Facebook erhält kein Recht auf Löschung der Kommentare eines Nutzers
- Oberlandesgericht Celle
Urteil vom 20.01.2022
Az.: 13 U 84/19
- 1. Zu den Ansprüchen des Nutzers eines sozialen Netzwerks, wenn dessen Anbieter – auf der Grundlage unwirksamer Klauseln seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen – einen Beitrag des Nutzers gelöscht und sein Nutzerkonto zeitweise gesperrt hat (im Anschluss an die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29. Juli 2021- III ZR 179/20 und III ZR 192/20).
- 2. Ist die Klausel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Anbieters eines sozialen Netzwerks, die ihn zur Löschung von Nutzerbeiträgen berechtigt, unwirksam, ergibt sich ein Recht zur Löschung nicht rechtswidriger Beiträge auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung.
3. Dem Anspruch des Nutzers auf Freischaltung eines vertragswidrig gelöschten Beitrages kann der Anbieter auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Geltendmachung des Anspruchs sei treuwidrig, weil der Beitrag gegen die Gemeinschaftsstandards des sozialen Netzwerks verstoße und der Nutzer daher seinerseits zur Löschung des wieder freigeschalteten Beitrags verpflichtet wäre (Rückgewähreinwand aus § 242 BGB – „Dolo-agit-Einwand“).
Verfahrensgang
vorgehend LG Hannover, Az: 8 O 49/19
Tenor
- Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 7. November 2019 – unter Zurückweisung seiner Berufung im Übrigen – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
- I.
- Die Beklagte wird verurteilt, folgende Beiträge des Klägers auf f….com wieder freizuschalten:
- 1. den am 25. Januar 2019 gelöschten Beitrag
- „die Amis sind einfach nur pervers, und haben Spaß am Morden echt furchtbar“
- 2. den 8. Mai 2019 gelöschten Beitrag
- „umfahren“
- II.
- Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen,
- den Kläger für das Einstellen des vorstehend in Ziff. I.1. genannten Textes auf www.f…com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich dieser auf einen Artikel über Abtreibungen in N. Y. (USA) mit dem Titel „N. Y. legalisiert Abtreibungen bis zur Geburt – Kirche droht mit Exkommunikation“ bezieht, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. I.2. genannten Textes auf www.f…com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich dieser auf einen Artikel mit dem Titel „Attenkirchen: Nackter Afrikaner verwüstet Unterkunft, baut mit Mobiliar Barrikade und blockiert Straße“ bezieht.
- Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Verbote wird der Beklagten ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht; Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen der Beklagten.
- III.
- Es wird festgestellt, dass der Beklagten kein Recht zustand, die unter Ziffer I genannten Beiträge des Klägers auf der Plattform www.f…com zu entfernen und gegen den Kläger wegen dieser Beiträge Sperren in Form einer Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Plattform zu verhängen.
- IV.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 44 % und die Beklagte zu 56 %. Die Kosten der Berufungsinstanz tragen der Kläger zu 60 % und die Beklagte zu 40 %.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 20.250 € festgesetzt.
Gründe
- A. Der Kläger macht als Nutzer des von der Beklagten betriebenen sozialen Netzwerks F… verschiedene Ansprüche geltend, weil die Beklagte zwei von ihm verfasste und dort eingestellte Kommentare löschte und seine Nutzungsrechte vorübergehend einschränkte.
- Der Kläger kommentierte im Januar 2019 auf F… einen Artikel über ein neues Gesetz des US-Bundesstaates N. Y. zum Schwangerschaftsabbruch (Bl. 9 f. d.A.) mit den Worten:
- Im Mai 2019 kommentierte der Kläger einen von einem Drittnutzer geteilten Artikel von der russischen Internetseite „a….ru“. In dem Artikel wurde unter der Überschrift „Attenkirchen: Nackter Afrikaner verwüstet Unterkunft, baut mit Mobiliar Barrikade und blockiert Straße“ von einem Asylbewerber berichtet, der nach dem geschilderten Vorfall wegen Fremdgefährdung in ein Krankenhaus eingeliefert worden sei. Der Kläger kommentierte den Artikel mit dem Wort „umfahren“.
- Der Kläger hat gemeint, die Löschungen seiner Beiträge und die Sperrungen seines Accounts seien zu Unrecht erfolgt. Seine Beiträge hätten nicht gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten verstoßen. Ohnehin berechtigten bloße Verstöße gegen die Gemeinschaftsstandards die Beklagte nicht zur Löschung von Beiträgen oder zur Sperrung des Nutzers.
