Kein Unterlassungsanspruch wegen dynamischer Einbindung von Google-Fonts

15. Mai 2023
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Untereinandergereihte Auflistung von IP-Adressen. Urteil des LG Müchen I vom 30.03.2023, Az.: 4 O 13063/22

Die dynamische Einbindung von Google-Fonts verletzt nur dann das informationelle Selbstbestimmungsrecht, wenn eine tatsächliche persönliche Betroffenheit gegeben ist. Die Webseite muss persönlich aufgerufen worden sein, um persönlich eine Verärgerung bzw. Verunsicherung wegen der Übertragung der IP-Adresse in die USA verspüren zu können. Auch erforderlich für einen Schmerzensgeldanspruch ist zumindest, dass der Betroffene wusste, dass die IP-Adresse übertragen wird, da dieser sonst überhaupt keine Angstgefühle diesbezüglich verspüren konnte.

Landgericht München I

Urteil vom 30.03.2023

Az.: 4 O 13063/22

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte keinen Anspruch gegen den Kläger auf Unterlassung des Einbindens von Google-Schriftarten auf der Website…at, wie behauptet mit Schreiben des Beklagten an den Kläger vom 20.10.2022.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte keinen Anspruch gegen den Kläger auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aufgrund des Einbindens von Google-Schriftarten auf der Website… hat, wie behauptet mit Schreiben des Beklagten an den Kläger vom 20.10.2022.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer 3 für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wege einer negativen Feststellungsklage über einen Unterlassungsanspruch des Beklagten gegen den Kläger wegen der Einbindung sog. Google-Fonts sowie weitere Ansprüche.
… eine Internetpräsenz. Auf dieser Website waren bis in den Oktober 2022 von der Fa. Google bereitgestellte Schriftarten, sog. Fonts, dergestalt „dynamisch“ eingebunden, dass bei einem Besuch der Website die IP-Adresse des Besuchers an die Fa. Google in die USA übermittelt wurde. Dies beruht auf einem Angebot der Fa. Google an die Betreiber von Websites in Form der Bereitstellung sog. Google-Fonts mit dynamischer Einbindung. In technischer Hinsicht wäre es auch möglich gewesen, die Google-Fonts lokal einzubinden, so dass bei einem Aufruf der Website die IP-Adresse des Besuchers nicht an die Fa. Google in die USA übermittelt wurde.

Der Beklagte setzte ein automatisiertes System, einen sog. „Crawler“ ein, um Websites zu ermitteln, auf welchen eine dynamische Einbindung von Google-Fonts programmiert war. In einer zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen, jedenfalls aber mindestens höheren zweistelligen Zahl an Fällen (vgl. die seitens des Klägers eingereichten Aufstellungen zu Abmahnfällen des Beklagten; im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 09.03.2023 sprach der informatorisch angehörte Prozessbevollmächtigte des Klägers von einer niedrigen sechsstelligen Zahl), ließ der Beklagte sodann durch R.

„Abmahnschreiben“ an die Betreiber entsprechender Websites mit dynamischer Einbindung von Google-Fonts verschicken.

Unter dem 20.10.2022 verschickte R. „namens und im Auftrag“ des Beklagten unter dem Titel „Persönlichkeitsrechtsverletzung Datenschutz Google Fonts, hier: Abmahnung“ ein Schreiben an den Kläger. In dem Schreiben heißt es zunächst:

„Unsere Mandantschaft ist Teil der Interessensgemeinschaft Datenschutz; kurz: IG Datenschutz (www.igdatenschutz.de). Die IG Datenschutz hat sich der Verteidigung und Durchsetzung des Datenschutzes auf zivilrechtlichem Weg verschrieben. Der IG Datenschutz ist aufgefallen, dass Sie auf Ihrer Webseite Google Fonts verwenden. Google Fonts ist auf Ihrer Webseite derart installiert, dass u.a. die IP-Adresse des Besuchers Ihrer Webseite an Google in den USA weitergeleitet wird. Dieser Vorgang wurde auf Bitten unserer Mandantschaft mit ihrer IP-Adresse technisch, wie anliegend dargestellt, gesichert, wobei sich die Weiterleitung an Google aus dem hervorgehobenen Link bestätigt.“

