Facebook-Nutzerkonto bei Ermittlung wegen Straftat beschlagnahmt

22. Februar 2012
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Eigener Leisatz:

Im Rahmen von Ermittlungen zu einer Straftat kann der Facebook-Account eines der Mithilfe Beschuldigten beschlagnahmt werden, um die Kommunikation zwischen ihm und dem Haupttäter aufzudecken.

Amtsgericht Reutlingen

Beschluss vom 31.10.2011

Az.: 5 Ds 43 Js 18155/10 jug.

 

In dem Strafverfahren gegen

X

wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl

erlässt das Amtsgericht Reutlingen durch den Richter am Amtsgericht Hamann am 31.10.2011 folgenden

Beschluss

In dem Strafverfahren wird gemäß §§ 99, 100 Abs. 1, Abs. 3 S 2, §§ 162, 169 Abs. 1 S 2 StPO für die Zeit vom 01. Januar 2010 bis zum 30. Oktober 2011

die Beschlagnahme des beim Anbieter Fa. Facebook GmbH, Hamburg, mit dem Dienst "Facebook.com" und "Facebook.de" (Provider) vorgehaltenen und gespeicherten

Facebook Benutzerkontos mit der Kennnummer (…)

a) jeweils ein- und ausgehenden elektronischen Nachrichten ("Messages") und Chats des Ange-klagten nebst Attachments (von dem bezeichneten Benutzerkonto an andere Adressen und "Freunde" im Netzwerk abgesandte sowie an die jeweilige nachbezeichnete Adresse gerichtete elektronische Nachrichten ("Messages") und Chats,

b) bereits in den jeweiligen Postfächern und beim Anbieter "Facebook" unter dem Benutzerkonto gespeicherte Informationen und Nachrichten ("Messages") bzw. "Chats", gleichgültig ob diese bereits einmal abgerufen worden sind oder nicht, sowie

 c)    dort als Entwürfe gespeicherten oder für eine Absendung erst vorbereiteten Dateien, Nachrichten ("Messages") und "Chats" und welche sich somit im Gewahrsam des Providers befinden,

d)    sowie die vollständigen Registierungsdaten und die vollständigen Datensätze benannt: "Messages", "Friends", "Notes", "Chats", "E-Mails", auch soweit diese nicht öffentlich einsehbar sind, sowie sämtliche Lichtbilder,

ohne Wissen des Angeklagten angeordnet;

Nicht der Beschlagnahme unterliegen Nachrichten ("Messages") und Chatnachrichten, welche ersichtlich nicht an den Angeklagten gerichtet sind oder offensichtlich zu diesem Strafverfahren keinen Bezug oder erkennbar religiöse Inhalte haben, also nicht Nachrichten ("Messages") an oder über die Zeugin oder den getrennt verfolgte betreffen. Standortdaten, IP-Adressen, Religiöse Ansichten oder politische Ansichten sollen nicht erhoben werden.
Gründe:

Der Angeklagte ist hinreichend verdächtig, am 17. September 2010 zwischen 21.30 und 22.30 Uhr dem getrennt verfolgten Y ermöglicht zu haben, durch ein zuvor von ihm von innen geöffnetes Fenster der Garage des    in Reutlingen einzusteigen. Der Y entwendete im Gebäude u.a. Bargeld im Wert von 460.- EUR, eine Damenuhr, 2 Euro-Starter-Kits, einen iPod nano und weitere Gegenstände im Gesamtwert von mehr als 1000.- EUR. Der Angeklagte hatte in Kenntnis des Vorhabens diesem nicht nur das Garagenfenster geöffnet, sondern diesem auch telefonisch Bescheid gegeben, als er mit der Tochter des Hauses das Gebäude verließ, und diesen erneut benachrichtigt, kurz bevor er mit dieser zurückkehrte. Hierdurch unterstützte und erleichterte er die Tat des Y. Der Angeklagte wurde im Februar 2011 bereits mit dem Y zusammen wegen gemeinschaftlicher vergleichbarer Taten verurteilt (…). Bei dem Y handelt es sich um einen Intensivtäter.

