Werbung eines Arzneimittels mit von der Zulassung abweichender Dosierung ist wettbewerbswidrig

21. September 2015
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Verschiedende Pillen vor Verpackung Urteil des OLG Hamburg vom 30.07.2015, Az.: 3 U 93/14

Die Werbung eines Arzneimittels mit einer von der Zulassung abweichenden Dosierungsangabe stellt eine wettbewerbswidrige Irreführung nach § 3a HWG dar, da der Verbraucher davon ausgehen kann, dass die Dosierungsempfehlung Gegenstand des Zulassungsverfahrens war und die erforderliche medizinisch-pharmakologische Überprüfung auf Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Arzneimittels daher gegeben ist.

Oberlandesgericht Hamburg

Urteil vom 30.07.2015

Az.: 3 U 93/14

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Antragstellerin wird der Antragsgegnerin in Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 6.5.2014, Az. 406 HKO 47/14, bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzendes Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten,

im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel „V.“ mit einer mehrwöchigen Intervalltherapie in ausschleichender Dosierung zu werben und/oder werben zu lassen, wie dies auf der Homepage der Antragsgegnerin gemäß dem als Anlage 1 beigefügten Auszug und/oder dem in der Anlage 2 dieses Urteils beigefügten Sonderdruck „Sichere Therapie mit V.-Kapseln“ geschehen ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Gründe

I. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Unterlassung einer Werbeaussage für eine Therapie mit dem Arzneimittel „V.“ zur Behandlung von Durchfallerkrankungen in Anspruch.

Die Antragstellerin vertreibt das Arzneimittel D.. Die Antragsgegnerin vertreibt das Arzneimittel V.. Mit beiden Antibiotika werden durch Krankenhauskeime verursachte Durchfallerkrankungen behandelt.

Die Antragsgegnerin bewarb ihr Arzneimittel V. auf ihrer Homepage mit einer eigenen Seite (Anlage 1) und einem verlinkten Artikel (Anlage 2). Darin werden im Falle einer Rezidivproblematik und -therapie eine intermittierende und ausschleichende V.-Therapie über mehrere Wochen mit abnehmender Dosierung empfohlen. Wegen der Einzelheiten wird auf die beiden Anlagen des Urteils verwiesen.

Nach der Fachinformation für V. nehmen Erwachsene zur Behandlung einer Enterokolitis üblicherweise 500mg bis 2g täglich in 3 bis 4 Teilgaben ein. V. soll 7 – 10 Tage lang eingenommen werden (vgl. Anlage ASt 2).

Die Antragstellerin sieht in den werbenden Aussagen eine gemäß § 3a HWG unzulässige Werbung mit einer nicht dem Zulassungsstatus entsprechenden Dosierung und einer Ausschleichungstherapie. Es handele sich um eine Werbung, die über den Zulassungsstatus des Arzneimittels hinausgehe. Diese falle nach ständiger Rechtsprechung des Senats (z.B. Urteil vom 16.1.2003 – 3 U 130/02 – Bruchrillen, GRUR-RR 2003, 356) unter § 3a HWG. Die Dosierung, mit der geworben werde, sei in der Fachinformation nicht vorgesehen, habe der Zulassung nicht zu Grunde gelegen und sei dementsprechend auch nicht überprüft. In der Anlage 1 werde ab der dritten Woche eine Dosis von 125mg bis 250mg vorgeschlagen. Dies entspreche der Hälfte dessen, was in der Zulassung als unterste Dosis angegeben sei. In der 4. – 7. Woche solle diese niedrige Dosis auch nur noch alle 2 bzw. 3 Tage eingenommen werden. Darüber hinaus liege auch eine konkrete Irreführung gemäß § 3 HWG vor. Der Fachverkehr erwarte, dass die von der Antragsgegnerin beworbene Ausschleichungstherapie Gegenstand der Zulassung sei. Das gelte jedenfalls, wenn auf den abweichenden Zulassungsstatus nicht hingewiesen werde.

