Rundschreiben eines Rechtsanwalts an Fondsgesellschafter nicht wettbewerbswidrig

28. März 2011
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Eigener Leitsatz:

Wendet sich ein Rechtsanwalt in einem Rundschreiben gezielt an die Gesellschafter einer bestimmten Fondsgesellschaft und wirbt dabei mit seinen Diensten, bewegt er sich zwar an der Grenze der wettbewerbsrechtlich zulässigen Anwaltswerbung. Die Grenze zulässiger Anwaltswerbung wird jedoch nicht überschreiten, sofern die betroffene Fondsgesellschaft nicht notleidend ist, lediglich auf zu erwartende steuerrechtliche Nachteile hingewiesen wird, eine darauf bezogene Verjährungsfrist noch mehrere Monate läuft und das Rundschreiben mit einer Einladung zu einer Informationsveranstaltung des Rechtsanwalts verbunden ist. Ein solches Rundschreiben stellt keine gegen § 43b BRAO verstoßende Werbung dar und ist daher nicht wettbewerbswidrig.

Kammergericht Berlin

Beschluss vom 31.08.2010

Az.: 5 W 198/10

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Zivilkammer 52 des Landgerichts Berlin vom 22. Juli 2010 – 52 O 168/10 – wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 7.000 €.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet, §§ 935, 940 ZPO. Zutreffend hat das Landgericht Unterlassungsansprüche der Antragstellerin gegen den Antragsgegner aus dessen Rundschreiben vom 17.3.2010 wegen einer unlauteren Werbung für rechtsanwaltliche Dienstleistungen verneint.

1.

Die streitgegenständliche Werbung ist nicht wettbewerbsrechtlich unlauter "auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichtet", § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 43 b Alt. 2 BRAO.

a)

Vor der Einführung des § 43 b in die Bundesrechtsanwaltsordnung wurde zu dem aus § 43 BRAO hergeleiteten Verbot berufswidriger Werbung auch das unaufgeforderte direkte Herantreten an potentielle Mandanten als gezielte Werbung um Praxis gerechnet. Das nunmehr in § 43 b BRAO enthaltene Verbot einer auf Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichteten Werbung ist nicht mit dem früher aus § 43 BRAO abgeleiteten Verbot der gezielten Werbung um Praxis gleichzusetzen. Die Bestimmung verbietet grundsätzlich nur die Werbung um einzelne Mandate, d.h. unmittelbar auf die Erteilung eines Auftrags in einem konkreten Einzelfall gerichtete Maßnahmen (BGH, GRUR 2002, 84, juris Rn. 36 – Anwaltswerbung II). Demgegenüber ist die Werbung um einzelne Mandanten, die darauf gerichtet ist, die Umworbenen dafür zu gewinnen, die Leistungen des Werbenden in Anspruch zu nehmen, grundsätzlich erlaubt (BGH, a.a.O., Anwaltswerbung II m.w.N.). Insbesondere ist eine Anwaltswerbung nicht deshalb unzulässig, weil sie sich an Personen richtet, zu denen kein mandantschaftliches Verhältnis besteht oder bestanden hat (BGH, GRUR 2002, 902, 904 – Vanity-Nummer).

Eine für sich genommen an sich zulässige Werbung um mögliche Auftraggeber kann sich allerdings als eine auf die Erteilung von Aufträgen im Einzelfall gerichtete, gegen § 43 b BRAO verstoßende Werbung darstellen, wenn der Umworbene in einem konkreten Einzelfall der Beratung und Vertretung bedarf und der Werbende dies in Kenntnis der Umstände zum Anlass für seine Werbung nimmt. Eine solche Werbung ist als unzulässig anzusehen, weil sie in gleicher Weise wie die offene Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall in einer oft als aufdringlich empfundenen Weise auszunutzen versucht, dass sich der Umworbene beispielsweise in einer Lage befindet, in der er auf Hilfe angewiesen ist und sich möglicherweise nicht frei für einen Anwalt entscheiden kann (BGH, WRP 2002, 71, juris Rn. 42 – Anwaltsrundschreiben).

