Nutzung von Mehrwertdiensten durch Kinder

27. August 2010
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Eigener Leitsatz:

Unterlässt der Inhaber eines Telefonanschlusses die Sperrung von Mehrwertdiensten, muss er für dadurch entstandene Kosten aufkommen, auch wenn sie von Dritten verursacht wurden. Zur Wahrung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt müssen alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen werden, die eine nicht gebilligte Nutzung des Anschlusses unterbinden. Das bedeutet, dass Mehrwertdienste grundsätzlich gesperrt werden müssen, um eine Haftung auszuschließen.

 

Landgericht Darmstadt

Urteil vom 25.11.2009

Az.: 21 S 32/09

 

In dem Rechtsstreit (…)

hat das Landgericht Darmstadt -21. Zivilkammer- durch die Richter …

im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzende am 28.10.2009

für R e c h t erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Bensheim vom 15.01.2009 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.427,79 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.09.2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu 90 % und die Klägerin zu 10% zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 2.427,79 € festgesetzt.
 
Entscheidungsgründe:

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz I ZPO abgesehen.

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1.) Die Aktivlegitimation der Klägerin ist mit dem Amtsgericht zu bejahen. Bei der Bestellung von Drachenmünzen im Internet wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin Vertragspartner der Leistung ist. Auch in der Telefonrechnung wird als Erbringer des ePayment die Klägerin genannt Aus der von der Klägerin vorgelegten Liste geht auch kein anderer Vertragspartner oder Leistungserbringer hervor, sondern auch dort ist unter Dienst „b4n-fest“ genannt.

Auch wenn sich andere Firmen zu Unrecht der Forderung berühmt haben, entfällt hierdurch nicht die Aktivlegitimation der Klägerin. Eine wirksame Abtretung von der Klägerin an eine andere Firma ist von der Beklagten nicht vorgetragen worden.
 
2.) Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch aus Vertrag zu.

a) Die Beklagte muss sich ein eventuelles Handeln ihres Sohnes zurechnen lassen. Sie als Anschlussinhaberin hat, vertreten durch ihren Sohn, mit der Klägerin einen Vertrag geschlossen (vgl. auch BGH, NJW 2006, 1971).
Der der Anscheinsvollmacht zugrunde liegende Rechtsgedanke, nach dem ein Teilnehmer am Rechtsverkehr für das seiner Risikosphäre zuzurechnende Verhalten Dritter such vertraglich einzustehen hat, ist im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen über die herkömmlichen Fallgruppen hinaus anwendbar. Diese Besonderheit findet ihren Ausdruck und ihre rechtliche Grundlage in § 45 i Abs. 4 TKG, vormals § 16 Abs. 3 Satz 3 TKV. Diese Bestimmung grenzt die Risikosphären zwischen dem Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen und dem Anschlusskunden bezüglich des Zugriffs Dritter auf den Netzzugang unter dem objektivierten Gesichtspunkt von einander ab, ob der Kunde die Nutzung seines Anschlusses zu vertreten hat (BGHZ 158, 205, 207; siehe auch Begründung der Bundesregierung zum Entwurf der TKV, BR-Drucks. 551/97, S. 36; Ehmer in Beck’scher TKG-Kommentar, 2. Aufl., Anh. § 41 §16 TKV Rn. 15, 17; Grabe MMR 2005, 483, 484). Auf einen individuell geschaffenen Vertrauenstatbestand kommt es danach im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich bei der Erbringung von Verbindungsdienstleistungen um ein praktisch vollständig technisiertes, anonymes Massengeschält handelt, nicht mehr an.

Danach hat die Beklagte hier ein Handeln ihres Sohnes zu vertreten. Im Sinne des § 16 Abs. 3 Satz 3 TKV bzw. hier des § 45 i TKG zu vertreten hat der Anschlussinhaber entsprechend § 276 Abs. 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit (BGHZ 158, 205, 209 m.w.N.).

