Ausgabe von Zigaretten mit Wareausgebautomaten zulässig

14. Februar 2020
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Geöffnete rote Zigarettenschachtel Urteil des OLG München vom 25.07.2019, Az.: 29 U 2440/18

Ein Supermarktbetreiber aus München hatte Zigarettenpackungen in einem Warenausgabeautomaten angeboten, wogegen ein Verbraucherverband Klage eingelegt hatte, da dieser der Meinung war, dass dadurch die Warnhinweise vollständig abgedeckt werden würden, was gegen geltendes Wettbewerbsrecht verstoßen würde. Diese Sichtweise lehnte das Gericht ab, weil der Kunde genug Zeit hat die Warnhinweise zu lesen, während er die Schachtel auf das Kassenband legt. Außerdem müsse das deutsche Tabakerzeugnisgesetz unionskonform ausgelegt werden, wodurch ebenfalls kein Verstoß ersichtlich wird.

Oberlandesgericht München

Urteil vom 25.07.2019

Az.: 29 U 2440/18

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 05.07.2018, Az. 17 HK O 17753/17, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 150.000,- festgesetzt.

Entscheidungsgründe

A.

Der Kläger macht gegen den Beklagten wegen des Anbietens von Zigaretten unter Zuhilfenahme von Warenausgabeautomaten behauptete lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend.

Der Kläger ist ein im Vereinsregister des AG München eingetragener Verein, dessen Zweck es unter anderem ist, die „Verbraucherberatung und den Verbraucherschutz zu fördern, indem Verbrauchern Aufklärung und Beratung zu Waren und Dienstleistungen angeboten wird, die mit dem Konsum von Tabakerzeugnissen in Verbindung stehen oder bei denen ein solcher Konsum in einer Form betrieben oder propagiert wird, die mit den berechtigten Interessen der Verbraucher und/oder der öffentlichen Gesundheit im Widerspruch steht.“ Er ist als qualifizierte Einrichtung in der vom Bundesamt für Justiz geführten Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen.

Der Beklagte ist eingetragener Kaufmann und betreibt in München zwei Supermärkte.

In den Verkaufsräumen des von ihm betriebenen Supermarktes in der X-Straße in München bietet der Beklagte diverse Tabakerzeugnisse an, wobei die angebotenen Zigarettenpackungen in einem Warenausgabeautomaten bereitgehalten werden, der jedenfalls vor den vom Beklagten zwischenzeitlich vorgenommen Veränderungen am äußeren Erscheinungsbild wie nachfolgend eingelichtet (Anlage A) gestaltet war:

Diejenigen Verbraucher, die in dem fraglichen Supermarkt des Beklagten Zigaretten erwerben möchten, treffen ihre Wahl nach der zu erwerbenden Zigarettenmarke dadurch, dass sie die entsprechende, mit der jeweiligen Marke versehene Auswahltaste betätigen (nachdem sie zuvor das Kassenpersonal um eine entsprechende Freigabe der Auswahltasten ersucht haben), woraufhin die angeforderten Zigarettenpackungen aus der Ausgabevorrichtung auf das Kassenband befördert werden. Die Bezahlung der Ware erfolgt sodann an der Kasse selbst, sofern der Kunde an seinem Plan, die ausgewählten Zigaretten zu erwerben, festhält.

Die Funktionsweise des Ausgabeautomaten dient daher nach dem Verständnis beider Parteien jedenfalls auch der Diebstahlsicherung und dem Jugendschutz.

Der Kläger ist der Auffassung, durch die streitgegenständliche Art des Anbietens von Zigaretten verhalte sich der Beklagte wettbewerbswidrig. Das beanstandete Anbieten von Zigarettenpackungen in einer geschlossenen Einrichtung mit Sichtschutz führe dazu, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen vollständig verdeckt würden und so für den Kunden des Supermarktes nicht ersichtlich seien. Zwar seien auf dem Warenautomaten Abbildungen der angebotenen Zigarettenschachteln zu sehen, die gesetzlich vorgeschriebenen Warnhinweise enthielten diese jedoch nicht.