- 1. die Beklagte zu verurteilen, die Daten des Klägers dahingehend zu berichtigen, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen durch den am 25.01.2019 gelöschten Beitrag aus dem Datensatz gelöscht wird und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird;
- 2. festzustellen, dass der Beklagten kein Recht zustand, den unter Ziffer 3 genannten, am 25.01.2019 gelöschten Beitrag des Klägers auf der Plattform www.f…com, zu entfernen und gegen den Kläger wegen dieses Beitrags eine Sperre in Form einer Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Plattform, vorgenommen am 25.01.2019, zu verhängen;
- 4. festzustellen, dass der Beklagten kein Recht zustand, den unter Ziffer 5 genannten, am 08.05.2019 gelöschten Beitrag des Klägers auf der Plattform www.f…com zu entfernen und gegen den Kläger wegen dieses Beitrags eine Sperre in Form einer Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Plattform, vorgenommen am 08.05.2019, zu verhängen;
- die Beklagte zu verurteilen, die Daten des Klägers dahingehend zu berichtigen, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen durch den am 08.05.2019 gelöschten Beitrag aus dem Datensatz gelöscht wird und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird;
- 6. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. 3 genannten Textes auf www.f…com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich dieser auf einen Artikel über Abtreibungen in N. Y. (USA) mit dem Titel „N. Y. legalisiert Abtreibungen bis zur Geburt – Kirche droht mit Exkommunikation“ bezieht,
- für den Fall der Zuwiderhandlung ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft anzudrohen, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen;
- 7. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. 5 genannten Textes auf www.f…com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich dieser auf einen Artikel mit dem Titel „Attenkirchen: Nackter Afrikaner verwüstet Unterkunft, baut mit Mobiliar Barrikade und blockiert Straße“ bezieht,
- für den Fall der Zuwiderhandlung ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft anzudrohen, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen;
- 8. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft zu erteilen, ob die Sperre gem. Ziff. 2 und 4 durch ein beauftragtes Unternehmen erfolgt, und in letzterem Fall, durch welches;
- 9. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft zu erteilen, ob sie konkrete oder abstrakte Weisungen, Hinweise, Ratschläge oder sonst irgendwelche Vorschläge von der Bundesregierung oder nachgeordneten Dienststellen hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und/oder der Sperrung von Nutzern erhalten hat, und ggf. welche;
- 10. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 3.000 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.500 € seit dem 25.01.2019 sowie aus 1.500 € seit dem 08.05.2019 zu zahlen;
- b) für die Einholung einer Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 1 in Höhe von 201,71 € und
- e) für die Einholung einer Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 2 in Höhe von 201,71 € und
- Die Beklagte hat gemeint, die streitgegenständlichen Beiträge des Klägers verstießen gegen ihre wirksam vereinbarten Gemeinschaftsstandards. Sie sei deshalb zur Löschung der Beiträge und den zeitweisen Sperrungen des Klägers berechtigt gewesen.
- Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
- Mit Urteil vom 7. November 2019 (Bl. 288 ff. d.A.) hat das Landgericht Hannover die Klage abgewiesen. Die Feststellungsanträge zu 2 und 4 seien unzulässig. Es könne nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden, nicht ein einzelnes Element eines Rechtsverhältnisses. Die übrigen Klaganträge – zu 1, 3 sowie 5 bis 11 – seien unbegründet. Es sei nach Art. 1, 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 der Rom I-VO sowie Ziffer 15.1 der Nutzungsbedingungen in der Fassung vom 02.02.2016 deutsches Recht anzuwenden. Die im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen einschließlich der in Bezug genommenen Gemeinschaftsstandards seien Vertragsinhalt geworden. Nachdem dem Kläger am 19. April 2018 die geänderten Nutzungsbedingungen bekannt gegeben worden seien, habe er am 9. Mai 2018 seine Zustimmung erteilt (Anlage B 19). Die Änderung sei gegenüber dem Kläger wirksam geworden. Der Kläger sei bereits bei Beginn des Vertragsverhältnisses darauf hingewiesen worden, dass die Nutzung der Dienste der Beklagten von der Akzeptanz der jeweils geltenden Vertragsbedingungen abhänge (Art. 13 der Nutzungsbedingungen vom 2. Februar 2016). Diese Regelung benachteilige den Nutzer nicht unangemessen. Dem Nutzer stehe es frei, entweder von der Nutzung der Dienste der Beklagten Abstand zu nehmen und seine Meinungsäußerungen auf anderen Kommunikationswegen zu verbreiten oder eine zivilisierte Wortwahl zu verwenden. Die Freischaltung der gelöschten Beiträge könne der Kläger nicht verlangen. Die Beklagte sei zur Löschung der Äußerungen des Klägers und vorübergehenden Versetzung seines Kontos in einen „read-only“ Modus befugt gewesen, weil die Äußerungen gegen ihre aktuellen Gemeinschaftsstandards verstoßen habe. Der Kommentar des Klägers zum Abtreibungsgesetz des Bundesstaates N. Y. mit den Worten: „die Amis sind einfach nur pervers, und haben Spaß am Morden echt furchtbar“ verstoße gegen die Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil III Ziffer 12 der in Bezug genommenen Gemeinschaftsstandards in der Fassung von 2018. Es handele sich um einen direkten Angriff auf eine Personengruppe aufgrund ihrer nationalen Herkunft, der mit Worten der Abscheu ausgedrückt werde. Allen Amerikanern werde pauschal unterstellt, sie seien pervers und hätten Spaß am Morden. Auch die Kommentierung des Artikels „Attenkirchen: Nackter Afrikaner verwüstet Unterkunft, baut mit Mobiliar Barrikade und blockiert Straße“ mit dem Wort „umfahren“ verstoße gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten (Teil I und Teil II Ziffer 9, Aufrufe zur Gewalt). Maßgeblich sei der objektive Sinn der Äußerung, der aus der Sicht eines unbefangenen Durchschnittslesers nach allgemeinem Sprachgebrauch in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen sei. Danach sei die Äußerung des Klägers nicht dahin zu verstehen, dass die Autofahrer an der Straßensperre um die Person herumfahren sollten. Vielmehr habe sich der Kläger aus der Sicht eines Durchschnittslesers über die in dem Artikel geschilderte Situation aufgeregt und würde sie durch Gewaltanwendung beseitigen. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es sich um eine mehrdeutige Äußerung handele und daher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu seinen Gunsten auszulegen sei. Die Rechtsprechung gelte für die Prüfung von Straftatbeständen, nicht für den hier in Rede stehenden Verstoß gegen Nutzungsbedingungen. Selbst bei Annahme einer Mehrdeutigkeit sei die Beklagte berechtigt, den Beitrag unter Berufung auf ihre Nutzungsbedingungen zu löschen, weil sich der Kläger nicht eindeutig gewaltlos geäußert habe. Die maßgeblichen Regelungen der Gemeinschaftsstandards seien nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Zwar handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Es stelle keine unzulässige Einschränkung der wesentlichen Rechte des Nutzers dar, dass die zur Verfügung gestellte Kommunikationsplattform durch Verbote von Angriffen auf Personen durch Gewaltaufrufe und Hassreden reguliert werde. Der Nutzer könne Kritik äußern, ohne zu Gewalt gegen Personen aufzurufen oder bestimmte Personengruppen allein aufgrund ihrer Herkunft pauschal zu diffamieren. Den Grundrechten komme nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – auch im Privatrecht – eine mittelbare Drittwirkung zu. Die Meinungsfreiheit des Klägers sei angesichts der nur zeitlich begrenzten Sperrung und trotz der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin nicht unangemessen eingeschränkt worden. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gelte nicht schrankenlos, sondern werde durch das Recht der persönlichen Ehre und Schutz der Persönlichkeit gemäß Art. 1 und 2 GG beschränkt. Der Beklagten stehe unter dem Gesichtspunkt eines „virtuellen Hausrechts“ das nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum bzw. der Besitz an der für ihr Angebot verwendeten Hard- oder Software, das Recht auf unternehmerische Freiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und die allgemeine unternehmerische Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG zu. Sie sei auch deshalb berechtigt, Regelungen für die Verwendung ihrer Plattform aufzustellen, weil sie als mittelbare Störerin für Beiträge anderer hafte und auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könne. Zu den die Grundrechte konkretisierenden zivilrechtlichen Gesetzen gehöre insbesondere die vertragliche – auch die Nutzer der Plattform treffende – Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Die Bestimmungen über das Verbot von Gewaltaufrufen oder Hassrede seien auch nicht unklar oder unverständlich im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Für einen durchschnittlichen Nutzer sei deutlich erkennbar, dass die Beklagte ihre Plattform nicht für die Verbreitung von Inhalten zur Verfügung stellen wolle, die Personen gleicher Nationalität pauschal herabwürdigen oder in denen zu Gewalt aufgerufen werde. Im Übrigen verböten die beanstandeten Regelungen im Wesentlichen Äußerungen, die gemäß § 130 StGB strafbar seien und somit rechtswidrige Inhalte im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG darstellten. Deshalb sei schon zweifelhaft, ob sie überhaupt der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB unterlägen. Weil die Beklagte zur Löschung der Kommentare und zeitweiligen Einschränkung der Nutzungsrechte des Klägers befugt gewesen sei, könne der Kläger auch nicht verlangen, dass sie bei einer erneuten Einstellung der Kommentare die Löschung bzw. Sperrung unterlasse. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf Berichtigung seiner Daten nach Art. 16 DS-GVO zu, weil er der Erhebung und Verarbeitung seiner Daten vorab zugestimmt habe (Art. 6 Abs. 1 lit a DS-GVO) und die Daten nicht unrichtig seien. Der Kläger könne auch keine Auskunft darüber verlangen, ob die gegen ihn verhängte Sperre durch ein „beauftragtes Unternehmen“ erfolgt sei. Es sei nicht ersichtlich, worauf der Kläger einen von der Beklagten zu benennenden Dritten überhaupt in Anspruch nehmen könnte. Ansprüche gegen einen Dritten kämen insoweit nicht in Betracht, weil keine schuldrechtliche Sonderverbindung des Klägers mit diesem bestehe und auch Schadensersatzansprüche nach § 826 BGB nicht ersichtlich seien. Auch zu der verlangten Auskunft in Bezug auf die Bundesregierung sei die Beklagte nicht verpflichtet, weil sie die Entscheidung selbst getroffen habe und habe treffen dürfen und die Auskunft zudem auf eine unzulässige Ausforschung gerichtet sei. Auch Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG könne der Kläger nicht verlangen, weil die erforderliche Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht gegeben sei. Ein Anspruch auf Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr bestehe ebenfalls nicht, weil sich der Kläger mit der Verwendung seiner Daten durch die Beklagte einverstanden erklärt habe. Auch ein Anspruch nach Art. 82 Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) besteht nicht. In der Löschung der Beiträge und der vorübergehenden Einschränkung des klägerischen Kontos liege kein Verstoß gegen zwingende Vorgaben der DS-GVO.
- Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge in vollem Umfang weiterverfolgt. Das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte zur Regulierung zulässiger Meinungsäußerungen befugt sei, die Nutzungsbedingungen/Gemeinschaftsstandards der Beklagten wirksam geändert worden seien und die Neufassung mit dem deutschen Recht vereinbar sei. Das Landgericht habe nicht geprüft, ob die Beklagte zur Sperrung des Klägers berechtigt gewesen sei.
- 1. Das Urteil des Landgerichts Hannover vom 07.11.2019, zugestellt am 12.11.2019, Az. 8 O 49/19 wird abgeändert.
- 2. Die Beklagte wird verurteilt, die Daten des Klägers dahingehend zu berichtigen, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen durch den am 25.01.2019 gelöschten Beitrag aus dem Datensatz gelöscht wird und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird.
