Unzulässige Bewerbung von Nestlés „Alete MilchMinis Schoko“ mit gesundheitsbezogenen Angaben

29. April 2016
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Schokoladen-Puddingbecher mit orangenem Löffel Urteil des LG Frankfurt a.M. vom 10.02.2016, Az.: 2-06 O 337/15

Gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der Health-Claims-Verordnung (HCVO) sind alle Angaben, die zwischen einem Lebensmittel selbst oder einzelnen Bestandteilen eines Lebensmittels und der Gesundheit einen Zusammenhang suggerieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn dieser Zusammenhang dahingehend verstanden werden kann, dass durch den Verzehr eines solchen Lebensmittels die Verbesserung des Gesundheitszustandes erzielt wird.

Die Bewerbung des Nestlé Produkts „Alete MilchMinis Schoko“ für Kleinkinder ab dem 8. Monat mit den Aussagen „Zink für starke Knochen & gesundes Wachstum“ ist unzulässig, da ein solcher Gesundheitsbezug auf Grundlage der HCVO zwar erlaubt ist, diese Zulassung aber nur für Kinder zwischen dem 3. und 18. Lebensjahr gilt. Die Bewerbung mit „Calcium für starke Knochen“ ist hingegen grundsätzlich unzulässig, da eine solche Wechselwirkung in der Verordnung nicht aufgeführt ist. Zudem muss der Hersteller bei der Bewerbung mit (zugelassenen) gesundheitsbezogenen Angaben darauf hinweisen, dass der Verzehr seines Produkts kein Ersatz für eine ausgewogene Ernährung ist.

Landgericht Frankfurt am Main

Urteil vom 10.02.2016

Az.: 2-06 O 337/15

 

In dem Rechtsstreit

Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände

gegen

Nestlé Nutrition GmbH

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main durch die Richter (…) aufgrund mündlichen Verhandlungen vom 09.12.2015

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken am Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen für das Produkt „Alete MilchMinis“ auf der Produktverpackung wie nachfolgend abgebildet

1. mit den Aussagen

– „… Zink für starke Knochen & gesundes Wachstum“
und/oder
– „Zink fördert gesundes Wachstum“
und/oder
– „Calcium für starke Knochen“
und/oder
– „Calcium … wichtig für starke Knochen“

2. ohne den Hinweis auf der Verpackung auf die Bedeutung einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise

zu werben bzw. werben zu lassen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 214 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2015 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Unterlassungsverpflichtung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 30.000, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer seiner Auffassung nach wettbewerbswidrigen Werbung auf Unterlassung und Ersatz einer Kostenpauschale für eine vorgerichtliche Abmahnung in Anspruch.

Der Kläger ist der Dachverband der Verbraucherzentralen. Gemäß § 2 seiner Satzung bezweckt er es, Verbraucherinteressen wahrzunehmen, den Verbraucherschutz zu fördern und die Stellung des Verbrauchers zu stärken. Es handelt sich bei ihm um eine eingetragene qualifizierte Einrichtung nach § 4 UKlaG.

Die Beklagte vertreibt unter anderem das Produkt „Nestlé Alete MilchMinis Schoko“ als ein für Säuglinge (Alter bis 1 Jahr; nach dem Produktauftrag: ab dem 8. Monat) und Kleinkinder (Alter 1 bis 3 Jahren) bestimmtes Produkt. Die Produktverpackung, wegen deren Einzelheiten auf die Abbildung Bl. 3 d.A. Bezug genommen wird, enthält auf der Schauseite folgende Angaben „23% Tagesbedarf pro Becher, Kalzium, Magnesium, Zink“. Besonders hervorgehoben in größerer Schrift und auf pinkem Untergrund wird die mit der oben genannte Angabe optisch verknüpfte weitere Aussage angeschlossen: „für starke Knochen & gesundes Wachstum“. Auf der Rückseite werden in einem orangefarbenen Kasten folgende Aussagen getroffen: „Kalzium und Magnesium sind wichtig für starke Knochen, Zink fördert gesundes Wachstum.“

Die Angabe „Calcium wird für ein gesundes Wachstum eine gesunde Entwicklung der Knochen bei Kindern benötigt“ ist nach dem Verfahren gemäß Art. 14 Abs. 1b der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Health-Claims-Verordnung, nachfolgend „HCV“) zugelassen, wobei die Zulassung allerdings Kinder zwischen 3 und 18 Jahren betrifft. Die Aussagen auf der Verpackung über Zink („Zink für starke Knochen & gesundes Wachstum“ und „Zink fördert gesundes Wachstum“) sind nicht nach dem genannten Verfahren zugelassen.

