Verletzungsort bei einer Äußerung

15. April 2009
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Eigener Leitsatz:

Bei einer persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerung richtet sich das zuständige Gericht nach dem Verbreitungsort. Gerade wenn lokale Fernseh- oder Radiosender ihre Inhalte zielgerichtet über das Internet verbreiten, ergibt sich die Zuständigkeit überall dort, wo diese bestimmungsgemäß abrufbar sind. Eine Einschränkung kann nicht wegen der subjektiven Unkenntnis des Äußernden gemacht werden.

Landgericht Köln

Urteil vom 20.03.2009

Az.: 28 O 59/09

Urteil

Tenor:  

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 09.02.2009 – Az.: 28 O 59/09 – wird bestätigt. Die weiteren Kosten des Verfahrens trägt der Verfügungsbeklagte.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer Äußerung des Verfügungsbeklagten im Rahmen einer Live-Diskussion eines Berliner Fernsehsenders im Vorfeld des in Berlin am 26.04.2009 stattfindenden Volksentscheids.

Der Verfügungsbeklagte ist der Vorsitzende des Landesverbandes der Berliner SPD und Fraktionsvorsitzender der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus.

Der Verfügungskläger ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für eine Änderung des Schulgesetzes im Land Berlin einsetzt. Dabei hat der Verfügungskläger im Rahmen eines Volksbegehrens einen Antrag, der auf eine Änderung des Schulgesetzes gerichtet ist, bei dem Wahlleiter des Landes Berlin gestellt. Wegen des Inhaltes des von ihm gefertigten Gesetzesentwurfs wird auf die Anlage AS 4 Bezug genommen. Im Rahmen dieses Antrages hat der Verfügungskläger – wie dies nach § 16 des Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid des Landes Berlin vorgesehen ist – 5 Vertrauenspersonen benannt, die berechtigt sind, im Namen der Unterzeichner der Initiative verbindliche Erklärungen abzugeben. Unter diesen 5 Personen befinden sich Monsignore Q als hochrangiger Vertreter der katholischen Kirche, Oberkonsistorialrat T und der Vorsitzende des Verfügungsklägers, Dr. M.

Herr T ist ausweislich der Homepage der evangelischen Kirche des Landes Berlin für den Religionsunterricht zuständig. Auf den als Anlage W2 vorgelegten Auszug aus der Internetseite wird Bezug genommen. Im Jahr 2006 wurde seitens der evangelischen Landeskirche Berlin eine Kampagne mit dem Motto "Werte brauchen Gott, Kampagne für den Religionsunterricht" gestartet, an der Herr T maßgeblich beteiligt war. Auf die Anlage W3 wird Bezug genommen. Die Kampagne wurde noch im Jahr 2006 beendet, die Inhalte, hinsichtlich derer auf die Anlagen W3 bis W6 Bezug genommen wird, sind jedoch bis heute im Internet abrufbar.

Der Vorsitzende des Verfügungsklägers bedankte sich ausweislich der Presseberichterstattung Ende 2008/Anfang 2009 bei den Kirchen für ihre Unterstützung der Initiative u.a. durch das Sammeln von Unterschriften.

Der Vorsitzende des Verfügungsklägers und der Verfügungsbeklagte beteiligten sich an einer Live-Diskussion des Senders TV.Berlin, die im Rahmen einer auch über das Internet ausgestrahlten Fernsehsendung erfolgte. Die Diskussion mit dem Titel "Schupelius fragt … Streit über den Zeitpunkt der Volksabstimmung" wurde in zwei Teilen gesendet. Der zweite Teil der Sendung wurde am 01.02.2009 um 21.53 Uhr auf der Homepage des Internetfernsehsenders TV.Berlin online gestellt und Interessierten zum Download angeboten. Das Video war jedenfalls bis zum 04.02.2009 über das Internet abrufbar. Neben der Einstellung in das Internet wurde die Sendung lediglich in Berlin, Potsdam und der weiteren unmittelbaren Umgebung von Berlin ausgestrahlt.

Im Rahmen der Diskussion entwickelte sich folgender Gesprächsverlauf zwischen dem Vorsitzenden des Verfügungsklägers und dem Verfügungsbeklagten:

"…

N: Und diese Neutralität, die Herr M gerade einfordert, ich glaube, dass die sehr wichtig ist und dass wir darauf auch achten müssen und nicht von vorne herein sagen, es gibt eben Kinder, die bekommen eine christliche religiöse Wertevermittlung und andere bekommen eine andere Wertevermittlung. Das Kampagnenmoto der Initiative von Herrn M und der CDU ist, Werte brauchen Gott.

