Vertrieb eines „Adblockers“ ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig

02. Juni 2016
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Aufschrift "Stop ADs" auf Handfläche steht für Adblocker Urteil des LG Stuttgart vom 10.12.2015, Az.: 11 O 238/15

Die Unlauterkeit des Vertriebs eines sogenannten „Adblockers“ ist anhand einer Abwägung der jeweiligen Gesamtumstände im Einzelfall zu ermitteln. Dabei spricht gegen eine Unlauterkeit insbesondere, wenn der Vertrieb der Software in erster Linie der Gewinnerzielung dient und nicht die Beeinträchtigung eines Wettbewerbers bezweckt. Auch die Möglichkeit des Internetnutzers, selbst zu bestimmen, ob und wenn ja, welche Werbeseiten blockiert werden sollen, indiziert die Lauterkeit. Für eine solche spricht auch, dass es dem Seitenbetreiber jederzeit möglich ist, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Landgericht Stuttgart

Urteil vom 10.12.2015

Az.: 11 O 238/15

Tenor

  1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
  2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
  4. Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin begehrt von den Verfügungsbeklagten die Unterlassung des Vertriebs eines sogenannten „Adblockers“, mit dessen Hilfe Internetnutzer in die Lage versetzt werden, systematisch beim Besuch von Internetseiten Werbung zu blockieren und die entsprechenden Seiten ohne die Werbung anzuschauen.

Die Verfügungsklägerin ist eine Tochtergesellschaft des Springer-Verlags und betreibt das Online-Angebot der Zeitung „DIE WELT“, www,welt.de. sowie eine für mobile Endgeräte optimierte Version der Seite, m.welt.de. Die Internetseite www.welt.de gehört mit über 13 Millionen Besuchern im Monat zu den reichweitenstärksten Nachrichtenseiten in Deutschland.

Die Nutzung der Seiten www.welt.de sowie m.welt.de ist grundsätzlich kostenlos. Finanziert wird das redaktionelle Angebot ganz überwiegend (zu 95%) aus Werbeerlösen.

Die Werbeeinnahmen gliedern sich auf in klassische Anzeigen (sog. Display-Werbung) und empfehlende Links (sog. Affiliate-Marketing).

Bei der Display-Werbung erfolgt die Werbevergütung (nur) dann, wenn ein „Kontakt“ erfolgt, wenn nämlich die Werbung auf der Webseite geladen und dadurch für den Seitenbesucher wahrnehmbar gemacht wird.

Beim Affiliate-Marketing hängt die Vergütung davon ab, dass ein potentieller Käufer den Link „anklickt“ und auf die verlinkte Seite gelangt bzw. (wenn die Vergütung als Umsatzbeteiligung ausgestaltet ist) dort einen Artikel erwirbt.

Die Verfügungsbeklagte vertreibt die Software „Blockr“. Dabei handelt es sich um ein Zusatzprogramm, eine „App“, für den mobilen Apple-Browser „Safari“ mit dem neuen Betriebssystem iOS 9. „Blockr“ beinhaltet – neben der Möglichkeit, bestimmte andere Inhalte wie Videos oder Bilder oder z.B. „Cookies“ systematisch zu blockieren  – insbesondere eine „Werbeblockerfunktion“. Wenn man diese Funktion einschaltet, werden automatisch alle Inhalte, die der Werbeblocker anhand einer ständig aktualisierten „Blacklist“ als Werbung erkennt, blockiert, dass heißt sie werden bei Aufruf der Seite aus dem Internet nicht heruntergeladen und dementsprechend dem Nutzer nicht angezeigt (s. die Gegenüberstellung der Internet-Seite der Verfügungsklägerin mit und ohne Einsatz von Blockr auf S. 7 des Verfügungsantrags). Aufgrund dessen erhält der Betreiber der Seite auch keine Vergütung für die Werbung.

Für den Nutzer gibt es die Möglichkeit – wie kompliziert dieses Verfahren ausgestaltet ist, ist zwischen den Parteien im Einzelnen streitig – einzelne Internetseiten auf eine sogenannte „Whitelist“ setzen zu lassen, mit der Folge, dass Werbung auf diesen Seiten nicht blockiert wird.

