Einstellen einer ein Hakenkreuz enthaltenden Karikatur auf Instagram
Bayrisches Oberstes Landgericht München
Urteil vom 07.10.2022
Az.: 202 StRR 90/22
Tenor
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts vom 21. April 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten am 15.12.2021 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Euro. Auf die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht mit Urteil vom 21.04.2022 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Freispruch richtet sich die auf die Sachrüge gestützte und von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft.
II.
Die gemäß §§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision ist begründet. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verneint hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Berufungskammer hat im Wesentlichen folgende für die revisionsgerichtliche Beurteilung relevanten Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der als Kind türkischer Eltern in Deutschland geborene Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger. Er gehört der muslimischen Gemeinschaft seiner Heimatstadt an und ist seit Mai 2020 (parteiloses) Mitglied des Stadtrats; der Angeklagte hat mit Erfolg die erste Juristische Staatsprüfung abgelegt.
Am 17.05.2021 erstellte der Angeklagte unter seinem Instagram-Account eine sog. ‚Highlight-Story‘ mit dem Titel „FreePalastine“, zu der jeder auf dem sozialen Netzwerk ‚Instagram‘ registrierte Nutzer Zugang und damit Einsicht hatte. Im Rahmen der Story veröffentlichte der Angeklagte im Zeitraum vom 17. bis zum 20.05.2021 verschiedene eigene Schrift- und Videobeiträge zum Nahostkonflikt, ferner Pressebeiträge und -artikel sowie Bilder und Darstellungen dritter Personen.
Am 19.05.2021 stellte der Angeklagte eine nicht von ihm geschaffene Karikatur mit dem Titel „The irony of becoming what you once hated“ in seine vorgenannte ‚Highlight-Story‘ ein.
Die Karikatur zeigt einen Soldaten, der einen Helm mit der Flagge Israels trägt und eine vor ihm am Boden liegende, ein Kopftuch tragende Frau mit einem Gewehr bedroht. Der Soldat blickt dabei zugleich in einen Spiegel, in dem ein Soldat mit Hakenkreuzarmbinde dargestellt ist, der lächelnd einen am Boden liegenden Mann mit einem Gewehr bedroht. Im unteren Übergang von der Zeichnung zum Rand der Karikatur hin wird mit einem roten Symbolpfeil mit der Aufschrift „vote“ auf folgende Frage hingeleitet: „Trifft die Karikatur die Geschichte auf den Punkt?“ Die als (Strich) Zeichnung im Übrigen in schwarz-weiß gefertigte Karikatur weist für die israelische Flagge eine blaue Kolorierung und für die Hakenkreuzbinde eine das Hakenkreuz auf weißem kreisförmigem Grund rot einfassende Farbe auf.
2. Das Landgericht sieht den Straftatbestand der §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. 86 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB aus rechtlichen Gründen im Ergebnis deshalb nicht als erfüllt an, weil es sich bei dem vom Angeklagten im Rahmen der Karikatur verwendeten Hakenkreuz zwar um eine für alle Instagram-Nutzer sichtbares Kennzeichen der verbotenen NSDAP handele, zugunsten des Angeklagten jedoch von einer in der höchstrichterlichen Rechtsprechung wegen der weiten Fassung des Tatbestandes und wegen des Schutzzwecks der Norm anerkannten Tatbestandsrestriktion auszugehen sei, die zur Straffreiheit des Angeklagten führten.
III.
Der Freispruch aus Rechtsgründen hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme des Landgerichts, das Verhalten der Angeklagten erfülle nicht den Tatbestand der §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB, ist rechtsfehlerhaft.
1. Das abgebildete Hakenkreuz stellt zweifelsfrei ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation, nämlich der NSDAP, im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar (vgl. nur BGH, Urt. vom 25.04.1979 – 3 StR 89/79 = NJW 1979, 1555 = DB 1979, 1034 = MDR 1979, 686 = DRiZ 1979, 254 = EBE/BGH 1979, 205; 29.05.1970 – 3 StR 2/70 = NJW 1970, 1693; 23.07.1969 – 3 StR 326/68 = BGHSt 23, 64 = NJW 1969, 1970 = MDR 1969, 944), das der Angeklagte mit dem Einstellen auf seinem Instagram-Account einer unbestimmten Vielzahl von Personen zugänglich machte und damit öffentlich verwendete.
