Einwand der Verwirkung durch Duldung setzt Kenntnis von der Benutzung der angegriffenen Marke voraus

26. April 2016
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Flagge der Europäischen Union, Karte und silbernes Paragraphenzeichen Urteil des EuG vom 20.04.2016, Az.: T-77/55

Die Einrede der Verwirkung durch Duldung im Fall der Benutzung einer mit einer älteren Marke identischen oder ihr zum Verwechseln ähnlichen jüngeren Marke, setzt gemäß Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 unter anderem voraus, dass der Inhaber der jüngeren Marke den Beweis dafür erbringt, dass der Inhaber der älteren Marke von der Benutzung der jüngeren Marke tatsächlich Kenntnis hatte, ohne die er nicht in der Lage wäre, der Benutzung der jüngeren Marke zu widersprechen. Der Nachweis der potenziellen Kenntnis von der jüngeren Marke oder das Aufzeigen von Indizien für die Vermutung einer solchen Kenntnis reichen dabei nicht aus.

Gericht der Europäischen Union

Urteil vom 20.04.2016

Az.: T-77/15

 

In der Rechtssache T‑77/15

Tronios Group International BV mit Sitz in Breda (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: (…),

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch (…) als Bevollmächtigte,

Beklagter,

Streithelferin vor dem Gericht und andere Partei des Verfahrens vor der Beschwerdekammer des EUIPO, ehemals British Sky Broadcasting Group plc:

Sky plc mit Sitz in Isleworth (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: (…),

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des EUIPO vom 28. November 2014 (Sache R 1681/2013‑4) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen der British Sky Broadcasting Group plc und der Tronios Group International BV

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten (…) und des Richters (…) (Berichterstatter),

Kanzler: (…),

aufgrund der am 12. Februar 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 22. Juni 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 12. Juni 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund der Entscheidung vom 27. Juli 2015, die Einreichung einer Erwiderung nicht zu gestatten,

aufgrund des Umstands, dass keine der Hauptparteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil(1)

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Am 18. November 1999 meldete die Klägerin, die Tronios Group International BV, nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EG] Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke [ABl. L 78, S. 1]) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke an.

Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um die Unionswortmarke SkyTec (im Folgenden: angegriffene Marke).

Am 2. Mai 2001 wurde das Zeichen SkyTec unter der Nr. 001386812 als Unionsmarke eingetragen.

Die Waren, für die die Eintragung beantragt wurde, gehören zu den Klassen 9 und 11 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung und entsprechen für die Klasse 9 der folgenden Beschreibung: „Geräte für Empfang, Aufzeichnung, Weiterleitung, Bearbeitung und Wiedergabe von elektrischen und elektromagnetischen Signalen, wie drahtlose Mikrofone und Systeme, Mikrofone; Plattenspieler, CD- und DVD-Spieler; CD- und DVD-Aufnahmegeräte; Kabel, Verbindungsleitungen und Anschlussteile; digitale und analoge Tonbearbeitungsgeräte, NF‑ und HF‑Tonverstärker; Lautsprecher, Lautsprecherboxen und Zubehör“.

Die Eintragung der angegriffenen Marke wurde am 19. November 2009 verlängert, und die verlängerte Unionsmarke wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 2009/047 vom 25. November 2009 veröffentlicht.

Am 23. März 2007 beantragte die British Sky Broadcasting Group plc (im Folgenden: BSkyB), die Rechtsvorgängerin der Streithelferin, der Sky plc, gemäß Art. 50 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 40/94, die angegriffene Marke für verfallen zu erklären. Am 2. April 2007 legte die Klägerin Beweise für die Benutzung der angegriffenen Marke vor. Mit Entscheidung vom 11. Juli 2008 entschied die Nichtigkeitsabteilung, die angegriffene Marke sei ernsthaft benutzt worden, und wies den Antrag auf Verfallserklärung zurück. Diese Entscheidung wurde bestandskräftig.

Am 21. März 2012 stellte BSkyB einen Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke gemäß Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 5 dieser Verordnung sowie gemäß Art. 53 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 8 Abs. 4 derselben Verordnung, soweit die Marke für die Waren der Klasse 9, wie oben in Rn. 4 aufgeführt, eingetragen war.

Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung berief sich BSkyB insbesondere auf die ältere Unionswortmarke SKY, die unter der Nr. 126425 am 24. September 1998 eingetragen und bis zum 1. April 2016 verlängert wurde, sowie auf die ältere britische Wortmarke SKY, die unter der Referenz 2044507B am 18. April 1995 eingetragen und bis zum 7. November 2015 verlängert wurde. Diese Marken wurden für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 38 und 41 eingetragen.

Die Produkte der Klasse 9, auf die sich die ältere britische Marke bezieht, entsprechen der folgenden Beschreibung: „Apparate und Instrumente für Radio- und Fernsehempfang, Tonaufzeichnung, Tonwiedergabe, Telekommunikation, Signaltechnik, Kontrolle (Überwachung), optische Tests (nicht medizinischer Art) und Unterricht; aufgezeichnete Programme für Radio und Fernsehen; Computer; Computerprogramme; Tonbänder, Platten und Kabel, jeweils magnetisch; Gehäuse zur Verwendung von Tonbändern; Codekarten; leere und bespielte Audio- und Videokassetten und ‑bänder; CDs; fonografische Aufnahmen; Radiosignalantennen; mit Lasertechnik lesbare Datenträger zur Aufzeichnung von Bild oder Ton; Apparate zum Entschlüsseln verschlüsselter Signale; Videoprojektoren und ‑bildschirme; Sonnenbrillen; elektronische Computerspiele; interaktive elektronische Computerspiele; Teile und Zubehör für alle zuvor genannten Waren; alle in Klasse 9 enthalten“.

Mit Entscheidung vom 28. Juni 2013 gab die Nichtigkeitsabteilung, gestützt auf Art. 53 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, dem Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke statt und erklärte die angegriffene Marke für teilweise nichtig, soweit sie für die betreffenden Waren der Klasse 9 eingetragen war.

Am 27. August 2013 legte die Klägerin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung nach den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 beim EUIPO Beschwerde ein.

Mit Entscheidung vom 28. November 2014 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) bestätigte die Vierte Beschwerdekammer des EUIPO die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung und wies die Beschwerde zurück.

In der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer zum einen die Einrede der Verwirkung durch Duldung im Sinne von Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 zurück, die die Klägerin gegen den Antrag auf Nichtigerklärung erhoben hatte. Die Klägerin habe nicht dargetan, dass BSkyB zum Zeitpunkt der Antragstellung, also am 21. März 2012, seit mehr als fünf Jahren Kenntnis von der Benutzung der angegriffenen Marke gehabt habe, denn die ersten Nachweise dieser Benutzung seien von der Klägerin am 2. April 2007 im Rahmen des Verfallsverfahrens vorgelegt worden (Rn. 15 bis 25 der angefochtenen Entscheidung). Zum anderen stellte die Beschwerdekammer fest, dass im Hinblick auf die Waren der Klasse 9 die Gefahr von Verwechslungen der angegriffenen Marke mit der älteren britischen Marke (im Folgenden: einander gegenüberstehende Marken) im Sinne von Art. 53 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 bestehe, ohne die weiteren Nichtigkeitsgründe und älteren Rechte, auf die der Antrag auf Nichtigerklärung gestützt war, zu prüfen.

Anträge der Parteien

Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        den Antrag auf Nichtigerklärung zurückzuweisen;

–        der Streithelferin die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem EUIPO aufzuerlegen.

Das EUIPO beantragt,

–        den Aufhebungsantrag in vollem Umfang als unbegründet zurückzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Die Streithelferin beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        die angefochtene Entscheidung aufrechtzuerhalten.

 

Rechtliche Würdigung

Die Klägerin stützt ihre Klage im Wesentlichen auf zwei Klagegründe: Verstoß gegen Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 und fehlerhafte Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 53 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009.

Erster Klagegrund: Verstoß gegen Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009

Die Klägerin widerspricht der Auffassung der Beschwerdekammer, dass BSkyB vor dem 21. März 2007 keine Kenntnis von der Benutzung der angegriffenen Marke im Sinne von Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 gehabt habe, sondern erst ab dem 2. April 2007.

