Anforderungen des Rechtsmissbrauchs nach § 8c UWG

30. Juni 2021
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weißes Paragraphenzeichen vor einem Richterhammer Beschluss des OLG Frankfurt vom 12.05.2021, Az.: 6 W 23/21

Es ist nicht per se rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8c UWG, wenn die Zahl der Abmahnungen relativ hoch ist. Es muss möglich sein gegen alle Mitbewerber vorgehen zu können, die unlauter handeln, um sich hierdurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Ebenso begründen hohe Gegenstandswerte der Abmahnungen und Vertragsstrafeforderungen nicht gleich einen Rechtsmissbrauch, da diese offensichtlich überhöht sein müssen. Bloße Erheblichkeit ist nicht ausreichend, da sich objektiv nicht feststellen lässt, was erheblich ist.

Oberlandesgericht Frankfurt

Beschluss vom 12.05.2021

Az.: 6 W 23/21

 

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 11.03.2021 wird abgeändert.

Der Antragsgegnerin wird es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren, zu vollstreckenden ihren Geschäftsführer, untersagt,

a) landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind, im Internet als ökologische/biologische Erzeugnisse durch die Bezeichnung „Bio“, etwa wie in Anlage AST 3 anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, ohne hierfür dem Kontrollsystem nach Art. 27 VO (EG) Nr. 834 / 2007 unterstellt zu sein und/oder

b) landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind, mit dem in Art. 25 Abs. 1, 3 VO (EG) Nr. 834 / 2007 genannten Gemeinschaftslogo

[Abbildung]

oder nationalen oder privaten Logos nach Art. 25 Abs. 2 VO (EG) Nr. 834 / 2007, wie in Anlage AST 3, Seiten 1,4, 9,11, 12,13, 14,15 oder 16 anzubieten oder in Verkehr zu bringen, ohne hierfür dem Kontrollsystem nach Art. 27 VO (EG) Nr. 834 / 2007 unterstellt zu sein.

2. Die Kosten des Verfügungsverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens um Ansprüche aus §§ 3, 3a, 8 I, III Nr. 1 UWG i.V.m. Art. 27, 28 der ÖkoVO.

Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Vertriebs von Werbeartikeln an gewerbliche Abnehmer. Die Antragsgegnerin bietet neben anderen Dienstleistungen unter anderem Werbeartikel an und erzielt mindestens einen Jahresumsatz im zweistelligen Millionenbereich. Sie beliefert mehr als 50.000 Kunden im In- und Ausland und bietet dabei im Internet u.a. auch eine Reihe von Artikeln mit der Bezeichnung „Bio“ an, unter anderem eine Reihe von verarbeiteten wirtschaftlichen Erzeugnissen, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind. Über eine Zertifizierung als Ökokontrollstelle verfügte die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt des Verfügungsantrages nicht.

Streitgegenständlich sind die in Anlage AS 3 angeführten Angebote von Bio-Artikeln, insbesondere Gummibärchen, Teeprodukte, Orangensaft, Kaffee und Schokolade.

Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 18. Dezember 2020 abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern. Die Antragsgegnerin verweigerte jedoch die Abgabe dieser Erklärung. Im gleichen Zeitraum versandte die Antragstellerin in vier Tranchen (03.12., 18.12., 29.12. und 04.01.) insgesamt 50 weitere Abmahnungen an Wettbewerber, die überwiegend dieselben Produkte betrafen, die Gegenstand der Abmahnung der Antragsgegnerin waren.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 11. März 2021 den Verfügungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nachdem die Antragsgegnerin nunmehr eine Zertifizierung erlangt habe, der sie sich nicht einseitig entziehen könne, sei eine Wiederholungsgefahr nicht mehr gegeben.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihren Unterlassungsanspruch weiterverfolgt.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 6. 20. April 2021 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg. Der Antragstellerin steht ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 I, III Nr. 1, 3, 3a UWG i.V.m. Art. 28 ÖkoVO zu. Weder ist durch die Zertifizierung der Antragsgegnerin die Wiederholungsgefahr entfallen, noch steht dem Unterlassungsanspruch ein rechtmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin entgegen.