M: Das stimmt nicht Herr N.

N: Das heißt, das Kampagnenmotto ist, Werte brauchen Gott. Ich habe das hier aus dem Internet. Ich habe im Internet, bin auf die Seite gegangen, habe Bischof M auf der Startseite.

Schupelius: Bischof Z.

N: Entschuldigung, Bischof Z, auf der Startseite mit dem Kampagnenmotto neben seinem Kopf: Werte brauchen Gott. Was heißt das? Das heißt doch, dass die Wertevermittlung gebunden sein soll an religiöse, an christliche Wertevermittlung. Ich glaube, dass das wichtig ist für viele Menschen in der Stadt. Es gibt aber auch ganz viele , die fühlen sich keiner Kirche nahe und auch die brauchen und wollen Wertevermittlung, auch die leben Werte und das muss doch in unserer Schule eine gemeinsame Basis sein, dass man auch diese Menschen anspricht und dass wir sagen, wir wollen gemeinsam uns auf Werte verständigen und dann kann jeder nach seiner Religion entsprechend ein anderes freiwilliges Angebot in Anspruch nehmen.

…"

Wegen des Inhaltes des Sendebeitrages wird auf den als Anlage AS4 auf USB-Stick gespeicherten Beitrag Bezug genommen.

Der Vorsitzende des Verfügungsklägers äußerte sich ausweislich eines Berichts der Berliner Zeitung vom 27.01.2009 zu dem Motto "Werte brauchen Gott". Dieser Bericht stellt sich wie folgt dar:

"Es wird ein schwieriger Wahlkampf, der leicht spalten kann: Werte brauchen Gott, so warben die Kirchen. M teilt die Aussage so nicht. "Es gibt auch Leute, die ohne Gott Werte haben."

Es ist ihm wichtig zu sagen, dass er nicht von den Kirchen benutzt wird, die sich um ihren Nachwuchs sorgen, wie der Jurist Y in der FAZ andeutete. "Ich habe mich mit Z zum ersten Mal am Aschermittwoch 2008 über das Volksbegehren unterhalten."

Wegen der Einzelheiten wird auf den Artikel in Anlage ASt6 Bezug genommen.

Der Verfügungskläger ließ den Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 02.02.2009 abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern. Dem kam der Verfügungsbeklagte nicht nach.

Auf Antrag des Verfügungsklägers vom 04.02.2009, ergänzt durch den Schriftsatz vom 05.02.2009 ist dem Verfügungsbeklagten bei Meidung der in § 890 ZPO genannten Ordnungsmittel untersagt worden, in Bezug auf den Antragsteller wörtlich oder sinngemäß zu behaupten und/oder behaupten zu lassen bzw. zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen,

"(…) Das Kampagnenmotto der Initiative von Herrn M (…) ist, "Werte brauchen Gott" (…)",

wenn dies geschieht wie in der Fernsehsendung "Schupelius fragt … Streit über den Zeitpunkt der Volksabstimmung – Teil 2" am 01.02.2009 um ca. 21.53 Uhr auf TV.Berlin, im Internet abrufbar unter http://www.anonym1.html".

Der Verfügungskläger ist der Ansicht, dass das Landgericht Köln örtlich zuständig sei, da der streitgegenständliche Beitrag sich an alle interessierten Person auch in Köln richte und somit in Köln bestimmungsgemäß verbreitet worden sei.

Auch sei die einstweilige Verfügung zu bestätigen, da die streitgegenständliche Äußerung eine unwahre Tatsachenbehauptung darstelle. Diese verletze die Persönlichkeitsrechte des Verfügungsklägers, da der Durchschnittszuschauer mit der Bemerkung des Verfügungsbeklagten eine falsche Assoziation verbinde. Der Verfügungsbeklagte werde nämlich so verstanden, dass der Verfügungskläger davon ausgehe, Menschen die nicht an Gott glaubten, hätten keine Werte.

Der Verfügungskläger beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 09.02.2009 zu bestätigen,

dies hilfsweise mit der Maßgabe, in Bezug auf den Verfügungskläger den Eindruck zu erwecken, das Kampagnenmotto der Initiative von Herrn M ist "Werte brauchen Gott", wenn dies geschieht wie in der Fernsehsendung "Schupelius fragt… Streit über den Zeitpunkt der Volksabstimmung –Teil 2" am 01.02.2009 um ca. 21.53 Uhr auf TV Berlin, im Internet abrufbar unter http: //www.anonym1.html".