- 3. Es wird festgestellt, dass der Beklagten kein Recht zustand, den unter Ziff. 4 genannten, am 25.01.2019 gelöschten Beitrag des Klägers auf der Plattform www.f…com zu entfernen und gegen den Kläger wegen dieses Beitrags eine Sperre in Form einer Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Plattform, vorgenommen am 25.01.2019, zu verhängen.
- 4. Der Beklagten wird aufgegeben, den am 25.01.2019 gelöschten Beitrag des Klägers wieder freizuschalten.
- 5. Es wird festgestellt, dass der Beklagten kein Recht zustand, den unter Ziff. 6 genannten, am 08.05.2019 gelöschten Beitrag des Klägers auf der Plattform www.f…com zu entfernen und gegen den Kläger wegen dieses Beitrags eine Sperre in Form einer Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Plattform, vorgenommen am 08.05.2019, zu verhängen.
- Hilfsweise wird beantragt – für den Fall, dass das Gericht den Anspruch in Ziff. 4 bejahen sollte – wie folgt:
- Die Beklagte wird verurteilt, die Daten des Klägers dahingehend zu berichtigen, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen durch den am 08.05.2019 gelöschten Beitrag aus dem Datensatz gelöscht wird und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird.
- 6. Der Beklagten wird aufgegeben, den am 08.05.2019 gelöschten Beitrag des Klägers wieder freizuschalten.
- 7. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. 4 genannten Textes auf www.f…com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich dieser auf einen Artikel über Abtreibungen in N. Y. (USA) mit dem Titel „N. Y. legalisiert Abtreibungen bis zur Geburt – Kirche droht mit Exkommunikation“ bezieht.
- Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
- 8. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. 6 genannten Textes auf www.f….com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich dieser auf einen Artikel mit dem Titel „Attenkirchen: Nackter Afrikaner verwüstet Unterkunft, baut mit Mobiliar Barrikade und blockiert Straße“ bezieht.
- Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
- 9. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, ob die Sperre gem. Ziff. 3 und 5 durch ein beauftragtes Unternehmen erfolgt, und in letzterem Fall, durch welches.
- 10. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, ob sie konkrete oder abstrakte Weisungen, Hinweise, Ratschläge oder sonst irgendwelche Vorschläge von der Bundesregierung oder nachgeordneten Dienststellen hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und/oder der Sperrung von Nutzern erhalten hat, und ggf. welche.
- 11. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 3.000,- € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, aus 1.500,- € seit dem 25.01.2019 sowie aus 1.500,- € seit dem 08.05.2019 zu zahlen.
- Den vorstehenden Antrag stellt der Kläger hilfsweise mit der Maßgabe, dass in erster Linie der Schaden wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend gemacht wird, in zweiter Linie der Schaden wegen vertraglicher Ansprüche (fiktive Lizenzgebühr) und in dritter Linie der Schaden wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutzgrundverordnung.
- b. für die Einholung einer Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 1 (Sperre vom 25.01.2019) in Höhe von 201,71 € und
- c. für die Einholung einer Deckungszusage für die Klage in Fall 1 (Sperre vom 25.01.2019) in Höhe von 729,23 €
- e. für die Einholung einer Deckungszusage für die außergerichtliche Tätigkeit in Fall 2 (Sperre vom 08.05.2019) in Höhe von 201,71 € und
- f. für die Einholung einer Deckungszusage für die Klage in Fall 2 (Sperre vom 08.05.2019) in Höhe von 729,23 €
- Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
- Der Kläger sieht sich durch die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29. Juli 2021 (III ZR 179/20 und III ZR 192/20) bestätigt.
- Die Beklagte meint hierzu, die Klage sei auch unter Berücksichtigung dieser Entscheidungen des Bundesgerichtshofs insgesamt unbegründet. Unabhängig von der Wirksamkeit der Klausel ergebe sich eine Berechtigung zum Entfernen von Inhalten, die gegen ihre Gemeinschaftsstandards verstießen, auch unmittelbar aus dem Nutzervertrag. Ein Entfernungsrecht ergebe sich zudem auf der Basis ergänzender Vertragsauslegung. Die Klage auf Wiederherstellung der Beiträge sei auch treuwidrig, weil der Kläger dann im Moment der Wiederherstellung der vertragswidrigen Beiträge wieder zu deren Löschung verpflichtet wäre. Auch in Bezug auf den Sperrungsvorbehalt entstünde durch die Unwirksamkeit der Klausel eine unangemessene vertragliche Regelungslücke, weil die Beklagte ohne diese Möglichkeit zur Kündigung des Nutzervertrages gezwungen sei, was ersichtlich nicht im Interesse der Vertragsparteien wäre. Wenn der Kläger seinen Beitrag im selben Kontext erneut poste, könne eine vorherige Anhörung nicht mehr erforderlich sein. Ohnehin sei die Ansicht des Bundesgerichtshofs, Nutzer seien vor Verhängung einer Sperre anzuhören, zweifelhaft, weil es bei der Beurteilung zwingend auf den objektiven Empfängerhorizont ankomme und daher eine nicht nach außen erkennbar hervortretende Absicht des Nutzers nicht relevant sei.
- B.
- Die Beklagte war zur Löschung der Beiträge des Klägers und zu dessen Sperrung nicht berechtigt, so dass die Berufungsanträge zu 4 und 6 (Wiederherstellung der Beiträge), zu 7 und 8 (Unterlassung) sowie zu 3 und 5 (Feststellung) begründet sind (Ziffer II).
