Top-Urteil

Keine Haftung für Filesharing-Verstöße bei alleiniger Vermittlung des Zugangs

11. Juli 2024
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Filesharing mit Kreide an Tafel geschrieben Urteil des AG Augsburg vom 21.05.2024,Az.: 20 C 3561/23

Der Inhaber eines Internetanschlusses, welcher den Gästen eines Beherbergungsbetriebs die Nutzung erlaubt, haftet nicht für Rechtsverletzungen der Gäste. Dieses Urteil vor dem Amtsgericht Augsburg wurde von unserer Kanzlei erstritten.

Amtsgericht Augsburg

Urteil vom 21.05.2024

Az.: 20 C 3561/23

 

Endurteil

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Beschluss

Der Streitwert wird auf 1.107,50 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz und vorprozessuale Rechtsanwaltskosten wegen der öffentlichen Zugänglichmachung des Spielfilms „Midway“ in einer sog. Filesharingbörse.

Die Klägerin beauftragte die Firma … GmbH mit der Ermittlung und Dokumentation etwaiger Urheberrechtsverletzungen hinsichtlich des streitgegenständlichen Werkes.

Die Firma teilte der Klägerin mit, dass das Filmwerk über die IP-Adresse … am 10.10.2020 um 05:13 Uhr durch einen Nutzer einer Tauschbörse zum Download angeboten worden sei.

Auf Grundlage eines Gestattungsbeschlusses des Landgerichts Köln erteilte der zuständige Internetdienstleister der Klägerin die Auskunft, dass die ermittelten IP-Adresse dem Internetanschluss des Beklagten zuzuordnen sei.

Mit Schreiben vom 09.11.2020 mahnte die Klägerin den Beklagten ab und forderte ihn zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf. Eine solche gab der Beklagte nicht ab.
Bei dem beauskunfteten Anschluss handelt es sich um den gewerblich genutzten Internetanschluss der … GmbH […], deren Geschäftsführer der Beklagte ist.

Die … GmbH betreibt an der o.g. Anschrift ein Beherbergungsgewerbe mit bis zu 16 Übernachtungsmöglichkeiten in möblierten Wohnungen.
Den Hotelgästen wird die Internetnutzung über den streitgegenständlichen Internetanschluss ermöglicht. Jeder Gast erhält bei Einzug kostenlos die Zugangsdaten für das WPA2-verschlüsselte WLAN-Netzwerk.

Der Beklagte hat für den maßgeblichen Zeitpunkt die jeweiligen Firmen benannt, welche Räume in der Unterkunft […] für ihre Handwerker angemietet hatten und die zugehörigen Rechnungen vorgelegt. Welche Mitarbeiter der Firmen die jeweiligen Zimmer tatsächlich bewohnt haben und welche von diesen Gästen das Internet genutzt haben, und wie, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Eine durchgängige Datenspeicherung wird aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht durchgeführt und ist melderechtlich auch nicht vorgeschrieben.
Die Klägerin behauptet Inhaberin der Nutzungs- und Auswertungsrechte insbesondere hinsichtlich der Internetrechte an dem streitgegenständlichen Spielfilm u.a. für das Gebiet Deutschland zu sein.
Der Beklagte habe als Störer für die über seinen Anschluss begangene Rechtsverletzung einzustehen.
Die Klägerin ist der Ansicht, § 8 TMG würde vorliegend bereits keine Anwendung finden, stünde einer Störerhaftung aber jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen.

 

Die Klägerin beantragt,

  1. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite einen angemessenen Schadenersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch insgesamt nicht weniger als EUR 1.000,00 betragen soll, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 08.02.2022,
  2. EUR 107,50 als Hauptforderung zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 08.02.2022, sowie
  3. EUR 107,50 als Nebenforderung zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 08.02.2022.

 

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Er ist der Auffassung, er habe seine sekundäre Darlegungslast erfüllt. Er sei bereits gemäß § 8 TMG nicht für Handlungen seiner Mieter verantwortlich. Jedenfalls habe er keine zumutbaren Prüfpflichten verletzt. Vor dem Tatzeitpunkt habe er keinerlei Hinweise auf etwaige Rechtsverletzungen seiner Mieter gehabt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die informatorischen Anhörung des Beklagten. Ergänzend wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Schadenersatz noch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten zu.
Auf die Fragen der Aktivlegitimation der Klägerin sowie der ordnungsgemäßen Ermittlung und Zuordnung der IP-Adresse kommt es im Ergebnis nicht an, da eine Haftung des Beklagten bereits aus anderen Gründen ausscheidet.