Der Angeklagte verfügt über das im Beschlusstenor aufgeführte Benutzerkonto bei "Facebook". Er ist zumindest einer Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl gemäß §§ 242, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB hinreichend verdächtig, da er nach Angaben der (…) die einzige Person ist, welche über den entsprechenden Zugang zu den Räumlichkeiten verfügte. Durch Beschluss vom 07.09.2011 wurde das Hauptverfahren gegen ihn eröffnet. Außerdem kommunizierte der Angeklagte auf verschiedenen elektronischen Wegen umfänglich mit Zeugen und dem getrenntverfolgten Y nach der Tat, aber auch zuvor, wobei bei der Tochter des Hauses unauffällig Details zur Tatörtlichkeit erfragt wurden. Eine Durchsuchung beim Angeklagten führte nicht zum Erfolg, da der Angeklagte und Y miteinander Kontakt aufnahmen und die Speicher von verschiedenen Mobilfunkgeräten zeitnah gelöscht wurden.

Beide unterhalten augenscheinlich Mitgliederkonten bei Facebook (…).

Es ist damit zu rechnen, dass der Angeklagte über Facebook vor der Tat, nach der Tat und im laufenden Verfahren erneut Kontakt zu der Zeugin und dem Y aufgenommen hat, jedenfalls weitere an diese gesendete Nachrichten ("Messages") und Chat-Nachrichten beim Provider noch immer vorgehalten werden:

Hierzu in einer Übersicht zu den dauerhaft und zuordenbar vorgehaltenen Datensätzen:

http://www.europe-v-facebook.org/DE/Datenbestand/datenbestand.html

Es besteht darüber hinaus die Erwartung, dass die bereits früher an den getrennt verfolgten Y übersandten Nachrichten und Chat-Mitteilungen und die von ihm beantwortete Nachrichten und Chat-Anfrage noch verknüpft mit dem Mitgliederkonto des Angeklagten abgelegt und im Datenbestand des Providers unter den im Tenor genannten Datenfeldern (lit. d) vorgehalten werden.

Die Maßnahme war in entsprechender Anwendung von § 99 StPO anzuordnen. Insbesondere betrifft die beantragte Anordnung keine Eingriffsmaßnahme nach § 100a StPO, weil die zu beschlagnahmenden Messages und Chat-Unterhaltungen nicht mehr Gegenstand einer aktuell andauernden Telekommunikation sind, wenn sie sich im Gewahrsam des Providers – wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde – befinden (vgl: KK-StPO/Nack, 6. Aufl., Rn 22; OK-StPO/Graf § 100a StPO Rn 28, 31). Diese beim Provider, welcher das Mitgliederkonto dem Nutzer zur Verfügung gestellt hat, befindlichen und sicherzustellenden Messages und Chatnachrichten sind insoweit einer Briefsendung oder einem Telegramm im Gewahrsam des Postdienstleisters vergleichbar und damit in entsprechender Anwendung der Voraussetzungen des § 99 StPO zu beschlagnahmen. Vorliegend handelt es sich nicht um eine einmalige Durchsuchung des Mail-Postfaches, weshalb die Vorgaben der Entscheidung BVerfG NJW 2009, 2431 nicht maßgeblich sind. Private oder intime "Tagebucheintragungen" ermöglicht der Anbieter Facebook nicht. Sämtliche elektronischen Äußerungen sind prinzipiell und erkennbar stets für Dritte, so auch den Anbieter zu kommerziellen Zwecken, zugänglich. Nicht übersehen wird, dass der Angeklagte möglicherweise keine Möglichkeit hat, die Nachrichten zu löschen. Anderseits hat er sich aus freien Stücken entschlossen, das seit längerer Zeit umstrittene und in der öffentlichen Diskussion stehende Angebot der Fa. Facebook zu verwenden.

Von einer vorherigen Anhörung des Beschuldigten war gemäß § 33 Abs. 4 StPO abzusehen, um den Ermittlungszweck nicht zu gefährden.

Hamann
Richter am Amtsgericht

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