Fehlen des Verfügungsgrund, bei unzureichender Darlegung der Gefahr der unmittelbaren Löschung eines Sozial-Media-Accounts

28. Dezember 2022
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Social Network und soziales Umfeld Beschluss des OLG Nürnberg vom 07.10.2022, Az.: 3 U 2178/22

Der Verfügungskläger hatte gegen das Urteil des LG Ansbach Berufung eingelegt. Dabei wollte er verhindern, dass sein seit 2009 bestehender Facebook-Account, welchen die Verfügungsbeklagte zuvor hatte sperren lassen, dauerhaft und unwiderruflich gelöscht wird. Die Besonderheit in dem Fall lag darin begründet, dass über die Frage, ob die Sperre zulässigerweise erfolgt ist, bereits ein Hauptsacheverfahren anhängig war. Mit der einstweiligen Verfügung wollte der Verfügungskläger verhindern, dass sein Account vor rechtskräftiger Entscheidung in diesem Hauptsacheverfahren gelöscht wird. Das OLG Nürnberg bestätigte die Entscheidung des LG Ansbach und führte aus, dass es in der streitgegenständlichen Konstellation an einem Verfügungsgrund fehle, da der darlegungsbelastete Verfügungskläger nicht ausreichend dargelegt habe, dass tatsächlich eine Löschung seines Kontos drohe, zumal die Verfügungsbeklagten sich dahingehend geäußerte hatte, dass sie nicht beabsichtige, das streitgegenständliche Nutzerkonto des Verfügungsklägers vor dem rechtskräftigen Abschluss eines etwaigen Hauptsacheverfahrens dauerhaft und unwiderruflich zu löschen.

Oberlandesgericht Nürnberg

Beschluss vom 07.10.2022

Az.: 3 U 2178/22

Tenor

1. Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 15.07.2022, Aktenzeichen 2 O 267/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

A.

Der Verfügungskläger unterhielt und nutzte seit ca. 2009 ein privates Nutzerkonto bei der das soziale Netzwerk www.facebook.com betreibenden Verfügungsbeklagten. Am 25.01.2022 wurde das Konto des Verfügungsklägers von der Verfügungsbeklagten vollständig deaktiviert. Der Verfügungskläger erhielt dabei am 25.01.2022 folgende Meldung:

[Abbildung]

Der Verfügungskläger versuchte zunächst selbst, die Verfügungsbeklagte zur Wiederherstellung des Nutzerkontos zu bewegen. Darüber hinaus wandte er sich mit Anwaltsschreiben vom 18.02.2022 an die Verfügungsbeklagte und forderte sie unter Fristsetzung bis zum 25.02.2022 u.a. dazu auf, eine endgültige und unwiderrufliche Kontolöschung zu unterlassen und die Kontoinhalte und -daten bis zum Ausgang eines Hauptsacheverfahrens zu speichern. Hierauf reagierte die Verfügungsbeklagte nicht.

