Begriff „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ setzt Ausgleich eines medizinisch bedingten Nährstoffdefizites voraus

24. August 2020
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Apotheker hält ein Medikament vor einem Regal Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 16.07.2020, Az.: 6 U 38/20

Gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. g) der VO (EU) 609/2013 setzen "Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke" voraus, dass dadurch ein medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit ausgeglichen wird. Streitgegenständlich war im vorliegenden Fall das Produkt "Natural D-Mannose". Dieses soll zum Diätmanagement bei häufig auftretenden Blasenentzündungen eingesetzt werden. Das OLG Frankfurt am Main entschied nun, dass das infrage stehende Produkt nicht dem Ausgleich medizinisch bedingter Nährstoffdefizite dient und deshalb kein "Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke" darstellt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil vom 16.07.2020

Az.: 6 U 38/20

 

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 18.12.2019 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Werbung der Antragsgegnerin für das von ihr vertriebene Produkt „Natural D-Mannose“, das die Antragsgegnerin als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (künftig: LbmZ) zum Diätmanagement bei der Verringerung des Auftretens wiederkehrender Blasenentzündungen in den Verkehr bringt. Bei D-Mannose handelt es sich es sich um einen Einfach-Zucker, der für das von der Antragsgegnerin vertriebene Produkt aus Birkenrinde gewonnen wird.

Bereits 2017 erwirkte der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin einen Titel, die dagegen gerichtet war, das Mittel Natural D-Mannose für die Behandlung von Blasenentzündungen zu bewerben. Das Verfahren endete vor dem Senat mit einem Vergleich, nachdem einer der Unterlassungsanträge zurückgenommen worden war. Mit dem Vergleich billigte der Antragsteller der Antragsgegnerin eine Aufbrauchsfrist von sechs Monaten zu.

Von der weiteren Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 in Verbindung mit § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

A) Der Eilantrag ist zulässig.

1. Der Zulässigkeit des Eilantrages steht das Prozesshindernis der Rechtskraft nicht entgegen. Zwar hat sich der Antragsteller bereits im Jahr 2015 im Wege eines Eilverfahrens und im Jahr 2017 im Wege eines Hauptsacheverfahrens (6 U 60/17) gegen den Vertrieb und die Bewerbung des Mittels „D-Mannose“ gewandt. Gegenstand dieses Verfahrens war jedoch nicht dasselbe Produkt, die Produktaufmachung war eine andere und die angegriffenen Werbeaussagen waren andere. Sowohl die Anträge als auch der jeweilige Lebenssachverhalt sind verschieden mit der Folge, dass nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 7.4.2011, I ZR 34/09 – Leistungspakete im Preisvergleich – Rn 14, juris).

2. Dem Antragsteller fehlt es für den Eilantrag auch nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Dabei kann unterstellt werden, dass er wegen der hier streitgegenständlichen Verletzungshandlung mit Aussicht auf Erfolg ein Ordnungsmittelverfahren aufgrund des Titels führen könnte, den er 2017 erstritten hat. Im Hinblick auf die Unterschiede der in den beiden Fällen beanstandeten Werbungen kann die Klägerin aber nicht auf den Weg des Ordnungsmittelverfahrens verwiesen werden, wenn der Ausgang im Zwangsvollstreckungsverfahren ungewiss ist und eine Verjährung der aufgrund des erneuten Verstoßes geltend zu machenden wettbewerbsrechtlichen Ansprüche droht (BGH, Urteil vom 7.4.2011 – I ZR 34/09 – Leistungspakete im Preisvergleich, Rn 20, juris). Hier wäre der Ausgang eines Zwangsvollstreckungsverfahrens aus der insoweit maßgebenden Sicht des Antragstellers schon deshalb ungewiss gewesen, weil die Antragsgegnerin die beanstandete Werbung als rechtmäßig verteidigt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann dem Antragsteller in einem solchen Fall das Rechtsschutzbedürfnis für die Einleitung eines weiteren Eilverfahrens nicht abgesprochen werden (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.11.2017 – 6 U 121/17 – Rn 2, juris m.w.N.; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.3.2013 – 6 U 227/12, Rn 6, juris; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.1996 – 6 W 145/96 – Rn 3, juris). Es steht dem Antragsteller in einem solchen Fall frei, anstelle des Vollstreckungsverfahrens nach § 890 ZPO oder auch neben dem Vollstreckungsverfahren mit einem Antrag auf Erlass einer weiteren einstweiligen Verfügung gegen den Verletzer vorzugehen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.1996 – 6 W 145/96 – Rn 3, juris). Die Nichtdurchführung eines Vollstreckungsverfahrens steht dem Rechtsschutzbedürfnis für ein neues Eilverfahren nicht entgegen.