2. Eine Restriktion des Tatbestands, wie sie die Strafkammer unter Berufung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung vorgenommen hat, hat aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles auszuscheiden.
a) Im Ansatz noch zutreffend hat die Berufungskammer erkannt, dass unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Strafvorschrift eine einschränkende Auslegung des § 86a StGB vorzunehmen ist, wenn das Verhalten trotz Erfüllung der Tatbestandsmerkmale dem Zweck der Vorschrift nicht zuwiderläuft.
aa) Zwar setzt die Anwendbarkeit des Straftatbestandes in Bezug auf die Verwendung eines Kennzeichens nicht den Nachweis der Unterstützung verfassungsfeindlicher Ziele, der Ziele der verbotenen Organisation oder einer mit der Verwendung verbundenen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates voraus. Selbst die bloße Unmöglichkeit, eine damit verbundene konkrete Gefährdung des politischen Friedens oder die naheliegende Möglichkeit einer solchen Gefährdung nachzuweisen, hindert eine Bestrafung nicht. Die Vorschrift verbannt derartige Kennzeichen vielmehr grundsätzlich aus dem politischen Leben in Deutschland und errichtet so ein kommunikatives Tabu (BGH, Urt. v. 15.03.2007 – 3 StR 486/06 = BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602 = StraFo 2007, 244 = JA 2007, 551 = NStZ 2007, 466 = BGHR StGB § 86a Kennzeichen 3 = JZ 2007, 849 = NStZ 2007, 698 = JR 2007, 521 = BeckRS 2007, 5206; 18.10.1972 – 3 StR 1/71 I = BGHSt 25, 30, 33 f. = NJW 1973, 106; 14.02.1973 – 3 StR 1/72 I = BGHSt 25, 128, 138 f.; 25.04.1979 – 3 StR 89/79 = DB 1979, 1034 = MDR 1979, 686 = DRiZ 1979, 254 = NJW 1979, 1555 = BeckRS 1979, 108747; BayObLG, Urt. v. 28.02.2002 – 5 St RR 355/01 = BayObLGSt 2002, 43 = NStZ 2003, 89 = BeckRS 2002, 30243340; vgl. auch BVerfG [1. Kammer des 1. Senats], Beschluss vom 23.03.2006 – 1 BvR 204/03 = BVerfGK 7, 452 = NJW 2006, 3052 = BeckRS 2006, 22584 m.w.N. aus der verfassungsgerichtlichen Rspr.).
bb) Die weite Fassung des Tatbestandes der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Strafrechtsnorm, der nach seinem Wortlaut – von Fällen der sog. Sozialadäquanzklausel nach § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB abgesehen – jegliches Verwenden eines solchen Kennzeichens betrifft, würde bei wortgetreuer Auslegung jedoch auch Handlungen erfassen, die diesem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken sollen, was eine Restriktion des Tatbestandes erfordert, die derartige Verwendungen von der Strafbarkeit ausnehmen (vgl. BGH, Urt. v. 15.03.2007 – 3 StR 486/06 [a.a.O.] m.w.N.).
(1) Nach dieser Rechtsprechung ist Schutzzweck des Straftatbestandes die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Daneben dient die Vorschrift aber auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeder Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland vermieden werden soll, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden. Denn auch ein solcher Eindruck und die sich daran knüpfenden Reaktionen können den politischen Frieden empfindlich stören. § 86a StGB will darüber hinaus verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können.