- Im Übrigen – hinsichtlich der Berufungsanträge zu 2 (Datenberichtigung) und 9 bis 12 (Auskunft, Schadensersatz, Freistellung) hat die Berufung keinen Erfolg; die Klage ist insoweit unabhängig von der Zulässigkeit der Maßnahmen der Beklagten unbegründet (Ziffer III).
- Die deutschen Gerichte sind gemäß Art. 17 Abs. 1 Buchst. c), Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Var. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO) international zuständig (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20, Rn. 24).
- II.
- 1. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB einen Anspruch darauf, die von ihr gelöschten Beiträge wieder freizuschalten.
- a) Die Beklagte hat durch die vorgenommene Löschung der Posts ihre vertraglichen Pflichten aus dem Nutzungsvertrag verletzt. Sie war zur Löschung der Beiträge nicht berechtigt.
- aa) Es besteht kein Recht der Beklagten zur Löschung der streitgegenständlichen Beiträge des Klägers gemäß Nr. 3.2 der Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil III Nr. 12 der Gemeinschaftsstandards. Denn der dort bestimmte Entfernungsvorbehalt ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20, Rn. 30, 51 ff.). Der Senat folgt der Beurteilung des Bundesgerichtshofs in der vorgenannten Entscheidung.
- bb) Die Beklagte war auch nicht deshalb zur Entfernung der Beiträge des Klägers berechtigt, weil diese einen strafbaren Inhalt enthielten.
- Zwar ist die Beklagte gehalten, unverzüglich tätig zu werden, um strafbare Inhalte in ihrem sozialen Netzwerk zu entfernen oder zu sperren, sobald sie Kenntnis von Tatsachen oder Umständen erlangt hat, aus denen die Rechtswidrigkeit der Beiträge offensichtlich wird (BGH, aaO, Rn. 98).
- Eine Strafbarkeit der streitgegenständlichen Beiträge ist jedoch nicht gegeben und wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.
- cc) Ein Recht zur Löschung der Beiträge ergibt sich auch nicht aus dem sonstigen Vertragsrecht. Es kommt insbesondere nicht in Betracht, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an Stelle der unwirksamen AGB-Klausel ein grundrechtskonformes Löschungsrecht zu setzen.
- Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine ergänzende Vertragsauslegung bei Verbraucherverträgen – im Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie – überhaupt erfolgen darf (dagegen: BeckOK BGB/H. Schmidt, 59. Ed. 1.8.2021, § 306 Rn. 10). Denn jedenfalls kommt bei unwirksamen AGB eine ergänzende Vertragsauslegung – bei Fehlen gesetzlicher Vorschriften, die an die Stelle der unwirksamen Klausel treten (§ 306 Abs. 2 BGB) – nur ganz ausnahmsweise in Betracht, nämlich wenn die ersatzlose Streichung der Klausel zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Vertragspartners des Verwenders verschieben würde, so dass diesem ein Festhalten an dem lückenhaften Vertrag nicht zuzumuten wäre (BGH, Urteil vom 15. Februar 2019 – V ZR 77/18, Rn. 18).
- Davon kann im Streitfall keine Rede sein. Die Beklagte kann weiterhin strafbare Nutzerbeiträge löschen (s.o.). Im Fall von Beiträgen, die lediglich gegen ihre Gemeinschaftsstandards verstoßen, kann sie den Nutzer außergerichtlich zur Löschung auffordern und ihn gegebenenfalls gerichtlich auf Löschung in Anspruch nehmen. Bei beharrlichen, schweren Verstößen kann sie auch den Nutzungsvertrag kündigen (§ 314, § 626 BGB).
- Soweit die Beklagte in einem Parallelverfahren auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur ergänzenden Vertragsauslegung bei einer unwirksamen Zinsänderungsklausel eines Sparvertrages verwiesen hat (BGH, Urteil vom 06. Oktober 2021 – XI ZR 234/20), führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Lücke, die dort durch die unwirksame Zinsänderungsklausel – bei gleichzeitiger Wirksamkeit der Vereinbarung über die Variabilität der Zinshöhe – entstanden ist, musste zur Durchführung des Sparvertrags zwingend durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden (aaO Rn. 41). Eine vergleichbare Sachlage besteht im Streitfall nicht, weil der Nutzungsvertrag ohne weiteres auch ohne die unwirksamen Regelungen zur Löschung und Sperrung durchführbar ist.
- b) Dem aus der vertragswidrigen Löschung folgenden Anspruch auf Wiederherstellung der Posts kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Kläger sich treuwidrig verhält (§ 242 BGB), weil er – wegen eines Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten – seinerseits zur Löschung der Beiträge verpflichtet sein könnte.
- Zwar wird aus § 242 BGB der sog. Rückgewährseinwand hergeleitet. Wer etwas verlangt, was er sofort zurückgeben muss, handelt grundsätzlich treuwidrig („Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“) (BeckOGK/Kähler, 1.8.2021, BGB § 242 Rn. 1358). Jedoch gilt dieser Rückgewährseinwand nicht unbeschränkt, wie sich bereits aus § 863 BGB ergibt. So kann der Rückgewährseinwand keine Grundlage sein, um die Voraussetzungen einer Selbsthilfe nach § 229 BGB zu unterlaufen und den Eingriff in fremde Rechte mit der Begründung zu ermöglichen, im Ergebnis sei die auf diese Weise hergestellte Lage richtig (aaO, Rn. 1364). Setzt sich jemand absichtlich über ein fremdes Recht hinweg, um einen Anspruch durchzusetzen, reduziert sich sein Treueanspruch. Nach dem Rechtsgedanken des § 863 BGB ist ihm dann je nach Schwere des Treueverstoßes der Rückgewähreinwand zu versagen, auch wenn er damit den Rückgewähranspruch nicht endgültig verliert (aaO).
