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Keine Mitwirkungsverpflichtung bei Zustellung von Anwalt zu Anwalt

19. November 2015
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Zwei Rechtsanwälte im Gespräch Urteil des BGH vom 26.10.2015, Az.: AnwSt (R) 4/15

Ein Rechtsanwalt kann nach § 195 ZPO nicht zur Annahme eines anwaltlichen Schreibens der Gegenseite, sowie zur Unterzeichnung der entsprechenden Empfangsbekenntnis verpflichtet werden. Zwar besteht in § 14 BORA (Berufsordnung Rechtsanwälte) eine berufsrechtliche Verpflichtung zur Annahme der zuzustellenen Schriftstücke, diese kann jedoch nur soweit reichen wie die zur Festlegung der BORA zuständige Satzungsversammlung ermächtigt wurde. Diese kann nach § 59 b II Nr. 6 b BRAO besondere Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden regeln, eine Verpflichtung gegenüber anderen Rechtsanwälten kann daraus jedoch nicht hergeleitet werden.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 26.10.2015

Az.: AnwSt (R) 4/15

Der Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Oktober 2015,

für Recht erkannt:

Die Revision der Generalstaatsanwaltschaft Hamm gegen das Urteil des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7. November 2014 wird verworfen.
Die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Rechtsanwalt hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Entscheidungsgründe

Das Anwaltsgericht hat den Rechtsanwalt vom Vorwurf einer Berufspflichtverletzung wegen Verweigerung der Mitwirkung an einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat der Anwaltsgerichtshof verworfen und die Revision zugelassen. Die auf die Sachbeschwerde gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Generalstaatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

1. Der Anwaltsgerichtshof hat Folgendes festgestellt:

Der Rechtsanwalt vertrat eine Verfügungsbeklagte in einem wettbewerbsrechtlichen Eilverfahren. Das Landgericht gab dem Verfügungsantrag mit Urteil vom 5. Juni 2012 statt. Die vollziehbare Ausfertigung des Urteils ging am 4. Juli 2012 beim Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin ein. Dieser übermittelte dem Rechtsanwalt das am 5. Juli 2012 zur Wahrung der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO im Parteibetrieb das Urteil gegen Empfangsbekenntnis.

Der Rechtsanwalt war unsicher, ob er das Empfangsbekenntnis erteilen dürfe. Entsprechend dem von ihm eingeholten Rat der Rechtsanwaltskammer klärte er seinen Mandanten darüber auf, dass ihm bei Erteilung des Empfangsbekenntnisses die Zahlung von rund 6.000 € drohe, und erläuterte die berufsrechtliche Situation. Der Mandant wies ihn an, an der Zustellung nicht mitzuwirken. Dieser Anweisung folgend verweigerte der Rechtsanwalt die Annahme des Schriftstücks und die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses. Der gegnerische Prozessbevollmächtigte konnte daher das Urteil nicht mehr fristgerecht vollziehen und verzichtete auf die daraus herrührenden Rechte.

Das anwaltsgerichtliche Verfahren wurde auf Antrag des Rechtsanwalts selbst eingeleitet. Der Rechtsanwalt verfolgte das Anliegen, sich vom „Vorwurf einer Berufspflichtverletzung zu reinigen“. Die Rechtsanwaltskammer D. hatte zuvor einem Antrag des Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin nicht entsprochen, berufsrechtliche Maßnahmen gegen den Rechtsanwalt zu ergreifen.