Die Antragstellerin hat in erster Instanz beantragt,

der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel „V.“ mit einer mehrwöchigen Intervalltherapie in ausschleichender Dosierung zu werben und/oder werben zu lassen, wie dies auf der Homepage der R. gem. dem als Anlage 1 beigefügten Auszug und/oder dem in der Anlage 2 diesem Beschluss beigefügten Sonderdruck „Sichere Therapie mit V.-Kapseln“ geschehen ist.

Das Landgericht, Zivilkammer 15, hat im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 19.2.2014 die einstweilige Verfügung antragsgemäß erlassen. Dagegen hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt und eine Verweisung an die Kammer für Handelssachen beantragt.

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass eine Werbung mit einer abweichenden Dosierung nicht unter die Vorschrift des § 3a HWG falle. Eine solche Auslegung überschreite die Grenzen der Auslegung und sei nicht mehr vom Wortlaut der Norm gedeckt. Die von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen des Senats seien vor der Einführung des § 3a S. 2 HWG getroffen worden. Mit der vierzehnten Änderung des Arzneimittelgesetzes im Jahre 2005 habe der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Norm beschränkt und dieser Auslegung die Grundlage entzogen. Der Wortlaut sei die Grenze der Auslegung. Dies gelte besonders, weil die Vorschrift bußgeldbewehrt sei, so dass ein Analogieverbot ausscheide. Der Wortlaut sei eindeutig, so dass es auf die Gesetzesbegründung nicht ankomme. In § 3a S. 2 HWG seien mit dem „Anwendungsbereich“ und der „Darreichungsform“ zwei im Arzneimittelgesetz klar definierte Begriffe genannt. Der weiter definierte Begriff der Dosierung sei nicht aufgenommen worden. Die Werbung für eine abweichende Dosierung sei deshalb keine Werbung außerhalb des Anwendungsgebietes.

Darüber hinaus sei der vorliegende Fall anders als die zitierten Entscheidungen des Senats gelagert. Es liege keine strikte Vorgabe zur Dosierung vor, sondern die Fachanweisung gebe nur einen Rahmen vor, wie sich aus den vagen Formulierungen „Richtlinie“, „üblicherweise“ und „sollte“ ergebe. Es handele sich nur um einen Dosierungsvorschlag. Auch Ziffer 5.2 der Fachinformation zeige, dass eine Anwendung über 7-10 Tage hinaus Gegenstand der Zulassung sei (konkret 16 Tage). Darüber hinaus könne V. auch bei Rezidiven eingesetzt werden, ohne dass zwischen der Ersttherapie und der Folgetherapie ein Zeitraum abgewartet werden müsse. Es könne z.B. lediglich eine Unterbrechung der Therapie von einem Tag erfolgen, so dass eine über 7-10 Tage hinausgehende Anwendung zugelassen sei. Es gebe auch keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung für die Anwendung.

Schließlich werde auch das werbliche Umfeld der angegriffenen Aussagen nicht ausreichend berücksichtigt. Darin werde keine Dosierung empfohlen, sondern auf Stimmen der Literatur hingewiesen. In der Anlage 2 werde lediglich eine wissenschaftliche Meinung wiedergegeben. Um den Arzt nicht alleine zu lassen, würden diese Meinungen veröffentlicht.

Die Antragstellerin ist demgegenüber der Ansicht, dass Einhelligkeit darüber bestehe, dass der neueingefügte Satz 2 des § 3a HWG nur eine erweiternde klarstellende Funktion habe. Durch die Hinzufügung des zweiten Satzes habe die Werbung für Arzneimittel in ihrem Umfang strikt an den „eigentlichen Indikationszweck“ gebunden werden sollen. Es habe jegliche Werbung verboten werden sollen, wenn das Arzneimittel so nicht zugelassen sei. Der Wortlaut „auch“ spreche dafür, dass es sich hier nicht eine Einschränkung, sondern nur um eine die bisherige Reichweite nicht begrenzende Klarstellung handele. Dies entspreche auch dem Gesetzeszweck und der europarechtlichen Vorgabe des Art. 87 Abs. 2 der Arzneimittelrichtlinie (2001/83 EG) im Sinne eines hinreichend engen Bezuges.