- Im Streitfall ist die Klausel der Nutzungsbedingungen der Beklagten, mit der sie sich ein Löschungsrecht ausbedungen hat, unwirksam, weil sie dem Nutzer im Zuge der Löschung des Beitrags und der vorübergehenden Sperrung seines Accounts keine Verfahrensrechte einräumt, die – bei der gebotenen Abwägung der einander gegenüberstehenden Grundrechtspositionen der Parteien – der Meinungsäußerungsfreiheit der Nutzer und dem Gleichbehandlungsgebots hinreichend Rechnung tragen und zu einem interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen führen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20 –, Rn. 83 ff.). Mit dem gebotenen „Grundrechtsschutz durch Verfahrensrecht“ wäre es unvereinbar, wenn dem Anspruch des Nutzers auf Wiederherstellung des Beitrags der Rückgewährseinwand entgegengehalten werden könnte und die Beklagte somit im Ergebnis sanktionslos vertragswidrig Beiträge löschen könnte. Vielmehr muss der Rechtsgedanke des § 863 BGB entsprechend zum Tragen kommen, sodass die Beklagte darauf zu verweisen ist, etwaige Löschungsansprüche gegen ihre Nutzer zunächst außergerichtlich und dann ggf. auf dem Rechtsweg geltend zu machen.
- ein Anspruch auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Löschung der Beiträge bei deren erneuter Einstellung zu.
- a) Die Beklagte hat – wie ausgeführt – durch die Entfernung der Beiträge des Klägers gegen ihre Vertragspflichten verstoßen. Dasselbe gilt für die Sperrungen des Nutzerkontos des Klägers. Auch insofern war die Beklagte infolge der Unwirksamkeit des Entfernungs- und Sperrungsvorbehalts in Nr. 3.2 der Nutzungsbedingungen zu der von ihr ergriffenen Maßnahme nicht berechtigt (BGH, aaO, Rn. 101).
- b) Ein vertraglicher Unterlassungsanspruch folgt jedenfalls dann aus § 280 Abs. 1 BGB, wenn die Beklagte bereits einmal ihre Pflichten aus dem – fortbestehenden – Vertragsverhältnis verletzt hat und die Vertragsverletzung – in Gestalt der Entfernung des Beitrags des Klägers – teilweise noch andauert (BGH, aaO, Rn. 102).
- BGH, aaO, Rn. 103) spricht aufgrund der bereits begangenen Pflichtverletzungen der Beklagten eine tatsächliche Vermutung. Anhaltspunkte für eine Widerlegung der Vermutung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
- 3. Die Berufungsanträge zu 3 und 5 (Feststellung) sind als Zwischenfeststellungsanträge gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Die Anträge sind auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtet. Ob die Beklagte nicht zu den Löschungen und Sperrungen berechtigt war, betrifft nicht bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses, sondern das Nichtbestehen eines Rechtverhältnisses (vgl. zur Abgrenzung BGH, Urteil vom 17. Juni 2016 – V ZR 272/15, Rn. 9 f.). Eines Feststellungsinteresses bedarf es gemäß § 256 Abs. 2 ZPO nicht, weil es sich um entscheidungserhebliche Vorfragen der Unterlassungsanträge handelt.
- III.
- Gemäß Art. 16 DS-GVO kann der Betroffene die Berichtigung ihn betreffender unrichtiger personenbezogener Daten verlangen.
- Soweit die Beklagte die vorgenommene Löschung und Sperrung in ihrem Datenbestand vermerkt hat, handelt es sich aber nicht um unrichtige Daten, denn die Löschung und die Sperrung sind unstreitig vorgenommen worden. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Frage, ob die Löschung und Sperrung sich als rechtmäßig erwiesen haben, Gegenstand eines weiteren gespeicherten Datensatzes ist.
- Jedenfalls kann auch insoweit keine Berichtigung verlangt werden, weil es sich nicht um eine dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsache, sondern um eine rechtliche Bewertung handelt. Werturteile von Privaten sind grundsätzlich schon wegen des Schutzes der Meinungsfreiheit aus dem Anwendungsbereich der Berichtigungspflicht ausgenommen, soweit sie keine Tatsachenbestandteile enthalten (BeckOK DatenschutzR/Worms, 34. Ed. 1.8.2020, DS-GVO Art. 16 Rn. 54).
- Der Beklagten kann es nicht verwehrt werden, ihre Auffassung zu vermerken, Löschung und Sperrung seien rechtmäßig gewesen. Mit einer solchen Speicherung ist allerdings kein Präjudiz für die Frage der Rechtmäßigkeit verbunden. Über diese Frage wird bereits durch die Feststellungsanträge verbindlich entschieden. Die Verurteilung zur Datenberichtigung hätte keine weiterreichende Bindungswirkung für die Beklagte, etwa wenn sie bei der Sanktionierung weiterer Verstöße für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auf die Zahl der zuvor begangenen Verstöße abstellt. Für eine solche Bindungswirkung, die über die materielle Rechtskraft des Urteils hinausgeht, besteht keine rechtliche Grundlage. Es existiert keine Regelung, dass die gespeicherten Daten verbindlich für die Beurteilung der Rechtslage sind.