In Hinblick auf den Zweck der Vorschrift (Schutz vor gezielter persönlicher Kontaktaufnahme, die gegebenenfalls als aufdringlich empfunden werden kann) werden nicht auch solche Fälle erfasst, in denen ein konkreter Handlungs- oder Beratungsbedarf beim Adressaten erst aufgrund der in der Anwaltswerbung enthaltenen Angaben zu einer konkreten Fallgestaltung bewusst gemacht wird (BGH, a.a.O., Anwaltsrundschreiben, juris Rn. 43). Dass sich der Anwalt mit einer Werbung an Personen gewandt hat, bei denen er ein generelles Interesse an seinen Leistungen erwarten durfte und die er deshalb als Auftraggeber zu gewinnen hoffte, ist rechtlich nicht zu beanstanden (BGH, a.a.O., Anwaltsrundschreiben; a.a.O., Anwaltswerbung II, juris Rn. 37).

b)

Vorliegend hat sich der Antragsgegner zwar gezielt an die Gesellschafter einer bestimmten Filmproduktions-Fondsgesellschaft gewendet und dabei auch das "Ziel einer gemeinsamen Rechtsverfolgung gegenüber beratenden Banken und Initiatoren" ausdrücklich bekundet. Zudem wird unter Hinweis auf eine zum Jahresende drohende Verjährung von Ansprüchen ein zeitlicher Druck erzeugt. Der Antragsgegner spricht von der "Möglichkeit und Notwendigkeit einer gebündelten anwaltlichen Vertretung" und bietet sich ausdrücklich als rechtsanwaltlicher Vertreter an, noch dazu unter Hinweis auf die Höhe von ihm geforderter Anwaltsgebühren. Damit bewegt sich der Antragsgegner in einem Grenzbereich wettbewerbsrechtlich zulässiger Anwaltswerbung.

c)

Dennoch sind hier die wettbewerbsrechtlichen Grenzen einer Werbung für anwaltliche Leistungen noch nicht überschritten.

Die Fondsgesellschaft, an der die angesprochenen Gesellschafter beteiligt sind, ist nicht notleidend. Der Antragsgegner macht mit dem Rundschreiben nur auf drohende steuerrechtliche Nachteile und in diesem Zusammenhang nahe liegende Regressansprüche der Fondsgesellschafter aufmerksam. Auch datiert das Rundschreiben vom 17.3.2010, so dass bis zum in Aussicht gestellten Ablauf der Verjährungsfrist noch mehrere Monate verbleiben. Einen notwendigen, sofortigen und unmittelbaren Handlungsbedarf zeigt der Antragsgegner gerade nicht auf.

Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Antragsgegner darum weiß oder nach den Umständen wissen müsste, eine erhebliche Anzahl von Fondsgesellschaftern wäre bereits zur Erteilung eines anwaltlichen Mandates entschlossen und auf der Suche nach einem geeigneten Rechtsanwalt. Das Rundschreiben will maßgeblich erst über einen bestehenden Beratungsbedarf aufklären, auch wenn sich der Antragsgegner dabei zur Interessenwahrnehmung bereit erklärt. Letzteres steht aber nicht im Vordergrund des streitgegenständlichen Rundschreibens, auch wenn insbesondere die Einleitung darauf hindeuten könnte. Der Antragsgegner nimmt in dem Rundschreiben eine steuerrechtliche Entwicklung (bei einer – so auch offenbarten – noch ausstehenden höchstrichterlichen Klärung durch den BFH) zum Anlass, auf diese Entwicklung aufmerksam zu machen sowie auf den dadurch nach Auffassung des Antragsgegners entstandenen Beratungsbedarf. Das Rundschreiben fordert auch nicht unmittelbar zu einer Mandatierung des Antragsgegners auf, sondern stellt in seiner Schlussbemerkung klar, dass der Antragsgegner mit dem Rundschreiben die Adressaten zu einer Informationsveranstaltung (zu verschiedenen Terminen in verschiedenen Großstädten Deutschlands) einladen will. Dies unterstreicht um so mehr die Absicht des Antragsgegners, den Fondsgesellschaftern einen konkreten Handlungs- und Beratungsbedarf (zu einer konkreten Fallgestaltung) erst durch seine Aufklärung in der Werbung und in den Informationsveranstaltungen bewusst zu machen. So versteht der angesprochene Durchschnittsverbraucher auch insgesamt das streitgegenständliche Rundschreiben. Dass ein Rechtsanwalt völlig selbstlos und ohne jedes eigene mittelbare Interesse an einer Mandatierung aufklärende Hinweise gibt, erwartet auch ein Durchschnittsverbraucher gerade nicht.