Die Klägerin weist im Wesentlichen darauf hin, dass die angegriffene Marke bis zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Nichtigerklärung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union einschließlich des Vereinigten Königreichs bereits ab 1998 durchgehend ernsthaft benutzt worden sei und somit etwa 14 Jahre lang parallel zu den älteren Marken von BSkyB bestanden habe. Diese Dauer reduziere sich auf etwa elf Jahre, wenn man die Zeit zwischen dem Tag der Eintragung als Unionsmarke (2. Mai 2001) und dem Tag der Stellung des auf die Gefahr von Verwechslungen zwischen den einander gegenüberstehenden Marken gestützten Antrags auf Nichtigerklärung (21. März 2012) zugrunde lege. BSkyB habe jedoch diese Gefahr weder als ausreichenden Grund angesehen, um schon früher Klage zu erheben, noch als ausreichenden Grund, um einen Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke entweder nach dem Antrag auf Verfallserklärung vom 23. März 2007 zu stellen oder nach dem 2. April 2007, also nachdem die Klägerin den Beweis ihrer Benutzung erbracht und BSkyB auf jeden Fall Kenntnis von dieser Benutzung erlangt habe. Vorliegend seien daher die Voraussetzungen des Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 erfüllt. Die Klägerin trägt ferner vor, sie trage zwar grundsätzlich die Beweislast dafür, dass BSkyB von der Benutzung der angegriffenen Marke Kenntnis gehabt habe, jedoch sei es für sie sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, diesen Beweis zu führen, der eine innere Tatsache in Bezug auf BSkyB betreffe. Dieser Beweis oder die Vermutung einer solchen Kenntnis könnten auch auf objektive Umstände gestützt werden, etwa auf eine Handelsbeziehung oder ein enges Wettbewerbsverhältnis, das z. B. durch die parallele Präsentation von Waren und Dienstleistungen, die mit den einander gegenüberstehenden Marken gekennzeichnet seien, auf ein und derselben Messe dargetan werde. Tatsächlich gäben zahlreiche Tatsachen und Umstände, die zum Teil schon in den Verfahren vor dem EUIPO genannt worden seien, Anlass zur Schlussfolgerung, dass BSkyB von der angegriffenen Marke Kenntnis gehabt habe.

[nicht wiedergegeben]

Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen und beantragen, den ersten Klagegrund zurückzuweisen. Die Streithelferin stützt sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Unzulässigkeit der Beweise, die die Klägerin erstmals vor dem Gericht vorgelegt habe.

Das Gericht weist darauf hin, dass vorliegend feststeht, dass, nachdem BSkyB am 23. März 2007 einen Antrag auf Verfallserklärung der angegriffenen Marke gestellt hatte, die Klägerin am 2. April 2007 die ersten Nachweise der Benutzung dieser Marke vorgelegt hat. Außerdem hat BSkyB den Antrag auf Nichtigerklärung am 21. März 2012 gestellt, also innerhalb von weniger als fünf Jahren nach der ersten Vorlage von Benutzungsnachweisen.

Streitig ist unter den Parteien indes, ob BSkyB sich den Ablauf der Frist für den Eintritt der Verwirkung durch Duldung gemäß Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 entgegenhalten lassen muss, weil sie jedenfalls vor dem 21. März 2007 von der Benutzung der angegriffenen Marke Kenntnis hatte.

Nach gefestigter Rechtsprechung müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit die Frist für den Eintritt der Verwirkung durch Duldung im Fall der Benutzung einer mit der älteren Marke identischen oder ihr zum Verwechseln ähnlichen jüngeren Marke in Lauf gesetzt wird. Erstens muss die jüngere Marke eingetragen sein, zweitens muss ihr Inhaber sie gutgläubig angemeldet haben, drittens muss sie in dem Mitgliedstaat benutzt werden, in dem die ältere Marke geschützt ist, und viertens muss der Inhaber der älteren Marke Kenntnis von der Benutzung dieser Marke nach ihrer Eintragung haben (Urteile vom 28. Juni 2012, Basile und I Marchi Italiani/HABM – Osra [B. Antonio Basile 1952], T‑134/09, EU:T:2012:328, Rn. 30, und vom 23. Oktober 2013, SFC Jardibric/HABM – Aqua Center Europa [AQUA FLOW], T‑417/12, EU:T:2013:550, Rn. 19; vgl. auch entsprechend Urteil vom 22. September 2011, Budějovický Budvar, C‑482/09, Slg, EU:C:2011:605, Rn. 54 und 56 bis 58).

