Reisekostenerstattungspflicht bei nicht ortsansässigem Rechtsanwalt

15. April 2009
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Amtlicher Leitsatz:

Beauftragt ein Prozessbeteiligter einen am oder in der Nähe seines Zweitwohnsitzes ansässigen Rechtsanwalt, so sind dessen Reisekosten nach § 162 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VwGO jedenfalls dann erstattungsfähig, wenn sich der Prozessbeteiligte regelmäßig während der Woche an seinem Zweitwohnsitz aufhält und sich die beauftragte Kanzlei auf das Verwaltungsrecht spezialisiert hat.

Gebühren eines Rechtsanwalts für seine Tätigkeit während des Verfahrens zur Aufstellung eines Bebauungsplans werden von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht erfasst und sind nicht erstattungsfähig. Eine analoge Anwendung des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO scheidet aus, denn es fehlt an einem analogiefähigen Tatbestand.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg

Beschluss vom 17.03.2009

Az.: 3 S 1592/08

Tenor:

Auf die Erinnerung der Antragstellerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 27. Mai 2008 – 3 S 2282/06 – geändert. Die der Antragstellerin von den Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten werden auf 1.706,22 EUR festgesetzt.

Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Erinnerungsverfahrens.

Der Streitwert für das Erinnerungsverfahren wird auf 596,19 EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 165 in Verbindung mit § 151 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 27.05.2008 ist nur teilweise begründet.

Zu den erstattungsfähigen Kosten, die die Antragsgegnerin nach dem zwischen den Beteiligten ergangenen Normenkontrollurteil vom 13.02.2008 zu tragen hat, zählen zwar auch die Reisekosen des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin von Darmstadt nach Mannheim zum Termin zur mündlichen Verhandlung (dazu 1.). Dem Prozessbevollmächtigten steht jedoch keine Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV RVG für seine Stellungnahme im Planaufstellungsverfahren zu (dazu 2.).

1. Die auf der Grundlage der Nr. 7003 VV RVG geltend gemachten Fahrtkosten des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin für die Reise zur mündlichen Verhandlung sind als notwendig im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO anzuerkennen und der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigter stets erstattungsfähig. Es kann dahinstehen, ob die Vorschrift im Hinblick auf die Reisekosten eines Anwalts zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO steht, wonach es sich um Aufwendungen handeln muss, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind (so die vorherrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur, vgl. Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 15. Aufl. 2007, § 162 Rn. 11 m.w.N.), oder ob sich die an einem Rechtsstreit Beteiligten ohne kostenrechtliche Nachteile jeden beliebigen Anwalt in Deutschland für ihre Vertretung in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren wählen können (ausdrücklich offen gelassen auch von BVerwG, Beschluss vom 11.09.2007 – 9 KSt 5.07 u.a. -, NJW 2007, 3656, 3657 und von OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 05.05.2008 – 13 E 61/08 – juris Rn. 7). Denn es handelt sich bei den Reisekosten des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin auch nach den von der herrschenden Meinung entwickelten Grundsätzen um Aufwendungen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Danach sind die Reisekosten eines Anwalts erstattungsfähig, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz bzw. Geschäftssitz seines Mandanten oder in der Nähe hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.08.1992 – 14 S 1642/92 – NVwZ-RR 1993, 112; BayVGH, Beschluss vom 27.07.2006 – 2 N 04.2478 – juris, Rn. 2; Kopp/Schenke, VwGO Kommentar a.a.O.). Die Kanzlei des von der Antragstellerin beauftragten Anwalts befindet sich in Darmstadt und damit in der Nähe ihres Wohnsitzes. Die Antragstellerin verfügt nämlich nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag ihres Prozessbevollmächtigten neben ihrem Wohnsitz in Gaiberg über einen weiteren Wohnsitz in Groß-Zimmern. Dieser Ort liegt ca. 15 km von Darmstadt entfernt. Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin wird bestätigt durch eine Telefonauskunft über das Internet, die der Senat eingeholt hat. Im Telefonbuch wird die Antragstellerin unter der von ihrem Prozessbevollmächtigten angegebenen Adresse in Groß-Zimmern als Festnetzteilnehmerin geführt. An diesem Wohnsitz hält sie sich nach eigenen Angaben während der Woche überwiegend auf. Die Antragsgegnerin ist diesem Vorbringen nicht entgegen getreten. Insbesondere angesichts des Telefonanschlusses sieht auch der Senat keinen Anlass, an seiner Wahrheit zu zweifeln.

Beauftragt ein Prozessbeteiligter einen am oder in der Nähe seines Zweitwohnsitzes ansässigen Rechtsanwalt, so sind dessen Reisekosten nach § 162 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VwGO aber jedenfalls dann erstattungsfähig, wenn sich der Prozessbeteiligte regelmäßig während der Woche an seinem Zweitwohnsitz aufhält und sich die beauftragte Kanzlei – wie hier – auf das Verwaltungsrecht spezialisiert hat. Denn für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO sind auch Besprechungstermine zwischen dem Prozessbeteiligten und seinem Anwalt erforderlich, die in aller Regel nur während der Woche stattfinden können. Es bedeutete daher eine ungerechtfertigte Erschwerung der sachgerechten Prozessvertretung, würde man einen Prozessbeteiligten unter Kostenaspekten darauf verweisen, einen Rechtsanwalt am Ort seiner Hauptwohnung zu beauftragen, wenn er sich dort regelmäßig nur am Wochenende aufhält. Dies gilt umso mehr, wenn die beauftragte Kanzlei auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts besonders sachkundig ist. Eine formale Unterscheidung nach der melderechtlich erforderlichen Bestimmung der Hauptwohnung und einer oder mehrerer Nebenwohnungen (vgl. § 17 MG) erscheint bei einer solchen Sachlage nicht gerechtfertigt, zumal mit § 17 MG ein anderes gesetzgeberisches Ziel verfolgt wird als mit § 162 Abs. 1 VwGO.