Nach Rechtsausführungen, dass die unerlaubte Weitergabe der IP-Adresse eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstelle, wird weiter ausgeführt was folgt:

„Aufgrund des Verstoßes hat unsere Mandantschaft gegen Sie u.a. einen Anspruch auf Unterlassung. Deutsche Gerichte haben in den letzten zwei Jahren Betroffenen von unterschiedlichsten Datenschutzverstößen Schmerzensgelder in einer Breite bis zu einem Maximum von 2.500,00 € zugesprochen (beispielhaft LG München I, Urteil vom 09.12.2021 – 31 O 16606/20 (2.500,00 €); LAG Hamm, Urteil vom 14.12.2021 – 17 Sa 1185/20 (2.000,00 €); LAG Hannover, Urteil vom 22.10.2021 – 16 Sa 761/20 (1.250,00 €); LG Lüneburg, Urteil vom 14.07.2020 – 9 O 145/19 (1.000,00 €), AG Hildesheim, Urteil vom 05.10.2020 – 43 C 145/19 (800,00 €); AG Pfaffenhofen/Ilm, Urteil vom 09.09.2021 – 2 C 133/21 (300,00 €); LAG Köln, Urteil vom 14.09.2020 – 2 Sa 358/20 (300,00 €); LG München, Urteil vom 20.01.2022 – 3 O 17493/29 (100,00 €).

Unsere Mandantschaft ist im Falle der unverzüglichen Beendigung des Verstoßes und Zahlung eines Betrags in Höhe von

170,00 €

auf unser Treuhand-Mandanten-Konto bei der […] bis zum

03.11.2022

bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Geldempfangsvollmacht liegt, wie beigefügt, vor.“
Nach der Anlage zum Schreiben erfolgte der Besuch der Website des Klägers am 17.09.2022.

Hinsichtlich des genauen Inhalts des Schreibens wird auf die Anlage K1 verwiesen.
Der Kläger änderte mittlerweile die Art der Einbindung von Google-Fonts auf seiner Website.
Der Kläger bringt vor, der Beklagte betreibe die „bislang gewaltigste Abmahnwelle“ in Deutschland. Er lasse durch Rechtsanwalt … automatisiert Abmahnschreiben im sechs- oder sogar siebenstelligen Bereich seit Spätsommer 2022 versenden. In den Schreiben werde behauptet, der Beklagte habe die jeweilige Website des Abgemahnten besucht und der Beklagte fühle sich deshalb in seinen Rechten verletzt. Tatsächlich habe der Beklagte aber persönlich keine Websites aufgesucht und könne daher auch keinerlei persönliche Betroffenheit gespürt haben. Schon die von RA … vergebenen Aktenzeichen zeigten, dass die Zahl der versendeten Abmahnschreiben bereits in den sechs- oder siebenstelligen Bereich ginge. Auch würde die Versendung der Abmahnschreiben automatisiert erfolgen. Fehler bei den Abmahnungen wie das Abmahnen von Website-Betreibern, deren dynamische Einbindung von Google-Fonts gar nicht aktiv gewesen seien oder die andere Fonts verwendeten, zeigten, dass tatsächlich überhaupt keine händische Prüfung der Vorgänge stattfinde.

Der Kläger ist der Rechtsansicht, mit dem „Abmahnschreiben“ begehe der Beklagte eine strafrechtlich relevante Täuschungshandlung. Der Beklagte suggeriere in den Abmahnschreiben, dass er die jeweilige Website persönlich aufgesucht habe. Die in den Abmahnschreiben angeführten Ansprüche bestünden allesamt nicht. Der Beklagte habe mangels Rechtsverletzung keinen Unterlassungsanspruch gegen den Kläger aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGD sowie Art. 82 DS-GVO oder auf anderer Rechtsgrundlage. Bei Einsatz eines Crawlers könne keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegen.