Das Landgericht, Kammer 6 für Handelssachen, hat mit Urteil vom 6.5.2014 das Verbot der Zivilkammer 15 vom 19.2.2014 im Widerspruchsverfahren aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen. Nach der Einführung des § 3a S. 2 HWG im Zuge der 14. AMG-Novelle sei eine Werbung mit einer abweichenden Dosierung nicht vom Gesetz erfasst. Die Werbung beziehe sich nicht auf ein Anwendungsgebiet oder eine Darreichungsform. Eine andere Auslegung ginge über den Wortlaut hinaus. Eine planwidrige Regelungslücke bestehe jedenfalls nach der Einführung des § 3a S. 2 HWG nicht (mehr). Der Gesetzgeber habe die Frage abschließend entschieden. Darüber hinaus lägen auch die Voraussetzungen für eine Werbung mit einer abweichenden Dosierung nicht vor. Anders als im Urteil des Senats vom 16.1.2003 (- 3 U 130/02 – Bruchrillen) lägen keine festen Dosierungsvorgaben, sondern nur Dosierungsrichtlinien vor. Schließlich fehle es auch an einer Irreführung im Sinne des § 3 HWG, da der Verkehr nicht davon ausgehe, dass sich jegliche Werbeaussage inhaltsgleich in der Fachinformation wiederfinde. Der Antragsteller habe letztlich auch nicht geltend gemacht, dass die streitige Werbung mangels hinreichender wissenschaftlicher Absicherung irreführend sei.

Gegen das am 7.5.2014 zugestellte Urteil wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am Dienstag, den 10.6.2014, eingelegten Berufung.

In ihrer Berufungsbegründung wiederholt und vertieft die Antragstellerin ihren Vortrag. Sie ist der Auffassung, dass sich auch aus Ziffer 5.2 der Fachinformation (Anlage ASt 2) ergebe, dass im Rahmen der klinischen Untersuchung den Probanden über sieben Tage eine gleichbleibende Dosierung zu verabreichen sei. Dementsprechend solle das Präparat (gemäß Ziffer 4.1 und 4.2 der Fachanweisung) zur Behandlung von Enterocolitiden in gleichbleibender Dosierung von 500mg bis 2g täglich über 7-10 Tage angewendet werden. Eine von der Antragsgegnerin beworbene ausschleichende Dosierung könne schon deshalb nicht Gegenstand der Zulassung gewesen sein, da sie mit den zugelassenen 250mg Hartkapseln nur schwerlich umsetzbar sei. Die Werbung vermittle demgegenüber eine ganz andere Verwendung. Mit der Werbung werde der Eindruck erweckt, es gebe zwei Therapieformen. Eine Rezidivtherapie mit ausschleichender Dosierung und eine Initialtherapie mit gleicher Dosierung.

Die Werbung für eine ausschleichende Dosierung der Antragsgegnerin stelle auch eine konkrete Irreführung dar, da die Fachkreise erwarteten, dass sie Gegenstand der Zulassung sei und Untersuchungen zur ausschleichenden Dosierung bei der Behandlung von Rezidiven der Zulassungsbehörde vorgelegen hätten.

Die Antragstellerin beantragt,

der Antragsgegnerin unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) zu verbieten,

im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel „V.“ mit einer mehrwöchigen Intervalltherapie in ausschleichender Dosierung zu werben und/oder werben zu lassen, wie dies auf der Homepage der Antragsgegnerin gemäß dem als Anlage 1 beigefügten Auszug und/oder dem in der Anlage 2 dieses Urteils beigefügten Sonderdruck „Sichere Therapie mit V.-Kapseln“ geschehen ist.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In ihrer Berufungserwiderung wiederholt und vertieft die Antragsgegnerin ihren erstinstanzlichen Vortrag. Es gebe keinen eindeutigen Beleg dafür, dass mit der Gesetzesänderung keine Einschränkung gegenüber dem vorherigen Zustand habe vorgenommen werden sollen. In einer Rezidivtherapie liege auch kein von der Fachanweisung abweichendes Anwendungsgebiet. Die Rezidivtherapie besage nur, dass dieselbe Erkrankung ein weiteres Mal auftrete.