Auf Antrag des Verfügungsklägers vom 04.03.2022 untersagte das Landgericht Ansbach der Verfügungsbeklagten mit Beschlussverfügung vom 09.03.2022, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens das am 25.01.2022 deaktivierte Nutzerkonto des Verfügungsklägers auf www.facebook.com und die dazu gespeicherten Daten endgültig und unwiderruflich zu löschen. Gegen diese Beschlussverfügung legte die Verfügungsbeklagte Widerspruch ein. Mit Endurteil vom 15.07.2022 hob das Landgericht Ansbach die zunächst erlassene einstweilige Verfügung vom 09.03.2022 auf und wies den Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass es dem Verfügungskläger vorliegend an einem Verfügungsgrund fehle, da der Verfügungskläger trotz Kenntnis von der Kontodeaktivierung länger als einen Monat mit der Beantragung einer einstweiligen Verfügung zugewartet hatte.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Verfügungskläger in seiner Berufung. Er beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ansbach vom 15.07.2022, den Widerspruch der Verfügungsbeklagten vom 27.05.2022 gegen die einstweilige Verfügung des Landgerichts Ansbach zurückzuweisen und die einstweilige Verfügung des Landgerichts Ansbach vom 09.03.2022 zu bestätigen. Die Verfügungsbeklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Der Verfügungskläger führt u.a. aus, dass konkrete Umstände vorliegen würden, aus denen sich ergebe, dass dem Verfügungskläger kein dringlichkeitsschädliches Verhalten vorgeworfen werden könne. Außerdem habe die Verfügungsbeklagte in anderen Gerichtsverfahren selbst mitgeteilt, dass nach einem bestimmten Zeitraum (die Verfügungsbeklagte lasse offen, wie lange) der Löschvorgang in Bezug auf das Nutzerkonto und alle Nutzerdaten und -inhalte automatisch eingeleitet werde, und dieser lediglich innerhalb von 90 Tagen gestoppt werden könne, um das Konto wiederherzustellen. Danach sei das Konto nach den eigenen Angaben der Verfügungsbeklagten dauerhaft und unwiderruflich gelöscht. Zwar werde eine Entscheidung über die Deaktivierung des Kontos im Einzelfall getroffen, aber die anschließende Löschung der Daten erfolge automatisch, wenn sie nicht aktiv unterbrochen werde. Dem Verfügungskläger könne nicht zugemutet werden, auf die Pauschalbehauptung der Verfügungsbeklagten, dass für ihn trotz der dargestellten Anhaltspunkte für eine drohende Kontolöschung keine Gefahr bestünde, zu vertrauen, zumal die Gefahr einer Datenlöschung allein aufgrund des automatisierten Löschprozesses bestehe. Einzig eine verbindliche Zusicherung, dass die Löschung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens gestoppt sei, könne den Verfügungsgrund entfallen lassen.

Die Verfügungsbeklagte führt u.a. aus, dass sie weder behauptet habe noch beabsichtige, das streitgegenständliche Nutzerkonto des Verfügungsklägers und die damit verknüpften Daten dauerhaft vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu löschen. Der klägerische Vortrag gehe über eine allgemeine Besorgnis nicht hinaus und entbehre jeglichen Bezugs zum konkret streitgegenständlichen Sachverhalt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Äußerungen der Verfügungsbeklagten und des einvernommenen Zeugen in dem Parallelverfahren. Vielmehr sei zutreffend, dass erst sobald der Löschvorgang überhaupt eingeleitet werde, eine Löschung des Kontos mit all seinen Kontoinformationen innerhalb von 90 Tagen erfolge. Innerhalb der sechs Monate nach vorläufiger Deaktivierung gebe es verschiedene Möglichkeiten – beispielsweise eine Beschwerde des Nutzers – um zu verhindern, dass der 90-tägige Vorgang zur Datenlöschung automatisch anlaufe. Soweit der Verfügungskläger auf den Vortrag der Verfügungsbeklagten aus anderen Gerichtsverfahren Bezug nehme, betreffe dies regelmäßig Konstellationen, in denen die erstmalige Kontaktaufnahme durch die Verfahrensbevollmächtigten der jeweiligen Kläger so spät erfolgt sei, dass der beschriebene Löschvorgang bereits abgeschlossen gewesen sei. Das sei hier aber gerade nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund erkläre sie, dass sie nicht beabsichtige, das streitgegenständliche Nutzerkonto des Verfügungsklägers vor dem rechtskräftigen Abschluss eines etwaigen Hauptsacheverfahrens dauerhaft und unwiderruflich zu löschen.

B.

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 15.07.2022, Aktenzeichen 2 O 267/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.

Das Landgericht Ansbach ging im Ergebnis zutreffend davon aus, dass es vorliegend an einem Verfügungsgrund fehlt.

I.

Allerdings ist – wie der Senat bereits ausführte – kein Fall der sogenannten Selbstwiderlegung der Eilbedürftigkeit gegeben.

1. Zwar fehlt nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch in Pressesachen der Verfügungsgrund wegen Selbstwiderlegung, wenn die Antragstellerpartei nach Eintritt der Gefährdung mit einem Antrag zuwartet oder das Verfahren nicht zügig betreibt und damit durch ihr Verhalten selbst zu erkennen gegeben hat, dass es ihr nicht eilig ist. Dabei ist davon auszugehen, dass bei einem Zuwarten von mehr als einem Monat nach Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis von der Verletzungshandlung und der Person des Verantwortlichen die Eilbedürftigkeit in der Regel nicht mehr gegeben ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2018 – 3 W 2064/18, Rn. 19 ff.).