1.) Es kann dahinstehen, ob das ursprünglich angerufene Landgericht Hanau örtlich zuständig war, da § 14 II 3 Nr. 1 a) UWG einschränkend dahingehend auszulegen wäre, dass nur Verstöße wegen Kennzeichnungspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien betroffen sind (so LG Düsseldorf Beschluss vom 26.2.2021 – 38 O 19/21, GRUR-RS 2021, 4044; ablehnend OLG Düsseldorf MMR 2021, 332; vgl. Isele, MMR 2021, 332). Die Verweisung an das Landgericht nach § 281 ZPO entfaltet nämlich Bindungswirkung, da sie jedenfalls nicht willkürlich oder ohne Gewährung rechtlichen Gehörs ergangen ist. Im Übrigen ist nach § 571 II 2 ZPO die bejahte Zuständigkeit im Beschwerderechtszug nicht zu überprüfen.

2.) Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 I, III Nr. 1, 3, 3a UWG i.V.m. Art. 28 I 1 b) ÖkoVO zu, da die Antragsgegnerin Lebensmittel als biologisch beworben hat, ohne sich einem Kontrollsystem nach Art. 27 ÖkoVO zu unterstellen.

a) Die Antragsgegnerin war nach Art. 28 I 1 b ÖkoVO verpflichtet, sich einem Kontrollsystem nach Art. 27 der Verordnung zu unterstellen.

Die Antragsgegnerin ist für die Einhaltung der Vorschriften der Verordnung in ihrem Betrieb verantwortlich und damit gem. Art. 2 d) ÖkoVO Unternehmer im Sinne der Verordnung.

Sie hat dadurch, dass sie im Dezember 2020 Bio-Lebensmittel zum Verkauf angeboten hat, Erzeugnisse im Sinne des Art. 1 II ÖkoVO in Verkehr gebracht. Zu den Erzeugnissen nach Art. 1 II Öko-VO zählen gem. Art. 1 II UAbs. 1 Buchst. b dieser Verordnung verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel – also zur Aufnahme durch Menschen (Art. 2. j ÖkoVO i.V.m. Art. 2 I VO [EG] Nr. 178/2002) – bestimmt sind. Bei den von der Antragsgegnerin angebotenen Produkten (Gummibärchen, Fruchtsaft, Schokolade) handelt es sich um solche Erzeugnisse. Sie sind dazu bestimmt, von Menschen aufgenommen zu werden.

Für ein Inverkehrbringen reicht das Bereithalten von Lebensmitteln für Verkaufszwecke einschließlich des Anbietens zum Verkauf aus (Art. 2 j) ÖkoVO iVm Art. 3 Nr. 8 VO [EG] Nr. 178/2002). Die Antragsgegnerin hat die Lebensmittel danach dadurch in Verkehr gebracht, dass sie diese im Dezember 2020 zum Verkauf angeboten hat.

Die Antragsgegnerin hat die Produkte als ökologische/biologische Erzeugnisse angeboten. Sie hat sie durch die Verwendung der Bezeichnung „Bio-“ als Erzeugnisse gekennzeichnet, die aus ökologischer/biologischer Produktion stammen (vgl. Art. 2 c), 23 I ÖkoVO).

b) Die Antragsgegnerin hatte ihr Unternehmen zum Zeitpunkt des im Streitfall maßgeblichen Verkaufsangebots im Dezember 2020 nicht dem Kontrollsystem nach Art. 27 ÖkoVO unterstellt. Die Einhaltung der Verpflichtungen gem. der Verordnung (Art. 27 I ÖkoVO) wurde im Unternehmen der Antragsgegnerin erst am 18.02.2021 kontrolliert. Die Kontrollstelle hat ihre Bescheinigung (Art. 29 I ÖkoVO) mit Wirkung vom 22.02.2021 ausgestellt.

c) Die Antragsgegnerin ist auch nicht nach Art. 3 II ÖLG von der Verpflichtung zur Zertifizierung befreit.