Am 18.1.20108 meldete die damals als IDACE (Association of the Food Insdustries for particular nutritional uses of the European Union) firmierende SNE (Specialised Nutrition Europe, Avenue des Nerviens 9-31, 1040 Brüssel) folgende Claims an (Anlage 1 des vorgerichtlichen Schreibens der Beklagten vom 23.4.2015, Anlagenkonvolut B2, Anlagenband; Anlage B5, Anlagenband):

Calcium:

Calcium is needed for the development of teeth and bones
Equivalent wording: Calcium is essential for the structure of bones/
healthy    bones;    Calcium    is    needed    to    build    and    maintain
strong/healthy bones; Calcium is necessary for adequate bone density,
Calcium is needed for the structure of teeth; Calcium is important
for healthy teeth and bones; Calcium supports the building of
teeth and bones

Zinc:

Zinc strengthens defences of the Body
Equivalent wording: One of the building blocks for a healthy immune
system; For healthy immune functions/system; Zinc is necessary for
the function of the immune system; Zinc helps to support a healthy
immune system.

Zinc:

Zinc is essential in bone formation
Equivalent wording: Zinc is necessary for normal bone formation and
grwoth; Zinc is essential for normal bone formation and growth; zinc
helps build and maintain strong bones.

Nach dem Antrag sollen sich die Angaben zu Kalzium (Anlage B5) und die Angaben zu Zink (Anlage B6) insbesondere auf die Ernährung für Kinder und Kleinkinder (Geburt bis zum Alter von 3 Jahren) beziehen.

Der Kläger mahnte die Beklagte erfolglos wegen der Aussagen auf der Verpackung ab.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe der Anspruch gemäß §§ 3, 4 Ziff. 11 UWG aF. iVm Art. 14 HCV zu.

Es handele sich bei den angegriffenen Angaben auf der Verpackung um gesundheitsbezogene Angaben iSv Art. 2 HCV. Diese unterlägen als solche, die die Entwicklung und Gesundheit von Kindern beträfen, Art. 14 HCV. Die Angaben seien danach unzulässig, da solche Angaben nicht nach dem Verfahren Art. 15, 16, 17 und 19 HCV zugelassen seien.

Er meint, die Beklagte habe weder hinsichtlich der Aussagen über Kalzium noch über Zink hinreichend dargelegt, dass für die Verwendung Art, 28 Abs. 6 lit. b) HCV gelte.

Die Beklagte habe es unterlassen, für die von dem Kläger bestrittene Verwendung der angemeldeten Claims substantiiert vorzutragen, wer, wann, welche sinngleichen Claims verwendet haben solle. Zudem sei die angegriffene Werbeaussage betreffend Kalzium nicht nur dahin zu verstehen, dass Kalzium der gesunden Entwicklung der Knochen diene, sondern der Bestandteil Kalzium in dem Produkt könne zu widerstandsfähigeren Knochen führen.

Die gesundheitsbezogenen Angaben seien zudem nur zulässig, wenn die Aufmachung gemäß § 10 Abs. 2 a) HCV einen Hinweis auf die Bedeutung einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise trage, der – unstreitig – fehlt.

Er meint weiter, er könne Ersatz für die Kosten der vorgerichtlichen Abmahnung nach § 5 UKlaG iVm § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG verlangen, da die Abmahnung berechtigt erfolgt sei. Als Kostenpauschale könne sie EUR 214 geltend machen.

Die Klage ist der Beklagten am 15.01.2016 zugestellt worden.

Der Kläger beantragt,

-wie erkannt-.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, es handele sich bei dem von ihr angebotenen Produkt um Beikost, für die Art. 1 Abs. 2 RL 2006/125/EG (nachfolgend: „Beikostrichtlinie“) bzw. § 1 Abs. 3 Nr. 1 DiätV und die Richtlinie über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke RL 1999/21/EG vorranging gelte, so dass alleine die Hinweiserfordernisse aus diesen Regelungen, insbesondere aus § 22b DiätV folge und ein Hinweis gemäß Art. 10 Abs. 2 HCV nicht zu erfolgen habe. Ein solcher Hinweis nach Art. 10 Abs. 2 HCV sei auch inhaltlich fehl am Platz.