(2) Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen kann im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen der Gebrauch eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, dem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderlaufen und wird daher vom Tatbestand des § 86a StGB nicht erfasst. Da sich in einem derartigen Fall die gegnerische Zielrichtung bereits aus dem Aussagegehalt der Darstellung selbst ergeben muss, erstreckt sich der Tatbestandsausschluss grundsätzlich auf jeglichen Gebrauch der Kennzeichen. Auf die Umstände des Gebrauchs kommt es dabei zur Begründung eines Tatbestandsausschlusses nicht an. Jedoch ist ein Tatbestandsausschluss stets nur dann gerechtfertigt, wenn die Gegnerschaft sich eindeutig und offenkundig ergibt und ein Beobachter sie somit auf Anhieb zu erkennen vermag. Für diese Wertung sind die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen. Ist dagegen der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft nur undeutlich erkennbar, ist der Schutzzweck des § 86 a StGB verletzt (BGH a.a.O.; BayObLG, Urt. v. 28.02.2002 – 5 St RR 355/01 = BayObLGSt 2002, 43 = NStZ 2003, 89 = BeckRS 2002, 30243340). Die Einschränkung des Straftatbestandes in solchen Fällen trägt nicht nur dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG, sondern auch der allgemeinen Handlungsfreiheit Rechnung (BGH, Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08 = BGHSt 52, 364 = NStZ 2009, 88 = JZ 2009, 161 = StraFo 2009, 27 = NJW 2009, 928 = BGHR StGB § 86a Kennzeichen 4 = BeckRS 2008, 23816). Zwar handelt es sich bei § 86a StGB um ein allgemeines Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG. Läuft jedoch ein Handeln dem Schutzzweck des § 86 a StGB nicht zuwider, wäre es auch verfassungsrechtlich bedenklich, ein solches Verhalten gleichwohl zu inkriminieren und dadurch die Freiheit von Bürgern zu beschränken, die gegen die Wiederbelebung von nationalsozialistischen Bestrebungen in der Weise protestieren wollen, dass sie gerade die Kennzeichen angreifen, die eben diese unerwünschten Bestrebungen symbolisieren (st.Rspr.; vgl. neben BGH, Urt. v. 15.03.2007 – 3 StR 486/06 [a.a.O.] u.a. BGH, [Vorlage-] Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08 = BGHSt 52, 364 = NStZ 2009, 88 = JZ 2009, 161 = StraFo 2009, 27 = NJW 2009, 928 = BGHR StGB § 86a Kennzeichen 4 = BeckRS 2008, 23816; Urt. v. 09.07.2015 – 3 StR 33/15 = BGHSt 61, 1 = NJW 2015, 3590 = StV 2016, 113 = JZ 2016, 154 = NStZ 2016, 86 = BeckRS 2015, 17433; BVerfG [1. Kammer des 1. Senats], Beschluss vom 23.03.2006 – 1 BvR 204/03 a.a.O.; EGMR, Entsch. v. 13.03.2018 – 35285/16 [Nix/Deutschland] bei juris [a.a.O. Rn. 48]).
b) Vor diesem Hintergrund vermögen die Feststellungen und rechtlichen Wertungen des Landgerichts weder die von der Berufungskammer gezogene Schlussfolgerung zu rechtfertigen, die gepostete Karikatur unterfalle nicht dem Schutzzweck des § 86a StGB, weshalb ihre Verwendung durch den Angeklagten schon nicht als tatbestandsmäßig anzusehen sei, noch lassen sich sonstige Gründe erkennen, die einen Freispruch des Angeklagten stützen könnten.
aa) Zwar ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass allein das Fehlen eines für den Nationalsozialismus werbenden Charakters den Tatbestand noch nicht entfallen lässt, die Ausnahme vielmehr nur dann anzuerkennen ist, wenn die Kennzeichenverwendung dem Schutzzweck des § 86a StGB in offenkundiger und eindeutiger Weise ersichtlich nicht zuwiderläuft.
bb) Jedoch ist die Wertung, die dem Senat aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme der Berufungskammer nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in den Urteilsgründen aus eigener Anschauung zugängliche und damit in seine revisionsgerichtliche Prüfung einzubeziehende Karikatur lasse bereits „isoliert betrachtet eine […] Ablehnung und Gegnerschaft des Angeklagten offenkundig und eindeutig erkennen“, nicht haltbar.