(1) Gem. § 3 Abs. 2 ÖLG sind Unternehmer, die Erzeugnisse i.S.v. Art. 1 II ÖkoVO als ökologische/biologische Erzeugnisse oder Umstellungserzeugnisse direkt an den Endverbraucher oder -nutzer abgeben, vom Einhalten der Pflichten nach Art. 28 Abs. 1 ÖkoVO freigestellt, soweit sie diese Erzeugnisse nicht selbst erzeugen oder erzeugen lassen, aufbereiten oder aufbereiten lassen, an einem anderen Ort als einem Ort in Verbindung mit der Verkaufsstelle lagern oder lagern lassen oder aus einem Drittland einführen oder einführen lassen.

Ein „direkter“ Verkauf liegt nur vor, wenn der Verkauf am Ort der Lagerung des Erzeugnisses unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals und des Verbrauchers erfolge (BGH MMR 2018, 609, Rnr. 28 ff. – Bio-Gewürze II). Die Bestimmung des § 3 Abs. 2 ÖLG beruht auf Art. 28 Abs. 2 ÖkoVO. Sie ist daher in Übereinstimmung mit dieser Vorschrift auszulegen. Gem. Art. 28 Abs. 2 ÖkoVO können die Mitgliedstaaten Unternehmer, die Erzeugnisse direkt an Endverbraucher oder -nutzer verkaufen, von der Anwendung des Artikels 28 dieser VO befreien, sofern die Unternehmer die Erzeugnisse nicht selbst erzeugen, aufbereiten oder an einem anderen Ort als in Verbindung mit der Verkaufsstelle lagern oder solche Erzeugnisse nicht aus einem Drittland einführen oder solche Tätigkeiten auch nicht von Dritten ausüben lassen.

Nach diesen Maßstäben fehlt es an einem direkten Verkauf an den Endverbraucher. Wie der EuGH auf den Vorlagebeschluss des BGH hin ausgesprochen hat (GRUR 2017, 1277), ist Art. 28 Abs. 2 ÖkoVO dahin auszulegen, dass Erzeugnisse nur dann im Sinne dieser Bestimmung „direkt“ an den Endverbraucher oder -nutzer verkauft werden, wenn der Verkauf unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals und des Endverbrauchers erfolgt. Diese Voraussetzungen liegen bei dem im Streitfall maßgeblichen Online-Versandhandel, bei dem die Produkte mit der Bezeichnung „Bio“ als aus ökologischer/biologischer Produktion stammend gekennzeichnet sind, nicht vor.

d) Der Verstoß gegen die Verpflichtung gem. Art. 28 I 1 b ÖkoVO stellt eine nach § 3a UWG unlautere und damit nach § 3 I UWG unzulässige geschäftliche Handlung dar, da es sich um eine Marktverhaltensregelung handelt und es auch der notwendigen Spürbarkeit nicht fehlt.

(1) Nach Art. 28 I 1 b ÖkoVO ist jeder Unternehmer, der Erzeugnisse iSd Art. 1 II ÖkoVO erzeugt, aufbereitet, lagert, aus einem Drittland einführt oder in Verkehr bringt, verpflichtet, vor einem Inverkehrbringen von jeglichen Erzeugnissen als ökologisch/biologische Erzeugnisse oder als Umstellungserzeugnisse sein Unternehmen dem Kontrollsystem nach Art. 27 ÖkoVO zu unterstellen.