Die Software der Verfügungsbeklagten ist kostenpflichtig. Sie kostet 0,99 € und ist inzwischen knapp über 42.000 mal heruntergeladen worden.

Technisch ist es grundsätzlich für die Betreiber von Internetseiten möglich, Internetnutzer, die „Adblocker“ wie die streitgegenständliche Software benutzen, zu identifizieren und diesen z.B. den Zugang zu ihrer Internetseite einzuschränken, nur gegen Bezahlung zu gewähren oder gänzlich zu verwehren. Eine entsprechende Zugangssperre hat die Schwestergesellschaft der Verfügungsklägerin, die Bild GmbH & Co. KG, für ihre Inhalte bei www.bild.de eingeführt.

Die Verfügungsklägerin macht geltend, dass der Vertrieb des Programms „Blockr“, soweit damit Werbeinhalte auf den Seiten der Klägerin unterdrückt werden können, eine „gezielte Behinderung“ und damit einen Verstoß gegen § 4 Nr. 10 UWG darstelle.

Es handele sich um die gezielte Ausschaltung fremder Werbung. Dabei liege eine unmittelbare Werbebehinderung vor. Maßgebliches Kriterium für die Unmittelbarkeit des Eingriffs sei, dass in die Gestaltung der Internetseite selbst, die bewusst aus redaktionellen Inhalten und Werbeblöcken zusammengesetzt sei, eingegriffen werde. Darin liege ein wesentlicher Unterschied zum Sachverhalt in der Entscheidung des BGH, GRUR 2004, 877 ff. – Werbeblocker, wo der BGH darauf abgestellt habe, dass ein unmittelbarer Eingriff deshalb nicht vorliege, weil in das Fernsehprogramm selbst nicht eingegriffen werde, sondern lediglich während der Werbepausen des Programms automatisch umgeschaltet werde. Nicht maßgebend für die Unmittelbarkeit sei hingegen der Umstand, dass der Einsatz des „Blockr“ vom Willen des Nutzers abhänge.

Folge der Einordnung als „unmittelbare“ Werbebehinderung im genannten Sinne sei es, dass damit von vornherein der Unlauterkeitstatbestand erfüllt sei, ohne dass es einer umfassenden Interessenabwägung bedürfe.

Die Verfügungsklägerin ist weiter der Auffassung, dass selbst wenn man eine Interessenabwägung meine vornehmen zu müssen, diese zu Gunsten der Verfügungsklägerin ausfalle.

Die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher könne zur Rechtfertigung des unmittelbaren Eingriffs in Medienangebote nicht angeführt werden. Kein Nutzer habe einen Anspruch darauf, redaktionelle Inhalte des streitgegenständlichen Angebots ohne die Werbefinanzierung zu nutzen.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Einsatzes von „Adblocker“-Programmen wie dem der Beklagten für die Betreiber werbefinanzierter Onlineangebote seien – anders als z.B. im BGH-Fall „Werbeblocker“ – gravierend. Dieser Sachverhalt gefährde den Betrieb von Online-Medien wie die der Beklagten insgesamt existentiell. Es sei keine Lösung, Nutzer, die einen Internet-Blocker benutzen, vom Besuch der Seite auszuschließen, weil dann erst recht keine Werbeeinnahmen generiert würden.

Zugunsten der Verfügungsklägerin sei die Pressefreiheit zu berücksichtigen, und zwar sowohl in institutioneller Hinsicht als auch im Hinblick darauf, dass auch der Anzeigenteil eines Presserzeugnisses dem Grundrechtsschutz unterfalle.

Die Verfügungsklägerin beantragt im Wege der einstweiligen Verfügung:

Den Verfügungsbeklagten wird es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, untersagt,

ein Softwareprogramm anzubieten, zu bewerben, zu pflegen oder zu vertreiben oder anbieten, bewerben, pflegen oder vertreiben zu lassen, das Werbeinhalte auf den Seiten www.welt.de einschließlich deren mobiler Ausgabe unterdrückt.

Die Verfügungsbeklagten beantragen,

den Verfügungsantrag zurückzuweisen.

Sie machen geltend, dass eine unlautere gezielte Behinderung nicht gegeben sei.