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte rügt die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln. Insoweit bestreitet er mit Nichtwissen, dass der streitgegenständlichen Beitrag überhaupt in Köln abgerufen worden sei. Auch sei dem Verfügungsbeklagten – insoweit unstreitig – nicht bekannt gewesen, dass die Ausstrahlung des Beitrages auch über das Internet erfolgt sei. Jedenfalls sei die Wahl des Landgerichts Köln als Gerichtsstand willkürlich und daher rechtsmissbräuchlich.

Der Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, dass es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine zulässige Meinungsäußerung handele. Dies ergebe sich daraus, dass die "Initiative" nicht nur aus dem Verfügungskläger, sondern auch aus den vom ihm benannten Vertrauenspersonen bestehe. Diese verträten jedoch auch das Motto "Werte brauchen Gott". Da sich die Äußerung jedoch nicht auf den Verein, sondern auf die Kampagne als solche bezogen habe, sei ihr Inhalt auch zutreffend.

Es müsse weiter berücksichtigt werden, dass die Äußerung nur die Bewertung des Mottos darstelle. Dies ergebe sich daraus, dass der Verfügungsbeklagte nicht von der Verfügungsklägerin, sondern ausdrücklich von der "Initiative von M und der CDU" gesprochen habe. Darüber hinaus könne nicht unbeachtet bleiben, dass der Vorsitzende des Verfügungsklägers selbst ausdrücklich vorgetragen habe, die Initiative stamme aus Kirchenkreisen. Insgesamt ergebe sich aus zahlreichen Äußerungen (Anlagen W5 bis W9), dass die Kirchen als Initiatoren der Initiative angesehen werden könnten. Aus diesem Grund müsse auch eine Bewertung mit dem genannten Motto möglich sein.

Letztlich ergebe sich aus dem Inhalt der Live-Diskussion, dass der Verfügungsbeklagte sofort klargestellt habe, wer im Rahmen der Initiative das Motto "Werte brauchen Gott" vertrete, indem er auf Bischof Z hingewiesen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die von ihnen eingereichten Urkunden, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

I. Die einstweilige Verfügung ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zu bestätigen, da das Landgericht Köln für die Entscheidung über den Antrag örtlich zuständig ist und dem Verfügungskläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 1004, 823 BGB gegen den Verfügungsbeklagten zusteht:

Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln ergibt sich aus § 32 ZPO. Insoweit ist allgemein anerkannt, dass sich die örtliche Zuständigkeit bei Internetangeboten überall dort ergibt, wo diese bestimmungsgemäß abrufbar sind (vgl. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage, Kap. 12.123, m.w.N.). Ob an dem Ort sodann tatsächlich auch ein Handlungserfolg eingetreten ist, ist nicht von Bedeutung (vgl. Burkhardt, a.a.O., Kap. 12.121, m.w.N.). Ob und ggf. wie häufig der Beitrag in Köln abgerufen wurde, ist ebenfalls nicht erheblich, da es für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit nicht auf die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung ankommt (vgl. BGH NJW 1977, 1590).

Vor diesem Hintergrund ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln anzunehmen. Denn gerade auch bei lokalen Fernseh- oder Radiosendern erfolgt die Verbreitung zielgerichtet über das Internet, auch um damit interessierte Kreise zumindest bundesweit zu erreichen.

Auch der unstreitige Vortrag des Verfügungsbeklagten, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass die Äußerungen über das Internet ausgestrahlt würden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn für das Verbreiten einer Äußerung kann nicht darauf abgestellt werden, ob dem Äußernden bewusst war, an welchem Ort seine Äußerung durch einen Fernsehsender verbreitet wird. Vielmehr kommt es für den Begriff des Verbreitens darauf an, dass der potentielle Empfänger der Äußerung bestimmungsgemäß und nicht nur zufällig erreicht werden soll (vgl. BGH a.a.O.). Die in diesem Rahmen vorgenommene Einschränkung der Verletzungsortes kann nicht durch die subjektive Unkenntnis des Äußernden weiter begrenzt werden.