Angesichts dessen stehe dem Kläger gegen den Beklagten ein Unterlassungsanspruch gem. § 8 Abs. 1, § 3, § 3a UWG iVm § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV zu, die aufgrund der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG wirksam erlassen worden sei und der Umsetzung von Art. 8 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie 2014/40/EU (Tabakproduktrichtlinie, nachfolgend TPRL) diene. Unabhängig davon sei das konkrete Anbieten auch als Vorenthalten wesentlicher Informationen iSv § 5, § 5a Abs. 2 UWG unlauter. Jedenfalls aber verstoße das Verhalten gegen § 11 Abs. 2 TabakerzV, was der Kläger mit seinem Hilfsantrag beanstande.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,
Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Tabakprodukte, nämlich Zigaretten so zum Verkauf anzubieten, dass die gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf den Packungen und Außenverpackungen im Zeitpunkt des Anbietens verdeckt sind, wenn dies geschieht, wie in Anlage A wiedergegeben.
Hilfsweise:
Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr als Wettbewerbshandlung Tabakprodukte, nämlich Zigaretten, so zum Verkauf anzubieten, dass statt der Produktverpackungen Abbildungen der Verpackungen ohne gesundheitsbezogene Warnhinweise präsentiert werden, wenn dies geschieht wie in Anlage A wiedergegeben.

Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV stehe im Widerspruch zur TPRL und sei daher unionsrechtswidrig erlassen worden, somit grundgesetzwidrig und damit nicht anwendbar. Auch wenn man die Norm für rechtmäßig erachte, wäre sie jedenfalls unionsrechtskonform auszulegen, mit der Folge, dass sie auf dem Verkauf vorgelagerte Handlungen der Warenpräsentation, insbesondere der hier streitgegenständlichen Art der Abgabe von Zigaretten in Automaten, nicht anzuwenden sei. Würde man die Norm gleichwohl auch auf Warenpräsentationen beziehen, wäre die Vorschrift aus sich selbst heraus nicht vollziehbar, denn es wäre unmöglich, die Norm zu befolgen: Selbst wenn man die Zigarettenschachtel im Supermarkt in einem offen einsehbaren Regal platziere, sei mindestens eine Seite nicht einsehbar, mithin verdeckt im Sinne einer solchen Auslegung der Norm. Die Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit sei den zuständigen Überwachungsbehörden auch bewusst.

Auch ein Verstoß gegen § 5a Abs. 2 UWG liege nicht vor. Ein Vorenthalten wesentlicher Informationen sei jedenfalls deswegen zu verneinen, weil der Verbraucher die gesundheitsbezogenen Warnhinweise in seine Kaufentscheidung einfließen lassen könne. Er habe nämlich vor Abschluss des Kaufvertrags noch genügend Zeit, die Packung in Augenschein zu nehmen und könne somit auch die gesundheitsbezogenen Warnhinweise wahrnehmen.

Auch sei kein Verstoß gegen § 11 Abs. 2 TabakerzV gegeben. So handele es sich bei den Sortenwahltasten nicht um Werbemaßnahmen, sondern um einen zur Identifizierung der Ware notwendigen Bestandteil der Warenabgabe. Zudem trügen die Sortenwahltasten keine Abbildungen von Produktverpackungen.

Mit Urteil vom 05.07.2018, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Er beantragt,
den Beklagten und Berufungsbeklagten unter Aufhebung des angefochtenen Urteils vom 05.07.2018 zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Tabakprodukte, nämlich Zigaretten, so zum Verkauf anzubieten, dass die gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf den Packungen und Außenverpackungen im Zeitpunkt des Anbietens verdeckt sind, wenn dies geschieht wie in Anlage A wiedergeben;
hilfsweise, es dem Beklagten unter Androhung der o.g. Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr als Wettbewerbshandlung Tabakprodukte, nämlich Zigaretten, so zum Verkauf anzubieten, dass statt der Produktverpackungen Abbildungen der Verpackungen ohne gesundheitsbezogene Warnhinweise präsentiert werden, wenn dies geschieht wie in Anlage A wiedergegeben.