Der Kläger beantragt:

I. Es wird festgestellt, dass der Beklagte keinen Anspruch gegen den Kläger auf Unterlassung des Einbindens von Google-Schriftarten auf die Website … hat, wie behauptet mit Abmahnschreiben vom 20.10.2022.

II. Es wird festgestellt, dass der Beklagte keinen Anspruch gegen den Kläger auf Zahlung eines imaginären Schmerzensgeldes aufgrund des Einbindens von Google-Schriftarten auf die Website … hat, wie behauptet mit Abmahnschreiben vom 20.10.2022.

Der Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Der Beklagte bringt vor, sein Hauptinteresse bei den Abmahnungen sei es gewesen, Aufmerksamkeit für das Thema Google-Fonts zu bewirken. Nur mittels Informationsschreiben ohne jegliche Konsequenz sei dies nicht möglich gewesen. Der durch die Nutzung von Google-Fonts unter Teilnahme des Klägers geschaffene Angstraum Internet erzeuge bei ihm Schmerzen.

Der Beklagte trägt weiter vor, er habe nicht die Zahlung von 170 € gefordert, sondern den Abgemahnten ein im Zweifel verhandelbares Vergleichsangebot unterbreitet. Der eingesetzte Webcrawler sei auf einen Laptop von ihm eingerichtet worden, die genutzte IP-Adresse sei die ihm vom Provider dynamisch zugeordnete IP-Adresse.

Der Beklagte ist der Rechtsauffassung, der Kläger übersehe bereits, dass er nicht jegliche Einbindung von Fonts angegangen sei, sondern nur eine Einbindung unter Weiterleitung seiner IP-Adresse zu Google in die USA. Es liege auch keine Provokation seinerseits vor, weil die Website gerade vor dem Besuch und der Abmahnung eben nicht datenschutzkonform gewesen sei. Auch sei sein Handeln nicht rechtsmissbräuchlich.

Der Kläger repliziert, der Beklagte könne die Zahl der Abmahnungen, welche er vortrage, nicht einfach bestreiten, sondern müsse dies ggf. qualifiziert bestreiten. Den Beklagten treffe eine sekundäre Darlegungslast. Die Abmahnungen seien vollautomatisch versendet worden. Es fehle bereits ein ausreichender Nachweis, dass überhaupt eine IP-Adresse des Beklagten in die USA übertragen worden sei.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 09.03.2023 hat das Gericht den Beklagten, vertreten durch dessen Prozessbevollmächtigten, informatorisch angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der informatorischen Anhörung wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 09.03.2023 verwiesen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 09.03.2023.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

A.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere besteht das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) für die begehrten Feststellungen, dass dem Beklagten keine Ansprüche gegen den Kläger zustünden.
Der Beklagte berühmt sich in dem Schreiben vom 20.10.2022 eines Anspruchs gegen den Kläger auf Unterlassung. Das Angebot des Beklagten, „Ansprüche“ nicht weiter zu verfolgen, wenn der Kläger zu einer Vergleichszahlung von 170 € bereit sei, nach Rechtsausführungen dazu, dass wegen Datenschutzverstößen deutsche Gerichte in den letzten Jahren Schmerzensgelder bis zu 2.500 € zugesprochen hätten, ist nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) dahingehend zu verstehen, dass der Beklagte auch einen bestehenden eigenen entsprechenden Schmerzensgeldanspruch behauptet. Das von einem Rechtsanwalt formulierte Schreiben ist bewusst so formuliert, dass bei einem durchschnittlichen Leser der Eindruck erweckt wird, es bestehe auch im Fall des Beklagten ein Zahlungsanspruch, dessen Höhe zwischen 100 € und 2.500 € liegen könne. Auch wenn nicht unmittelbar angekündigt wird, bei Nichtzahlung der 170 € einen Unterlassungsanspruch und einen Schmerzensgeldanspruch gerichtlich geltend zu machen, ist die gesamte Aufmachung des Schreibens – von einem Rechtsanwalt versendet, Bezeichnung als Abmahnschreiben, Verweis auf ergangene Rechtsprechung, Nennung eines konkreten Zahlungsbetrags – geeignet, beim Empfänger den Eindruck zu erwecken, der Beklagte sehe einen Unterlassungs- und Schmerzensgeldanspruch seinerseits, dessen Durchsetzung auch drohe. Genau diese Drohungswirkung ist nach Auffassung des Gerichts seitens des Beklagten auch beabsichtigt gewesen.