Eine gezielte Behinderung scheide schon aus, da es allein der Nutzer sei, der entscheide, welche Inhalte er blockieren wolle. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass es sich bei „Blockr“ nicht um einen reinen Werbeblocker, sondern um einen „Contentblocker“ handele, der mittels verschiedener Funktionen unterschiedliche Inhalte gezielt blockieren könne. Was die Werbeblocker-Funktion anbelangt, so könne der Nutzer selbständig wählen, welche Seiten er durch hinzufügen zur „Whitelist“ von der Blockade ausnehmen wolle.

Im Übrigen gebe der Browser des Nutzers vor, welche Inhalte von einer aufgerufenen lnternetseite heruntergeladen und für den Nutzer sichtbar gemacht werden. Es sei technisch möglich, diese Einstellungen dergestalt vorzunehmen, dass Werbeinhalte blockiert würden. Insofern erleichtere und automatisiere die streitgegenständliche Software lediglich eine Funktion, die jedem Browser immanent sei und prinzipiell vom Nutzer, der entsprechende Kenntnisse hat, auch ohne Einsatz der Software durch entsprechende Veränderung der Browsereinstellungen vorgenommen werden könnte.

Durch die streitgegenständliche Software sei die Verfügungsklägerin keineswegs gehindert, ihr redaktionelles Online-Angebot auf den Markt zu bringen. Die Verfügungsklägerin habe ohne weiteres die Möglichkeit, auf den vermehrten Einsatz von Ad-Blockern zu reagieren, indem sie eine – ggf. abgestufte – Zugangssperre installiere und/oder ein Bezahlsystem etabliere. Das derzeitige lukrative Geschäftsmodell der Verfügungsklägerin als solches sei nicht geschützt. Im Übrigen sei speziell durch das streitgegenständliche Programm aufgrund von dessen geringer Verbreitung eine relevante Beeinträchtigung der Verfügungsklägerin nicht ersichtlich.

Im Rahmen der Gesamtabwägung sei auch das Interesse des Nutzers zu berücksichtigen, nicht mit unerwünschter Werbung konfrontiert zu werden. Dies sei Teil der negativen Informationsfreiheit der Nutzer.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vorn 19.11.2015 (GA 154 ff.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Verfügungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG ist nicht widerlegt. Ein Verfügungsgrund liegt demnach vor.

II.

Ein Verfügungsanspruch steht der Verfügungsklägerin nicht zu. Der Vertrieb der streitgegenständlichen Software und die damit im Zusammenhang stehenden, im Klageantrag aufgeführten weiteren Handlungsweisen verstoßen nicht gegen § 4 Nr. 10 UWG, so dass ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG ausscheidet.

  1. Allerdings liegt ein Handeln im geschäftlichen Verkehr vor, Dies ist hier – anders als etwa im Fall des LG Hamburg v. 21.04.2015, 416 HKO 159/14, zit. nach JURIS – unproblematisch, da die Software entgeltlich veräußert wird.
  1. Zwischen den Parteien besteht auch das erforderliche konkrete Wettbewerbsverhältnis, §§ 8 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 Nr. 3 UWG. Grundsätzlich gilt nach ganz herrschender Auffassung, dass im Interesse eines wirksamen wettbewerbsrechtlichen Schutzes an das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses keine hohen Anforderungen zu stellen sind (statt vieler: BGH, MMR 2004, 662, 663 – Werbeblocker; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 2 Rn. 97 m.w.N.).

Eine Branchengleichheit oder eine Gleichartigkeit der angebotenen gewerblichen Leistung ist nicht erforderlich (BGH, MMR 2004, 662, 663 – Werbeblocker). Ausreichend ist, dass sich beide Parteien wie hier mit ihren Angeboten – wenn auch mit umgekehrter Zielrichtung – an die Internetnutzer und potentiellen Werbekunden richten und dass eine Behinderung des Angebots der Verfügungsklägerin durch das der Verfügungsbeklagten möglich ist, da der Absatz der streitgegenständlichen Software mit einer Minderung der Werbevergütung der Verfügungsklägerin einhergehen kann (vgl. BGH, a.a.O.).