Es liege auch keine konkrete Irreführung vor, da die angesprochenen Verkehrskreise für die hier in Rede stehende Dosierung wüssten, dass die Verordnung der Dosierung in ihren Händen liege. In der Anlage 1 heiße es ausdrücklich: „Eine intermittierende und ausschleichende V.-Therapie über mehrere Wochen wird in diesem Fall empfohlen, wobei in der Literatur unterschiedliche Angaben zur Dauer und Abstufung der Dosierung bestehen.“. Es sei schleierhaft, wie bei einer derartigen Formulierung der Anschein entstehen solle, die in dieser wissenschaftlichen Ausführung dargestellte Dosierung sie vom Bundesamt für Arzneimittelrecht geprüft. Im Übrigen seien die Aussagen durch die Fachinformation gedeckt.

II. Die zulässige Berufung der Antragstellerin ist begründet.

1. Ein Verfügungsgrund besteht, weil die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG nicht widerlegt ist.

2. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Aussagen aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 UWG i.V.m. § 3a HWG. Danach kann jeder Mitbewerber vom anderen Mitbewerber die Unterlassung von unlauteren geschäftlichen Handlungen verlangen, die geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Zu den unlauteren geschäftlichen Handlungen gehört auch der Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften, die im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten regeln. Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Vertriebs von Antibiotika zur Behandlung von durch Krankenhauskeime verursachten Durchfallerkrankungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG).

b) Die angegriffenen Aussagen der Antragsgegnerin verletzen § 3a HWG. Eine Werbung mit einer von der Fachanweisung abweichenden Dosierung ist gemäß § 3a S. 1 HWG unzulässig.

§ 3a S. 1 HWG lautet: „Unzulässig ist eine Werbung für Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen und die nicht nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften zugelassen sind oder als zugelassen gelten.“.

In der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass § 3a HWG auch Fallgestaltungen erfasst, in denen sich die Werbung für ein zugelassenes Arzneimittel auf von der Zulassung nicht umfasste Anwendungsgebiete, Darreichungsformen und nicht der Zulassung entsprechende Dosierungen bezieht. Denn auch dann fehle es nicht anders als bei insgesamt nicht zugelassenen Arzneimitteln an der für die Verkehrsfähigkeit des Mittels erforderlichen medizinisch-pharmakologischen Überprüfung durch die Zulassungsbehörde (vgl. Senat, Urteil vom 16.1.2003 – 3 U 130/02, Rn. 13 zitiert nach juris – Bruchrillen = GRUR 2003, 354, 355, Senat, Beschluss vom 23.2.2003 – 3 U 106/02, Rn. 37 zitiert nach juris = GRUR 2003, 356; Reese/Holtorf in Reese/Dieners, Handbuch des Pharmarechts, 1. Auflage 2010, § 11 Rn 196; Bülow/Ring/Artz/Brixius, Heilmittelwerbegesetz, 4. Auflage 2012, § 3a Rn. 24 Riegger, Heilmittelwerberecht, 3. Kapitel Rn. 97; Kügel/Hesshaus, PharmaR 2006, 70, 70).

Durch Art. 2 Nr. 1a des Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29. August 2005 (BGBl. I S. 2570, 2599) wurde § 3a S. 1 HWG um einen Satz 2 ergänzt, der lautet: „Satz 1 findet auch Anwendung, wenn sich die Werbung auf Anwendungsgebiete oder Darreichungsformen bezieht, die nicht von der Zulassung erfasst sind.“.

Schon vor der Gesetzesänderung waren von § 3a HWG a.F. solche Fälle erfasst, in denen sich die Werbung für ein zugelassenes Arzneimittel auf von der Zulassung nicht umfasste Anwendungsgebiete bezog. Die Einfügung des § 3a S. 2 HWG hat die Gesetzeslage insoweit nicht geändert, sondern lediglich zu einer Klarstellung geführt (vgl. BGH, Urteil v. 13.3.2008, I ZR 95/05 – Amlodipin, Rn. 29 zitiert nach juris = GRUR 2008, 1014, 1016); MünchKomm.UWG/Schaffert, § 4 Nr. 11 Rn. 239; Kügel/Hesshaus, PharmR 2006, 70, 70).