- 2. Die geltend gemachten Auskunftsansprüche (Berufungsanträge zu 9 und 10) bestehen ebenfalls nicht.
- a) Die unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben begründete Auskunftspflicht stellt eine Nebenverpflichtung dar und setzt daher im Regelfall einen dem Grunde nach feststehenden Leistungsanspruch voraus (MüKoBGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, BGB § 260 Rn. 15). Die anspruchsbegründenden Merkmale des Anspruchs müssen also gegeben sein, lediglich der Anspruchsinhalt, den zu bestimmen die Auskunft benötigt wird, darf offen sein. Freilich muss die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass nach dem Ergebnis der Auskunft etwas zu fordern bleiben wird. Besteht der Leistungsanspruch z.B. in einem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, so müssen sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs, einschließlich Verschulden, gegeben sein; nur für die Schadensentstehung genügt Wahrscheinlichkeit. Generell kann nur derjenige Auskunft verlangen, der durch das Verhalten desjenigen, von dem er Auskunft will, oder in sonstiger Weise bereits in seinem bestehenden Recht so betroffen ist, dass nachteilige Folgen für ihn ohne die Auskunftserteilung zu besorgen sind (aaO).
- b) Im Streitfall ist von vornherein – unabhängig von der Zulässigkeit der Löschung und Sperrung – nichts für eine Haftung etwaiger, von der Beklagten beauftragter Dritter ersichtlich. Das Nutzungsverhältnis, aus dem sich die – vertraglichen – Ansprüche des Klägers ergeben, besteht nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits. Von der Beklagten beauftragte Dienstleister sind hieran nicht beteiligt. Auch ein deliktischer Anspruch kommt nicht in Betracht. Die angegriffenen Maßnahmen stellen keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers dar. Die Möglichkeit, auf F… Kommentare abzugeben, ist kein deliktsrechtlich geschützter Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Auch eine sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB ist nicht im Ansatz erkennbar.
- c) Auch für einen Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland ist nichts ersichtlich. Es handelt sich bei der vermuteten Einflussnahme der Bundesregierung um reine Mutmaßungen des Klägers ohne jede Tatsachengrundlage. Die im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vorgenommene Regulierung ist ohne Belang für die Frage, inwiefern die Beklagte Beiträge löscht und mit Sperrungen ahndet, die keine rechtswidrigen Inhalte nach § 1 Abs. 3 NetzDG darstellen.
- a) Der Zahlungsantrag ist nunmehr zulässig, nachdem der Kläger den Antrag in der Berufungsverhandlung mit der Maßgabe gestellt hat, dass in erster Linie der Schaden wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend gemacht wird, hilfsweise in zweiter Linie der Schaden wegen vertraglicher Ansprüche (fiktive Lizenzgebühr) und weiter hilfsweise in dritter Linie der Schaden wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutzgrundverordnung.
- Der ursprüngliche Zahlungsantrag ist unzulässig, weil es sich um eine – unzulässige – alternative Klagehäufung handelt (vgl. MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 260 Rn. 22). Seinen Zahlungsantrag hat der Kläger alternativ auf verschiedene Gesichtspunkte gestützt (immaterielle Entschädigung für die Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch die Kontosperrung, Vermögensschaden durch die unberechtigte Verwertung seiner geposteten Inhalte sowie Entschädigung für die unberechtigte Datenverarbeitung). Damit liegen drei unterschiedliche Streitgegenstände (prozessuale Ansprüche) vor. Bei einem materiellen und einem immateriellen Schadensersatzanspruch handelt es sich stets um prozessual selbständige Streitgegenstände (BGH, Urteil vom 27. Mai 1993 – III ZR 59/92, BGHZ 122, 363-372, Rn. 8), nicht lediglich um unterschiedliche materielle Anspruchsgrundlagen für einen einheitlichen prozessualen Anspruch. Gleiches gilt für den Datenschutz-rechtlichen Entschädigungsanspruch, der ein gänzlich anderes Schutzgut betrifft.
- Aufgrund der nachgeholten Angabe des Eventualverhältnisses – der Reihenfolge, in der der Kläger seinen Zahlungsantrag auf die verschiedenen prozessualen Ansprüche stützt – ist der Antrag jedoch nunmehr zulässig.
- b) Der Zahlungsantrag ist allerdings sowohl im Hauptantrag als auch in den Hilfsanträgen unbegründet.
- aa) Dem Kläger steht kein immaterieller Schadensersatzanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung zu.
- Die Rechtsprechung hat aus § 823 Abs. 1 BGB i.V. mit Art. 1 und 2 GG hergeleitet, dass dem Geschädigten im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung eine Geldentschädigung zuzubilligen ist, weil ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 – VI ZR 332/94, Rn. 13, juris).
- Auch wenn die Meinungsfreiheit als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen wird, stellen die in Rede stehenden Maßnahmen keine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers dar. Auch unter Berücksichtigung der Bedeutung, die die Nutzungsmöglichkeit von F… für manche Menschen haben mag, betrifft eine vorübergehende Sperre keinesfalls einen Kern des Persönlichkeitsrechts.
- bb) Es besteht auch kein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Nutzung der von dem Kläger generierten Inhalte.
- Die Beklagte hat Inhalte des Klägers nicht unberechtigt genutzt; er hat der Nutzung bei Abschluss des Nutzungsvertrages zugestimmt. Auch wenn die Beklagte sich nicht vollständig vertragsgerecht verhalten hat, lässt dies nicht die Zustimmung des Klägers entfallen.