(1) Diese Einschätzung ist schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil sich aus der Karikatur bereits aufgrund ihrer komplexen, auf längere Reflexion des Betrachters angelegten Bildgestaltung, u.a. unter Verwendung eines das zu erwartende naturgetreue Spiegelbild verfremdenden Abbilds des einen Helm mit der kolorierten Flagge des Staates Israel tragenden Soldaten mit Hilfe eines als besonderes Stilmittel am äußeren rechten Bildrand gezeichneten Spiegels, die mit der Verwendung der Karikatur verfolgte gegnerische Zielsetzung einem Beobachter bzw. Betrachter gerade nicht schon auf Anhieb als eindeutig und offenkundig erschließt. Dies gilt selbst dann, wenn man statt eines ‚neutralen‘ einen auf die abgehandelte Materie fokussierten, mit den Gesamtumständen bzw. dem politisch-geschichtlichen Kontext also schon vertrauten Betrachter voraussetzte. Die Abbildung selbst, in die zunächst allenfalls eine Gleichstellung eines israelischen Soldaten mit einem solchen der NS-Diktatur hineininterpretiert werden kann, lässt für den Betrachter noch keineswegs den Schluss einer Gegnerschaft des Verwenders diese Karikatur zum Nationalsozialismus zu. Denn eine Ablehnung der NS-Ideologie wird durch die Gleichstellung als solche noch nicht evident.
(2) Zwar ist es denkbar, dass ein Betrachter über die isolierte Wertung der reinen Bildgestaltung hinaus unter Berücksichtigung des Textes der Titelzeile („The irony of becoming what you once hated…“) eine Gegnerschaft des Verbreiters zum Nationalsozialismus hineinlesen könnte, was allerdings eine eingehende Durchdringung der Darstellung und mehrere Schlussfolgerungen erfordert. Indes muss auch berücksichtigt werden, dass dieser Text in englischer Sprache abgefasst ist und sich dessen Sinngehalt schon deshalb jedenfalls nicht jedem potenziellen Betrachter „auf Anhieb“ erschließt. Zudem erfordert der Text eine zusätzliche, mit der Karikatur in eine symbiotische Verbindung zu bringende metaphorische Interpretation, weshalb von einer dem Schutzzweck des Tatbestandes ersichtlich nicht zuwiderlaufenden, für den Betrachter der Karikatur bereits auf Anhieb eindeutig und offenkundig erkennbaren Gegnerschaft des Verwenders zu der mit dem Hakenkreuz in Verbindung zu bringenden Organisation und deren Ideologie gerade nicht ausgegangen werden kann. Wie das Landgericht insoweit selbst zutreffend ausführt, verlangt die Karikatur für ihr vom Verwender gewünschtes Ergebnis von jedwedem Betrachter zunächst nicht nur eine die Erkenntnis der ihr innewohnenden Ironie voraussetzende gedankliche Interpretationsleistung, sondern auch qualifizierte, nicht schlechterdings bei jedem Betrachter als gegeben zu unterstellende Kenntnisse geschichtlicher und politischer Zusammenhänge, die es ihm überdies erlauben, den Bogen aus der Geschichte in die Gegenwart hinein als vom Verwender erhoffte Parallelität der Ereignisse zu spannen. Hiervon kann indes bei der unbestimmten Vielzahl potenzieller Adressaten und Betrachter der vom Angeklagten öffentlich geposteten Karikatur entgegen der vom Landgericht getroffenen Wertung nicht ausgegangen werden, mögen die zu Unrecht als selbstverständlich vorausgesetzten qualifizierten Vorkenntnisse auch für die Kammer ohne weiteres als gegeben anzunehmen sein.
(3) Überdies hätte auch der Umstand, dass die Begründung des Berufungsurteils zu dem erzielten Ergebnis, wonach die Gegnerschaft des Angeklagten zur NS-Ideologie aus der Karikatur hervorgehe, mehrere Seiten einnimmt, dem Landgericht zu einer kritischen Überlegung Veranlassung geben müssen, ob das von der Berufungskammer erzielte Interpretationsergebnis tatsächlich „offenkundig“ und „eindeutig“ und vor allem „auf Anhieb“ erkennbar war.