Die Vorschrift des Art. 28 I 1 b ÖkoVO ist eine Marktverhaltensregelung iSd § 3a UWG. Sie ist auch dazu bestimmt, das Marktverhalten der Unternehmer im Interesse der Verbraucher zu regeln. Die Verpflichtung zur Unterstellung unter ein Kontrollsystem dient der Kontrolle der Einhaltung der durch die Verordnung geschaffenen Verpflichtungen (vgl. Art. 27 I ÖkoVO). Diese Verpflichtungen sollen unter anderem gewährleisten, dass die von der Verordnung erfassten ökologischen/biologischen Erzeugnisse der menschlichen Gesundheit nicht abträglich sind (vgl. Art.v3 c VO ÖkoVO). Art. 28 I 1 b ÖkoVO dient damit auch dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher (BGH GRUR 2016, 833 Rn. 8 – Bio-Gewürze).

(2) Der Verstoß gegen Art. 28 I 1 b ÖkoVO ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern iSv § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des BGH sind Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen, die den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, ohne Weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher iSv § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen (BGH aaO; BGH, GRUR 2015, 916 Rn. 16 – Abgabe ohne Rezept, mwN). Bei Art. 28 I 1 b ÖkoVO handelt es sich um eine solche Marktverhaltensregelung.

3.) Die hierdurch begründete Wiederholungsgefahr ist nicht dadurch in Wegfall geraten, dass die Antragsgegnerin sich ab dem 22.02.2021 einem Kontrollsystem nach Art. 27 unterstellt hat.

a) An den Wegfall der Wiederholungsgefahr sind strenge Anforderungen zu stellen. Die Wiederholungsgefahr entfällt nur dann, wenn der Verletzte bei objektiver Betrachtung und vernünftiger Würdigung aller Umstände hinreichend sicher sein kann, dass es zu dem auf Grund der vergangenen Verletzungshandlung vermuteten drohenden neuen Wettbewerbsverstoß doch nicht kommen werde (BGH GRUR 1998, 483, 485 – Der M.-Markt packt aus; BGH GRUR 2002, 180 – Weit-Vor-Winter-Schluss-Verkauf). Die Einstellung der Verletzungshandlung ist grundsätzlich nicht geeignet, die einmal begründete Wiederholungsgefahr wieder entfallen zu lassen. Die Wiederholungsgefahr entfällt im Regelfall nur dadurch, dass der Verletzer gegenüber dem Verletzten eine i. d. R. bedingungslose, unwiderrufliche und strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung (sog. Unterwerfungserklärung) abgibt (BGH GRUR 2014, 1120, 1122 Tz. 31 – Betriebskrankenkasse II). Eine Veränderung der Umstände reicht grundsätzlich nicht aus.

b) Danach kann hier die Erlangung des Zertifikates nach Art. 27 ÖkoVO durch die Antragsgegnerin entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht zu einem Wegfall der Wiederholungsgefahr führen. Dem steht schon entgegen, dass der Gültigkeitszeitraum des Zertifikats (Anlage AG 4) bis zum 31.08.2021 beschränkt ist. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, nach dem von der Antragstellerin nicht bestrittenen Vortrag könne sich die Antragstellerin dem Kontrollsystem nicht einseitig entziehen, ist dieser Vortrag durch das von der Antragsgegnerin selbst vorgelegte Zertifikat daher widerlegt. Im Übrigen ist schlechterdings undenkbar, dass die Antragsgegnerin in alle Ewigkeit an die Zertifizierung gebunden ist. Ein Dauerschuldverhältnis ohne Kündigungsmöglichkeit ist dem deutschen Recht fremd. Im Übrigen hat die Antragstellerin – vom Landgericht unberücksichtigt – in der Beschwerdeschrift bestritten, dass die Antragsgegnerin sich der Zertifizierung nicht einseitig entziehen könne und zu Recht darauf hingewiesen, dass jedenfalls eine Aufhebung der Vereinbarung zwischen der Antragsgegnerin und der Zertifizierungsstelle möglich ist.