Sie dürfte auch die angegriffenen Aussagen betreffend Kalzium und Zink gemäß Art. 28 Abs. 6 b) HCV verwenden, da die angegriffenen Angaben gegenüber solchen Angaben inhaltsgleich seien, wie sie Gegenstand des (unstreitigen) IDACE Antrags seien. Sie behauptet, die von der IDACE angemeldeten Claims seien inhaltsgleich zu solchen Claims, die von Verbandsmitgliedern der IDACE im damaligen Zeitpunkt benutzt worden seien und unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten auch nach der früheren Rechtslage in Deutschland unproblematisch verwendbar gewesen seien (Zeuge: Vorsitzender des Verbandes der SNE).

Wegen des weiteren Vortrags wird auf die gewechselten Anträge nebst den zu den Akten gelangten Angaben Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist begründet.

1. Der Kläger ist gern. § 8 Abs. 3 Nr 3 UWG prozessführungs- und anspruchsberechtigt.

2. Dem Kläger steht ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3, 8, 3a UWG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 HCV zu, soweit er sich gegen die Aussagen Zink für starke Knochen & gesundes Wachstum“ und „Zink fördert gesundes Wachstum“ sowie die Aussagen „…. Calcium für starke Knochen“ und „Calcium … wichtig für starke Knochen“ wendet.

Die genannten angegriffenen Packungsaufschriften verstoßen als gesundheitsbezogene Angabe gegen Art. 10 Abs. 1 HCV, die eine Marktverhaltensvorschrift im Sinne des § 3a UWG darstellt (vgl. BGH GRUR 2013, 958 – Vitalpilze, Rn 22 zu § 4 Ziff. 11 UWG aF). Nach Art. 10 Abs. 1 HCV sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II der HCV (Art. 3 bis 7) und den speziellen Anforderungen des Kapitels IV der HCV (Art. 10 bis 19) entsprechen, gemäß der HCV zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind (BGH, Urteil vom 26.2.2014 – I ZR 178/12 -Praebiotik Rn. 12).

a) Die angegriffenen Angaben stellen jede für sich eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne von Art. 10 Abs. 2, Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCV dar. Eine solche ist gegeben, wenn mit einer Angabe erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Der Begriff „Zusammenhang“ ist dabei weit zu verstehen. Der Begriff der „gesundheitsbezogenen Angabe“ erfasst daher jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert. Darüber hinaus wird jeder Zusammenhang erfasst, der impliziert, dass für die Gesundheit negative oder schädliche Auswirkungen, die in anderen Fällen mit einem solchen Verzehr einhergehen oder sich ihm anschließen, fehlen oder geringer ausfallen. Dabei sind sowohl vorübergehende flüchtige Auswirkungen als auch die kumulativen Auswirkungen des wiederholten und längerfristigen Verzehrs eines bestimmten Lebensmittels auf den körperlichen Zustand zu berücksichtigen (BGH, aaO, Praebiotik Rn. 16).

Auf dieser Grundlage ergibt sich der Gesundheitsbezug der genannten Angaben. Der Verkehr versteht diese Angaben betreffend den Bestandteil Zink dahin, dass das Produkt der Beklagten durch seinen Bestandteil Zink das gesunde Wachstum und die Knochenbildung unterstützt. Die Angaben betreffend den Bestandteil Kalzium versteht der angesprochene Verkehr dahin, dass ein Zusammenhang zwischen dem Bestandteil Kalzium und der Gesundheit insoweit besteht, als die Knochenbildung und der Knochenerhalt des Säuglings oder Kleinkinds jedenfalls unterstützt wird. Mithin besteht hinsichtlich der beiden angegriffenen Angaben betreffend Kalzium ein Gesundheitsbezug unabhängig davon, ob wie der Kläger meint – die Angaben auch dahin verstanden werden, dass durch das Kalzium in dem Produkt über die „normale“ Knochenbildung und -erhalt hinaus besonders widerstandsfähige Knochen geschaffen und erhalten werden.

b) Eine Aufnahme dieser Angaben in die Liste zugelassener Angaben ist – jedenfalls für die hier durch das Produkt angesprochene Ernährung von Säuglingen ab dem 8. Lebensmonat und Kleinkindern – unstreitig noch nicht erfolgt.