  1. Es fehlt jedoch an der gezielten Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG.

Unter Behinderung ist die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten eines Wettbewerbers zu verstehen (BGH, GRUR 2001, 1061, 1062 – Mitwohnzentrale; BGH, MMR 2004, 662, 663 – Werbeblocker; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33, Aufl. 2015, § 4 Rn. 10.6 m.w.N.). Da jeder Wettbewerb darauf angelegt ist, Wettbewerber in ihrer Entfaltung zu hindern, reicht jedoch die bloße Behinderung nicht aus, um eine gezielte Behinderung zu begründen; hinzukommen müssen vielmehr weitere, die Unlauterkeit begründende Faktoren (Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 10.7 m.w.N.). Insoweit ist eine Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls geboten, bei der die gegenüberstehenden Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher, der sonstigen Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen sind (BGH, MMR 2004, 662, 663 – Werbeblocker).

  1. a) Soweit die Verfügungsklägerin die Auffassung vertritt, dass bei einer unmittelbaren Behinderung, die die Verfügungsklägerin dahingehend verstanden haben will, dass „unmittelbar“ in die Gestaltung der Internetseite der Verfügungsklägerin eingegriffen werde, die Unlauterkeit ohne eine derartige Gesamtabwägung anzunehmen sei, kann die Kammer dem nicht folgen. Diese Auffassung entspricht nach dem Verständnis der Kammer auch nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. In der Entscheidung „Werbeblocker“ hat der Bundesgerichtshof keineswegs, wie es die Verfügungsklägerin annimmt, postuliert, dass bei einer „unmittelbaren Einwirkung“ auf das Produkt der Verfügungsklägerin – was auch immer damit genau gemeint ist – von vornherein und ohne Abwägung von einer Unlauterkeit auszugehen sei. Im Gegenteil: Der Bundesgerichtshof hat zunächst einleitend (BGH, MMR 2004, 662, 663 – Werbeblocker – unter aa)) betont, dass die Unlauterkeit aufgrund einer umfassenden Gesamtabwägung festgestellt werden müsse. Er hat sodann im nächsten Absatz festgestellt, dass die vom Kammergericht vorgenommene umfassende Abwägung nicht zu beanstanden sei. Der BGH hat dann im Rahmen der Überprüfung dieser Gesamtabwägung davon gesprochen, dass eine unlautere Behinderung beim Vorliegen einer unmittelbaren zerstörenden oder beschädigenden Einwirkung auf das Produkt eines Mitbewerbers „in Betracht“ komme, es jedoch im zu entscheidenden Fall an einer solchen unmittelbaren Einwirkung fehle. Im nächsten Absatz wird dann erörtert, dass auch eine mittelbare Einwirkung unlauter sein könne. Der Passage wird man entnehmen können, dass die „Unmittelbarkeit“ der Einwirkung – wie auch immer man den Begriff versteht – ein Faktor ist, der bei der vorzunehmenden umfassenden Abwägung zu berücksichtigen ist und der für eine Unlauterkeit spricht. Dass jedoch bei einer unmittelbaren Einwirkung auf das Produkt ohne umfassende Abwägung von einer Untauterkeit auszugehen ist, folgt aus der genannten Passage gerade nicht. Es erschiene der Kammer auch nicht sachgerecht, bei einer unmittelbaren Einwirkung auf das Produkt eines Mitbewerbers per se und ohne umfassende Abwägung von einer Unlauterkeit auszugehen.
  1. b) Die wie erörtert generell vorzunehmende umfassende Abwägung der betroffenen Interessen und Rechte fällt vorliegend zu Lasten der Verfügungsklägerin aus.

Wesentliche Kriterien dafür, ob eine Behinderung als gezielt und damit unlauter anzusehen ist, sind zum einen die Frage, ob die Maßnahme bei objektiver Würdigung aller Umstände in erster Linie nicht auf die Förderung der eigenen wettbewerblichen Entfaltung, sondern auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung eines Mitbewerbers gerichtet ist (BGH, WRP 2005, 881, 884 – The Colour of Elegance), zum anderen, ob die Behinderung derart gravierend ist, dass die beeinträchtigten Mitbewerber ihre Leistungen am Markt durch eigenen Anstrengungen nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können (BGH, GRUR 2001, 1061, 1062 – Mitwohnzentrale). Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung sind jedoch auch alle gegenüberstehenden Interessen der beteiligten Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer abzuwägen; insbesondere sind auch der Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die kollidierenden Grundrechte der betroffenen Akteure in die Abwägung einzustellen (vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 10.11).