Mit der Änderung wird indes nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 3a HWG auf eine Werbung außerhalb des Anwendungsbereichs und/oder der Darreichungsform beschränken und vom Anwendungsgebiet ausgrenzen wollte. Vielmehr bleibt es dabei, dass eine Werbung für eine mit der Zulassung nicht im Einklang stehende Dosierung eines Arzneimittels dem Anwendungsbereich des § 3a HWG unterfällt.

(1) Dafür spricht bereits der Zweck des Gesetzes. § 3a HWG dient der Abwehr von Gefahren, die von einem nicht abschließend auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüften Arzneimittel ausgehen können (Senat, Urteil vom 16.1.2003 – 3 U 130/02, Rn. 12 – Bruchrillen = GRUR 2003, 354, 355; Bülow/Ring/Artz/Brixius, Heilmittelwerbegesetz, 4. Auflage 2012, § 3a Rn. 2). Diese Gefahren bestehen nicht nur bei einer Einnahme außerhalb des Anwendungsbereichs, sondern auch bei einer Anwendung des Mittels in abweichender Dosierung.

Die Angaben zur Dosierung sind ein fester Bestandteil des Zulassungsverfahrens. Gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 10 AMG müssen dem Antrag Angaben zur Dosierung in deutscher Sprache beigefügt werden. Die vorgesehene Dosierung des Arzneimittels ist nach Tagen und Einzeldosen anzugeben. Auch über diese Angabe wird – wie über die Indikation des Arzneimittels – im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren entschieden. In Übereinstimmung damit ist nach § 29 Abs. 1 AMG eine Änderung der Dosierungsangabe anzeigepflichtig, wie sich aus dem Hinweis in dieser Vorschrift auf § 22 AMG ergibt (vgl. Senat, Urteil vom 16.1.2003 – 3 U 130/02, Rn. 13 zitiert nach juris – Bruchrillen = GRUR 2003, 354, 355).

Selbst bei angenommener Sicherheit ist zu berücksichtigen, dass eine fehlende Wirksamkeit zu einer negativen Nutzen-Risiko-Bewertung führen kann, da bei fehlender Wirksamkeit eine Gesundheitsgefährdung durch Vorenthalten einer wirksamen Therapiealternative droht (vgl. Bülow/Ring/Artz/Brixius, Heilmittelwerbegesetz, 4. Auflage 2012, § 3a Rn. 24).

(2) Der Wortlaut des § 3a HWG steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Die Grenzen des Wortlautes werden nicht überschritten, so dass es nicht darauf ankommt, ob die Vorschrift bußgeldbewehrt ist oder nicht. Die Formulierung „auch“ des § 3a S. 2 HWG zeigt, dass der Anwendungsbereich des Satzes 1 durch den Gesetzgeber lediglich klarstellend erweitert, nicht aber abschließend beschränkt wurde. Hätte der Gesetzgeber eine Einschränkung des § 3a S. 1 HWG gewollt, hätte es nahegelegen dieses klarer zu formulieren. Insofern hätte vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung zur Dosierung z.B. eine Formulierung gewählt werden können wie: „Satz 1 findet darüber hinaus nur Anwendung, wenn sich die Werbung auf Anwendungsgebiete oder Darreichungsformen bezieht, die nicht von der Zulassung erfasst sind.“ Das ist nicht geschehen. Das „auch“ lässt die Anwendung der Vorschrift auf vergleichbarer Sachverhalte – hier eine nicht mit der Zulassung konforme Dosierungsempfehlung – offen.

(3) Die Gesetzgebungsmaterialien insbesondere die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Bundesrates sprechen ebenfalls gegen eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 3a S. 1 HWG.