Dass die vom Antragsgegner aufgezeigten steuerrechtlichen und schadensersatzrechtlichen Risiken nur vorgeschoben wären, wird von der Antragstellerin schon nicht näher begründet. Wenn der Antragsgegner seine Rechtsauffassung zwar sehr bestimmt äußert, so lässt er in dem Rundschreiben doch nicht unerwähnt, dass die Fondsgeschäftsführungen, beteiligten Banken und Initiatoren anderer Auffassung sind.

d)

Darüber hinaus ist bei der Auslegung von § 43 b BRAO zu berücksichtigen, dass den Rechtsanwälten eine Werbung für ihre berufliche Tätigkeit im Grundsatz nicht verboten, sondern erlaubt ist. Die Werbefreiheit ist als Teil der Berufsausübungsfreiheit – Art. 12 GG – gewährleistet (BVerfG, NJW 2000, 3195, juris Rn. 9, m.w.N.; BGH, a.a.O., Anwaltswerbung II, juris Rn. 21). Nicht die Gestattung der Anwaltswerbung bedarf einer Rechtfertigung, sondern deren Einschränkung (BGH, a.a.O., Anwaltswerbung II).

aa)

Eine solche (gesetzliche) Einschränkung ist nur dann mit Art. 12 GG vereinbar, wenn sie “im Einzelfall“ durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und im Übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (BVerfGE 76, 196, 207; BGH, a.a.O., Anwaltswerbung II). Verfassungsrechtlich geboten ist im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG eine umfassende Abwägung der Bedeutung der Werbefreiheit mit der Stärke der Gefährdung des Schutzgutes der Werberegelung im Einzelfall (BVerfG, GRUR 2004, 797, juris Rn. 15; vgl. auch OLG Naumburg, NJW 2003, 3566, juris Rn. 34; OLGR 2007, 1054). Demzufolge muss eine Einschränkung der Werbefreiheit einen hinreichenden “Bezug“ zu den mit der Werbung verbundenen Gefährdungen für das berufliche Verhalten und das Bild der Berufsangehörigen in der Öffentlichkeit herstellen (BVerfG, NJW 2004, 3765, juris Rn. 62 – Steuerberaterkammer), wobei es auf die konkrete Ausgestaltung der Werbung ankommt (BVerfG, GRUR 2008, 352, juris Rn. 18 – Gegnerliste). Dies legt es nahe, § 43 b BRAO nicht als abstraktes, sondern als konkretes Gefährdungsdelikt zu verstehen (vgl. hierzu auch etwa die einschränkende Auslegung von Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes [insbesondere § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4] als konkrete Gefährdungsdelikte: BGH, GRUR 2007, 809, TZ. 19 – Krankenhauswerbung, unter Hinweis auf BVerfG, 2004, 797). Selbst eine auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichtete Werbung ist danach erst dann unzulässig, wenn sie auch in ihrer individuellen Ausgestaltung geeignet ist, das Schutzgut der die Werbung regelnden Vorschrift konkret zu gefährden.

bb)