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2019 Bezug genommen.
B.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag zu Recht abgewiesen, da dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen.
I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger gem. § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG unbestritten prozessführungsbefugt.
II.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, da das beanstandete Verhalten nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung der TabakerzV nicht unlauter ist und auch den Tatbestand des § 5a Abs. 2 UWG nicht erfüllt.

1. Der Beklagte hat nicht gegen das in § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV enthaltene Verdeckungsverbot verstoßen.

a) Gem. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV in seiner seit 20.05.2017 gültigen Fassung gilt für die Gestaltung und Anbringung der gesundheitsbezogenen Warnhinweise nach den §§ 12 bis 17 auf Packungen und Außenverpackungen von Tabakerzeugnissen, dass die gesundheitsbezogenen Warnhinweise zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, einschließlich des Anbietens zum Verkauf, nicht teilweise oder vollständig verdeckt oder getrennt werden dürfen; bei Packungen mit Klappdeckel, bei denen die Warnhinweise beim Öffnen der Packung getrennt werden, darf dies nur in einer Weise geschehen, die die grafische Integrität und die Lesbarkeit gewährleistet.

b) Die ursprüngliche Fassung der Norm (ohne den erst mit Wirkung zum 20.05.2017 durch die Zweite Verordnung zur Änderung der TabakerzV vom 17.05.2017 [BGBl. I, 1201] eingefügten Teil „einschließlich des Anbietens zum Verkauf“) stützt sich auf § 6 Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG (vgl. BR Drucksache 17/16 v. 13.01.2016), wonach der Verordnungsgeber ermächtigt wird, zur Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Union Inhalt, Art und Weise, Umfang und das Verfahren der Kennzeichnung mit gesundheitsbezogenen Warnhinweisen zu regeln, und dient der Umsetzung der TPRL.

c) Auch durch die mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der TabakerzV vom 17.05.2017 (BGBl. I, 1201) erfolgte Ergänzung der Norm verfolgt der Verordnungsgeber das Ziel, die TPRL umzusetzen (vgl. BR Drucksache 221/17 v. 12.05.2017).

d) Dass es sich bei § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV um eine Marktverhaltensregel iSv § 3a UWG handelt, stellt auch der Beklagte zu Recht nicht in Abrede (vgl. auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 3a Rn. 1.210).

e) Der Beklagte hat jedoch durch das beanstandete Verhalten nicht gegen § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV verstoßen.

aa) Der Wortlaut der Norm erfasst die streitgegenständliche Konstellation nicht ohne weiteres. Denn nach dem Wortlaut besteht lediglich ein Verbot, die auf einer Packung eines Tabakerzeugnisses befindlichen Warnhinweise zu verdecken. Dass es darüber hinaus unzulässig sein soll, die Packung insgesamt zu verdecken, folgt aus dem Wortlaut zumindest nicht unmittelbar.

bb) Die über den Wortlaut hinausgehende Auslegung der Norm führt ebenfalls nicht dazu, dass das hier beanstandete Verhalten als Verstoß gegen diese anzusehen wäre.

(i) Der Verordnungsgeber selbst geht – wie bereits dargestellt – davon aus, dass die seit 20.05.2017 geltende Vorschrift des § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV eine Umsetzung der TPRL darstellt; sie ist daher richtlinienkonform auszulegen.

