Notwendigkeit einer datenschutzrechtlichen Verfahrensbeschreibung

14. September 2021
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Eine Polizistin arbeitet am Schreibtisch Urteil des VG Göttingen vom 12.05.2021, Az.: 1 A 175/17

Das VG Göttingen stellte in seiner Entscheidung klar, dass eine datenschutzrechtliche Verfahrensbeschreibung in einer Polizeieinheit jedenfalls dann erforderlich ist, wenn per E-Mail Lageberichte über das Ergebnis von Streifengängen oder -fahrten übermittelt werden. Da durch polizeiliche Maßnahmen insbesondere das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt werden kann, ist eine Verfahrensbeschreibung zwingend notwendig. Sofern diese fehlt, liegt eine unzulässige Datenspeicherung vor.

Verwaltungsgericht Göttingen

Urteil vom 12.05.2021

Az.: 1 A 175/17

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Speicherung personenbezogener Daten der Klägerin in der E-Mail des KHK F. an den Verteiler in dem Fachkommissariat 4 – Staatsschutz – der Polizeiinspektion Göttingen vom 07.05.2015 rechtswidrig war.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens je zu ½.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn der jeweilige Vollstreckungsgläubiger nicht vor der Vollstre-ckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Erfassung und Speicherung von personenbezogenen Daten in einer E-Mail, die im Mai 2015 innerhalb einer Polizeidienststelle versandt wurde.

Die Klägerin lebt in A-Stadt, ist politisch aktiv und nimmt an Versammlungen im Stadtgebiet teil.

Im Rahmen der Akteneinsicht in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft A-Stadt (XX Js XXXX/XX) erhielt der Klägervertreter, der den Beschuldigten in dem Ermittlungsverfahren vertrat, davon Kenntnis, dass die Klägerin in einer E-Mail vom 07.05.2015 genannt worden war (BA 003 zu 1 A 193/17, Beweismittelordner I, Bl. 49). Einen Ausdruck dieser E-Mail sowie einer weiteren E-Mail vom März 2015 sowie Kopien aus Unterlagen des Beklagten über sog. „linksmotivierte“ Personen in A-Stadt hatte der Beschuldigte, ein pensionierter Polizeibeamter, privat vorgehalten und Dienstvorgesetzten mit dem Hinweis auf fehlende Verfahrensbeschreibungen vorgelegt.

Die E-Mail vom 07.05.2015 hatte ein Polizeibeamter, KHK F., über einen Verteiler den weiteren Angehörigen des 4. Fachkommissariats (Staatsschutz) der Polizeiinspektion Göttingen geschrieben, die der Polizeidirektion Göttingen zugeordnet ist und der auch der Beschuldigte in o.g. Ermittlungsverfahren angehörte. Gegenstand der E-Mail waren neben verschiedenen Beobachtungen und Rechercheergebnissen aus dem Internet unter den Überschriften „LIMO“, „AUMO“ und „REMO“ unter der erstgenannten Überschrift u.a. auch folgende Zeilen:

„Innenstadt:
17.00 Uhr
Frau G. mit Fahrrad aus der Stadt zur Wohnung.“

Die E-Mail schließt mit einer Grußformel, dem Namen des Beamten, seinen Kontaktdaten sowie dem Zusatz „(Geschz.) (H.)“.

Eine Verfahrensbeschreibung für E-Mail-Kommunikation von Angehörigen der Polizeiinspektion Göttingen oder der Polizeidirektion Göttingen besteht nicht.

Die Klägerin beantragte im November 2016 Auskunft von der Polizeidirektion Göttingen über dort über sie gespeicherte Daten. Diese Anfrage beantwortete die Polizeidirektion unter dem 12.04.2017 und führte die E-Mail vom 07.05.2015 dabei nicht auf. Dem Schreiben war keine Rechtsbehelfsbelehrung beigegeben.

Die Klägerin hat am 14.06.2017 Klage erhoben. Sie macht im Wesentlichen geltend, die Erfassung und Speicherung von personenbezogenen Daten stelle einen tiefgreifenden Eingriff in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar und sei rechtswidrig. Es fehle an einer Rechtsgrundlage. Sie sei am 07.05.2015 beobachtet und nicht nur rein zufällig von einem Streifendienst gesehen worden. Es fehle auch an einer Dateibeschreibung. Sie bestreite, dass die E-Mail vom Absender und allen Empfängern gelöscht worden sei. Die E-Mail hätte auch von der Auskunft vom 12.04.2017 umfasst sein müssen; diese sei insoweit unvollständig.