2. Diese Grundsätze stehen jedoch im vorliegenden Fall einem Verfügungsgrund nicht entgegen, auch wenn die Zeitspanne zwischen der Mitteilung der Kontodeaktivierung am 25.01.2022 und dem Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung am 04.03.2022 mehr als einen Monat beträgt.

Zum einen wendet sich der Verfügungskläger nicht gegen die ihm am 25.01.2022 mitgeteilte vorläufige Kontodeaktivierung. Gegenstand seines Unterlassungsbegehrens ist somit nicht eine begangene und die Wiederholungsgefahr auslösende Verletzungshandlung. Vielmehr soll der Verfügungsbeklagten ein zukünftiges Verhalten untersagt werden: Sie soll bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens das deaktivierte Nutzerkonto des Verfügungsklägers und die dazu gespeicherten Daten nicht endgültig und unwiderruflich löschen.

Zum anderen ist zwischen den Parteien unstreitig, dass nach der vorläufigen Kontodeaktivierung zunächst eine Schonfrist von mehreren Monaten zu laufen beginnt, und erst im Anschluss daran 90 Tage zur Verfügung stehen, innerhalb derer der Löschvorgang noch so gestoppt werden kann, dass eine Kontowiederherstellung wohl noch möglich ist. Zumindest während der Schonfrist drohen dem Verfügungskläger somit keine Nachteile. Solange er eine einstweilige Verfügung so rechtzeitig beantragt, dass diese noch vor dem Ablauf der Schonfrist ergehen kann, kann ihm daher nicht vorgeworfen werden, durch sein eigenes Verhalten gezeigt zu haben, dass die Angelegenheit nicht dringlich ist.

Insoweit unterscheidet sich daher die vorliegende Konstellation in einem wesentlichen Punkt von den typischen Fällen von Unterlassungsverfügungen, mit denen auf ein bereits unternommenes Verhalten reagiert wird. In diesen Fällen droht jederzeit eine erneute Zuwiderhandlung, die die Rechtsverletzung erweitern und vertiefen würde. Es entspricht dann dem natürlichen Eigeninteresse des Anspruchsinhabers, zeitnah gegen den Anspruchsgegner vorzugehen, um weitere Nachteile für sich selbst zu verhindern; tut er dies nicht, belegt er, dass solche offenbar nicht drohen. Dies wiederum lässt die Rechtfertigung dafür, in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, das aufgrund seines summarischen Charakters mit einem geringeren Grad an Gewissheit und Richtigkeit verbunden ist, eine Entscheidung zu treffen, entfallen. Derartiges ist bei der vorliegenden Fallgestaltung jedoch nicht der Fall, da eine zeitablaufbedingte Intensivierung eines Nachteils bis zum Ablauf der Schonfrist nicht gegeben ist.

II.

Der Verfügungsgrund ist in der streitgegenständlichen Konstellation jedoch deshalb nicht gegeben, weil der darlegungsbelastete Verfügungskläger vor dem Hintergrund der Erklärung der Verfügungsbeklagten, dass sie nicht beabsichtige, das streitgegenständliche Nutzerkonto des Verfügungsklägers vor dem rechtskräftigen Abschluss eines etwaigen Hauptsacheverfahrens dauerhaft und unwiderruflich zu löschen, keine hinreichenden Gründe für eine Dringlichkeit der Angelegenheit vorgetragen hat.