Unerheblich für die Frage eines Berühmens des Beklagten hinsichtlich der gegenständlichen Ansprüche ist die Tatsache, dass die versendete „Abmahnung“ nicht allen Anforderungen an ein Abmahnschreiben, welche durch die obergerichtliche Rechtsprechung aufgestellt wurden, genügt. Entscheidend für den vorliegenden Rechtsstreit ist die Frage, welchen Eindruck der Beklagte nach dem objektiven Empfängerhorizont bei den Adressaten seiner Schreiben erwirkte, nicht die Erfüllung von Anforderungen an Abmahnschreiben, um eine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten für diese zu erlangen. Insoweit wird in der Abmahnung Anlage K1 auch gar kein Ersatz gefordert.
Abweichend von der Rechtsauffassung des Beklagten geht das Gericht nicht davon aus, dass der Kläger mit dem Antragstenor – welchen das Gericht insoweit übernommen hat – jegliche Einbindung von Google-Fonts auf seiner Website als durch den Beklagten angegriffen erachtet. Aus der Abmahnung Anlage K1 geht eindeutig hervor, dass der Beklagte sich gerade gegen die dynamische Einbindung von Google-Fonts wendet und durch die Bezugnahme des Klägers auf das Schreiben vom 20.10.2022 im Antrag wird der Gegenstand der negativen Feststellungsklage hinreichend bestimmt.

B.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger kann Feststellung verlangen, dass der Beklagte gegen ihn keinen Unterlassungs- und Schmerzensgeldanspruch hat.

I. Der Beklagte hatte gegen den Kläger keinen Unterlassungsanspruch, so dass der Kläger auf Grund des Berühmens des Beklagten in dem Schreiben vom 20.10.2022 Feststellung des Nichtbestehens eines entsprechenden Unterlassungsanspruchs verlangen kann.

1. Es kann offenbleiben, ob die auf der Website des Klägers früher bestehende dynamische Einbindung von Google-Fonts gegen die DSGVO verstieß. Es muss auch nicht entschieden werden, ob bei Einsatz eines Webcrawlers, um Websites zu finden, auf denen Google-Fonts dynamisch eingebunden sind, eine Einwilligung des Verwenders des Webcrawlers in die Übermittlung seiner IP-Adresse in die USA anzunehmen sein könnte, gerade weil mit dem Webcrawler behauptete Verstöße gegen die DSGVO ermittelt und dokumentiert werden sollten.

2. Jedenfalls fehlt es an den Voraussetzungen des beklagtenseits berühmten (dazu s.o.) Unterlassungsanspruchs. In dem Schreiben vom 20.10.2022 behauptet der Beklagte eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Form des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB. Eine solche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt hier aber nicht vor.

a) Im Ausgangspunkt teilt das Gericht noch die Auffassung des Beklagten, dass wenn die dynamische Einbindung von Google-Fonts gegen die DSGVO verstößt und seine IP-Adresse ohne zwingenden technischen Grund und ohne Einwilligung seinerseits in die USA an die Fa. Google übertragen wird, dies eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts darstellen kann.