- Darüber hinaus ist dem Kläger durch die Maßnahmen der Beklagten auch kein Vermögensschaden entstanden. Die Vermögenslage des Klägers hat sich hierdurch nicht verändert.
- cc) Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 Abs. 2 Satz 1 DS-GVO zu. Die Maßnahmen der Beklagten stellen – unabhängig von ihrer Zulässigkeit – keinen Verstoß gegen die DS-GVO dar. Die Nutzung der Daten des Klägers erfolgte mit dessen Zustimmung. Daran ändert es nichts, dass sich die Beklagte bei der Löschung des Posts und der Sperrung pflichtwidrig verhalten hat.
- 4. Der Berufungsantrag zu 12 (Freistellungsanspruch in Bezug auf außergerichtliche Anwaltskosten) ist unbegründet.
- a) Zwar kommt dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Betracht, soweit die Klage in der Hauptsache begründet ist. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass bei dem Kläger entsprechende außergerichtliche Anwaltskosten angefallen sind. Für die vorprozessuale Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers wäre nur dann eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV angefallen, wenn der Kläger diese außergerichtliche Tätigkeit beauftragt hat, ohne zugleich einen unbedingten Klagauftrag zu erteilen (vgl. BGH, Urteil vom 15. August 2019 – III ZR 205/17, Rn. 43). Der Kläger hat hierzu nichts vorgetragen, obwohl die Beklagte die außergerichtlichen Kosten in Abrede genommen hat.
- Darüber hinaus ergibt sich aus der Anlage K 35, dass der Rechtsschutzversicherer etwaige außergerichtliche Kosten des Klägers beglichen hat. Daher bestünde ein etwaiger Freistellungsanspruch des Klägers nicht mehr, sondern ein Zahlungsanspruch aus abgetretenem Recht des Versicherers, den der Kläger jedoch nicht geltend macht.
- b) Auch für die Einholung der Deckungszusagen seines Rechtsschutzversicherers kann der Kläger keinen Freistellungsanspruch geltend machen.
- Die durch die Pflichtverletzung der Beklagten verursachten Rechtsverfolgungskosten sind nur zu ersetzen, soweit sie aus der Sicht des Klägers zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2011 – VIII ZR 132/10, Rn. 23 f., juris; Urteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 274/10, Rn. 20 f., juris). Dem Geschädigten ist in der Regel zuzumuten, die Deckungszusage selbst anzufordern (aaO). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen wäre, eine einfache Anfrage, ggf. unter Beifügung des von seiner Prozessbevollmächtigten gefertigten Entwurfs des Abmahnschreibens bzw. der Klage, an den Versicherer zu senden. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass von vornherein davon auszugehen war, dass der Versicherer den Deckungsschutz nur bei einer anwaltlichen Aufforderung gewähren würde. Dies ergibt sich auch nicht aus der vorgelegten Korrespondenz mit dem Versicherer (Anlagen K 36 – K 42).
- Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Einholungen der Deckungszusagen eigenständige Angelegenheiten nach § 15 Abs. 2 RVG sind oder bloße – nicht gesondert zu vergütende – Annextätigkeiten darstellen (§ 19 RVG). Eine eigenständige Angelegenheit dürfte aber jedenfalls dann nicht vorliegen, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit in der Übersendung des Klagentwurfs oder des Entwurfs eines Abmahnschreibens erschöpft und der Rechtsanwalt nicht in eine nähere Prüfung eintreten musste, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach den Versicherungsbedingungen überhaupt von dem Versicherungsschutz umfasst ist. Für eine solche Prüfung des Versicherungsschutzes ist hier nichts ersichtlich.
- C.
- I.
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
- II.
- Die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO war nicht veranlasst. Der Rechtsstreit ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts erfordert keine Entscheidung des Revisionsgerichts. Dies gilt auch in Bezug auf den Datenberichtigungsanspruch. Insoweit beruht die Entscheidung nicht auf einer Divergenz zu der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, sondern primär auf einer abweichenden Tatsachengrundlage in Bezug auf die gespeicherten Daten.
- III.
Berufungsanträge: Antrag zu 2 Datenberichtigung (erster Post) 1.250 € Antrag zu 3 Feststellung der Rechtswidrigkeit der Löschung eines Beitrags und einer 30-tägigen Sperrung (erster Post) 2.000 € Antrag zu 4 Wiederherstellung des gelöschten Beitrags (erster Post) – kurzer Post 500 € Antrag zu 5 Feststellung der Rechtswidrigkeit der Löschung eines Beitrags und einer 30-tägigen Sperrung (zweiter Post) 2.000 € Antrag zu 6 Wiederherstellung des gelöschten Beitrags (zweiter Post) – kurzer Post 500 € Antrag zu 7 Unterlassung einer künftigen Löschung und Sperrung (erster Post) 1.500 € Antrag zu 8 Unterlassung einer künftigen Löschung und Sperrung (zweiter Post) 1.500 € Antrag zu 9 Auskunft zu beauftragtem Unternehmen (beide Posts) 2 x 500 € Antrag zu 10 Auskunft zu Maßnahmen der Bundesregierung (beide Posts) 2 x 500 € Antrag zu 11 Zahlung von 3.000 €
3-fach wegen Hilfsanträgen bei jeweils drei Streitgegenständen, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG, nach entsprechender Antragsänderung in der Berufungsinstanz9.000 € Antrag zu 12 Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten – insgesamt somit 20.250 €
- D.