  1. aa) Verfolgter Zweck

Speziell was die Beeinträchtigung fremder Werbung anbelangt, ist anerkannt, dass die gezielte Ausschaltung (Vernichtung, Beschädigung, Überdeckung oder Beiseitschaffung) fremder Werbung regelmäßig unlauter ist, weil diese Maßnahme nur – oder jedenfalls primär – den Zweck hat, den Mitbewerber in seiner wettbewerblichen Entfaltung zu behindern (Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 4 Rn. 10.71),

Vorliegend ist eine derartige Fallkonstellation jedoch nicht gegeben. Die Verfügungsbeklagten wollen mit dem Vertrieb eines Adblockers in erster Linie eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen, nämlich mit dem Vertrieb des Produkts Gewinn erzielen. Der Erfolg des eigenen Produkts führt dann zwar in der Folge aller Voraussicht nach zu Umsatzverlusten durch entgangene Werbeeinnahmen bei den Betreibern von werbefinanzierten Internetseiten, wenn die Software von den Nutzern eingesetzt wird, diese Verluste sind aber anders als bei der gezielten Beschädigung oder Beseitigung fremder Werbung nicht der vorrangige Zweck des Handelns, sondern lediglich die Kehrseite des eigenen wirtschaftlichen Erfolgs.

Die Entscheidung, ob tatsächlich Werbeseiten und welche Werbeseiten blockiert und damit Umsatzeinbußen erleiden, trifft im Übrigen jeweils der Internetnutzer, und nicht die Verfügungsbeklagten. Dies ist anders zu beurteilen als das eigene gezielte Eingreifen in fremde Werbemaßnahmen (so auch BGH, MMR 2004, 662, 664 – Werbeblocker; LG München v. 27.05.2015, Az. 37 O 11843/14, JURIS-Rz. 170), auch wenn der Verfügungsklägerin zuzugeben ist, dass der Umstand, dass der Nutzer die Entscheidung über die Blockade von Werbemaßnahmen trifft und die Verfügungsbeklagten ihm lediglich ein geeignetes Instrument hierfür liefert, für sich genommen kein ausschlaggebendes, die Unlauterkeit ausschließendes Kritierium ist. Es sind auch nach Auffassung der Kammer ohne weiteres Fälle denkbar, in denen auch die bloße Zurverfügungsstellung eines nutzergesteuerten Instruments unlauter sein kann, wenn z.B. Software vertrieben wird, mittels derer gezielt technische Verschlüsselungssysteme umgangen werden können.

Das ist aber nicht vergleichbar mit dem vorliegenden Fall, in dem die Software lediglich dazu führt, dass die implizite Erwartung des Internetseitenbetreibers, mit dem Aufruf der Seite werde auch die dazu geschaltete Werbung heruntergeladen, enttäuscht wird, ohne das eine vom Seitenbetreiber eingerichtete technische Sperre oder ähnliches gezielt umgangen wird.

Auch ist zu berücksichtigen, dass insbesondere bei aufdringlichen oder gar datenschutzrechtlich problematischen Werbeformen durchaus ein anerkennenswertes Interesse des Internetnutzers besteht, von Werbung verschont zu bleiben, wobei der Verfügungsklägerin zuzugeben ist, dass die streitgegenständliche Software nicht danach differenziert, ob eine „normale“ oder eine invasive Werbungsform vorliegt.