b) Allerdings setzt eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus, dass tatsächlich eine persönliche Betroffenheit gegeben ist. Nach den Ausführungen in den Schriftsätzen der Parteien sowie des weiteren Akteninhalts und der Erklärungen der Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass eine solche persönliche Betroffenheit hier nicht gegeben war. Es ist nicht davon auszugehen – und spätestens seit dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 09.03.2023 wohl auch unstreitig –, dass der Beklagte tatsächlich persönlich die Website des Klägers aufgesucht hat bzw. die Websites anderer Abgemahnter. Vielmehr wurde ein automatisiertes Programm (sog. Crawler) eingesetzt, um Websites aufzufinden, auf denen Google-Fonts dynamisch eingebunden waren. Bereits die Formulierung „dieser Vorgang wurde auf Bitten unserer Mandantschaft mit ihrer IP-Adresse technisch, wie anliegend dargestellt, gesichert“ ist insoweit nicht nachzuvollziehen. Was soll „gesichert“ genau bedeuten? Wurde jetzt ein Verstoß durch eine angeblich vom Kläger personenverschiedene „IG Datenschutz“ festgestellt und dann gezielt die Website ohne Mitwirkung des Beklagten unter Nutzung angeblich seiner IP-Adresse automatisiert aufgesucht? Oder stellte der Beklagte persönlich die dynamische Einbindung mit einem Crawler fest, jedoch ohne die Websites persönlich aufgesucht zu haben – letzteres wäre schon angesichts der Vielzahl an Seiten innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeiten nicht möglich gewesen. Unabhängig davon, welcher der genannten Varianten sich tatsächlich zutrug – die Angaben des Prozessbevollmächtigten des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 09.03.2023 insoweit ergaben für das Gericht keine Sicherheit, wer genau was machte –, fehlt es in allen Fällen an einer persönlichen Betroffenheit des Beklagten als Voraussetzung einer Verletzung seines informationellen Selbstbestimmungsrechts. Wer Websites gar nicht persönlich aufsucht, kann persönlich auch keine Verärgerung oder Verunsicherung über die Übertragung seiner IP-Adresse an die Fa. Google in den USA verspüren.

c) Selbst wenn jedoch angenommen würde, dass auch ein automatisierter Besuch einer Website, der zur Übertragung der IP-Adresse des Nutzers führt, grundsätzlich geeignet wäre, eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts zu begründen, so scheidet ein Unterlassungsanspruch des Beklagten gegen den Kläger unter dem Gesichtspunkt der Tatprovokation aus. Der mutmaßlich vom Beklagten eingesetzte Crawler sollte ja gerade Websites mit dynamischer Google-Fonts-Einbindung finden. Die Übertragung der IP-Adresse in die USA war dann auch zwingende Voraussetzung, um überhaupt einen Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Wer sich aber bewusst und gezielt in eine Situation begibt, in der ihm eine Persönlichkeitsrechtsverletzung droht, gerade um die Persönlichkeitsverletzung an sich zu erfahren, um sodann daraus Ansprüche zu begründen, ist nicht schutzbedürftig.