1. Ein Verfügungsgrund gemäß §§ 935, 940 ZPO, der eine vorläufige Sicherung oder Regelung im Eilverfahren zu rechtfertigen vermag, besteht in der objektiv begründeten Besorgnis, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes werde die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert, so dass er aufgrund einer besonderen Dringlichkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache einer einstweiligen Sicherung seines Anspruchs bedarf (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2018 – 3 W 2064/18, Rn. 19). Dies ist beispielsweise beim drohenden Eintritt eines irreparablen Zustands zu bejahen (Vollkommer, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 935 Rn. 13). Dagegen fehlt die Dringlichkeit, wenn für den Antragsteller im Falle seiner Verweisung auf das Hauptsacheverfahren keine Nachteile ersichtlich werden (OLG Dresden, Urteil vom 07.04.2005 – 9 U 263/05, Rn. 13) oder wenn der Antragsteller keines vorläufigen Rechtsschutzes durch eine einstweilige Verfügung – die das Ziel hat, einen möglichen Anspruch vorläufig „in der Waage zu halten“ und der Gefahr vorzubeugen, dass durch die tatsächlichen Umstände die Durchsetzung eines solchen Anspruchs im Wege einer Hauptsacheklage vereitelt oder wesentlich erschwert würde – nicht bedarf, weil er seine Rechte einstweilen selbst gewahrt hat (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.06.2018 – 3 W 1013/18, Rn. 13 ff.).

Ein solcher Verfügungsgrund wird vorliegend nicht vermutet, da zugunsten des Verfügungsklägers keine Dringlichkeitsvermutung greift. Vielmehr obliegt es dem Verfügungskläger, den Verfügungsgrund schlüssig darzulegen und die dazu behaupteten Tatsachen glaubhaft zu machen.

2. Vorliegend würde das endgültige und unwiderrufliche Löschen des Nutzerkontos des Verfügungsklägers und der dazu gespeicherten Daten zwar grundsätzlich ein zukünftiges Verhalten der Verfügungsbeklagten darstellen, das die Verwirklichung eines gegenständlichen Anspruchs des Verfügungsklägers objektiv konkret gefährden würde. Der darlegungsbelastete Verfügungskläger hat jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür dargetan, dass die Verfügungsbeklagte das vorläufig deaktivierte Nutzerkonto des Verfügungsklägers und die dazu gespeicherten Daten vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens tatsächlich endgültig und unwiderruflich löschen wird und damit der Eintritt eines irreparablen Zustands droht.

a) Der vom Verfügungskläger zitierte Sachvortrag der Verfügungsbeklagten und die vorgelegten Unterlagen – insbesondere die protokollierten Zeugeneinvernahmen – aus anderen Gerichtsverfahren machen vor dem Hintergrund der wiederholten Bekundungen der Verfügungsbeklagten im vorliegenden Verfahren, es sei nicht beabsichtigt, das Nutzerkonto des Verfügungsklägers und die dazu gespeicherten Daten endgültig und unwiderruflich zu löschen, eine entsprechende Gefährdungslage nicht glaubhaft.

Zwar hat sich die Verfügungsbeklagte in den anderen Verfahren gegenüber anderen Nutzern ihres sozialen Netzwerks darauf berufen, dessen Daten infolge einer Deaktivierung des Nutzerkontos in einem automatisierten Prozess unwiderruflich gelöscht zu haben. Es ist aber vom darlegungsbelasteten Verfügungskläger weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Klagepartei des Parallelverfahrens sich – ebenso wie der hiesige Verfügungskläger – zeitnah nach der (vorläufigen) Deaktivierung des Nutzerkontos gegen diese Entscheidung der Verfügungsbeklagten gewandt und Ansprüche auf Wiederherstellung des Kontos geltend gemacht hat.

Es kann auch nicht aufgrund der vorgelegten Zeugenaussagen davon ausgegangen werden, dass nach einer Entscheidung über die Deaktivierung des Kontos die anschließende Löschung der Daten bei der Verfügungsbeklagten automatisch erfolgt. Vielmehr führte der im Verfahren des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az. 11 O 2750/20, einvernommene Zeuge (Anlage ASt 16) zwar aus, dass ein deaktiviertes Konto für sechs Monate in diesem Zustand bleibe, bis die Löschung angestoßen werde und diese nach spätestens 90 Tagen beendet sei. Der Nutzer könne jedoch innerhalb dieser sechs Monate Beschwerde einlegen; wenn diese erfolgreich sei, könne der Account – solange die 90 Tage nicht begonnen hätten – wiederhergestellt werden. Dem entspricht die Aussage des im Verfahren des OLG München, Az. 18 U 866/22 Pre, vernommenen Zeugen (Anlage ASt 17), der angab, dass der bis zu 90 Tage dauernde Prozess der Löschung bei der Verfügungsbeklagten zwar automatisch nach Ablauf von sechs Monaten nach der Deaktivierung des Kontos erfolge, der Sinn des Sechs-Monats-Zeitraums jedoch gerade darin liege, dem Nutzer Zeit zu geben, gegen die Deaktivierung eines Accounts oder eines Posts Einspruch einzulegen.