Die Antragstellerin durfte daher auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Kostenminimierung ohne kostenrechtliche Nachteile einen in der Nähe ihres Zweitwohnsitzes ansässigen Rechtsanwalt beauftragen. Die von ihrem Prozessbevollmächtigten nach Nr. 7003 VV RVG korrekt angesetzten und geltend gemachten Reisekosten sind deshalb nicht nur in Höhe der im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27.05.2008 festgesetzten 18,– EUR zuzüglich Umsatzsteuer, sondern in voller Höhe (33,– EUR zuzüglich Umsatzsteuer) von der Antragsgegnerin zu erstatten.

2. Die Erinnerung bleibt jedoch erfolglos, soweit der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin begehrt eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV RVG in Höhe von 486,– EUR zuzüglich Umsatzsteuer als erstattungsfähige Kosten festzusetzen. Nach diesem Gebührentatbestand besteht ein Anspruch auf eine 5/10 bis 13/10 Gebühr für das weitere, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende Verwaltungsverfahren. Die entsprechende kostenrechtliche Regelung enthält § 162 Abs. 1 und 2 VwGO. Nach Absatz 1 der Vorschrift sind erstattungspflichtige Kosten zum einen die Gerichtskosten und zum anderen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Die Kosten und Gebühren eines bereits im Vorverfahren eingeschalteten Rechtsanwalts sind nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass überhaupt ein Vorverfahren geschwebt hat. Das ist hier nicht der Fall.

Die Vorschrift des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO bezieht sich sowohl nach ihrem eindeutigen Wortlaut als auch ihrer gesetzessystematischen Stellung auf das einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage grundsätzlich zwingend vorgeschaltete Vorverfahren im Sinne der §§ 68 ff. VwGO. Sein Anwendungsbereich wird darüber hinaus teilweise auch auf sonstige förmliche Vorschaltverfahren erstreckt, wenn sie in gleicher Weise wie das Widerspruchsverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO der Überprüfung eines Verwaltungsakt dienen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.06.2006 – 11 S 2613/05 -, NJW 2006, 2937, 2938; Beschluss vom 12.05.1993 – 2 S 893/93 -, BWGZ 1993, 620; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 162 Rn. 16).

Das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans ist weder ein förmliches Vorverfahren im Sinne der § 68 ff. VwGO noch ein sonstiges förmliches Vorschaltverfahren zur Nachprüfung eines Verwaltungsakts. Es handelt sich vielmehr um einen Akt materieller Gesetzgebung. Gebühren eines Rechtsanwalts für seine Tätigkeit während des Verfahrens zur Aufstellung eines Bebauungsplans werden daher von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht erfasst und sind nicht erstattungsfähig.

Auch die vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin angeregte analoge Anwendung des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO scheidet aus. Denn es fehlt an einem analogiefähigen Tatbestand. Die Übertragung einer für einen bestimmten Tatbestand bestehenden Regel auf einen anderen gesetzlich nicht geregelten Tatbestand kommt nur in Betracht, wenn zwischen beiden Tatbeständen eine Ähnlichkeit besteht. Sie beruht letztlich auf der Forderung, Gleichartiges gleich zu behandeln. An einer solchen Ähnlichkeit fehlt es hier jedoch.

Das Unterlassen von Einwendungen führt zwar nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB zur Präklusion im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens und damit zur Unzulässigkeit eines Normenkontrollantrags. Nur eine Stellungnahme während des Planaufstellungsverfahrens wahrt somit die Möglichkeit eines – erfolgreichen – Normenkontrollantrags. Insofern mag zwar im Ergebnis eine gewisse Parallele zum Vorverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO bestehen. Denn dessen Fehlen hat ebenfalls die Erfolglosigkeit – freilich bereits die Unzulässigkeit – der erhobenen Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zur Folge. Der enge prozessuale Zusammenhang zwischen Vorverfahren und gerichtlichem Verfahren war auch Grund für die Einbeziehung der im Vorverfahren entstandenen Kosten in die Erstattungspflicht des unterlegenen Prozessbeteiligten nach § 162 Abs. 2 VwGO (vgl. zur Entstehungsgeschichte des § 162 Abs. 2 VwGO: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.06.2006 – 11 S 2613/05 -, a.a.O.). Die Parallele hinsichtlich der Folgen einer unterlassenen Verfahrenshandlung für ein etwa nachfolgendes gerichtliches Verfahren beseitigt jedoch nicht die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahren ihrer Natur nach. Diese Unterschiedlichkeit verbietet eine analoge Anwendung von kostenrechtlichen Vorschriften, die für das Vorverfahren im Sinne der §§ 68 ff. VwGO gelten, auf das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans. Die Erstattungsfähigkeit der im vorliegenden Fall geltend gemachten Kosten bedürfte vielmehr ein ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Antragstellerin sind trotz ihres teilweisen Obsiegens die gesamten Kosten des Erinnerungsverfahrens aufzuerlegen, da die Antragsgegnerin insgesamt lediglich zu 1/40 und damit nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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