Maßgeblich ist also, ob die Beklagte vorsätzlich oder fahrlässig die Telefonate durch ihren Sohn ermöglichte. Die bewusste Duldung scheidet nach dem festgestellten Sachverhalt aus. Allerdings muss der Anschlussinhaber zur Wahrung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) alle ihm zumutbaren geeigneten Vorkehrungen treffen, um eine von ihm nicht gebilligte Nutzung seines Telefons zu unterbinden. zumutbar sind diejenigen Maßnahmen, die einem gewissenhaften durchschnittlichen Telefonkunden bekannt sind und zu deren Durchführung er mit vertretbarem. Aufwand in der Lage ist (vgl. Grabe MMR 2005, 483, 484), Hier war es der Beklagten ohne weiteres möglich, die Nutzung ihres Anschlusses für Mehrwertdienste zu sperren.

b) Nach der Beweislastverteilung des § 45 i TKG hat nach Ablauf einer formularvertraglich wirksam vereinbarten Beanstandungsfrist der Endnutzer die Unbegründetheit der vorn Anbieter geltend gemachten Forderung darzulegen und zu beweisen,
 
Hier hat die Beklagte die streitgegenständliche Rechnung vorn 13.07.2007 nicht innerhalb von 8 Wochen beanstandet, Sie hat ausweislich der vorgelegten Schreiben vom 05.07.2007 sowie des in der Akte befindlichen Email-Verkehrs vom Juni 2007 sich lediglich gegen die erste Rechnung vom 15.06.2007 gewandt.

Auch das im Schriftsatz vom 12.08.2009 vorgetragene Telefonat des Prozessbevollmächtigten mit der Telekom am 14.08.2007 ist – unabhängig von seinem Inhalt – keine rechtzeitige Beanstandung, da diese nicht gegenüber der Klägerin bzw. der in der Telefonrechnung genannten als Ansprechpartner genannten Firma erfolgte.

c) Ohne rechtzeitige Geltendmachung der Beanstandungen obliegt es aber der Beklagten nachzuweisen, dass die Forderung der Klägerin unbegründet ist, weil die Inanspruchnahme der Leistungen der Beklagten nicht zugerechnet werden kann oder Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Dritte durch Manipulationen das streitige Entgelt beeinflusst haben (§ 45 i Abs. 4 TKG). Das hat die Beklagte hier nicht ausreichend getan.

aa) Die Bezahlung der bestellten Drachenmünzen ist jeweils über den Telefonanschluss der Beklagten erfolgt. Sie muss sie sich zurechnen lassen, auch wenn sie von ihrem Sohn vorgenommen wurden.

Die Beklagte hat zwar bestritten, dass ihr Sohn Drachenmünzen bestellt hätte, hat das aber nicht unter Beweis gestellt.

bb) Ausreichende Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass Dritte durch Manipulationen das streitige Entgelt beeinflusst haben, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Ein Sachverständigen-Gutachten war hierzu nicht einzuholen, da es an ausreichenden Anknüpfungstatsachen fehlte.

(1) Die Beklagte hat eingeräumt, dass ihr Sohn an dem Onlinespiel Metin 2 teilgenommen und sich einer Gruppe von Spielern (Gilde) angeschlossen hatte, für die er auf deren Bitte hin nahezu täglich mit immer neuem Namen und Passwort im Itemshop Dinge verkaufte. Falls sich ihr Sohn auch darauf eingelassen haben sollte, für die Spielergilde Drachenmünzen zu bestellen und diese Dritten ihn dabei ausnutzen, indem sie z. B. darauf setzen, dass er nicht bedenkt, dass die Drachenmünzen Ober die Telefonrechnung des vom ihm als Besteller benutzten Anspruchs in wirklicher und nicht nur in Fantasie-Währung abgerechnet werden oder ihm die versprochene Bezahlung schuldig bleiben, geht das nicht zu Lasten der Klägerin.
 
(2) Technische Manipulationen sind nicht ersichtlich.

Von irgendwelchen Dialern oder Viren ist nicht die Rede, im Übrigen beeinflussen solche nur einen Internetanschluss bzw. Computer. Hier geht es aber um Telefonate von einem Festnetzanschluss.