(ii) Nach Art. 8 Abs. 1 TPRL hat jede Packung eines Tabakerzeugnisses und jede Außenverpackung in der Verordnung näher definierte gesundheitsbezogene Warnhinweise zu tragen, wobei die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 3 S. 1 TPRL dafür sorgen, dass die gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf einer Packung und der Außenverpackung unablösbar aufgedruckt, unverwischbar und vollständig sichtbar sind und dass sie, wenn die Tabakerzeugnisse in Verkehr gebracht werden, nicht teilweise oder vollständig durch Steuerzeichen, Preisaufkleber, Sicherheitsmerkmale, Hüllen, Taschen, Schachteln oder sonstige Gegenstände verdeckt oder getrennt werden.

(iii) Die Bestimmung dient – wie in Artikel 1 lit. b) TPRL zum Ausdruck gebracht wurde – dem Ziel der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für bestimmte Aspekte der Kennzeichnung und Verpackung von Tabakerzeugnissen, unter anderem die gesundheitsbezogenen Warnhinweise, die auf den Packungen und den Außenverpackungen von Tabakerzeugnissen erscheinen müssen, damit – ausgehend von einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen – unter anderem die Verpflichtungen der Union im Rahmen des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs eingehalten werden. Während die Ziele der Richtlinie mithin in der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen (vgl. Erwägungsgrund 60 TPRL) zu sehen sind und insoweit eine Vollharmonisierung erreicht werden soll, sind Vorschriften über heimische Verkaufsmodalitäten oder heimische Werbung nicht Gegenstand der Richtlinie (vgl. Erwägungsgrund 48 TPRL).

(iv) Das in der aktuellen Fassung von § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV erfasste Anbieten zum Verkauf ist demnach – da die Vorschrift auch nach dem Verständnis des Verordnungsgebers allein der Umsetzung der TPRL dient – nicht weiter zu verstehen, als der in Art. 8 Abs. 3 S. 1 TPRL verwendete und in Art. 2 Nr. 40 TPRL definierte Begriff des Inverkehrbringens. Dies sieht auch der Bundesverordnungsgeber nicht anders, wie sich aus der Begründung zur Einfügung des „Anbietens“ in den Verordnungstext ergibt (s. S. 2 der BR Drucksache 221/17, vorgelegt als Anlage K8).

(v) Entgegen der Auffassung des Klägers ist nach diesen Maßstäben das Vorrätighalten der Zigarettenpackungen in dem streitgegenständlichen Warenausgabeautomat (noch) nicht als Anbieten iSv § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV anzusehen. Auf das Vorrätighalten kann isoliert für die Frage, ob der Verkäufer – hier der Beklagte – die auf der Zigarettenverpackung angebrachten Warnhinweise verdeckt, vielmehr nicht abgestellt werden, da es sich dabei lediglich um eine bloße, von der Richtlinie gerade nicht geregelte (und damit von § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV zwangsläufig ebenfalls nicht erfasste) Verkaufsmodalität handelt.

(1) Die Kennzeichnungsvorschriften der TPRL dienen dazu, dem Verbraucher nachdrücklich und anschaulich die mit dem Rauchen verbundenen, erheblichen Gesundheitsrisiken vor Augen zu führen. Durch die vorgeschriebene Ausgestaltung der gesundheitsbezogenen Warnhinweise soll daher zum einen die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass diejenigen Verbraucher, die sich bereits zum Kauf der von den Kennzeichnungsvorschriften erfassten Tabakerzeugnisse entschlossen haben, bei jedem Griff zur Zigarette animiert werden, aufzuhören. Zum anderen sollen potentielle Käufer bereits vor ihrer Kaufentscheidung an die mit dem Produktkonsum verbundenen Gefahren erinnert werden.

(2) Auch wenn die TPRL daher bereits auf die Umstände Einfluss nimmt, die für die Entscheidungsfindung der Verbraucher maßgeblich sein können, trifft sie insoweit keine allumfassenden Regelungen, sondern spart ausdrücklich die Bewerbung sowie bloße Verkaufsmodalitäten aus und überlässt deren Ausgestaltung der Gesetzgebungskompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten.