4.) Schließlich dringt die Antragsgegnerin auch mit ihrem Rechtsmissbrauchseinwand nach § 8c UWG nicht durch.

a) Ein Missbrauch liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen (BGH GRUR 2000, 1089, 1090 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgungen; BGH GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner; BGH GRUR 2019, 199 Rn. 21 – Abmahnaktion II; BGH GRUR 2019, 966, Rn. 33 – Umwelthilfe). Ein Fehlen oder vollständiges Zurücktreten legitimer wettbewerbsrechtlicher Ziele ist indessen nicht erforderlich (BGH GRUR 2001, 82 – Neu in Bielefeld I). Ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen (BGH GRUR 2019, 199 Rn. 21 – Abmahnaktion II).

Auch die Zweifelsregelung des Abs. 2 entbindet das Gericht nicht von der für die Feststellung des Rechtsmissbrauchs erforderlichen Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen, 39. Aufl. 2021, UWG § 8c Rn. 12). Im Gesetzgebungsverfahren ist klargestellt worden, dass es sich bei den Fällen des Abs. 2 nicht um eine Vermutung iSv § 299 ZPO handelt, sondern lediglich die Anordnung einer Indizwirkung (vgl. BT-Drs. 19/22238, 17).

b) Nach der danach notwendigen Gesamtschau kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht festgestellt werden.

(1) Soweit die Antragsgegnerin mit Blick auf die Zahl der Abmahnungen ein Fall des § 8 c II Nr. 2 UWG sieht, kann der Senat dem nicht folgen.

Verhalten sich viele Wettbewerber wettbewerbswidrig, muss es grundsätzlich möglich sein, gegen alle vorzugehen, sofern die Verstöße die Marktposition des Abmahnenden in relevanter Weise beeinträchtigen können (Senat, GRUR-RR 2016, 274 – Drohkulisse; Senat, GRUR-RR 2007, 56, 57; Kochendörfer, WRP 2020, 1513, Rnr. 7). Ein Mitbewerber muss gegen alle Mitbewerber vorgehen können, die sich durch einen Rechtsverstoß einen spürbaren Wettbewerbsvorteil verschaffen. Anders als z.B. in der vom BGH entschiedenen „Abmahnaktion II“ (GRUR 2019, 199) handelt es sich hier nicht um die Verletzung einer Kennzeichnungspflicht, die den Wettbewerber nicht unmittelbar betrifft oder benachteiligt; vielmehr ist hier ein unmittelbarer Nachteil für die Antragstellerin zu erkennen, die sich der Mühen und Kosten der Akkreditierung gestellt hat, die die Antragsgegnerin nicht aufgewendet hat. Die Zahl der Abmahnungen (51) kann daher als Indiz für eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung nicht in Betracht kommen.

(2) Auch die durch die Vielzahl der Abmahnung entstehenden Kostenrisiken können eine Rechtsmissbräuchlichkeit nicht begründen. Soweit die Marktbereinigung nur vorgeschoben ist und die mit der vielfachen Anspruchsverfolgung verbundenen Kostenrisiken in keinem vernünftigen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden stehen und bei objektiver Betrachtung an der Verfolgung der Wettbewerbsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse bestehen kann, kann ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch vorliegen. Kein kaufmännisch handelnder Unternehmer wird Kostenrisiken in einer für sein Unternehmen existenzbedrohenden Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen oder Aktivprozessen eingehen, wenn die Abstellung des beanstandeten Verhaltens für ihn keine nennenswerten Vorteile im Wettbewerb bringen.

Soweit die Antragsgegnerin hier allerdings das Kostenrisiko in Relation zum mit den Bio-Produkten erzielten Umsatz setzt, ist dies der falsche Ansatz. Vielmehr ist auf die wirtschaftlichen Umstände bei der Antragstellerin insgesamt abzustellen; dabei ist nicht erkennbar, dass das Kostenrisiko für die Abmahnungen irgendeine Auswirkung auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Antragstellerin haben könnte.

(3) Soweit die Antragsgegner auf einen unangemessen hohen Gegenstandswert der Abmahnungen und überhöhte Vertragsstrafeforderungen nach § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG verweist, sieht auch der Senat die angesetzten Werte als durchaus hoch an.