2. Der Freispruch vom Vorwurf einer Berufspflichtverletzung gemäß § 113 Abs. 1 BRAO i.V.m. § 14 Satz 1 BORA hält rechtlicher Überprüfung stand. Zutreffend hat der Anwaltsgerichtshof die Auffassung vertreten, dass der Rechtsanwalt durch die Verweigerung der Ausstellung des Empfangsbekenntnisses keine ahndbare Berufspflichtverletzung begangen hat.

a) Nach soweit ersichtlich allgemeiner Ansicht im Schrifttum beansprucht allerdings die in § 14 Satz 1 BORA bezeichnete Pflicht zur Annahme des zuzustellenden Schriftstücks und zur unverzüglichen Erteilung des Empfangsbekenntnisses für alle ordnungsgemäßen Zustellungen Geltung, bezieht mithin Zustellungen von Anwalt zu Anwalt gemäß § 195 ZPO ein (vgl. Böhnlein in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 14 BORA Rn. 1; Prütting in Henssler/ Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 14 BORA Rn. 3; Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 14 BORA/§ 43 BRAO Rn. 1 f.; Scharmer in Hartung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl., § 14 BORA Rn. 11). Dies folgt aus dem insoweit keine Einschränkung enthaltenden Wortlaut der Vorschrift und entspricht dem Willen der Satzungsgeberin, der auch in der systematischen Stellung der Norm im Dritten Abschnitt der Berufsordnung („Besondere Berufspflichten bei der Annahme, Wahrnehmung und Beendigung des Mandats“), nicht also in deren Viertem Abschnitt („Besondere Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden“) zum Ausdruck kommt (vgl. Steiner, BRAK-Mitt. 2014, 294, 296 mwN). Die Satzungsversammlung hat in § 14 BORA die vormals in §§ 12, 27 der Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts getrennt normierten Berufspflichten bei Zustellungen in einer Regelung zusammengefasst (vgl. Zuck, aaO, § 14 BORA Rn. 2; Steiner, aaO).

b) § 59b Abs. 2 BRAO enthält jedoch keine den Grundsätzen des Vorbehalts sowie des Vorrangs des Gesetzes genügende Ermächtigungsgrundlage für die Schaffung einer Berufspflicht des Rechtsanwalts, an einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt mitzuwirken.

aa) Entgegen der im Schrifttum ganz herrschenden Meinung (vgl. Böhnlein aaO § 14 BORA Rn. 1; Prütting aaO § 14 BORA Rn. 1; Zuck aaO § 14 BORA Rn. 1; Scharmer aaO § 14 BORA Rn. 3; Steiner aaO S. 297) ist die erforderliche Ermächtigung nicht in § 59b Abs. 2 Nr. 6 Buchst. b BRAO zu finden. Die Vorschrift regelt ausweislich ihrer Eingangsformel „die besonderen Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden“, zu denen der gegnerische Anwalt nicht gehört. Der Anwalt tritt im Rahmen des § 195 ZPO auch nicht etwa als deren „verlängerter Arm“ an die Stelle des Gerichts oder einer Behörde. Zweck des § 195 ZPO ist es, für Parteierklärungen eine vereinfachte, zeitsparende und kostengünstige Form der Zustellung zu ermöglichen (vgl. z.B. Zöller/ Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 195 Rn. 1). Die Zustellung ist dem Rechtsanwalt als unabhängigem Organ der Rechtspflege anvertraut (vgl. MünchKomm ZPO/Häublein, 4. Aufl., § 195 Rn. 1). Er wird dadurch aber nicht zum Sachwalter eines Gerichts oder einer Behörde. Vielmehr bleibt er Vertreter seiner Partei (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 1959 – VIII ZR 111/58, BGHZ 30, 299, 305).

Teilweise wird geltend gemacht, es habe bei Schaffung des § 59b BRAO ein Wille des für das Berufsrecht der Rechtsanwälte innerhalb der Bundesregierung federführenden Bundesministeriums der Justiz (dazu Steiner aaO S. 297 mwN) und dem folgend des Gesetzgebers bestanden, eine auf Mitwirkung bei sämtlichen Zustellungen zielende Berufspflicht auf § 59b Abs. 2 Nr. 6 Buchst. b BRAO zu stützen. Abgesehen davon, dass sich der Gesetzesbegründung hierzu nichts entnehmen lässt (vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drucks. 12/4993, S. 35), hätte ein solcher Wille indessen im Gesetz keinen Niederschlag gefunden. Denn der Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist nach dem Wortlaut und Wortsinn ihrer Eingangsformel eindeutig auf gerichtliche und behördliche Zustellungen beschränkt. Die Regelung könnte deshalb nicht durch Gesetzesinterpretation im Sinne eines so gearteten etwaigen Willens des historischen Gesetzgebers korrigierend erweitert werden.

bb) Auch die die kollegialen Pflichten der Rechtsanwälte betreffende Vorschrift des § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO bietet keine hinreichende Rechtsgrundlage.