c) Die Beklagte hat hinsichtlich dieser Angaben auch nicht dargelegt, dass zu ihren Gunsten die Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 6 fit b HCV eingreift (zur Darlegungslast der Partei, die sich auf die Ausnahmevorschrift beruft: OLG Hamburg, Urteil vom 2.6.2012 – 3 U 97111 – Fitness für die grauen Zellen, Ginko Kapseln Rn. 82).

aa) Zwar hat die IDACE unstreitig am 18.01.2008 den vorgelegten Antrag gestellt. Die Beklagte hat aber die weiteren Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 6 lit. b. HCV nicht hinreichend vorgetragen. Die Vorschrift erlaubt nach ihrem Wortlaut, dass eine Angabe weiterhin verwendet werden kann. Sie setzt damit voraus, dass die gesundheitsbezogene Angabe, auf deren Zulässigkeit der Verwender sich beruft, bereits zuvor benutzt wurde. Die Beklagte hat insoweit vorgetragen, der Anmeldung inhaltsgleiche Claims seien von Verbandsmitgliedern der IDACE benutzt worden. Die Angaben seien unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten auch nach der früheren Rechtslage in Deutschland unproblematisch zu verwenden. Die Behauptung ist nicht hinreichend konkret. Sie lässt nicht erkennen, welches Unternehmen (die Beklagte selbst oder welches andere Unternehmen) welche konkrete gesundheitsbezogene Angabe wann in welchem Mitgliedsstaat verwendet haben soll. Insbesondere ermöglichte nur ein solcher konkreter Vortrag die erforderliche Prüfung, ob tatsächlich eine Übereinstimmung der in der Vergangenheit verwendeten mit der von der IDACE beantragten Angabe besteht und ob die Verwendung in der Vergangenheit den früheren nationalen Vorschriften in dem Mitgliedsstaat entsprach, in dem die Verwendung erfolgte. Auch ermöglicht nur ein solcher substantiierter Vortrag der Beklagten dem Kläger die Möglichkeit, seinerseits substantiiert zu der behaupteten Verwendung Stellung zu nehmen. Auf diese fehlende Substantiierung ihrer Behauptung war die Beklagte vorliegend nicht gerichtlich hinzuweisen (§ 139 ZPO). Denn der Kläger hatte in dem Schriftsatz vom 01.12.2015 hinsichtlich des genannten Vortrags der Beklagten ausgeführt, die Beklagte genüge mit ihrem Vortrag ihrer Darlegungslast nicht; sie (die Beklagte) habe es unterlassen, substantiiert darzulegen, wer, wann, welche Zink- und Calcium-Claims benutzt haben sollte (5. 2, 3, BI. 48, 49 d.A.). Das Gericht ist unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht gehalten, auf mangelnde Substantiierung eines Parteivorbringens hinzuweisen, wenn es sich um eine der zentralen Fragen handelt, um die der Streit der Parteien ging, und die Gegenpartei bereits darauf hingewiesen hatte, dass der Vortrag hierzu unsubstantiiert war (BGH, Urteil vom 17.8.2010 – I ZR 153/08, zit. nach juris). So liegt der Fall hier. Die Frage der Geltung der Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 6 Buchst. b) HCV und dabei insbesondere die von der Beklagten behauptete frühere Verwendung der Angaben stellte eine der zentralen Fragen im Streit dar.

Dem von der Beklagten für diese Behauptung angebotenen Beweis durch Vernehmung des Vorsitzenden des Verbandes (IDACE bzw. SNE) war nicht nachzugehen. Das Beweisangebot stellt im Hinblick auf die fehlende Substantiierung des Vortrags einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar. Im Ergebnis hätte die Kammer durch Nachfrage an den Zeugen erst herausfinden müssen, welches Unternehmen wann welche Angabe in welchem Mitgliedsstaat verwendet hat.