Die Indizwirkung tritt jedoch erst dann ein, wenn diese Werte „offensichtlich“ überhöht sind. Die ursprüngliche Entwurfsfassung sah vor, dass ein Missbrauch bereits dann indiziert wird, wenn „erheblich“ überhöhte Vertragsstrafen gefordert werden oder eine „erheblich“ über die Rechtsverletzung hinausgehende Unterlassungsverpflichtung vorgeschlagen wird. Da sich kaum objektivieren lässt, welche Zuvielforderung „erheblich“ ist, wäre eine gravierende Rechtsunsicherheit entstanden. Deshalb wurde der Begriff „erheblich“ durch den Begriff „offensichtlich“ ersetzt. Damit soll nach der Gesetzesbegründung verdeutlicht werden, dass es nur um eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fehler geht (Kochendörfer, WRP 2020, 1513). An einer solchen Offensichtlichkeit fehlt es hier. Gegenstandswerte von zunächst 100.000 € (Abmahnungen vom 03.12,) dann 75.000 € (Abmahnungen vom 18.12.) sowie später 50.000 € bewegen sich angesichts der Tatsache, dass es sich nicht bloß um formale, den Wettbewerb nicht beeinträchtigende Verstöße handelt, jedenfalls nicht in einem derart hohen Bereich, dass man eine offensichtliche Überhöhung annehmen müsste. Gleiches gilt für die geforderten Vertragsstrafen (6.500 € und 7.500 €). Wenn auch in der Regel Vertragsstrafen im Bereich von 5.000 € üblich sind, so sind insbesondere bei wirtschaftlich potenten Verletzern durchaus höhere Vertragsstrafen angemessen, da die Wirkung einer drohenden Vertragsstrafe naturgemäß von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verletzers abhängt.

Die Antragsgegnerin verweist in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht darauf, dass der geforderte Abmahnkostenersatz aus einem anderen Grund überhöht war: Nach der „Novembermann“-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 2019, 1044) – deren Grundsätze auch auf lauterkeitsrechtliche Konstellationen Anwendung finden sollen (Büscher, GRUR 2021, 162) – können mehrere Abmahnungen auch gegenüber unterschiedlichen, rechtlich oder wirtschaftlich nicht verbundenen Unternehmen oder Personen eine Angelegenheit im Sinne von § 15 II RVG darstellen, wenn diese im wesentlichen gleiche Verletzungshandlungen betreffen. Nach Auffassung des Senats spricht einiges dafür, jedenfalls die am gleichen Tag erstellten Abmahnungen jeweils als eine Angelegenheit im Sinne von § 15 II RVG anzusehen mit der Folge, dass die Gegenstandswerte jeweils zu addieren sind und die jeweils Abgemahnten nur einen Anteil der so berechneten Kosten zu tragen hätten, der deutlich niedriger wäre als die jeweils auf Grundlage eines Wertes von 100.000 € bzw. 75.000 oder 50.000 € berechnete 1,3 Gebühr.

Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen. Die Indizwirkung der überhöhten Abmahnkostenersatzforderung beruht nämlich darauf, dass der Abmahnende wider besseres Wissen zu hohe Gebühren fordert. Angesichts der Tatsache, dass die BGH-Entscheidung erst vom 06.06.2019 datiert, der Tatsache, dass insoweit noch keine höchstrichterliche Entscheidung zu vergleichbaren UWG-Fällen vorliegt, sowie der problematischen Abgrenzung bei der Frage, ob eine Angelegenheit im Sinne von § 15 II RVG vorliegt, kann die Indizwirkung hier nicht eintreten.

5.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

6.) Die Wertfestsetzung geht von einem Gegenstandswert von 75.000 € aus und berücksichtigt einen Abschlag für den vorläufigen Charakter des Eilverfahrens in Höhe von 1/3.

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