Im Bericht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages Widmann-Dauz (BT-Drs. 15/5728, Seite 84) wird ausgeführt: „Es wird klargestellt, dass das Verbot der Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel in dem in den Sätzen 1 und 2 beschriebenen Umfang gilt. Damit wird inhaltlich auch einem Vorschlag des Bundesrates zu § 12 entsprochen, nach dem sich die Werbung nur auf den „eigentlichen Indikationszweck“ beziehen darf.

Der Bundesrat (Drs. 237/05 (Beschluss), Seite 31) hatte im Gesetzgebungsverfahren empfohlen: „Mit der Ergänzung des § 12 wird erreicht werden, dass sich die Werbung nur auf die eigentliche Indikation beschränkt und keine Aussagen getroffen werden, die gefährdete Personen zum Missbrauch anregen.“

Die Formulierung „Es wird klargestellt, dass das Verbot der Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel in dem in den Sätzen 1 und 2 beschriebenen Umfang gilt.“ ist nicht dahin zu verstehen, dass die Werbung mit einer nicht der Zulassung entsprechenden Dosierung nunmehr nicht mehr erfasst wird. Vielmehr deutet die Nichterwähnung einer Werbung mit einer abweichenden Dosierung in der Begründung, die Wortwahl „Klarstellung“ und das Ziel des Gesetzgebers, dass sich die Werbung nur auf die eigentliche Indikation beschränkt und keine Aussagen getroffen werden, die gefährdete Personen zum Missbrauch anregen, in die gegenteilige Richtung. Der Gesetzgeber wollte das Schutzniveau erhöhen. Dass der Gesetzgeber dabei möglicherweise über den Anwendungsbereich der Vorschrift, die sie durch eine Auslegung der herrschenden Meinung erfahren hat, im Unklaren war, ist unschädlich. Eine willentliche oder wissentliche Einschränkung des Anwendungsbereichs ergibt sich damit jedenfalls weder aus dem Wortlaut des § 3a S. 2 HWG noch aus den Gesetzgebungsmaterialien.

(4) Schließlich spricht auch eine richtlinienkonforme Auslegung dafür, dass die Werbung mit einer nicht der Zulassung entsprechenden Dosierung durch § 3a HWG erfasst wird.

§ 3a S. 1 HWG stellt die Umsetzung von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 92/28 EWG, Art. 87 Abs. 1 Gemeinschaftskode 2001/83 dar (vgl. Bülow/Ring/Artz/Brixius, Heilmittelwerbegesetz, 4. Auflage 2012, § 3a Rn. 1). Gemäß Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie (2001/83/EG) müssen alle Elemente der Arzneimittelwerbung mit den Angaben in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels vereinbar sein.

Die europarechtlich geforderte „Vereinbarkeit“ meint zwar nicht die völlige Übereinstimmung mit der Folge, dass alle Elemente der Werbung für ein Arzneimittel mit denjenigen in der Zusammenfassung der Merkmale dieses Arzneimittels identisch sein müssen. Die Elemente einer Arzneimittelwerbung dürfen aber nie u. a. Anwendungsgebiete, pharmakologische Eigenschaften oder sonstige Merkmale suggerieren, die im Widerspruch zur Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels stehen, die von der zuständigen Behörde bei der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des entsprechenden Arzneimittels genehmigt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 5.5.2011, C 249/09, Rn. 42f zitiert nach juris).

Demgemäß darf auch nicht mit einer der Fachanweisung widersprechenden Dosierung geworben werden. Die Dosierung ist fester Bestandteil des Zulassungsverfahrens. Auch dies spricht dafür, dass eine Werbung mit einer der Fachanweisung widersprechenden Dosierung vom Anwendungsbereich des § 3a S. 1 HWG erfasst wird.