Das Verhalten der Verfügungsbeklagten gegenüber den Klageparteien der Parallelverfahren und die dortigen Erklärungen der einvernommenen Zeugen ersetzen daher im vorliegenden Verfahren nicht die Darlegung, die Verfügungsbeklagte werde auch die Daten des hiesigen Verfügungsklägers unwiderruflich löschen, so dass sie den im Hauptsacheverfahren verfolgten Anspruch auf Wiederherstellung des Kontos nicht erfüllen könnte. Der Verfügungskläger hat vor diesem Hintergrund nicht darlegt, dass ihm im Falle der Verweisung auf das Hauptsacheverfahren objektiv konkrete Nachteile drohen.

Da der Verfügungskläger den Verfügungsgrund darzulegen hat und glaubhaft machen muss, obliegt es auch nicht der Verfügungsbeklagten, verbindlich zuzusichern, dass die Löschung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens gestoppt sei. Vielmehr ist die Erklärung der Verfügungsbeklagten, dass sie nicht beabsichtige, das streitgegenständliche Nutzerkonto des Verfügungsklägers vor dem rechtskräftigen Abschluss eines etwaigen Hauptsacheverfahrens dauerhaft und unwiderruflich zu löschen, ausreichend, da weder dargetan noch ersichtlich ist, dass die Verfügungsbeklagte bislang einer derartigen Absichtserklärung zuwidergehandelt hat.

b) Ein Verfügungsgrund ergibt sich auch nicht daraus, dass die Verfügungsbeklagte vor Beantragung der einstweiligen Verfügung auf vorgerichtliche Anschreiben durch den Verfügungskläger und seines Prozessbevollmächtigten nicht reagiert hatte. Zwar kann die dadurch zunächst beim Verfügungskläger nachvollziehbar verursachte Ungewissheit in Bezug auf die endgültige und unwiderrufliche Löschung seiner Daten grundsätzlich für die Bejahung eines Verfügungsgrundes genügen. Der Verfügungsgrund ist jedoch mittlerweile – aufgrund der Erklärungen der Verfügungsbeklagten im Prozess, denen der darlegungsbelastete Verfügungskläger nicht hinreichend entgegentreten konnte – entfallen, ohne dass der Verfügungskläger entsprechende Prozesserklärungen abgab.

C.

I.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sind aufgrund von § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht veranlasst.

II.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. Der Senat hält für das Begehren der vorläufigen Sicherung der Kontodaten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, in dem es um die Wiederherstellung des deaktivierten Nutzerkontos geht, einen Streitwert in Höhe von 10.000,00 € angemessen.

1. Der Senat würde für den Antrag im Hauptsacheverfahren, das gelöschte Profil des Verfügungsklägers wiederherzustellen, einen Streitwert in Höhe von 10.000,00 € für angemessen halten.

a) Nach § 3 ZPO, § 48 Abs. 2 GKG ist der Streitwert in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Liegen keine besonderen Bemessungsumstände vor, ist entsprechend § 52 Abs. 2 GKG, § 23 Abs. 3 S. 2 RVG von 5.000,00 € auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.11.2015 – II ZB 8/14, Rn. 13).

b) Im vorliegenden Fall hat der Senat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung folgende Gesichtspunkte berücksichtigt:

Für die zu treffende Bewertung kommt der Wertangabe der Klagepartei, auch wenn diese für das Gericht nicht bindend, sondern anhand der objektiven Gegebenheiten und unter Heranziehung üblicher Wertfestsetzungen in vergleichbaren Fällen zu überprüfen ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.05.2011 – I-2 W 15/11, Rn. 8), eine wichtige Indizwirkung zu, da zu Beginn des Verfahrens, in dem die spätere Kostentragungspflicht noch offen ist, von diesen Angaben erfahrungsgemäß größere Objektivität erwartet werden kann, als zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kostentragungspflicht bereits feststeht (BGH, Beschluss vom 08.10.2012 – X ZR 110/11, Rn. 10). Im vorliegenden Fall hat der Verfügungskläger in der Antragsschrift einen Streitwert für das Verfügungsverfahren in Höhe von 16.000,00 € vorgeschlagen und vorgetragen, dass sich der Streitwert für den im Hauptsacheverfahren durchzusetzenden Anspruch auf Wiederherstellung des Nutzerkontos auf 20.000,00 € belaufe.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Marktmacht, die Reichweite und der potenzielle Empfängerkreis des sozialen Netzwerks der Verfügungsbeklagten erheblich sind. Das von ihr betriebene Netzwerk kann daher nicht einschränkungslos durch andere Kommunikationsformen ersetzt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26.11.2020 – III ZR 124/20, Rn. 10).

Andererseits ist zu beachten, dass die mit der Profillöschung verbundene Einschränkung der Kommunikationsfreiheit des Verfügungsklägers auf der Plattform der Verfügungsbeklagten beschränkt war. Der Verfügungskläger konnte weiterhin über andere Internet-Plattformen, E-Mails und alle anderen Medienarten kommunizieren (vgl. BGH, Beschluss vom 26.11.2020 – III ZR 124/20, Rn. 10).

Die Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung, die der Antragsteller mit dem vorliegenden Verfügungsverfahren zu verhindern sucht, kann bei der Bemessung des Streitwerts ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden. Daher ist eine Erhöhung gegenüber dem Ansatz mit 2.500,00 €, der bei einer dreißigtägigen Kontosperrung durch den Bundesgerichtshof angenommen wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 26.11.2020 – III ZR 124/20, Rn. 11) geboten. Jedoch kann dieser Betrag dann, wenn eine längere oder mehrfache Sperre des Benutzerkontos im Raum steht, nicht einfach mit der Anzahl bzw. Dauer der betroffenen Monate multipliziert werden, weil sich auf diesem Wege Werte errechnen würden, die erkennbar das Interesse des betroffenen Nutzers und die Bedeutung der Sache übersteigen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2021 – III ZR 156/20, Rn. 13).

Schließlich ist in die Ermessensentscheidung einzubeziehen, dass der Bundesgerichtshof in einem nicht weiter begründeten Beschluss vom 27.01.2022 den Streitwert in einem Verfahren – dem ebenfalls das Begehren eines privaten Nutzers zugrunde lag, ein gesperrtes Konto wieder freizuschalten – auf 10.000,00 € festsetzte (BGH, Beschluss vom 27.01.2022 – III ZR 4/21; zum Urteil vom 27.01.2022 – III ZR 4/21 – Klarnamenpflicht). Zwar hatte der Bundesgerichtshof in diesem Verfahren darüber zu entscheiden, ob die dortige Beschwerdeführerin verpflichtet ist, dem Nutzer Zugang zu seinem Nutzerkonto nur unter der Bedingung zu gewähren, dass dieser seinen Profilnamen in seinen wahren Namen ändert. Dies ist mit der hier vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar, weil eine entsprechende Grundbedingung zur Anmeldung mit dem Klarnamen auch Auswirkungen für den Fall einer späteren Neuanmeldung des Nutzers hat, während bei einem Streit um eine Deaktivierung eines konkreten Kontos wegen Veröffentlichung unzulässiger Inhalte eine Wieder-/Neuanmeldung jedenfalls nach einem gewissen Zeitablauf keineswegs ausgeschlossen erscheint. Eine gewisse Vergleichbarkeit mit dem im hiesigen Verfahren zugrundeliegenden Interesse der Klagepartei ist jedoch nicht von der Hand zu weisen.

c) Im Ergebnis führen all diese Erwägungen dazu, dass das Interesse, einen endgültigen Ausschluss von der Nutzung des sozialen Mediums oder deren dauerhafte Fortsetzung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht zu verhindern, bei einem Verbraucher typischerweise mit einer Verdoppelung des Regelstreitwerts von 5.000,00 € – somit mit insgesamt 10.000,00 € – zu bewerten ist. Sollte sich aus vorangegangenen Entscheidungen etwas anderes ergeben, hält der Senat daran nicht mehr fest.

