Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte stärkt Meinungsfreiheit bezüglich der Verwendung von Hyperlinks
Im Ausgangsfall hatte ein ungarisches Gericht ein Nachrichtenportal schuldig gesprochen, durch die Verlinkung auf ein Video eines Dritten den Ruf einer politischen Partei beschädigt zu haben. Im September 2013 hatte die ungarische Nachrichtenseite 444.hu über einen Vorfall in dem ungarischen Dorf Konyár in der Nähe der rumänischen Grenze berichtet. Dort hatte eine Gruppe von Fußballfans vor einer Schule, deren Schülerschaft überwiegend aus Mitgliedern der ethnischen Minderheit der Roma besteht, rassistische Parolen gerufen. Der Artikel beinhaltete einen Hyperlink zu einem Interview auf YouTube, in dem ein Mitglied der dortigen Roma Bevölkerung den rassistischen Übergriff mit der rechtsextremen Partei Jobbik in Verbindung brachte.
Die Partei klagte unter anderem gegen die Webseite und argumentierte, diese habe durch die Verlinkung der Aussage den Ruf der Partei geschädigt. Das Gericht gab der Partei Recht und urteilte, dass Jobbik zu Unrecht in Verbindung mit den rassistischen Vorkommnissen erwähnt worden war und wertete die Äußerungen in dem verlinkten YouTube Video als diffamierend. Das Nachrichtenportal müsse für den Inhalt des Videos haften, da es die diffamierende Bemerkung verbreitet hatte und es irrelevant sei, ob dies in gutem Glauben geschehen ist oder nicht. Auch in den folgenden Instanzen wurde bestätigt, dass der Medienkonzern für eine durch eine dritte Person begangene Verleumdung haftbar gemacht werden kann, unabhängig von einer abgesehen davon objektiven Berichterstattung.
Neue Kriterien für die Gefährdungshaftung bezüglich Hyperlinks
Vor dem EGMR berief sich die Nachrichtenseite darauf, dass das in Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geregelte Recht auf Meinungsfreiheit im Zuge der Verurteilung nicht angemessen gewürdigt worden sei. Dieser Ansicht schlossen sich die Richter des EGMR an: das Setzen von Hyperlinks sei nach Ansicht des Gerichts von anderen Formen der traditionellen Berichterstattung abzugrenzen; während traditionelle Veröffentlichungen Inhalte bereitstellen, verweisen Hyperlinks lediglich auf bereits verfügbares Material. Insbesondere hat die verlinkende Person keinen Einfluss auf die verlinkte Information oder auf eventuelle Veränderungen an den verlinkten Inhalten.
Angesichts dessen habe die Anwendung des ungarischen Rechts zur Gefährdungshaftung für die Verbreitung von diffamierendem Material per Link die Möglichkeit einer angemessenen Berücksichtigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung ausgeschlossen. Nach Ansicht des EGMR sei eine individuelle Beurteilung des Einzelfalls unter Berücksichtigung der folgenden Kriterien notwendig: Unterstützt der Journalist das verlinkte Material inhaltlich oder wiederholt er dieses lediglich, ohne es zu befürworten? Hat die verlinkende Person den Hyperlink nur verwendet, ohne den Inhalt zu unterstützen oder zu wiederholen? Wusste der Journalist von einem möglicherweise ehrverletzenden Inhalt des Links oder hätte er davon wissen müssen? Hat der Journalist in gutem Glauben und unter Einhaltung der journalistischen Standards gehandelt?
EGMR betont Bedeutung von Hyperlinks im Internet
Im konkreten Fall hatte das Nachrichtenportal lediglich per Link auf das YouTube Video verwiesen, ohne dessen Inhalt zu kommentieren, zu wiederholen oder in irgendeiner Weise zu unterstützen. Nach Ansicht des EGMR war es auch nicht offensichtlich, dass der Link zu diffamierenden Inhalten führt. Zudem müssten Politiker und politische Parteien weitere Grenzen in Bezug auf hinnehmbare Kritik in Kauf nehmen. Bei der Anwendung der objektiven Gefährdungshaftung wurde das Recht der Nachrichtenseite auf freie Meinungsäußerung durch das ungarische Gericht nicht angemessen berücksichtigt.
Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Urteil des ungarischen Gerichts korrigiert. In diesem Zusammenhang betonte der EGMR, dass eine derart objektive Betrachtung der Gefährdungshaftung in Bezug auf das Setzen von Hyperlinks den Informationsfluss im Internet negativ beeinträchtigen könnte. Journalisten und Verlage würden bei entsprechender Rechtsanwendung von der Verwendung von Links insbesondere deshalb abgehalten werden, da sie den verlinkten Inhalt nicht kontrollieren können. Dies könnte zu einem abschreckenden Effekt in Bezug auf die Meinungsfreiheit im Internet führen.