Damit kann die Beklagte sich vorliegend nicht auf Art. 28 Abs. 6 Buchst. b) HCV berufen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Antrag der IDACE als der Antrag eines Verbandes für die Anwendung des Art. 28 Abs. 6 Buchst b) HCV ausreicht oder ob ein Antrag von jedem Unternehmen gesondert gesteilt werden muss, dass die Angabe verwenden möchte und ob die Antragstellung bei einem Mitgliedsstaat ausreicht (vgl. BGH, aaO, Praebiotik Rn. 28; OLG Hamburg, Urteil vorn 1.3.2012 – 3 U 160/10 – Praebiotik Rn. 36, zit. nach juris). Ebenso kann offenbleiben, ob nur das Unternehmen sich auf die Vorschrift berufen kann, das selbst die Angabe verwendete (vgl. BGH, aaO, Praebiotik: „Offenbleiben kann.., ob die Beklagte die angegriffene Angabe.. verwendet hat). Hierfür spricht, dass nur bei diesem Unternehmen ein Bestandsschutz entstehen kann, dessen Erhalt die Übergangsvorschrift dient. Schließlich kann dahinstehen, ob die betreffende Angabe in dem Mitgliedsstaat, indem die Weiterverwendung begehrt wird, tatsächlich verwendet worden sein muss oder die Verwendbarkeit dort genügt, wenn die tatsächliche Verwendung in einem anderen Mitgliedsstaat erfolgte.

Hinsichtlich der beiden angegriffenen Angaben betreffend Zink („… Zink für starke Knochen & gesundes Wachstum“ und „Zink fördert gesundes Wachstum“), kann sich die Beklagte darüber hinaus auch deshalb nicht auf die Übergangsvorschrift Art. 28 Abs. 6 Buchst. b) HCV berufen, da die angegriffenen Angaben (Zink fördert gesundes Wachstum“ und „… Zink für starke Knochen & gesundes Wachstum“; letztere Angabe im Hinblick auf den Bestandteil „… Zink für gesundes Wachstum“) nicht mit den durch den IDACE Antrag angemeldeten Angaben betreffend Zink übereinstimmen.

Die angemeldeten Angaben über Zink, wie auf S. 17 der genannten Anlage (Nr. 07/437-127 rev) wiedergegeben, lauten wie folgt:

Zinc strengthens defences of the Body
Equivalent wording:
One of the building blocks for a healthy immune system;
For healthy immune functions/system;
Zinc is necessary for the function of the immune system;
Zinc helps to support a healthy immune system.

Sie betreffen damit die Eignung von Zink, die Abwehrkräfte zu stärken und/oder ein gesundes Immunsystems oder Immunfunktionen zu unterstützen. Demgegenüber bringen die beiden hinsichtlich des Inhaltsstoffs Zink angegriffenen Angaben jeweils (hinsichtlich der zweiten Aussage neben der Eignung zur Stärkung der Knochen) zum Ausdruck, dass allgemein ein gesundes Wachstum des Säuglings oder Kleinkinds durch den Inhaltsstoff Zink ermöglicht oder unterstützt wird. Das gesunde Wachstum betrifft aber einen anderen Aspekt als die Abwehrfähigkeit des Körpers und die Stärkung oder Unterstützung des Immunsystems und der Immunfunktion.

Die weiteren angemeldeten Angaben über Zink, wie auf S. 18 der genannten Anlage (Nr. 07/437-129 rev2) wiedergegeben, lauten wie folgt:

Zinc is essential in bone formation
Equivalent wording:
Zinc is necessary for normal bone formation and grwoth;
Zinc is essential for normal bone formation and growth;
zinc helps build and maintain strong bones.

Sie betreffen damit die Eignung von Zink, die Knochenbildung, das Knochenwachstum und den Erhalt der Knochen zu unterstützten. Demgegenüber bringen die beiden hinsichtlich des Inhaltsstoffs Zink angegriffenen Angaben jeweils (hinsichtlich der zweiten Aussage neben der Eignung zur Stärkung der Knochen) zum Ausdruck, dass allgemein ein gesundes Wachstum des Säuglings oder Kleinkinds durch den Inhaltsstoff Zink ermöglicht oder unterstützt wird. Das gesunde Wachstum, das alleine Inhalt der zweiten angegriffenen Angabe „Zink fördert gesundes Wachstum“ ist und das von der weiteren angegriffenen Angabe „Zink für starke Knochen & gesundes Wachstum“ umfasst ist, geht aber über die Unterstützung der Bildung, des Wachstums und des Erhalts der Knochen hinaus, da es das gesunde Wachstum des Kindes insgesamt und damit auch die Bildung der weiteren Körperbestandteile wie Gewebe, Organe usw. betrifft. Insbesondere wird die angegriffene Angabe „Zink für starke Knochen & gesundes Wachstum“ nicht lediglich dahin verstanden, dass Zink das gesunde Wachstum der Knochen unterstützt, sondern allgemein das gesunde Wachstum des gesamten Körpers unterstützt und fördert. Die angegriffene Angabe geht daher über die angemeldete Angabe „Zinc is essential for bone formation“ hinaus.