Aus dieser Rechtsprechung geht auch hervor, dass der Zweck von Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 darin besteht, die Inhaber älterer Marken, die die Benutzung einer jüngeren Unionsmarke während eines zusammenhängenden Zeitraums von fünf Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet haben, mit dem Verlust der Nichtigkeits- und der Widerspruchsklage gegen diese Marke zu strafen. Die Regelung bezweckt also einen Ausgleich zwischen dem Interesse des Markeninhabers am Erhalt der wesentlichen Funktion seiner Marke und dem Interesse der anderen Wirtschaftsteilnehmer an der freien Verfügbarkeit von Zeichen, die ihre Waren und Dienstleistungen bezeichnen können. Dies setzt voraus, dass der Inhaber der älteren Marke, um sich diese wesentliche Funktion zu erhalten, in der Lage ist, der Benutzung der mit seiner Marke identischen oder ihr ähnlichen jüngeren Marke zu widersprechen. Erst ab dem Zeitpunkt, in dem der Inhaber der älteren Marke von der Benutzung der jüngeren Unionsmarke weiß, hat er nämlich die Möglichkeit, dies nicht zu dulden und folglich Widerspruch einzulegen oder die Nichtigerklärung der jüngeren Marke zu beantragen, so dass erst dann die Frist für den Eintritt der Verwirkung durch Duldung zu laufen beginnt (vgl. in diesem Sinne Urteile B. Antonio Basile 1952, oben in Rn. 30 angeführt, EU:T:2012:328, Rn. 32 und 33, und AQUA FLOW, oben in Rn. 30 angeführt, EU:T:2013:550, Rn. 20 und 21; vgl. ebenso in diesem und entsprechendem Sinne Urteil Budějovický Budvar, oben in Rn. 30 angeführt, EU:C:2011:605, Rn. 46 bis 48).

Eine teleologische Auslegung von Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 ergibt somit, dass für die Berechnung der Verwirkungsfrist der Zeitpunkt, zu dem Kenntnis von der Benutzung der jüngeren Marke erlangt wird, maßgeblich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil B. Antonio Basile 1952, oben in Rn. 30 angeführt, EU:T:2012:328, Rn. 33).

Wie die Beschwerdekammer in Rn. 22 der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, erfordert diese Auslegung ebenfalls, dass der Inhaber der jüngeren Marke den Beweis dafür erbringt, dass der Inhaber der älteren Marke von der Benutzung der jüngeren Marke tatsächlich Kenntnis hatte, ohne die er nicht in der Lage wäre, der Benutzung der jüngeren Marke zu widersprechen. Wie das EUIPO zu Recht geltend macht, ist nämlich insoweit die entsprechende Regelung der Verwirkung durch Duldung heranzuziehen, die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1), ersetzt durch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. L 299, S. 25) enthalten ist. Bezüglich dieser Regelung heißt es im elften Erwägungsgrund der Richtlinie 89/104 (bzw. im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/95), dass der Einwand der Verwirkung nur anwendbar ist, wenn der Inhaber der älteren Marke deren Benutzung während einer längeren Zeit wissentlich „geduldet“ [„knowingly tolerated“ in der englischen, „sciemment toléré“ in der französischen Sprachfassung] hat, d. h. „bewusst“ oder „in Kenntnis der Tatsachen“ (vgl. in diesem Sinne Urteil Budějovický Budvar, oben in Rn. 30 angeführt, EU:C:2011:605, Rn. 46 und 47, und Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache Budějovický Budvar, C‑482/09, Slg, EU:C:2011:46, Rn. 82). Dies gilt entsprechend für Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009, dessen Wortlaut dem von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinien 89/104 und 2008/95 entspricht.

Folglich ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, mit dem im Wesentlichen geltend gemacht wird, es reiche aus, die potenzielle Kenntnis der BSkyB von der Benutzung der angegriffenen Marke nachzuweisen oder übereinstimmende Indizien aufzuzeigen, die das Bestehen einer solchen Kenntnis vermuten ließen.