 

1. Selbst für den Fall, dass die streitgegenständliche Nutzungshandlung durch einen der Hotelgäste über den gewerblich genutzten Hotelanschluss des Beklagten vorgenommen wurde, ist der Beklagte von einer deliktischen Haftung – als Täter und als Teilnehmer – freigestellt, da die Privilegierung des § 8 Abs. 1 S. 1 TMG auf ihn Anwendung findet.
§ 8 TMG greift für Dienstanbieter, die für ihre Nutzer Zugang zu einem Kommunikationsnetz herstellen, vgl. § 2 Nr. 1 TMG. Der Beklagte, der sämtlichen Hotelgästen die Nutzung des WLAN-Netzwerkes anbietet und ihnen so den Zugang zum Internet vermittelt, gehört als sog. Access Provider hierzu, so auch AG Hamburg-Mitte, Urteil vom 10.06.2014 – Az 25b C 431/13; Mantz, GRUR-RR 2013, 497 m.w.N.; sowie Hoeren/Jakopp, ZPR 2014, 72 m.w.N.

Nach § 8 Abs. 1 S. 1 TMG sind Dienstanbieter für fremde Informationen, zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie die Übermittlung nicht veranlasst, den Adressaten der übermittelten Information nicht ausgewählt, die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben und nicht kollusiv mit dem Nutzer zusammengearbeitet haben.
Eine Haftungsprivilegierung scheidet auch nicht aus, weil es sich nicht um „fremde“ Informationen handelte. Das Gericht ist davon überzeugt, dass es sich hier um fremde Informationen handelt. Das Gericht hat hierzu den Beklagten informatorisch angehört. Er hat glaubhaft ausgeführt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Anschluss um den rein gewerblichen Anschluss ausschließlich für die Hotelgäste in Gersthofen handelt. Dementsprechend konnte der Beklagte insoweit den entsprechenden Beweis führen. Im Übrigen ist auch die tatsächliche Vermutung für die persönliche Verantwortlichkeit des Beklagten widerlegt (siehe unten), weshalb die Privilegierung nicht von vorneherein ausscheidet.

 

2. Ob § 8 TMG Anwendungsvorrang vor den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast und der Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers zu gewähren ist, kann dahinstehen. Sinn und Zweck der Norm spricht dafür, da Beherbergungsbetriebe anderenfalls ihre sekundäre Darlegungslast erfahrungsgemäß – ggf. schon aus datenschutzrechtlichen Gründen – wohl nie erfüllen könnten.

Jedenfalls aber hat der Beklagte hier seine sekundäre Darlegungslast erfüllt. Selbstverständlich kann im vorliegenden Fall keine schematische Anwendung der vom Bundesgerichtshof in Einzelfallentscheidungen zu privaten Anschlussinhabern aufgestellten Kriterien stattfinden. Dass die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Beklagten lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den an die Erfüllung der sekundären Darlegungslast zu stellenden Anforderungen nicht gerecht wird, ist nachvollziehbar, kann hier aber – anders als die Klägerin es sich vorstellt – nicht der Maßstab sein; denn die ca. 20 Handwerker lebten gerade nicht im Haushalt des Beklagten, sondern in einer von ihm gewerblich betriebenen Herberge. Der Beklagte wohnt(e) nicht am Ort des Anschlusses, die von ihm geführte Firma betreibt dort ein gewerbliches WLAN-Netzwerk für einen Beherbergungsbetrieb. Der Beklagte hat vorgetragen, dass andere Personen selbständigen Zugang zu diesem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Er hat auch im Rahmen des für ihn Zumutbaren mitgeteilt, welche Firmen die gewerblichen Zimmer im Zeitpunkt der Rechtsverletzung angemietet haben. Welche konkreten Mitarbeiter dieser Firmen die Zimmer bewohnt haben, war ihm jedoch nicht bekannt. Es wurden auch keine früheren Rechtsverletzungen durch Gäste vorgetragen, so dass für ihn auch kein Anlass bestand – soweit rechtlich überhaupt zulässig – die Namen der einzelnen Bewohner zu erfassen.