Die Beklagte kann sich insoweit auch nicht auf die als „entsprechende Wortwahl“ angemeldete Angabe „Zinc is necessary for normal bone formation and growth“ berufen. Die letztgenannte angemeldete Angabe betreffend das Wachstum („growth“) ist nicht als solche zu verstehen, die Zink als das allgemeine Wachstum des Säuglings oder Kleinkinds notwendig beschreibt. Vielmehr bezieht sich auch der in dem „equivalent wording“ der angemeldeten Angabe verwendete Begriff des Wachstums auf das Wachstum der Knochen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der genannten Angabe und daraus, dass es sich bei dieser Angabe nach der Anmeldung gerade um ein equivalent Wording des Claims „Zinc is essential for bone formation“ handeln soll, die selbst ausschließlich einen Bezug zur Knochenbildung und damit ggf. auch zum Knochenwachstum aufweist, nicht aber zum allgemeinen Körperwachstum des Kindes. Jedenfalls im Hinblick darauf, dass an die Übereinstimmung der verwendeten mit der beantragten Angabe im Rahmen des Art. 28 Abs. 6 Buchst. b) HCV strenge Anforderungen zu stellen sind (BGH, aao, Praebiotik Rn. 29), ist eine solche Übereinstimmung damit vorliegend zu verneinen.

3. Dem Kläger steht auch ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3, 8, 3a UWG i.V.m. Art. 10 Abs. 1, 2 Buchst. HCV zu, soweit er sich dagegen wendet, dass die Beklagte das Produkt „Alete Milch Minis“ auf der Produktverpackung ohne den Hinweis auf der Verpackung auf die Bedeutung einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise verwendet.

Hierbei wendet sich der Kläger gegen die Produktverpackung in der angegriffenen Form, dh. mit solchen Angaben, wie sie im Antrag 1 betreffend Kalzium und Zink wiedergegeben sind. Darüber hinaus ergeben sich auf der Produktverpackung weitere Angaben wie „..Magnesium… für starke Knochen“. Damit verwendet die Beklagte für das Produkt, wie oben im Einzelnen ausgeführt, gesundheitsbezogene Angaben iSv Art. 10 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Ziff. 5 HCV. Sie ist daher gemäß Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) HCV verpflichtet, einen Hinweis auf die Bedeutung einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise anzubringen.

Die Beklagte meint insoweit, die Vorschrift Art. 10 Abs. 2 HCV sei nicht einschlägig, da es sich vorliegend um Beikost handele und die besonderen Anforderungen insoweit u.a. durch die europäische Beikostrichtlinie und die Diätverordnung geregelt seien, bei denen es sich gemäß Art. 1 Abs. 5 Buchst. a) HCV um vorrangige Spezialregelungen handele. Dementsprechend sei für die Hinweispflicht vorliegend (ausschließlich) § 22b Diätverordnung einschlägig, nicht aber Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) HCV. Ein Hinweis gemäß Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) HCV sei vorliegend auch nicht veranlasst; vielmehr sei ein Hinweis erforderlich, dass diese Beikostprodukte die einzigen Lebensmittel seien, die für diese Zielgruppe neben dem Stillen oder einer Säuglingsanfangs- oder Folgenahrung ratsam und zugelassen wäre.

Dem ist nicht zu folgen.