3. Der Verfügungsgrund der Dringlichkeit wird in Wettbewerbssachen gemäß § 12 Abs. 2 UWG vermutet. Die Vermutung ist nicht widerlegt.

a) Die Werbung wurde am 1.8.2019 in der Zeitschrift „X“ veröffentlicht; am 15.8. erlangte der Antragsteller Kenntnis und mahnte am 20.8.2019 unter Fristsetzung zum 30.8. ab. Der Eilantrag datiert vom 10.9.2019. Dieser Ablauf rechtfertigt nicht die Annahmen, dass es dem Antragsteller mit der Durchsetzung seiner Unterlassungsansprüche nicht eilig wäre.

b) Die Dringlichkeitsvermutung ist auch nicht deshalb widerlegt, weil die Parteien in dem vorausgegangenen Eilverfahren einen Vergleich geschlossen haben, der eine sechsmonatige Aufbrauchsfrist zum Gegenstand hat. Die Gewährung der Aufbrauchsfrist erfolgte im Zuge gegenseitigen Nachgebens und in der Erwartung, dass die Antragsgegnerin den Unterlassungstitel befolgt. Sie lässt daher schon nicht den Schluss darauf zu, dass dem Antragsteller die Durchsetzung der in dem dortigen Eilverfahren geltend gemachten Unterlassungsansprüche nicht eilig gewesen wäre. Erst recht gilt das für die infolge der erneuten Verletzungshandlungen entstandenen Unterlassungsansprüche, die der Antragsteller bei Vergleichsschluss noch gar nicht kennen konnte.

c) Die Tatsache, dass der Antragsteller in dem vorausgegangenen Eilverfahren einen Antrag zurückgenommen hat, steht der Dringlichkeit schon deshalb nicht entgegen, da ein Unterlassungsanspruch vergleichbaren Inhalts in diesem Eilverfahren nicht Streitgegenstand ist.

d) Schließlich wirkt es für das vorliegende Eilverfahren nicht nachteilig für die Vermutung der Dringlichkeit, dass der Antragsteller wegen der hier streitgegenständlichen Unterlassungsansprüche nicht die Zwangsvollstreckung in der Sache 6 U 60/17 betrieben hat. Dies gilt schon deshalb, weil der Ausgang eines Ordnungsmittelverfahrens angesichts der Verschiedenheit der Produkte und der Unterschiedlichkeit der Aussagen durchaus offen gewesen wäre. Aber auch im Falle der aussichtsreichen Option, ein Ordnungsmittelverfahren zu führen, wirkt sich ein unterbliebener Zwangsvollstreckungsantrag für das Streitverfahren nicht dringlichkeitsschädlich aus. Insoweit teilt der Senat die Auffassung des KG (Aktenzeichen 5 U 58/18) nicht, dass die unterbliebene Zwangsvollstreckung aus einem anderen Titel gegen die Dringlichkeit sprechen kann.

Zutreffend weist das KG darauf hin, dass die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG nach der Rechtsprechung des Senats widerlegt ist, wenn der Antragsteller nach Erlass der Beschlussverfügung und deren Vollziehung in Kenntnis der Fortsetzung des untersagten Verhaltens keinen Vollstreckungsantrag stellt, um das sich aus § 945 ZPO ergebende Kostenrisiko zu vermeiden (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.3.2010 – 6 U 219/09 – Whiskey-Cola, juris). Das gilt aber nur für das betreffende Verfahren. Die Frage der Dringlichkeit stellt sich nur in Bezug auf die Durchsetzung der streitgegenständlichen Ansprüche. Insoweit hat der Antragsteller durch sein Verhalten keinen Anlass gegeben, die Vermutung der Dringlichkeit als widerlegt zu betrachten.

B) Der Eilantrag ist auch begründet. Die geltend gemachten Verfügungsansprüche des Antragstellers bestehen.

1. Mit dem Unterlassungsantrag zu 1. verfolgt der Antragsteller das Ziel eines Vertriebsverbots für „Natural D – Mannose“ als LbmZ. Dieser Anspruch ist begründet gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3 Abs. 1, 3a UWG in Verbindung mit Artt. 1 Abs. 1 lit. c, 2 Abs. 2 lit. g und 4 Abs. 1 der VO (EU) 609/2013.

a) Die VO (EU) 609/2013 regelt unter anderem das Inverkehrbringen von LbmZ. Sie dient dem Schutz der Verbraucher und enthält damit Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG.

b) Bei „Natural D-Mannose“ handelt es sich nicht um ein LbmZ, weil es nicht dazu bestimmt ist, ein medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit auszugleichen.

Gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. g) der VO (EU) 609/2013 dienen LbmZ der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte oder sind für Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bestimmt, für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht.