Die Situation insoweit ist auch nicht zu vergleichen mit der eines Testkaufs in lauterkeitsrechtlichen Fällen. Bei den Testkauffällen geht es darum, Wettbewerbsverstöße von Unternehmern an gutgläubigen Kunden zu dokumentieren. Der einzelne Testkäufer selber weiß von dem drohenden Wettbewerbsverstoß oder vermutet jedenfalls einen solchen. Er will diesen Verstoß selber aber nicht, sondern will gerade die Abstellung des wettbewerbswidrigen Verhaltens in der Zukunft. Selbst wenn man dem Beklagten zubilligen würde, auch ihm sei es darum gegangen, weitverbreitete Verstöße gegen die DSGVO bei der Einbindung von Google-Fonts zu dokumentieren, um damit andere Internetnutzer zu schützen, würde eine solche – vom Gericht ohnehin nicht gesehene – Haltung des Beklagten ihre Grenze jedenfalls darin finden, dass Ansprüche dann ausgeschlossen sind, wenn eindeutig vorrangiges Motiv eine Gewinnerzielung auf Grund entsprechender Datenschutzverstöße ist. Davon ist hier jedoch auszugehen. Bereits die Zahl der vom Kläger in den Falllisten dokumentierten Fälle ist hoch, wenngleich bei weitem nicht in einer sechs- oder siebenstelligen Fallzahl. Im Termin zur mündlichen Verhandlung gab der Prozessbevollmächtigte des Beklagten, der anstelle des geladenen, aber nicht persönlich erschienenen Beklagten informatorisch angehört wurde, an, die Zahl der Abmahnungen liege in einem niedrigen sechsstelligen Bereich. Dies würde also mindestens 100.000 Abmahnungen bedeuten. Die Versendung von mindestens 100.000 Abmahnschreiben durch einen Rechtsanwalt zu beauftragen und der Versand selber bedeutet aber erhebliche Aufwendungen, sowohl in zeitlicher als auch in finanzieller Hinsicht, jedenfalls dann, wenn diese Abmahnschreiben nicht völlig automatisiert erstellt und versendet werden. Das Gericht erachtet es für kaum denkbar, dass eine Privatperson nur aus Verärgerung über einen aus ihrer Sich: gegebenen und weit verbreiteten Datenschutzverstoß von Website-Betreibern den mit der Versendung von mindestens 100.00 Abmahnschreiben verbundenen Aufwand auf sich nehmen wird, nur um auf den von ihm gesehenen Missstand beim Datenschutz aufmerksam zu machen. Zudem hat der Beklagte an die Adressaten seiner „Abmahnungen“ nicht bloße Informationsschreiben versendet bzw. versenden lassen, sondern diese ausdrücklich als „Abmahnung“ bezeichnet. Die Schreiben wurden auch nicht durch den Beklagten persönlich versendet, sondern in seinem Namen durch Rechtsanwalt … Die gezielte Einschaltung eines Rechtsanwalts und die Bezeichnung als „Abmahnung“ sollte zur Überzeugung des Gerichts die Drohkulisse gegenüber den Empfängern der „Abmahnungen“ vergrößern. Zudem ist die fehlende Weiterverfolgung der behaupteten Ansprüche bei Gericht zu berücksichtigen. Anders als bei einem Testkauf in lauterkeitsrechtlichen Konstellationen geht das Gericht schon auf der Basis der eigenen Angaben des Beklagten davon aus, dass der Beklagte nie vorhatte, auch nur eine irgendwie nennenswerte Zahl an Fällen im Vergleich zur Zahl der Abmahnungen zu Gericht zu bringen. Hierfür hätte der Beklagte wegen des durch ihn zu leistenden Gerichtskostenvorschusses bereits erhebliche finanzielle Mittel aufbringen müssen, ohne dass zu erkennen ist, dass der Beklagte über solche als vormals gerichtlich bestellter Betreuer verfügen würde.

Die Tatsache, dass der Beklagte, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten die Frage des Gerichts nach den konkret aus der Versendung erzielten Einnahmen durch Zahlungen anderer Empfänger vergleichbarer Schreiben nicht beantworten wollte – dass er es nicht konnte ergibt sich aus der Angabe „Ich habe nur die Informationen der Staatsanwaltschaft“ eindeutig nicht –, belegt für das Gericht weiter, dass es dem Beklagten gerade darum ging, von den Abgemahnten die geforderten 170 € zu erhalten und daraus eine Einnahmequelle von nicht unerheblicher Bedeutung über einen nicht kurzen Zeitraum zu begründen. Zwar wird davon auszugehen sein, dass die große Mehrheit der angeschriebenen Website-Betreiber nicht gezahlt hat. Einzelne angeschriebene Personen haben offenbar die – aus Sicht des Gerichts durchaus geforderte – Summe von 170 € heruntergehandelt. Selbst wenn aber nur eine Zahl an Personen im einstelligen Prozentbereich der Angeschriebenen gezahlt hat, ergibt sich offensichtlich ein Betrag, der weit über das hinausgeht, was an Aufwendungen für die Programmierung des Webcrawlers, dessen technischen Betrieb und die Versendung von Abmahnschreiben aufgewendet wurde. Zudem wäre auch der Betrag von 340.000 €, welchen der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nannte (mit Unsicherheit nach oben), ein erheblicher Betrag im Vergleich zu den vermutlich für den Einsatz des Webcrawlers und der Abmahnungen angefallenen Kosten. Danach hätten ca. 2.000 Personen den geforderten Betrag bezahlt. Dies wären bei Annahme von 100.000 Abmahnungen (als Mindestmaß) 2 %, was nach Einschätzung des Gerichts aber zu niedrig gegriffen sein dürfte.