  1. bb) „Unmittelbarkeit“ des Eingriffs

Der von der Klägerseite betonte Aspekt, dass – anders als in der Entscheidung MMR 2004, 662 ff. – Werbeblocker – „unmittelbar in das von der Verfügungsklägerin auf ihrer Internetseite zur Verfügung gestellte Produkt, das aus redaktionellen Inhalten und Werbung bestehe, eingegriffen wird, erscheint der Kammer nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Wie die Verfügungsbeklagten überzeugend dargelegt haben, vollzieht sich der Aufbau einer Internetseite technisch immer auf die Weise, dass der Browser des Nutzers nicht die Seite als Ganzes, sondern vielmehr separat einzelne Inhalte von der Internetseite „abruft“, herunterlädt und sodann für den Nutzer sichtbar macht. Es ist also nicht so, dass hier gewissermaßen in der Sphäre der Verfügungsklägerin ein Produkt „manipuliert“ wird, sondern der Nutzer hat technisch bedingt im Internet die Möglichkeit, selbst in seiner Sphäre – durch seinen Browser – zu entscheiden, welche Inhalte einer Internetseite er dargestellt haben möchte und welche nicht. Diese technische Möglichkeit wird von der Software der Beklagten lediglich erleichtert. Damit ist nicht gesagt, dass alles das, was technisch

möglich ist, zugleich rechtlich zulässig ist. Aber der Umstand, dass technisch die Inhalte einer Seite nicht einheitlich heruntergeladen werden, nimmt dem Argument, die Verfügungsbeklagten würden durch ihren Blocker eine einheitliche Seite gewissermaßen „manipulieren“, die Schärfe.

  1. cc) Grad der Beeinträchtigung

Das Geschäftsmodell der Verfügungsbeklagten hat nach Auffassung der Kammer auch nicht zur Folge, dass die Verfügungsklägerin ihre Leistungen am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können.

Zwar ist von nachteiligen Folgen für die Verfügungsklägerin grundsätzlich auszugehen, weil, wie sie dargelegt hat, der Einsatz des streitgegenständlichen Werbeblockers zur Folge hat, dass werbefinanzierten Internetseiten wie der der Verfügungsklägerin Werbeeinnahmen entgehen.

Es ist aber unstreitig so, dass die Verfügungsklägerin die Möglichkeit hat, Gegenmaßnahmen zu ergreifen (so auch ausführlich LG München v. 27.05.2015, Az. 37 0 11843/14, JURIS Rz. 183 ff.; LG Hamburg v. 21.04.2015, Az. 416 HKO 159/14, JURIS Rz. 45, 49 ff.) und z.B. Nutzer, die Werbeblocker wie den streitgegenständlichen einsetzen, zu bitten, vom Einsatz des Werbeblockers freiwillig abzusehen, das inhaltliche Angebot für solche Nutzer nur eingeschränkt zur Verfügung zu stellen oder sie gänzlich von der Nutzung der Seite auszuschließen. Sie ist nicht gezwungen, den Einsatz von Werbeblockern hinzunehmen und Nutzern, die Werbeblocker einsetzen, ihre Intemetseiten kostenlos zur Verfügung zu stellen. Sie kann derartige Nutzer ohne weiteres von der Nutzung der Internetseite ausschließen. Das Argument, damit gingen die Werbeeinnahmen erst recht verloren, greift zu kurz. Es mag sein, dass mit dem Ausschluss mindestens kurz und mittelfristig Umsatzeinbußen verbunden sind. Hier gilt jedoch grundsätzlich die Wettbewerbsfreiheit: Ein bestimmtes Geschäftsmodell als solches ist wettbewerbsrechtlich nicht geschützt. Es ist an der Verfügungsklägerin, im Rahmen des Wettbewerbs um Werbekunden die Besucher der Internetseite davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, für die zur Verfügung gestellten Inhalte entweder Werbung in Kauf zu nehmen – und die Seite der Verfügungsklägerin auf die „Whitelist“ aufzunehmen oder den Werbeblocker auszuschalten – oder für die Inhalte ohne Werbung zu bezahlen. Das mag ein langwieriger Prozess sein, das mag auch mit dauerhaften Umsatzeinbußen verbunden sein, aber es ist nach Auffassung der Kammer weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass Presseunternehmen wie die Verfügungsklägerin durch den Einsatz von Werbeblockern -zumal durch den wirtschaftlich relativ unbedeutenden Werbeblocker der Verfügungsbeklagten -grundsätzlich existenziell bedroht wären. Das über Art. 12 GG geschützte Interesse der Verfügungsklägerin, mit ihrem Internetangebot Gewinn zu erzielen, ist nicht grundsätzlich höher einzustufen als das entsprechende Gewinnstreben der Verfügungsbeklagten.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO.

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