(3) Angesichts dessen ist es nach Sinn und Zweck der Richtlinie und in Abgrenzung zu reinen Verkaufsmodalitäten jedenfalls ausreichend, wenn der Verbraucher vor seiner konkreten Kaufentscheidung in Bezug auf das dem Kaufvertrag konkret zugrunde liegende Tabakerzeugnis Gelegenheit hat, die gesundheitsbezogenen Warnhinweise wahrzunehmen.

(4) Diesem Sinn und Zweck entsprechend ist der Begriff des Inverkehrbringens iSv Art. 8 Abs. 3 S. 1 TPRL auszulegen, was im Übrigen auch dem Verständnis des Verordnungsgebers entspricht, wie sich aus der Begründung der Zweiten Änderungsverordnung ergibt (vgl. S. 2 der BR Drucksache 221/17, vorgelegt als Anlage K8).

(a) Nach Art. 2 Nr. 40 TPRL ist unter „in Verkehr bringen“ die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten – unabhängig vom Ort ihrer Herstellung – für Verbraucher, die sich in der Union befinden, auch mittels Fernabsatz “ zu verstehen.

(b) Nach dem Verständnis des Verordnungsgebers meint eine „Bereitstellung für den Verbraucher“ insofern immer auch den – in bestimmten Fallkonstellationen nur sehr kurzen – Moment des „Anbietens“, d.h. den Zeitpunkt bis der Verbraucher oder die Verbraucherin die Kaufentscheidung endgültig getroffen hat.

(c) Legt man dieses Verständnis des Verordnungsgebers zugrunde, kann ein „Verdecken“ im Sinne der Vorschrift jedenfalls dann nicht mehr angenommen werden kann, wenn der Verbraucher vor Abschluss des Kaufvertrags die konkret zu erwerbende Packung mit den nicht verdeckten, gesundheitsbezogenen Warnhinweisen wahrnehmen kann, sei es auch in einem unter Umständen nur sehr kurzen Moment.

(5) Nach diesen Maßstäben kann mithin das hier isoliert angegriffene Vorrätighalten der Zigarettenpackungen „unter Verschluss“ nicht unter außer Acht lassen des Abschlusses des Kaufvertrags selbst beurteilt werden. Denn unstreitig wird der Kaufvertrag nicht bereits durch das Betätigen des Auswahlknopfes am Automaten geschlossen, sondern erst – wenn auch kurz -danach. Dadurch, dass die Zigarettenschachtel zuvor auf das Kassenband ausgeworfen wird, wird dem Verbraucher die Ware vollständig und von allen Seiten uneingeschränkt einsehbar bereitgestellt, so dass er seine Kaufentscheidung im Bewusstsein der auf der Verpackung angebrachten, nicht verdeckten Warnhinweise treffen kann (oder von ihr Abstand nehmen kann). Dass – wie der Kläger meint – der Käufer sich in diesem Moment in einer „Stresssituation“ befinden würde, aufgrund derer er – warum auch immer – die Warnhinweise nicht mehr wahrnehmen könne, vermag der Senat nicht zu erkennen, da es sich beim Bezahlen der auf dem Kassenband befindlichen Waren um einen alltäglichen Vorgang handelt und die Warnhinweise auf der Verpackung nach den einschlägigen Kennzeichnungsvorschriften derart auffällig gestaltet sind, dass nicht zu erkennen ist, warum der Verbraucher diese in der hier maßgeblichen Situation nicht mehr wahrnehmen können soll.

(6) Würde man demgegenüber mit dem Kläger das streitgegenständliche Vorrätighalten als eigenständig zu beurteilende Bereitstellungshandlung sehen, würde dies weit über den Regelungsgehalt der die TPRL umsetzenden Verordnung hinausgehen. Denn dann wäre auch das Einstellen in ein offen einsehbares Regal eine selbständig zu beurteilende Angebotshandlung und mithin jede dort nicht an erster Stelle befindliche Zigarettenschachtel (und die auf dieser angebrachten Warnhinweise) durch die vorangestellten verdeckt. Dass dies aber von dem Verdeckungsverbot erfasst sein soll, behauptet auch der Kläger nicht.