3. Soweit der Beklagte insbesondere im Schriftsatz vom 23.03.2023 umfangreich auf die Frage einer etwaigen Täuschung der von ihm angeschriebenen Personen eingeht, kommt es hierfür für das Gericht nicht an. Im vorliegenden Rechtsstreit braucht nicht entschieden zu werden, ob das Anschreiben einen strafbaren Betrugsversuch (bzw. im Falle einer Zahlung eines vollendeten Betrugs) darstellt. Über diese Frage hat die Staatsanwaltschaft in dem von ihr geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu entscheiden. Für die vorliegende zivilrechtliche Entscheidung, die sich darauf stützt, dass der Beklagte keinen Unterlassungs- bzw. Schadensersatzanspruch hat auf Grund einer nicht gegebenen persönlichen Betroffenheit sowie des Ausschlusses etwaig doch bestehender Ansprüche auf Grund von Rechtsmissbrauchs ist die Frage einer Täuschung irrelevant.

4. Ob der Beklagte aus anderen Gründen als der von ihm behaupteten Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Form des informationellen Selbstbestimmungsrechts einen Unterlassunganspruch gehabt hätte, etwa direkt aus der DSGVO oder in Verbindung mit § 1004 BGB, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Für die negative Feststellungsklage ist relevant, welchen Anspruchs der Beklagte sich berühmt. Dies ist hier ein Unterlassungsanspruch auf Grund der Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts, nicht auf anderer Rechtsgrundlage.
Allerdings würden auch gegenüber etwaigen Unterlassungsansprüchen gestützt auf die DSGVO oder diese in Verbindung mit § 1004 BGB die oben genannten Erwägungen zum Rechtsmissbrauch greifen.

II. Der Beklagte hatte gegen den Kläger auch keinen Schmerzensgeldanspruch, so dass der Kläger Festellung verlangen kann, dass der insoweit berühmte (siehe dazu oben) Anspruch nicht besteht.

1. Es fehlt bereits an den Voraussetzungen eines Anspruchs aus Art. 82 DSGVO. Dieser setzt einen, gegebenenfalls auch immateriellen, Schaden des Anspruchsstellers voraus. Ein solcher Schaden lag hier aber offensichtlich nicht vor. In der Rechtsprechung ist umstritten, inwieweit Angstgefühle oder Verunsicherung für sich genommen ausreichend sind, um einen Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO zu begründen. Auf diese Frage kommt es hier jedoch nicht an, weil der Beklagte tatsächlich solche Gefühle auf Grund des Einsatzes eines automatisierten Programms gar nicht gehabt haben kann: Wer gar nicht weiß, welche Websites „in seinem Namen“ besucht werden, kann sich überhaupt nicht individuell Gedanken dazu machen, dass ihm aus der Übertragung seiner IP-Adresse Unannehmlichkeiten entstehen könnten.

2. Im Übrigen wäre ein etwaig doch gegebenener Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO oder aus § 823 Abs. 1 BGB oder aus anderer Rechtgrundlage auch wegen Rechtsmissbrauch, § 242 BGB ausgeschlossen. Der Beklagte ließ gezielt durch den Crawler Websites aufsuchen, gerade um behauptete Verletzungen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu begründen. Es ist aber nicht Sinn und Zweck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Datenschutzvorgaben nach der DSGVO, Personen eine Erwerbsquelle zu verschaffen wegen behaupteter Verletzungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Wer einen Verstoß gegen sein Persönlichkeitsrecht gezielt provoziert, um daraus hernach Ansprüche zu begründen, verstößt gegen das Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens.

C.

Die Entscheidung über die Kosten erfolgte nach § 91 ZPO. Die geringfügige sprachliche Änderung in der Tenorierung gegenüber dem Antrag stellt keine teilweise Klageabweisung dar und wirkt sich daher für den Kläger auch nicht nachteilig bei den Kosten aus. Über die vorläufige Vollstreckbarkeit war nach § 709 ZPO zu entscheiden.

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