(4) Darauf, dass – wie die Berufungskammer meint – die Gegnerschaft des Angeklagten zu Nazi-Deutschland und der Ideologie der NSDAP jedenfalls aus den sonstigen mit zu berücksichtigenden Tatumständen, nämlich den vorherigen in der Highlight-Story vom Angeklagten geposteten Beiträgen, hervorgeht, kommt es deshalb nicht an. Auch fehlt für die – eher fernliegende – Annahme des Landgerichts, wonach davon auszugehen sei, dass ein „durchschnittlicher objektiver Betrachter“, der für die fragliche Auslegung zu Grunde zu legen sei, „auch diese Beiträge zur Kenntnis nehmen wird, bevor er in der Story bis zur Karikatur vordringt“, jeglicher nachvollziehbare Beleg oder Hinweis darauf, welche Eigenschaften diesem durchschnittlichen Betrachter konkret zuzuerkennen wären.
(5) Dies gilt auch für die von der Berufungskammer ebenfalls nicht mit überzeugenden Argumenten unterlegte Schlussfolgerung, wonach selbst dann, wenn ein Nutzer nicht jeden Beitrag „auch tatsächlich in Gänze zur Kenntnis“ nehme, „eine solche Kenntnisnahme vom Angeklagten ersichtlich beabsichtigt und üblicherweise auch zu erwarten“ sei. Die Plausibilität dieser Annahmen folgt insbesondere auch nicht (allein) daraus, dass beim Anklicken der ‚Highlight-Story‘ „sämtliche Beiträge und Videos in immer gleicher zeitlicher Reihenfolge nacheinander“ ablaufen, „wobei Texte und Bilder jeweils für mehrere Sekunden sichtbar sind und eingestellte Videos automatisch abgespielt werden“, weshalb die Annahme, dass „ein Nutzer sämtliche sonstigen Beiträge der Story überspringen bzw. nicht zur Kenntnis nehmen sollte, die Karikatur dann aber schon“, als „lebensfremd und abwegig“ anzusehen sei. Hiergegen spricht neben der augenfälligen Signifikanz der verfahrensgegenständlichen und vom Angeklagten ausgewählten Karikatur etwa schon, dass die geposteten vorgeschalteten Textbeiträge jeweils nur für Sekunden im Rahmen der Story erscheinen, so dass eine streng kontextbezogene Kenntnisnahme der Karikatur gerade nicht als Normalfall vorausgesetzt, alle sonstigen hiervon abweichenden Formen der Kenntnisnahme aber als unerhebliche „Sonderabläufe“ angesehen werden können.
(6) Gänzlich außer Acht gelassen hat die Berufungskammer zudem, dass die Karikatur bereits aufgrund ihrer äußeren Gestaltung, aber auch ihres Aussageinhalts, geeignet ist, beim Betrachter den Eindruck einer antisemitischen Intention der dahinterstehenden Personen zu vermitteln. Die Zeichnung des Soldaten, auf dessen Helm sich eine israelische Flagge befindet, lässt schon für sich genommen durchaus Parallelen zu antisemitisch geprägten Abbildungen in Hetzschriften aus der Zeit des Nationalsozialismus, wie sie etwa in dem Wochenblatt „Der Stürmer“ weit verbreitet waren, erkennen. Überdies erweckt auch die abwegige, bei Betrachtung der Karikatur ersichtlich werdende Gleichsetzung des Verhaltens staatlicher Organe in Israel mit Vorgängen in deutschen Konzentrationslagern während der NS-Zeit, die wegen der groben Verzerrung der geschichtlichen Fakten aus der Sicht eines Betrachters als Verharmlosung der Shoah aufgefasst werden kann, den Anschein einer antisemitischen Grundhaltung des Verwenders der Karikatur. Bei Berücksichtigung dieser Umstände liegt eine offenkundige Distanzierung von dem Nationalsozialismus in Deutschland gänzlich fern.
IV.
Auch aus sonstigen Rechtsgründen ist ein Freispruch des Angeklagten nicht gerechtfertigt.
1. Als „allgemeines Gesetz“ i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG schränkt § 86a StGB das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und damit den mit einer Verurteilung verbundenen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts, von dem auch bildhafte Meinungsäußerungen u.a. durch das Verwenden von Symbolen oder Karikaturen erfasst sind, in von Verfassungs wegen nicht zu beanstandender Weise und damit gerechtfertigt ein. Dies gilt gerade mit Blick auf die gebotene (enge) Auslegung hinsichtlich der Annahme einer dem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderlaufenden Kennzeichenverwendung (BVerfG [1. Kammer des 1. Senats], Beschluss vom 23.03.2006 – 1 BvR 204/03 = BVerfGK 7, 452 = NJW 2006, 3052 = BeckRS 2006, 22584 m.w.N.).