Zunächst wird das hier gegenständliche Produkt nicht ausschließlich als Beikost angeboten. Nach § 1 Abs. 3 DiätV sind Beikost Lebensmittel außer Milch, die den besonderen Ernährungsanforderungen gesunder Säuglinge und Kleinkinder entsprechen und die zur Ernährung von Säuglingen während der Entwöhnungsperiode und zur Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern während der allmählichen Umstellung auf normale Kost bestimmt sind. Das hiesige Produkt ist für Säuglinge ab 8 Monaten und Kleinkinder, das heißt 1 bis 3 jährige Kinder, bestimmt. Insbesondere bei Kleinkindern ab einem Jahr, jedenfalls ab zwei Jahren, wird regelmäßig nicht mehr anzunehmen sein, dass diese sich noch in der Phase der Umstellung vom Stillen bzw. sonstiger Milchgabe auf normale Kost befinden; eine Umstellung ist in diesen Fällen regelmäßig bereits erfolgt. Dass es sich in besonderem Maße um ein Produkt handelt, dass der allmählichen Umstellung auf normale Kost dienen soll oder hierfür empfohlen wird, ist zudem so aus der Packungsaufmachung nicht ersichtlich. Soweit das Produkt sich auch an die Ernährung von Kleinkindern wendet, die sich nicht mehr in der Phase der Umstellung befinden, unterfällt es damit nicht § 22b DiätV, so dass insoweit die genannte Vorschrift Art, 10 Abs. 2 HCV nicht verdrängen kann. Aber auch im Übrigen wird Art. 10 Abs. 2 HCV durch § 22b DiätV nicht als Spezialregelung verdrängt. Eine Geltung der Hinweispflichten nebeneinander ist anzunehmen, da die Hinweispflichten unterschiedliche Aspekte behandeln (vgl. OLG Hamburg, aaO, Fitness für die grauen Zellen, Ginko Kapseln, Rn. 79 zu dem Verhältnis Art. 10 Abs. 2 HCV und dem Pflichthinweis Art. 4 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel). Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) HCV weist auf die. Bedeutung einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise hin. Einen vergleichbaren Hinweis sieht § 22b DiätV nicht vor, sondern verpflichtet lediglich (für das hier relevante Produkt für Säuglinge ab 8 Monate) zur Angabe, ab welchem Alter die Beikost verwendet werden kann, zu Angaben über Glutengehalt und über die Zubereitung des Erzeugnisses, zu Angaben des Brennwerts, des Gehalts an Eiweiß, Kohlenhydraten und Fett, zu Angaben über bestimmte Mineralstoffe und Vitamine. Damit ergibt sich gerade keine Hinweispflicht entsprechend Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) HCV, die unabhängig von den konkreten Bestandteilen des Produkts und den Hinweisen auf dessen Zubereitung auf das Erfordernis einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise hinweist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch nicht, dass die Hinweise entsprechend Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) HCV für die Ernährung von Säuglingen ab 8 Monaten und Kleinkindern verwirrend oder sinnentleert wäre. Dass eine abwechslungsreiche Ernährung (sogar) bei Säuglingen für erforderlich und sinnvoll gehalten wird, ergibt sich aus § 22a Abs. 2 Nr. 3a) DiätV. Nach dieser Vorschrift muss die Kennzeichnung von Folgenahrung (u.a.) den warnenden Hinweis enthalten, dass das Erzeugnis nur Teil einer Mischkost sein darf. Bereits hierdurch ergibt sich, dass eine abwechslungsreiche Ernährung bereits für Säuglinge für erforderlich gehalten wird. Auch generell ergibt sich, dass auch für Säuglinge ab 8 Monaten und Kleinkinder eine abwechslungsreiche Ernährung grundsätzlich von erheblicher Bedeutung ist. Ebenso ist der Hinweis auf eine gesunde Lebensweise, wie ihn Art. 10 Abs. 2 Buchst a) HCV vorsieht, ebenfalls für die Kinder, deren Ernährung durch das Produkt erfolgen soll, sinnvoll und erforderlich. So gehört zu einer gesunden Lebensweise beispielsweise das ausreichende Trinken, das bereits für Säuglinge ab 8 Monaten zu einer gesunden Lebensweise zählt und – insbesondere im Kleinkindalter – eine ausreichende Bewegung.

4. Da dem Kläger die mit der Abmahnung geltend gemachten Ansprüche zustehen, kann er von der Beklagten gemäß § 5 UKlaG iVm § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG Erstattung der Abmahnkosten in Höhe von EUR 214 verlangen. Dass dem Kläger durchschnittlich Kosten in Höhe von EUR 214,65 für eine Abmahnung entstehen, hat die Beklagte nicht bestritten. Der Kläger ist daher berechtigt, Ersatz der veranschlagten Kostenpauschale in Höhe von EUR 200, zuzüglich 7% Mehrwertsteuer, mithin EUR 214 brutto zu verlangen.

II.

Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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