Es ist jedoch zu prüfen, ob die Klägerin dennoch nachgewiesen hat, dass BSkyB spätestens am 21. März 2007 tatsächlich Kenntnis von der Benutzung der angegriffenen Marke hatte.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass, wie die Streithelferin zu Recht beantragt, die Anlagen zur Klageschrift, die die Klägerin zum ersten Mal vor dem Gericht vorgelegt hat, als unzulässig zurückzuweisen sind. Aus Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 ist nämlich abzuleiten, dass das Gericht die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammern des EUIPO zu beurteilen hat, indem es deren Anwendung des Unionsrechts hauptsächlich auf Grundlage der vor diesen Kammern eingebrachten Tatsachen überprüft. Somit können Tatsachen, die nicht vor den Spruchkörpern des EUIPO geltend gemacht wurden, auch nicht im Rahmen der Klage vor dem Gericht geltend gemacht werden. Das Gericht darf den Sachverhalt nicht im Licht erstmals vor ihm vorgebrachter Beweise erneut prüfen, es sei denn, dass es sich um Tatsachen handelt, die von den Spruchkörpern des EUIPO gemäß Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 von Amts wegen hätten geprüft werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. November 2011, LG Electronics/HABM, C‑88/11 P, EU:C:2011:727, Rn. 23 bis 26 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 24. November 2005, Sadas/HABM – LTJ Diffusion [ARTHUR ET FELICIE], T‑346/04, Slg, EU:T:2005:420, Rn. 19, und vom 12. Dezember 2014, Wilo/HABM [Pioneering for You], T‑601/13, EU:T:2014:1067, Rn. 12). Vorliegend gehören die von der Klägerin eingebrachten neuen Tatsachen und Beweise, darunter Umsatzzahlen und Kataloge, zu ihrem eigenen Verantwortungsbereich, und die Klägerin macht nicht geltend, dass sie von Amts wegen hätten geprüft werden müssen. Diese Tatsachen und Beweismittel können sich daher nicht auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung auswirken und sind unberücksichtigt zu lassen, ohne dass es erforderlich wäre, ihre Beweiskraft zu prüfen.

Im Übrigen ist festzustellen, dass die von der Beschwerdekammer vorgenommene Würdigung der von der Klägerin im Verfahren vor dem EUIPO vorgebrachten Beweise (Rn. 21 und 22 der angefochtenen Entscheidung) keine Fehler enthält, da der Klägerin der Nachweis oblag, dass BSkyB tatsächlich Kenntnis von der Benutzung der angegriffenen Marke hatte und nicht nur von deren Eintragung wusste (vgl. Rn. 30 des vorliegenden Urteils). Mit ihrem Vorbringen versucht die Klägerin aber, die tatsächliche Kenntnis von BSkyB von einer solchen Benutzung gerade allein daraus abzuleiten, dass sie erwiesenermaßen Kenntnis von der Eintragung der angegriffenen Marke hatte, oder aus Indizien, die nach Auffassung der Klägerin die Kenntnis von der Benutzung vermuten lassen, wie die von BSkyB entwickelte proaktive Strategie, mit der sie ihre Marken gegen identische oder ähnliche Marken mit dem Bestandteil „sky“ schützen wolle.

[nicht wiedergegeben]

Nach alledem hat die Beschwerdekammer in Rn. 22 der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt, dass die von der Klägerin im Rahmen des Verfahrens vor dem EUIPO vorgelegten Beweismittel zwar geeignet waren, eine gewisse Benutzung der angegriffenen Marke zu belegen, aber unzureichend, um zu beweisen, dass BSkyB vor dem 21. März 2007 tatsächlich Kenntnis von dieser Benutzung hatte.

[nicht wiedergegeben]

Der erste Klagegrund ist demnach als unbegründet zurückzuweisen.

Zweiter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 53 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009

[nicht wiedergegeben]

Somit ist auch der zweite Klagegrund zurückzuweisen, der einen Verstoß gegen Art. 53 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 betrifft.

Folglich ist unter Berücksichtigung des Antrags des EUIPO – der dahin gehend zu verstehen ist, dass die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung bestätigt wird (siehe Rn. 63 der Klagebeantwortung) – und des Antrags der Streithelferin die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Kosten

Gemäß Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

Da die Streithelferin keinen Kostenantrag gestellt hat, ist nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung zu entscheiden, dass sie ihre eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Tronios Group International BV trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO).
  3. Die Sky plc trägt ihre eigenen Kosten.

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. April 2016.

* Verfahrenssprache: Niederländisch.

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