(vi) Es kann daher im Ergebnis dahinstehen, ob die richtlinienkonforme Auslegung generell auch diejenigen Fälle erfassen soll, in denen nicht nur die gesundheitsbezogenen Warnhinweise verdeckt sind, sondern die gesamte Packung als solche bis zum Abschluss des Kaufvertrags für den Verbraucher nicht sichtbar ist. Denn jedenfalls genügt ein Verkäufer dann den Anforderungen von § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV, wenn der Verbraucher vor Abschluss des Kaufvertrags den Kaufgegenstand und damit die auf diesem angebrachten gesundheitsbezogenen Warnhinweise zur Kenntnis nehmen kann. Da dies vorliegend der Fall ist, verstößt das beanstandete Verhalten nicht gegen § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 TabakerzV.

2. Der Beklagte hat auch keine wesentlichen Informationen iSv § 5a Abs. 2 UWG vorenthalten.

a) Es ist bereits fraglich, ob die gesundheitsbezogenen Warnhinweise als wesentliche Informationen im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden können. Dafür spricht zwar, dass es der Richtliniengeber zur Eindämmung des Tabakgebrauchs als erforderlich ansieht, auf jedem der erfassten Produkte unverdeckt entsprechende Warnhinweise anzubringen. Dagegen spricht, dass die von der TabakerzV erfassten Tabakerzeugnisse nicht sämtliche vorgesehenen kombinierten Text-Bild-Warnhinweise tragen müssen, sondern jeweils nur eine Kombination. Es ist mithin dem Zufall überlassen, ob der Verbraucher, der eine Schachtel Zigaretten kauft, durch die text- und bildlichen Warnhinweise über die schädlichen Folgen für die Fruchtbarkeit, das erhöhte Risiko zu erblinden oder andere Gesundheitsgefahren „aufgeklärt“ wird.

b) Jedenfalls aber ist es entsprechend den obigen Ausführungen ausreichend, wenn dem Verbraucher die auf der jeweils zum Kauf ausgewählten Packung angebrachten Warnhinweise vor dem Kaufvertragsabschluss zur Kenntnis gebracht werden. Selbst wenn man mithin das Betätigen des Auswahlknopfes am streitgegenständlichen Warenausgabeautomaten grds. als eine geschäftliche Entscheidung iSv § 5a Abs. 2 S. 1 UWG ansehen wollte, liegt kein Verstoß vor, da es der Verordnungsgeber im Einklang mit dem Richtliniengeber als ausreichend und damit als rechtzeitig ansieht, wenn dem Verbraucher die Warnhinweise vor der Kaufentscheidung zur Kenntnis gegeben werden. Dies ist hier – wie bereits oben ausgeführt – der Fall.

3. Die Klage hat schließlich auch im Hilfsantrag keinen Erfolg, da dem Beklagten kein Verstoß gegen § 11 Abs. 2 TabakerzV zur Last gelegt werden kann.

a) Nach dieser Vorschrift müssen Abbildungen von Packungen und Außenverpackungen, die für an Verbraucher gerichtete Werbemaßnahmen in der Europäischen Union bestimmt sind, den Anforderungen von Abschnitt 1, Unterabschnitt 3 der TabakerzV genügen.

b) Aus den Gründen (vgl. BR Drucksache 17/16, dort S. 44, vorgelegt als Anlage BK3) ergibt sich, dass die Vorschrift Art. 8 Abs. 8 der TPRL umsetzen soll und auf der Ermächtigungsgrundlage des § 21 Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG beruht.

c) Nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG wird der Verordnungsgeber jedoch nicht dazu ermächtigt, die TPRL umzusetzen, eine Ermächtigungsgrundlage hierfür ist vielmehr in § 6 Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG enthalten. Vielmehr ermächtigt § 21 Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG den Verordnungsgeber allein dazu, Vorschriften zur Durchführung der Verbote des Absatzes 1 zu erlassen, insbesondere die Art, den Umfang oder die Gestaltung der Werbung durch bestimmte Werbemittel oder an bestimmten Orten oder zu bestimmten Zeiten zu regeln.

d) Dass die in § 21 Abs. 1 TabakerzG aufgestellten Werbeverbote überhaupt durch § 11 Abs. 2 TabakerzV geregelt werden sollen, erscheint angesichts dessen fraglich. Denn Gegenstand der TPRL – wie oben dargestellt – und mithin auch von Art. 8 Abs. 8 TPRL ist gerade nicht die Bewerbung von Tabakerzeugnissen, so dass die Begründung des Verordnungsgebers für den Erlass von § 11 Abs. 2 TabakerzV in sich widersprüchlich ist: wenn die Norm Art. 8 Abs. 8 TPRL umsetzen soll, dann kann diese nicht auf die Ermächtigungsgrundlage des § 21 Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG gestützt werden; soll sie hingegen nationale gesetzliche Werbeverbote im nicht harmonisierten Bereich konkretisieren, kann sie nicht der Umsetzung von Art. 8 Abs. 8 TPRL dienen.

e) Unabhängig davon, ob angesichts dessen § 11 Abs. 2 TabakerzV überhaupt als grds. anwendbar anzusehen ist, fällt die hier beanstandete Verhaltensweise nicht unter diese Vorschrift.

(i) Stellt man darauf ab, dass die Norm der Umsetzung von Art. 8 Abs. 8 TPRL dienen soll, ist nach der vorzunehmenden richtlinienkonformen Auslegung ein Verstoß zu verneinen.

(1) Nach Art. 8 Abs. 8 TPRL müssen Bilder von Packungen und Außenverpackungen, die für Verbraucher in der Union bestimmt sind, den Bestimmungen des Kapitels 2 der Richtlinie genügen. Die in § 11 Abs. 2 TabakerzV enthaltene Formulierung, dass es sich um solche Abbildungen von Packungen und Außenverpackungen, die für an Verbraucher gerichtete Werbemaßnahmen bestimmt sind, enthält die entsprechende Bestimmung in der Richtlinie mithin nicht.

(2) Wie dargestellt, ist es ua Sinn und Zweck der TPRL, dem Verbraucher jedenfalls bis zum Zeitpunkt seiner Kaufentscheidung die auf der Verpackung angebrachten gesundheitsbezogenen Warnhinweise zur Kenntnis zu bringen. Werbemaßnahmen und Verkaufsmodalitäten sollen demgegenüber durch die Richtlinie nicht erfasst werden. Art. 8 Abs. 8 TPRL ist daher dahingehend auszulegen, dass das Verwenden von Bildern ggü dem Verbraucher nur dann untersagt ist, wenn dies anstelle der Präsentation der Packung vor Abschluss des Kaufvertrags geschieht. Denn andernfalls würde die Vorschrift eine reine Werbemaßnahme bzw. Verkaufsmodalitäten erfassen, was aber gerade nicht Gegenstand der Richtlinie sein soll. Die Vorschrift soll vielmehr gewährleisten, dass der Verkäufer die Kennzeichnungsvorschriften nicht dadurch umgehen kann, dass er zwar von einem Verdecken der Warnhinweise absieht, seinem Kunden aber bis zum Abschluss des Kaufvorgangs nur Abbildungen von Packungen ohne Warnhinweise präsentiert, so dass der Verbraucher entweder der Auffassung ist, eine Packung ohne Warnhinweise erwerben zu können oder aber vor dem Kauf entgegen dem Richtlinien-Zweck nicht mit den Warnhinweisen konfrontiert wird.