Für eine rechtsmissbräuchliche Wahl des Gerichtsstandes sind keine ausreichenden Anhaltspunkte gegeben. Dies gilt insbesondere auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die in Berlin geführte politische Diskussion in Köln nicht in vollem Umfang geläufig ist. Immerhin ist das Berliner Volksbegehren Gegenstand der Berichterstattung in überregionalen Zeitungen und jedenfalls in den bundesweit zu empfangenden öffentlich-rechtlichen Sendern gewesen.

II. Die einstweilige Verfügung ist auch in der Sache zu bestätigen, da die in der einstweiligen Verfügung der Kammer genannte Äußerung des Verfügungsbeklagten in der streitgegenständlichen Berichterstattung den Verfügungskläger rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Im Einzelnen:

1. Der Verfügungskläger ist durch die streitgegenständliche Äußerung in seinem sozialen Geltungsanspruch betroffen, da sich die streitgegenständliche Äußerung auf ihn und seine Präsentation gegenüber der Öffentlichkeit bezieht. Dabei ist davon auszugehen, dass sich ehrenrührige Behauptungen auch auf juristische Personen auswirken können, wenn die Behauptungen sich auf Führungspersonen beziehen. Das setzt voraus, dass die Äußerung als Kritik an der juristischen Person selbst aufzufassen ist. Ob dies so ist, kann dabei nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles ermittelt werden. Entscheidend ist dabei, ob der Angriff gegen eine Person in seiner Eigenschaft als maßgeblicher Angehöriger der juristischen Person und die Äußerung daher auch auf diese bezogen wird (vgl. Burkhardt a.a.O., Kap. 12. 45, m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen ist von einer Betroffenheit des Verfügungsklägers auszugehen. Eine Differenzierung zwischen dem Verfügungskläger und der Gesetztesinitiative wird dabei nach dem maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen Empfängers nicht vorgenommen. Richtig ist zwar, dass der Verfügungsbeklagte ausdrücklich von der Initiative von "Herrn M und der CDU" spricht. Diese Äußerung bezieht sich im Gesamtzusammenhang der Darstellung im Rahmen der Livediskussion auf den Verfügungskläger. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Gesprächspartner des Verfügungsbeklagten der Vorsitzende des Verfügungsklägers war und gerade in dieser Eigenschaft als Teilnehmer zu der Diskussion geladen wurde. Auch geht die Gesetzesinitiative – wie auch der Verfügungsbeklagte einräumt – von dem Verfügungskläger aus. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Gesamtkontext, dass der Verfügungsbeklagte die parteipolitischen Ziele der CDU bzw. die gesellschaftspolitischen Ziele der Kirchen gerade in dem Verfügungskläger und seinem Vorhaben gebündelt sieht, was wiederum Teil seiner – als Meinungsäußerung nicht angegriffenen – Kritik an dem Verfügungskläger und dessen Anliegen darstellt. Eine Unterscheidung zwischen der "Initiative von Herrn M und der CDU" und dem Verfügungskläger wird der durchschnittliche Rezipient der Äußerung vor diesem Hintergrund daher nicht vornehmen.

Auch die Tatsache, dass fünf unabhängige Personen als Ansprechpartner für den Wahlleiter des Landes Berlin benannt wurden, die gegenüber diesem verbindliche Erklärungen für die Unterzeichner der Initiativer abgeben können und die teilweise wie Oberkonsistorialrat T vorher eigene kirchliche Kampagnen auch unter dem Motto "Werte brauchen Gott" betrieben, führt aus den vorgenannten Gründen zu keinem anderen Ergebnis.

2. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers durch die Äußerung des Verfügungsbeklagten ist auch rechtswidrig. Bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich um einen sogenannten offenen Tatbestand, d.h. die Rechtswidrigkeit ist nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern im Rahmen einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit positiv festzustellen (Palandt, BGB, § 823 Rn. 95 m.w.N.). Stehen sich als widerstreitende Interessen – wie vorliegend – die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2, 1 GG) gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung zunächst darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt. Die streitgegenständliche Äußerung stellt sich im Gesamtkontext der Aussage des Verfügungsbeklagten als Tatsachenbehauptung dar. Ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung handelt, bestimmt sich nach folgendem Grundsatz: Konstitutiv für die Bestimmung dessen, was als Äußerung einer "Meinung" zum Schutz des Grundrechts von Art. 5 Abs. 1 GG umfasst wird, ist das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung (vgl. grundlegend BVerfGE 61, 1, 8f). Dabei kann auch die Äußerung von Tatsachen, die der Meinungsbildung dienen, in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG fallen (vgl. BVerfGE 90, 1, 15). Eine Tatsachenbehauptung ist anzunehmen, wenn die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (vgl. BVerfGE 94, 1, 8; BGH NJW 1996, 1131). Unabdingbare Voraussetzung für eine zutreffende Einordnung einer Äußerung ist die Ermittlung des Aussagegehalts. Dabei darf nicht isoliert auf den durch den Klageantrag herausgehobenen Text abgestellt werden. Vielmehr ist dieser im Zusammenhang mit dem gesamten Aussagetext zu deuten. Dabei ist auf den objektiven Sinn der Äußerung aus der Sicht eines unvoreingenommenen Durchschnittslesers abzustellen (vgl. BGH NJW 1998, 3047).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze handelt es sich bei der angegriffenen Äußerung um eine Tatsachenbehauptung. Denn die Frage, ob das Motto des Verfügungsklägers lautet "Werte brauchen Gott" steht dem Beweis offen. Der Verfügungskläger wird durch die streitgegenständliche Äußerung als ein Verein beschrieben, der aufgrund seiner Zielsetzungen eine Verbindung von Werten und Gott als zwingend voraussetzt. Dieser innere Umstand ist eine Gegebenheit tatsächlicher Art (sog. innerer Tatsache). Im Zusammenhang der Äußerung wird für den Durchschnittsrezipienten nicht erkennbar, dass der Verfügungsbeklagte lediglich seine subjektive Meinung zur Denkweise und Ausrichtung des Verfügungsklägers zum Ausdruck bringen will (vgl. zu der Problematik: Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage, Kap. 4.54).

Im Rahmen der Bewertung sind – wie dargelegt – auch der Kontext der streitgegenständlichen Aussage und das Verständnis des Durchschnittsempfängers zu berücksichtigen. Die Aussage wird im Rahmen einer Livediskussion mit dem Vorsitzenden des Verfügungsklägers getätigt, der der Äußerung sofort widerspricht und versucht, diese richtig zu stellen. Im Anschluss hieran betont der Verfügungsbeklagte, dass er im Internet entsprechende Recherchen angestellt habe, die seine Auffassung belegten. So sei das Motto auf der Startseite neben dem Kopf von Bischof Z ausdrücklich aufgeführt worden. Bereits hierdurch wird deutlich, dass der Verfügungsbeklagte nicht das Verhalten und die Initiative des Verfügungsklägers bewertet und einen Rückschluss aus diesem zieht, sondern selbst ausdrücklich darauf hinweist, dass es sich um ein offizielles Motto des Verfügungsklägers handeln soll.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass es eine weitere Kampagne des evangelischen Kirchenkreises Berlin-Tempelhof gab, die im Jahr 2006 beendet wurde, auch wenn die damaligen Inhalte weiterhin im Internet abrufbar sind. Diese Kampagne trat mit dem hier streitgegenständlichen Motto in die Öffentlichkeit. Damit ist die Äußerung des Verfügungsbeklagten auch dahingehend zu verstehen, dass die inneren Beweggründe der kirchlichen Aktion die gleichen sind, wie die des Verfügungsklägers. Die Kirchen, die die Aktion des Verfügungsklägers ausdrücklich unterstützen, benutzen heute (vgl. Anlagen W5 bis W9) das damalige Motto nicht mehr in Äußerungen, die in einem konkreten Zusammenhang mit der heutigen Kampagne stehen.

Auch die Tatsache, dass die Kirchen und kirchliche Stellen die Aktion unterstützen, führt nicht zu der Annahme einer Meinungsäußerung. Denn neben den kirchlichen Unterstützern sind zahlreiche weitere Beteiligte in dem Verfügungskläger gebündelt, die das aus Anlage ASt4 ersichtliche Ziel, nämlich die Möglichkeit der Wahl zwischen Ethik- und Religionsunterricht, unterstützen. Dabei kann nicht unbeachtet bleiben, dass die im Verfügungskläger organisierten Personen bzw. die diesen unterstützenden Gruppierungen unterschiedliche Auffassungen und Motive hierfür haben mögen. Diese sind jedoch gerade in dem Inhalt des Volksbegehrens (im Wortlaut als Anlage ASt4) zum Ausdruck gekommen Ziel gemeinsam gebündelt. Dass damit der Verfügungskläger das durch die evangelische Kirche dargestellte Motto "Werte brauchen Gott" für sich übernimmt, ergibt sich somit nicht.