Aus den dargestellten Erwägungen kann sich der Senat jedoch den Vorstellungen des Verfügungsklägers, den Hauptsachestreitwert auf 20.000,00 € festzusetzen, nicht anschließen. Dieser Betrag läge auch weit über dem Betrag, mit dem der zusätzliche Aufwand bei der Kommunikation mit anderen Menschen über andere Medien zu bewerten wäre, und stünde außerdem außer Verhältnis zu den Ansätzen, die bei der Verletzung von Persönlichkeitsinteressen üblicherweise als angemessen betrachtet werden.

Umstände, die Anlass zu einer abweichenden Bewertung geben könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere nutzt der Verfügungskläger das Konto nicht für berufliche oder gewerbliche Zwecke.

2. Für das im hiesigen Verfügungsverfahren streitgegenständliche Interesse des Verfügungsklägers an der vorläufigen Datensicherung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hält der Senat ebenfalls einen Streitwert in Höhe von 10.000,00 € für angemessen.

a) Zwar liegt in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Streitwert regelmäßig unter demjenigen des Hauptsacheverfahrens (vgl. § 51 Abs. 4 GKG), wobei nach der Rechtsauffassung des Senats ein Abschlag von ca. 1/3 des Hauptsachestreitwerts vorzunehmen ist. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Ob und in welchem Umfang bei Verfügungsverfahren ein Abschlag gegenüber dem für die Hauptsache anzusetzenden Streitwert vorzunehmen ist, hängt vielmehr maßgeblich vom Sicherungsinteresse und der Vorläufigkeit der Regelung ab (Wöstmann, in MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 3 ZPO Rn. 69; Heinrich, in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 3 Rn. 26). So kann beispielsweise, wenn das Verfügungsverfahren tatsächlich zu einer endgültigen Erledigung des Streits führt oder mit hoher Wahrscheinlichkeit führen wird, annähernd der gleiche Streitwert wie im Hauptsacheverfahren gelten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.08.2016 – 4 W 62/16, Rn. 2).

b) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs nimmt der Senat bei der Streitwertfestsetzung im vorliegenden Fall ausnahmsweise keinen Abschlag vom Hauptsachestreitwert vor.

Zwar ist die begehrte Maßnahme der Datensicherung von vornherein vorläufiger und vorübergehender Art, weil sie ausdrücklich nur für den Zeitraum bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens gelten soll. Auf der anderen Seite geht jedoch nach dem – für die Streitwertbemessung maßgeblichen – Vortrag des Verfügungsklägers die Praxis der Verfügungsbeklagten dahin, die Konten und Daten der Nutzer nach einer bestimmten Frist vollständig und unwiederbringlich zu löschen. Der Erfolg des auf Aufhebung der Deaktivierung gerichteten Hauptsacheverfahrens hängt daher unter Zugrundelegung des Verfügungsklägervortrags entscheidend davon ab, dass die begehrte Anordnung getroffen wird. Andernfalls könnte nämlich der Nutzer selbst dann, wenn sich die Deaktivierung durch die Verfügungsbeklagte als rechtswidrig erweisen würde, sein unmittelbares Ziel – die Wiederherstellung und Weiternutzung seines Nutzerkontos einschließlich aller zuvor vorhandenen Daten und Posts – aus tatsächlichen Gründen nicht mehr erreichen, so dass die Verwirklichung seiner Rechte am Unmöglichkeitseinwand scheitern würde. Der dem Nutzer an sich zustehende monetäre Schadensersatz wäre regelmäßig nicht geeignet, sein auf Naturalleistung gerichtetes Ziel zu kompensieren.

Das Interesse des Verfügungsklägers, den Lauf der Dinge aufzuhalten und sich so einen Erfolg des Hauptsacheverfahrens zu sichern, ist daher letztlich mit dem Interesse am Obsiegen in der Hauptsache gleichzusetzen. Zwar kann der Nutzer durch die Sicherung noch nichts endgültig und dauerhaft gewinnen, doch steht und fällt der in der Hauptsache erstrebte Erfolg mit ihr. Dies rechtfertigt es, von dem Abschlag gegenüber dem Hauptsachestreitwert abzusehen.

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