Das aus § 43 b BRAO folgende Verbot einer Werbung für ein konkretes Einzelmandat soll – wie erörtert – das Vertrauen der Rechtssuchenden in die Rechtsanwaltschaft schützen (Rechtsberatung allein am Wohl des Mandanten orientiert, nicht an einem Gewinnstreben der Rechtsanwälte – vgl. BVerfG, a.a.O., NJW 2000, 3195, juris Rn. 9; a.a.O., Gegnerliste, juris Rn. 18) sowie die Wahlfreiheit des potentiellen Mandanten, der bei der Mandatserteilung nicht bedrängt, genötigt oder überrumpelt werden soll (BGH, a.a.O., Anwaltswerbung II, juris Rn. 37; OLG Jena, 2006, 606, 607).

cc)

Vorliegend erkennt der Adressat des Rundschreibens das im Vordergrund stehende, um eine Aufklärung bemühte Ziel dieser Werbung, auch wenn das eigene Interesse des Antragsgegners an einer Mandatierung nicht verschwiegen wird. Die angesprochenen Fondsgesellschafter können ohne unmittelbaren zeitlichen Druck abwägen, ob sie an der angebotenen Informationsveranstaltung teilnehmen wollen. Ebenso bleiben sie frei, sich nach alternativ in Betracht kommende Rechtsanwälte zu erkundigen. Unter diesen Umständen wird auch das Vertrauen der Rechtssuchenden in die Rechtsanwaltschaft nicht konkret beeinträchtigt.

e)

Fehlt es demnach schon an einer wettbewerbswidrigen Werbung um ein anwaltliches Mandat, kommt es hier nicht mehr maßgeblich darauf an, dass der diesbezügliche Unterlassungsantrag jedenfalls in seiner Formulierung als Hauptantrag – wegen einer bloßen den Gesetzeswortlaut im Wesentlichen wiederholenden Fassung – zu unbestimmt ist.

2.

Angesichts der vorstehend erörterten Umstände hat das Landgericht zu Recht auch den Unterlassungsantrag Ziff. 1b zurückgewiesen, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 2, § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 43 b Alt. 1 BRAO.

Auf die Ausführungen im angefochtenen landgerichtlichen Beschluss wird Bezug genommen. Die Hinweise des Antragsgegners auf seine einschlägigen Erfahrungen sind sachlich gehalten und liegen in einem sachgerechten Informationsinteresse der angesprochenen Fondsgesellschafter. Auch wenn der Antragsgegner – wie erörtert – seine Rechtsauffassung bestimmt äußert, weist er doch auf die Umstrittenheit in der Diskussion der beteiligten Kreise hin. Dass die rechtlichen Äußerungen des Antragsgegners in der gerichtlichen Praxis oder der wissenschaftlichen Diskussion in einem erheblichen Maße umstritten wären, ist schon nicht vorgetragen noch sonst ersichtlich. Muss deshalb vorliegend davon ausgegangen werden, dass bei den angeschriebenen Fondsgesellschaftern Ende des Jahres erhebliche rechtliche Risiken entstehen können, hat der Antragsgegner im streitgegenständlichen Rundschreiben sachgerecht auf einen Beratungsbedarf hingewiesen. Im Hinblick auf den noch ausstehenden mehrmonatigen Zeitraum und die bloße Einladung zu einer Informationsveranstaltung fehlt es vorliegend sowohl an einer unlauteren Ausnutzung einer Zwangslage oder einer Unerfahrenheit der Adressaten des Rundschreibens. Wenn der Antragsgegner in dem streitgegenständlichen Rundschreiben auf die Vorteile einer gebündelten anwaltlichen Vertretung und einer kostengünstigen “Sammelklage“ hinweist, ist dies ebenfalls sachlich gerechtfertigt. Anderes zeigt auch die Antragstellerin nicht auf.

II.

Die Nebenentscheidungen zu den Kosten und zur Wertfestsetzung beruhen auf § 97 Abs. 1, § 3 ZPO.

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