Der erkennende Senat legt diese Norm so aus, dass ein LmbZ dazu dienen muss, ein medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit auszugleichen (Urt. v. 29.5.2019, 6 U 38/18). Diese Auslegung beruht auf folgenden Erwägungen:

Der BGH (vgl. etwa Urteil vom 4.12.2008 – I ZR 100/06 – Erkofol) hat den Begriff des LmbZ im Sinn von Art. 1 Abs. 2 lit. b) der RL 1999/21/EG, die mit der VO (EU) 609/2013 aufgehoben wurde, dahin ausgelegt, dass ein LmbZ nicht nur vorliegt, wenn ein medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit vorliegt, sondern auch dann, wenn auf andere Weise durch die Nährstoffzufuhr Erkrankungen entgegengewirkt werden soll. Damit hat der BGH das LmbZ sozusagen in den Rang eines „kleinen Arzneimittels“ erhoben. Bereits im Jahr 2013 hat der EU-Normgeber erkannt, dass diese Auslegung seinen Vorstellungen nicht entspricht und mit der VO (EU) 609/2013 den Begriff des LmbZ neu definiert. In den Erwägungsgründen 9 und 10 wird der Anlass für die Änderungen angesprochen: Die unterschiedliche Auslegung des bisher verwendeten Begriffs führe zu Problemen; es sei daher notwendig, durch eine Vereinfachung des rechtlichen Rahmens die Auslegungsunterschiede zu beseitigen. Daher sind LmbZ gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. g) VO (EU) 609/2013 nunmehr – kurz gesagt – Lebensmittel „zum Diätmanagement von Patienten, deren Aufnahme, Verdauung usw. bestimmter Lebensmittel infolge einer Erkrankung gestört ist. Es geht also, im Gegensatz zur Auslegung des alten LmbZ-Begriffs durch den BGH, doch nur um den Ausgleich eines medizinisch bedingten Ernährungsdefizits.

Für diese Auslegung spricht auch Art. 9 Abs. 5 der VO (EU) 609/2013, der, abgesehen von Art. 9 Abs. 6, ein umfassendes Verbot krankheitsbezogener Werbung für LmbZ enthält. Diese Regelung ist konsequent: Wenn ein LmbZ nur noch zum Diätmanagement bei einer Krankheit dient, ist jede Werbung, die den Eindruck erweckt, das LmbZ sei zur Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit geeignet, irreführend.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin folgt aus den Erwägungsgründen 15 und 25 der VO (EU) 609/2013 nichts anderes. Im Gegenteil: Erwägungsgrund 25 betont das in Art. 9 Abs. 5 geregelte umfassende Verbot krankheitsbezogener Werbung.

Unterstützt wird diese Auslegung des LbmZ auch durch Erwägungsgrund 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/128, wo es heißt, LbmZ würden für Ernährung von Patienten entwickelt, die an diagnostizierten spezifischen Krankheiten, Störungen oder Beschwerden litten, die es ihnen sehr schwer oder unmöglich machten, ihren Ernährungsbedarf durch den Verzehr anderer Lebensmittel zu decken.

Es ist daher weder dem Rechtsausschuss des Lebensmittelverbandes Deutschland noch dem Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Karlsruhe zu folgen, wonach Art. 2 Abs. 2 lit. g) VO (EU) 609/2013 gegenüber Art. 1 Abs. 2 lit. b) RL 1999/21/EG lediglich umformuliert worden sei, ohne eine inhaltliche Änderung zu bezwecken.

2. Mit den Unterlassungsanträgen zu 2. wendet sich der Antragsteller gegen krankheitsbezogene Angaben, mit denen die Antragsgegnerin das Mittel „Natural D – Mannose“ bewirbt.

Die insoweit verfolgten Ansprüche sind begründet gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3 Abs. 1, 3a UWG in Verbindung mit Artikel 7 Abs. 3, 4 der VO (EU) 1169/2011 („Lebensmittelinformationsverordnung“, künftig: LMIV).

a) Bei Art. 7 LMIV handelt es sich um eine verbraucherschützende Norm und mithin um eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG.

b) Nach Art. 7 Abs. 3 LMIV dürfen Informationen über ein Lebensmittel diesem keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen. Nicht Voraussetzung für das Verbot ist es, ob diese Information irreführend ist; auf die objektive Richtigkeit der Aussage kommt es nicht an. Nach Art. 7 Abs. 4 LMIV gilt das Verbot auch für die Werbung und die Aufmachung von Lebensmitteln.

Die angegriffenen Werbeaussagen vermitteln dem Leser die Botschaft, das Produkt bekämpfe Blasenentzündungen. Sie sind daher nach §§ 3, 3a UWG i. V. m. Art. 7 Abs. 3, 4 LMIV zu unterlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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