c) Die angegriffenen Aussagen in den Anlagen 1 und 2 stellen Werbung dar. Der Begriff der Werbung wird im Heilmittelwerbegesetz nicht definiert, sondern wie sich aus § 1 Abs. 3 HWG ergibt, vorausgesetzt. Maßgeblich ist insoweit die Definition in Art. 86 Abs. 1 Gemeinschaftskodex. Danach fallen hierunter „alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe und den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern.“. Bei wissenschaftlichen Abhandlungen genügt es insoweit, dass diese zur Kommunikation gegenüber Dritten eingesetzt werden. Damit macht sich der Werbende den Inhalt der Abhandlung zu eigen (vgl. Reese/Holtorf in Reese/Dieners, Handbuch des Pharmarechts, 1. Auflage 2010 § 11 Rn 99, 116). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Aussagen wurden auf der Homepage (Anlage 1) eingestellt bzw. in diese eingebunden (Anlage 2). Sie zeigen einen Anwendungsbereich des Arzneimittels auf und sind geeignet den Absatz zu fördern.

d) Die Antragsgegnerin wirbt vorliegend auch mit einer abweichenden Dosierung. Die Dosierung wird in der Fachanweisung unter Ziffer 4.2. auszugsweise wie folgt beschrieben: „Dosierung: Soweit nicht anders verordnet, gelten die folgenden Dosierungsrichtlinien. Erwachsene und Kinder ab 12 Jahre nehmen üblicherweise 500mg bis 2g täglich in 3 bis 4 Teilgaben ein. […] Eine Tagesdosis von 2g V. sollte nicht überschritten werden. […] Zur Behandlung der Enterokolitis sollte V. 7 – 10 Tage lang eingenommen werden.“ In der genehmigten Fachanweisung wird die Dosierung damit konkret beschrieben. Die Formulierungen „Dosierungsrichtlinie“, „soweit nicht anders verordnet“ und „üblicherweise“ stellen dabei in Fachanweisungen übliche beschreibende Hinweise dar, die der Therapiefreiheit der Ärzte entsprechen. Jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – mit einer erheblich abweichenden Dosierung geworben wird, die nicht in Einklang mit der Fachanweisung zu bringen ist, stellt dies einen Verstoß gegen § 3a HWG dar.

Die beworbene Dosierung weicht bezogen auf den Zeitraum der Einnahme, bezogen auf die Tagesdosis und der Konstanz der Einnahme deutlich von der Fachanweisung ab. Der von der Antragsgegnerin beworbene Zeitraum der Einnahme von 7 Wochen überschreitet selbst bei einer für die Antragsgegnerin günstigen Betrachtung der Fachanweisung den Zeitraum von 7 bis 10 Tagen um ein Fünffaches. Die Höhe der einzelnen Dosierung stellt in der siebten Woche mit 1 x 125mg bis 250mg alle 3 Tage nur ein 1/12 bzw. 1/6 der üblichen Dosierung von 4 x 125mg täglich dar. Zusätzlich wird über die sieben Wochen nicht eine gleichbleibende, sondern eine absinkende Dosierung beschrieben. Diese geringere Dosierung von 125mg lässt sich mit den 250mg Hartkapseln, die Gegenstand der Fachinformation sind, nur umständlich umsetzen, da dafür die Kapsel entweder geteilt werden müsste, oder auf „V.L.“ (Siehe 4.2 Fachinformation) zurückgegriffen werden müsste.

Diese deutliche Abweichung wird nicht dadurch relativiert, dass Gegenstand des Zulassungsverfahrens auch eine mögliche Anwendung über 7 bis 10 Tage hinaus ist. Unter Ziffer 5.2 der Fachanweisung wird beschrieben: „Bei 2 von 5 anephrischen Patienten ohne entzündliche Darmerkrankung, die 16 Tage lang 2g V. täglich einnahmen, wurden Konzentrationen von 0,66ug im Blut gemessen. […] Nach wiederholter oraler Gabe von V. können bei Patienten […] gelegentlich nach mehrfachen oralen Dosen deutliche Serumspiegel auftreten.“ Diese Hinweise betreffen nicht die unter Ziffer 4.2. beschriebene Art und Dauer der Dosierung, sondern die pharmakokinetischen Eigenschaften des Arzneimittels. Die Anwendung in einzelnen Studien über den in der Fachanweisung bei der Art und Dauer der Anwendung beschriebenen Zeitraum hinaus, hat eine andere Zielrichtung. Für die Antragsgegnerin spricht auch nicht, dass das Arzneimittel wiederholt eingesetzt werden kann. Ein wiederholter Einsatz wird in der Fachanweisung überhaupt nicht beschrieben. Darüber hinaus ändert dies auch nichts daran, dass die Höhe der täglichen Dosis und die Konstanz der einzunehmenden Dosis deutlich von der Fachanweisung abweichen.