Es liegt entgegen der Auffassung des Verfügungsbeklagten im Rahmen der Livesendung auch keine hinreichende Klarstellung dahingehend vor, dass die streitgegenständliche Äußerung von ihm tatsächlich als eine Bewertung der Motivation des Verfügungsbeklagten für die Gesetzesinitiative angesehen wird. Eine solche Klarstellung der Äußerung käme in Betracht, wenn die Äußerung mehrdeutig wäre und der Verfügungsbeklagte den Inhalt seiner Äußerung verdeutlicht hätte. Denn wenn Formulierungen oder die Umstände der Äußerung eine nicht das Persönlichkeitsrecht verletzende Deutung zulassen, hat der Äußernde die Möglichkeit, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu Grunde zu legen ist. An diesen Inhalt werden die für die Abwägung bei Persönlichkeitsbeeinträchtigungen durch Werturteile oder Tatsachenbehauptungen in der Rechtsprechung entwickelten Prüfkriterien und Abwägungsmaßstäbe angelegt (vgl. BVerfG in NJW 2006, 207 – "IM-Sekretär" – Stolpe). Dem Äußernden steht es frei, sich in Zukunft eindeutig zu äußern und – wenn eine persönlichkeitsverletzende Deutungsvariante nicht dem von ihm beabsichtigten Sinn entspricht – klarzustellen, wie er seine Aussage versteht (vgl. BVerfG a.a.O.). Eine solche Klarstellung ist jedoch nicht erfolgt. Richtig ist zwar, dass der Verfügungsbeklagte im Rahmen der Sendung darauf hinwies, dass er das Motto aus dem Internet habe und dieses neben einem Bild von Bischof Z dargestellt werde. Dies distanziert die Äußerung jedoch nicht von dem Verfügungskläger, sondern vertieft gerade den Eindruck, dass sich der Verfügungskläger mit den ursprünglichen Zielen bzw. Motiven der kirchlichen Kampagne identifiziert und diese übernommen hat.

Vor diesem Hintergrund ist insgesamt davon auszugehen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine Tatsachenbehauptung handelt. Bei der Bewertung hat die Kammer auch in Betracht gezogen, dass die Äußerung den politischen Bereich betrifft und daher im Zweifel auf der Meinungsebene anzusiedeln ist (vgl. Burkhardt, a.a.O., Kap. 10. 64). Dieser Grundsatz ist im Zusammenhang mit Äußerungen zu einer kurz bevorstehenden Abstimmung zu einem politischen Thema besonders zu berücksichtigen, da eine inhaltliche Reglementierung einer Äußerung in diesem Zusammenhang nicht möglich ist und daher die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede noch verstärkt (vgl. Burkhardt, a.a.O., Kap. 10.66). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn eine unwahre Tatsachenbehauptung über den politischen Gegner aufgestellt wird. Wird eine Äußerung aufgestellt, die – wie hier – einen unwahren Tatsachenkern enthält, kann sich der Äußernde nicht darauf berufen, dass er eine überspitzte oder polemisch überzogene Äußerung getätigt habe (vgl. BGH in NJW 1984, 1102 – Wahlkampfrede). Der Verfügungsbeklagte kann sich daher auch nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen in einem Wahlkampf berufen. Denn auch im politischen Meinungskampf kann ein schutzwürdiges Interesse an einer falschen Tatsachenbehauptung nicht angenommen werden (vgl. BGH a.a.O.).

3. Die Tatsachenbehauptung ist unwahr. Denn es ergibt sich aus dem als Anlage 4 vorgelegten Votum für das Volksbegehren, dass die Ziele des Verfügungsklägers nicht sind, allen Kindern eine religiöse Wertevermittlung zuteil werden zu lassen. Vielmehr wird ausdrücklich festgehalten, dass eine Wahlfreiheit zwischen der religiösen und der nicht religiös geprägten Wertevermittlung im Rahmen des Ethikunterrichts gewollt ist. Dies zeigt letztlich auch der Gesetzentwurf, der eine Wahlfreiheit zwischen Religions- und Ethikunterricht vorsieht.

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Das die einstweilige Verfügung bestätigende Urteil wirkt wie die ursprüngliche einstweilige Verfügung und ist daher ohne besonderen Ausspruch mit der Verkündung sofort vollstreckbar (Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Auflage, § 925 Rn. 9).

Streitwert: 15.000,00 €

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