Der Beklagte führte im Rahmen seiner informatorischen Anhörung auch glaubhaft zum Beherbergungsbetrieb und der Belegung der Pension und seinem Wohnort im relevanten Zeitraum aus. Das Gericht hielt die Angaben des Beklagten auch insoweit für glaubhaft und den Beklagten für glaubwürdig. Der Beklagte gab weiter an, den Hotelgästen sei im maßgeblichen Zeitraum die Internetnutzung über den streitgegenständlichen Internetanschluss ermöglicht worden. Jeder Gast erhalte bei Einzug kostenlos die Zugangsdaten für das WPA2-verschlüsselte WLAN-Netzwerk.
Der Beklagte hat damit einen ernsthaften konkreten alternativen Geschehensablauf plausibel geschildert: Im Zeitpunkt der Rechtsverletzung waren Hotelgäste anwesend, welche allesamt die Gelegenheit hatten und damit ernsthaft in Betracht kommen, diese als Alleintäter begangen zu haben. Dass er keine bestimmte Person benennen konnte, liegt in den ausführlich dargelegten Umständen und ist dementsprechend – anders als hinsichtlich seines privaten Anschlusses zuhause – unschädlich. Dass der Beklagte die ihm namentlich nicht bekannten ausländischen Handwerker nicht zur Rechtsverletzung befragen konnte, liegt ebenfalls in der Natur der Sache.
Eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers ist damit nicht begründet.

 

3. Der Beklagte haftet auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung, da er keine ihm mögliche und zumutbare Prüf- und Überwachungspflichten verletzt hat.
Etwaige Sicherungspflichten sind erst ab Kenntnis von der konkreten Rechtsverletzung und für die Zukunft zu ergreifen, um gleichartige Rechtsverletzungen zu verhindern. Wobei es hinsichtlich der Gleichartigkeit zwar nicht auf die Person desjenigen ankommt, der den Verletzungstatbestand erfüllt, sich die Verletzungshandlung aber auf das konkret urheberrechtlich geschützte Werk beziehen muss (BGH, Urt. v. 12.7.2012 – I ZR 18/11, CR 2013, 190 m. Anm. Tinnefeld).

Eine Störerhaftung scheitert bereits daran, dass vorliegend keinerlei vorangegangene, ähnlich gelagerte Rechtsverletzungen über den Hotelanschluss vorgetragen worden.
Eine Inanspruchnahme des Beklagten als Störer scheitert weiter an der mangelnden Zumutbarkeit weiterer Maßnahmen. Die von ihm bereits ergriffenen Maßnahmen sind hinreichend. Der Beklagte betreibt kein ungesichertes WLAN-Netzwerk.
Hinweispflichten sind aus Sicht des Gerichts nicht erforderlich. Fraglich dürfte ohnehin sein, ob ein Hotelbetreiber grundsätzlich verpflichtet ist, Belehrungen zu erteilen. Bei „klassischen“ Access Provider werden Hinweise und Belehrungen grundsätzlich nicht gefordert (vgl. Mantz, GRUR-RR 2013, 497). Auch ein Hotelbetreiber kann grundsätzlich so gut wie keinen Einfluss auf seine – eigenverantwortlich handelnden – Gäste nehmen.

Dem Beklagten ist es selbstverständlich nicht – wie von der Klägerin ernsthaft vorgetragen – zumutbar, erst gar keinen Internetanschluss vorzuhalten und seine Gäste auf deren eigenen Mobilfunkvertrag zu verweisen. Denn dem Beklagten, der aus wirtschaftlichen Gründen darauf angewiesen ist, seinen Hotelgästen eine störungsfreie Internetnutzung zu ermöglichen, dürfen keine Maßnahmen auferlegt werden, die sein Geschäftsmodell wirtschaftlich gefährden könnten (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.2012 – I ZR 18/11, CR 2013, 190 m. Anm. Tinnefeld). Der Beklagte hat substantiiert dargelegt, dass es bei Einschränkungen der Internetnutzung nicht auszuschließen ist, dass er seine Hauptkunden verliert und er damit in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist.
Maßnahmen, die die streitgegenständliche Rechtsverletzung hätten verhindern können und gleichzeitig sämtlichen genannten Voraussetzungen gerecht werden, hat die Klägerin nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.

 

II.

Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu, da es, wie dargelegt, bereits an einer grundsätzlichen Haftung des Beklagten fehlt.

 

III.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

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