(1) Eröffnen Ermächtigungsnormen einer autonomen Körperschaft Regelungsspielräume für Berufspflichten, die sich über den Berufsstand hinaus auswirken, so reichen sie nur so weit, wie der Gesetzgeber ersichtlich selbst zu einer solchen Rechtsgestaltung den Weg bereitet (vgl. BVerfGE 38, 373, 381 ff.; 101, 312, 323). Sollen die durch die Zivilprozessordnung ausgeformten Handlungsspielräume der Prozessparteien im Wege des Satzungsrechts eingeschränkt werden, so bedarf es demnach erkennbarer gesetzgeberischer Entscheidungen in der Ermächtigungsnorm, andernfalls sowohl der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes als auch der des Vorrangs des Gesetzes verletzt sein können (BVerfGE 101, 312, 324, 328 f. mwN).

(2) Die Schaffung einer Berufspflicht zur Mitwirkung an der Zustellung von Anwalt zu Anwalt hätte einer eindeutigen Ermächtigung durch den Gesetzgeber bedurft, weil sie prozessuale Handlungsspielräume im vorgenannten Sinn einengt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verpflichtet nämlich § 195 ZPO den Anwalt, an den zugestellt werden soll, nicht zu einer Mitwirkung an der Zustellung; er empfängt die zugestellte Urkunde vielmehr nur als Vertreter seiner Partei und ist nicht gehindert, die Annahme der Urkunde und die Ausstellung des Empfangsbekenntnisses zu verweigern, ohne dass hieran prozessuale Nachteile geknüpft wären (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 1959 – VIII ZR 111/58 aaO S. 305 f. mwN; MünchKomm ZPO/Häublein aaO § 195 Rn. 7 i.V.m. § 174 Rn. 12; Zöller/Stöber aaO § 195 Rn. 7 i.V.m. § 174 Rn. 6). Demgegenüber ordnet § 14 Satz 1 BORA für den Rechtsanwalt die Berufspflicht an, an der Zustellung mitzuwirken; dies gilt selbst dann, wenn dies wie vorliegend einen Nachteil für seinen Mandanten mit sich bringt und so die primären Verpflichtungen aus dem Mandantenvertrag zurückdrängt (vgl. BVerfGE 101, 312, 328 f.).

(3) Die damit notwendige ausdrückliche und klare gesetzliche Grundlage (vgl. BVerfGE 101, 312, 328) kann dem Wortlaut des § 59 Abs. 2 Nr. 8 BRAO nicht ansatzweise entnommen werden. Sie wäre aber vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum anwaltlichen Standesrecht aus dem Jahr 1987 (BVerfGE 76, 171; 76, 196) und angesichts dessen, dass § 59b Abs. 2 Nr. 6 Buchst. b BRAO eine solche Regelung für gerichtliche und behördliche Zustellungen trifft, zwingend zu erwarten gewesen (vgl. auch BVerfGE 101, 312, 329). Hinzu kommt, dass dem Gesetzgeber bei Schaffung des § 59b BRAO die zwischen behördlichen sowie gerichtlichen Zustellungen einerseits und Zustellungen von Anwalt zu Anwalt andererseits differenzierenden Bestimmungen in §§ 12, 27 der vormaligen Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts vor Augen standen. Auch dies hätte ihm die Notwendigkeit ausdrücklicher Erstreckung der Ermächtigung auf anwaltliche Zustellungen anzeigen müssen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 116 Abs. 1 Satz 2, § 198 Abs. 1 BRAO, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1991 – AnwSt (R) 12/91, BGHSt 38, 138, 143).

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