Die Bestellungen sind zwar in sehr kurzen zeitlichen Abständen erfolgt, sie sind aber nicht unmöglich, z. B. nicht zeitgleich Dass die Anrufe immer gleich oder sehr ähnlich lang dauern, ist dem Umstand geschuldet, dass die Dauer des Anrufes von dem Sprachcomputer und seinem immer gleichen Schema bestimmt wird. Das deutet nicht auf eine Manipulation hin.

Die Zeiten der Bestellungen sind auch mit dem Tagesablauf eines schulpflichtigen Jugendlichen ohne Probleme in Einklang zu bringen. So erfolgen die Bestellungen fast nie an Werktagen vormittags (lediglich am 14.05. und am 15.05. schon ab 12.00 Uhr und am 07.06. ein Mal um 9.23 Uhr, dann aber Pause bis nach 13.00 Uhr) und nur sehr selten mitten in der Nacht (am Freitag, den 18.05. um 1.21 Uhr und am Sonntag, den 10.06. um 3.14 Uhr) und nie langer als 2 1/2 Stunden am Stück.

Dass der Sohn der Beklagten zu den Zeiten, zu denen die Bestellungen erfolgten, nicht zu Hause gewesen sei oder aus sonstigen Gründen nicht in der Lage gewesen wäre, die Bestellungen durchzuführen, wird nicht vorgetragen.

Die Menge der bestellten Drachenmünzen an sich rechtfertigt ebenfalls keinen Rückschluss auf Manipulationen. Es mag Erwachsenen, die nicht in das Computerspiel involviert sind und auch nicht zu dessen Zielgruppe gehören, unsinnig erscheinen, so viele Münzen zu bestellen. Das ist allerdings nur eine subjektive Einschätzung. die man nicht teilen muss. Hier kommt hinzu, dass die Spielbetreiberin erklärt hat, dass die Münzen 19 verschiedenen Spielerkonten gutgeschrieben wurden, so dass die Münzen auch für Dritte oder jedenfalls für weitere Spieleridentitäten gekauft wurden und sich damit auf 19 wirkliche oder virtuelle Benutzer aufteilten.

3. Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz aus der Klageforderung ab dem Zeitpunkt der Klagezustellung am 26.09.08 gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

Weitere Zinsen aus Verzug kann sie nicht verlangen. Die Voraussetzungen eines Verzugseintritts sind nicht schlüssig dargelegt. Nach § 286 Abs. 1 BGB setzt der Verzugseintritt grundsätzlich eine Mahnung voraus. Hier sind aber keine Mahnungen, mit denen eine Forderung der Klägerin angemahnt wurde, vorgetragen. Die Rechnung an sich stellt keine Mahnung dar.
 
Ein Mahnungssurrogat nach § 286 Abs. 2 BGB ist nicht ersichtlich. Der bloße Hinweis auf der Rechnung wonach der Kunde spätestens 10 Tage nach Zugang der Rechnung in Verzug gerat, stellt lediglich die Äußerung einer falschen Rechtsansicht dar, Insbesondere greift insofern § 286 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 BGB nicht ein, da die einseitige Bestimmung einer kalendermäßig bestimmten Leistungszeit oder eines Ereignisses hierfür nicht ausreichend ist. Erforderlich ist vielmehr grundsätzlich eine entsprechende vertragliche Vereinbarung (Palandt/Heinrichs, 67. Auflage, § 286 Rn. 22 f.). Zu den Voraussetzungen des 286 Abs. 3 BGB ist nichts vorgetragen.

4. Die Klage ist auch abzuweisen, soweit Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten sowie Ersatz von Inkassokosten in Höhe von 50.- EUR geltend gemacht werden.

Hinsichtlich der Einschaltung der Inkassofirma (…) ist bereits anzumerken, dass sich in der Akte bezüglich dieser Inkassofirma nur Schreiben befinden, die eine Forderung der (…) geltend machen.

Darüber hinaus scheitert ein potentieller Anspruch der Klägerin aus §§ 280, 286 BGB bereits daran, dass ein Eintritt des Verzugs bei der Beklagten vor Einschaltung eines Inkassobüros und des Verfahrensbevollmächtigten nicht ersichtlich ist.

5. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 92 Abs. 1 ZPO und §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 GKG, § 3 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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