Aufgrund der sich in der Ausübung der Meinungsfreiheit erschöpfenden und allein deshalb die Frage einer Strafbarkeit des Angeklagten aufwerfenden Verwendung der zudem nicht von dem Angeklagten geschaffenen Karikatur wird der Schutzbereich der Kunstfreiheit i.S.v. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 07.03.1990 – 1 BvR 1215/87 = BVerfGE 81, 298 = NJW 1990, 1985) nicht berührt. Da der Angeklagte nicht vom Urheber der Karikatur mit deren Verbreitung betraut war, ist auch der Wirkbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. hierzu nur BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss v. 28.01.2019 – 1 BvR 1738/16 = NJW 2019, 1277 = GRUR 2019, 757 = ZUM-RD 2019, 505) nicht berührt.
2. Eine Rechtfertigung der Kennzeichenverwendung nach der sog. Sozialadäquanzklausel gemäß den §§ 86a Abs. 3 i.V.m. 86 Abs. 4 StGB scheidet nach Intention und Inhalten der vom Angeklagten geposteten ‚Highlight-Story‘ mit dem Titel „FreePalastine“ aus; insbesondere diente die Verwendung weder der staatsbürgerlichen Aufklärung noch der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken. Dem Begriff der staatsbürgerlichen Aufklärung unterfallen Handlungen, die der Wissensvermittlung zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen (BGH, Urt. v. 18.02.1970 – 3 StR 2/69 I = BGHSt 23, 226, 227 = NJW 1970, 818 = MDR 1970, 431; OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.2013 – 3 Ws 259/13 = ZUM-RD 2014, 358 = BeckRS 2013, 20221; ebenso z.B. MüKo-StGB/Anstötz 4. Aufl. § 86 Rn. 37 und Fischer StGB 69. Aufl. § 86 Rn. 19, jew. m.w.N.), was hier ersichtlich nicht der Fall ist. Einer Tatbestandsverwirklichung steht deshalb nicht entgegen, dass die verwendete Karikatur etwa im Rahmen einer Berichterstattung über Vorgänge der Geschichte in Presse, Rundfunk und Fernsehen oder über entsprechend ausgerichtete Mediatheken straflos gezeigt bzw. abgerufen werden könnte. Auch soweit die konkret verwendete Karikatur aus einer Quelle geschichtlicher Berichterstattung ohne strafbaren Inhalt entnommen worden sein sollte, kommt es für die Bewertung der Strafbarkeit allein auf den Kontext der Verwendung in ihrer konkreten Form an.
V.
Aus den genannten Gründen ist auf die Revision der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil mitsamt den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
Von der Aufhebung erfasst sind auch die tatsächlichen Feststellungen. Zwar hat der Angeklagte den äußeren Sachverhalt eingeräumt, weshalb einer zumindest teilweisen Aufrechterhaltung der Feststellungen nicht notwendig entgegen stünde, dass der Angeklagte aufgrund des Freispruchs keine Möglichkeit hatte, die Feststellungen mangels Beschwer auch seinerseits mit der Revision anzugreifen (vgl. BGH, Urt. v. 20.08.1991 – 1 StR 321/91 = BGHSt 38, 58 = NJW 1992, 87 = NStZ 1992, 87 = StV 1992, 66 einerseits; BGH, Urt. v. 08.03.2017 – 5 StR 333/16 = BGHSt 62, 85 = NJW 2017, 1624 = NStZ 2017, 478 = BeckRS 2017, 107446; 23.02.2000 – 3 StR 595/99 = BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28 = NStZ-RR 2000, 300 = BeckRS 2000, 30097757; OLG Bamberg, Urt. v. 14.05.2014 – 3 Ss 50/14 = OLGSt StGB § 267 Nr 17 = BeckRS 2014, 12279, Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. Aufl. § 353 Rn. 15a m.w.N. andererseits). Jedoch ist es sachdienlich, dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.