(3) Da der Kunde vorliegend wie dargestellt vor Abschluss des Kaufvertrags die Packung inklusive nicht verdeckter Warnhinweise wahrnehmen kann, kann die Verwendung der streitgegenständlichen Auswahlknöpfe, die jedenfalls wie vorliegend im Wesentlichen die jeweilige Zigarettenmarke zeigen, nur als Bestandteil einer Verkaufsmodalität, die den Zielen der Richtlinie gerecht wird, angesehen werden. Eine Umgehungsmaßnahme liegt nicht vor, zumal das Vorrätighalten der Zigarettenpackungen in den streitgegenständlichen Automaten unstreitig jedenfalls auch der Diebstahlsicherung und dem Jugendschutz dient. So wird der Zugriff auf die entsprechenden Packungen gegenüber der Präsentation in einem offen Regal erschwert, denn der Kunde muss sich zunächst aktiv um die Freigabe der Ware bemühen und diese dann durch Betätigen der entsprechenden Auswahltaste anfordern, um sie erst danach kaufen zu können. Dadurch steigt insbesondere bei jugendlichen Kunden die Hemmschwelle, sich für den Kauf eines Tabakerzeugnisses zu entscheiden; zudem wird die Aufmerksamkeit des Kassenpersonals gefördert, das sich vor jeder Freigabe aktiv für diese entscheiden muss.

(ii) Soweit man § 11 Abs. 2 TabakerzV demgegenüber als rechtswirksame Konkretisierung von § 21 Abs. 1 TabakerzG ansehen wollte, wäre dies für den hier zu entscheidenden Fall nur dann relevant, wenn der konkrete Fall unter die die dort aufgeführten Verbotstatbestände subsumiert werden könnte. Auch dies ist nicht der Fall.

(1) § 21 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG verbietet werbliche Informationen, wenn durch diese der Eindruck erweckt wird, dass Genuss oder bestimmungsgemäße Verwendung des so beworbenen Tabakerzeugnisses gesundheitlich unbedenklich oder dazu geeignet ist, die Funktion des Körpers, die Leistungsfähigkeit oder das Wohlbefinden günstig zu beeinflussen. Selbst wenn es Konstellationen geben mag, bei denen der von § 11 Abs. 2 TabakerzV erfasste Fall der Verwendung von Packungsabbildungen unter das in § 21 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG geregelte Verbot fallen könnte, ist das im hier zu beurteilenden Fall zu verneinen: die bloße Bereitstellung der Möglichkeit zum Betätigen einer Taste, die im Wesentlichen die Zigarettenmarke zeigt, um auf diese Weise die Wahl zu treffen, welche Zigarettenmarke auf das Kassenband befördert werden soll, um diese danach erwerben zu können, enthält keinerlei werbende Aussage über die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Produkts, geschweige denn werden hierdurch positive Wirkungen des Tabakkonsums suggeriert.

(2) Ebenfalls ist nicht zu erkennen, dass es sich um Werbung iSv § 21 Abs. 1 Nr. 2 TabakerzG handeln würde, die ihrer Art nach besonders dazu geeignet wäre, Jugendliche oder Heranwachsende zum Konsum zu veranlassen oder darin zu bestärken, denn auch der Kläger räumt ein, dass die konkrete Verkaufsmodalität jedenfalls auch dem Jugendschutz dient.

(3) Aussagen über das Inhalieren des Tabakrauchs (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 TabakerzG) oder über die Inhaltsstoffe der im Automaten befindlichen Zigaretten (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 TabakerzG) liegen ebenfalls ersichtlich nicht vor.
C.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision zum Bundesgerichtshof ist zuzulassen. Die Frage, ob der streitgegenständliche Warenausgabeautomat den richtlinienkonform auszulegenden Bestimmungen der TabakerzV entspricht, ist für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung.

Die Streitwertfestsetzung folgt den nicht zu beanstandenden Angaben der Klagepartei.

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