3. Die Antragstellerin hat darüber hinaus einen Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Aussagen aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 UWG i.V.m. § 3 HWG. Die in den Anlagen zu 1 und 2 beworbenen Aussagen sind irreführend.

a) Das von der Antragstellerin vorgetragene Verkehrsverständnis trifft zu. Das Verkehrsverständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und vernünftigen Verbrauchers ebenso wie das eines Arztes vermögen die Mitglieder des Senats, die sich hierbei auf ihre eigene Sachkunde und Lebenserfahrung stützen können, selbst zu beurteilen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung des Verkehrsverständnisses von Ärzten durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem – wie hier – keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat (Senat, Urteil v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204).

Der aus Ärzten bestehende Fachverkehr erwartet, dass die von der Antragsgegnerin konkret beworbene Therapie bei einem Rezidiv von der Fachinformation gedeckt ist.

In der Anlage 1 heißt es auszugsweise: „Eine intermittierende und ausschleichende V.-Therapie über mehrere Wochen wird in diesem Fall empfohlen, wobei in der Literatur unterschiedliche Angaben zur Dauer und Abstufung der Dosierung bestehen.“. Die Formulierung lässt erwarten, dass jedenfalls der erste Teil der Aussage, mit der auf die ausschleichende Therapie hingewiesen wird, Gegenstand der Zulassung ist. Nur für die unterschiedlichen Angaben zur Dauer und Abstufung der Dosierung – nicht aber über die ausschleichende Anwendung – wird auf Literaturmeinungen verwiesen. Dies erweckt den Eindruck, dass die Aussage bezogen auf die ausschleichende Anwendung von der Fachinformation gedeckt ist.

In der Anlage 2 heißt es auszugsweise: „Kommt es zum Rezidiv, sollte V. als Initialtherapie zunächst viermal täglich über zehn Tage verabreicht werden, gefolgt von einer ausschleichenden Therapiephase über mehrere Wochen [9, 19]. Die ausschleichende Therapie mit V. ist ein entscheidender Faktor für die Vermeidung rezidivierender Episoden und kann vom Hausarzt durchgeführt werden (Tab. 1).“. In der mit einem Copyright-Vermerk der Antragsgegnerin versehenen und in Bezug genommenen Tabelle wird die V. Dosis über sieben Wochen beschrieben. Der Hinweis im zweiten Teil der Aussage auf die ausschleichende Therapie als „entscheidenden Faktor“, verbunden mit dem Hinweis auf die Tabelle, erweckt auch deshalb den Eindruck, dass diese empfohlene Therapie von der Fachinformation gedeckt ist, weil es insoweit an einem Hinweis auf eine wissenschaftliche Untersuchung, wie er im vorangegangenen Satz erfolgt, fehlt.

Diese Eindrücke werden – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – auch durch das werbliche Umfeld der angegriffenen Aussagen eher bekräftigt als entkräftet. Aus dem werblichen Umfeld wird gerade nicht deutlich, dass es sich um Meinungen aus der Literatur handelt. Weder in der Anlage 1 noch in der Anlage 2 findet sich ein umfassender Verweis auf einen Autor. Die Anlagen lassen sich in ihrer Gesamtheit ausschließlich der Antragsgegnerin zuordnen. In der Anlage 2 wird am Ende des Artikels zusätzlich darauf hingewiesen „Mit freundlicher Unterstützung der R. GmbH, …. – Die Herausgeber übernehmen keine Verantwortung für diese Rubrik“.

b) Basierend auf diesem Verständnis sind die Aussagen auch irreführend, denn eine ausschleichende Therapie über mehrere Wochen ist – wie ausgeführt – gerade nicht Grundlage der Zulassung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

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