Mitgliedstaat überlassen ist, die Kategorien von Personen zu bestimmen, die nach seinem nationalen Recht als Rechtsnachfolger angesehen werden können.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass es im Licht der mit der Richtlinie 2001/84 verfolgten Ziele den Mitgliedstaaten freisteht, ihre eigenen gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen, um die Kategorien von Personen festzulegen, denen nach dem Tod des Urhebers eines Kunstwerks das Folgerecht zugutekommen kann.

Darum lässt nichts in der Richtlinie 2001/84 den Schluss zu, dass der Unionsgesetzgeber die Anwendung von Bestimmungen ausschalten wollte, die die Koordinierung der verschiedenen innerstaatlichen Erbrechte regeln, insbesondere die der Bestimmungen des internationalen Privatrechts, die eine Rechtskollision wie die im Ausgangsrechtsstreit vorliegende lösen sollen.

Folglich ist es Sache des vorlegenden Gerichts, für die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschrift, durch die Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 umgesetzt wird, ordnungsgemäß alle einschlägigen Bestimmungen zu berücksichtigen, die Kollisionen von gesetzlichen Regelungen über den für das Folgerecht geltenden Erbanfall lösen sollen.

Demnach ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 dahin auszulegen ist, dass er nicht einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der auf Folgerechtsvergütungen unter Ausschluss durch Testament eingesetzter Vermächtnisnehmer allein die gesetzlichen Erben des Künstlers Anspruch haben. Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, für die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschrift, durch die Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 umgesetzt wird, ordnungsgemäß alle einschlägigen Bestimmungen zu berücksichtigen, die Kollisionen von gesetzlichen Regelungen über den für das Folgerecht geltenden Erbanfall lösen sollen.

Zur zweiten Frage

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Ausnahmeregelungen des Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/84 dahin auszulegen sind, dass sie übergangsweise eine Beibehaltung der fraglichen Vorschrift des CPI erlauben.

Diese Frage ist jedoch angesichts der Antwort auf die erste Frage nicht zu beantworten.

Kosten

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks ist dahin auszulegen, dass er nicht einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der auf Folgerechtsvergütungen unter Ausschluss durch Testament eingesetzter Vermächtnisnehmer allein die gesetzlichen Erben des Künstlers Anspruch haben. Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, für die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschrift, durch die Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/84 umgesetzt wird, ordnungsgemäß alle einschlägigen Bestimmungen zu berücksichtigen, die Kollisionen von gesetzlichen Regelungen über den für das Folgerecht geltenden Erbanfall lösen sollen.

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