Die Klägerin beantragt

1. festzustellen, dass die Erfassung und Speicherung von personenbezogenen Daten über sie in der E-Mail vom 07.05.2015 rechtswidrig war/ist,

2. festzustellen, dass die Auskunft der Polizeidirektion Göttingen vom 12.04.2017 über ihre dort gespeicherten Daten unvollständig und damit rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte tritt dem klägerischen Vortrag entgegen und führt im Wesentlichen aus, die E-Mail vom 07.05.2015 habe ebenso wie die weitere E-Mail vom 11.03.2015 in Zusammenhang mit der Aufklärung von bevorstehenden Anreisen potentieller Störer zu Versammlungen bei der I. in J. Ende März 2015 gestanden. Die Klägerin sei in der Vergangenheit als linksmotivierte Straftäterin in Erscheinung getreten. Sie habe gegenüber dem Magazin „K.“ am 18.03.2015 ausdrücklich auch gewalttätige Proteste gegen die L. in J. befürwortet. Im zeitlichen Kontext der Ausschreitungen in J. sei es Aufgabe der Polizei gewesen, die linksmotivierte Szene in A-Stadt im Auge zu behalten. Auch geringfügige Beobachtungen wie die Fahrt der Klägerin mit dem Fahrrad durch die Stadt dienten hierzu. Es habe sich hieraus keine Auffälligkeit ergeben, der durch polizeiliche Maßnahmen nachzugehen gewesen wäre. Außerdem habe – wie sich aus der E-Mail ergebe – am 07.05.2015 eine Veranstaltung in der M. /N. -O., Kreuzweg für Nazi-Opfer, stattgefunden. Diese Situation sei zu beobachten gewesen. Die zufällige Sichtung der Klägerin habe dafür gesprochen, dass sie nicht an der Veranstaltung teilnehme. Die E-Mail vom 07.05.2015 habe dazu gedient, die Mitarbeiter des 4. Fachkommissariats bei Schichtübergabe zu informieren. Wegen sehr unterschiedlicher Dienstzeiten ersetzten solche E-Mails die Lagebesprechung. Die E-Mail stelle nichts anderes als eine Notiz dar und habe die mündliche Information ersetzt. Insbesondere handele es sich nicht um Teil einer Datensammlung, eine Speicherung der E-Mail habe nicht stattgefunden. Der Austausch von E-Mails gehöre zum üblichen Standard zeitgemäßer Bürokommunikation. Einer speziellen Dienstanweisung zur Verwendung im FK 4 habe es nicht bedurft. Für den Geschäftsbereich der Polizei in Niedersachsen gebe es eine Richtlinie zur Informationssicherheit, die speziell die dienstliche E-Mail-Nutzung regle. Über die E-Mail sei keine Auskunft erteilt worden, weil sie zum Zeitpunkt des Antrags auf Auskunfterteilung mit Schreiben vom 28.11.2016 bereits gelöscht gewesen sei. Ein Auskunftsanspruch beziehe sich nur auf den vorhandenen Datenbestand.

Wegen des weiteren Inhalts des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akte 1 A 193/17 sowie die in diesem Verfahren beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft A-Stadt verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.

Das Rubrum ist von Amts wegen dahingehend zu berichtigen, dass richtiger Klagegegner das Land Niedersachsen ist.

Die Klage ist nur hinsichtlich des Klageantrags zu 1) zulässig und begründet (hierzu I.). Hinsichtlich des Klageantrags zu 2) hat die Klage keinen Erfolg (hierzu II.).

I.1.

Streitgegenstand hinsichtlich des Antrags zu 1) ist allein die Speicherung der E-Mail vom 07.05.2015 und nicht auch die Erhebung der Daten. Der Klageantrag, der sich auf die „Erfassung und Speicherung“ von Daten bezieht, ist nach § 88 VwGO sinngemäß dahingehend auszulegen, dass mit der Datenerfassung nicht die Datenerhebung, sondern der Vorgang der Dateneingabe gemeint ist. Dieses Begriffsverständnis entspricht der Legaldefinition in § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 NDSG 2002/2012 (zur Anwendbarkeit dieser Fassung s.u. unter I.2.), nach der Speichern das Erfassen, Aufnehmen oder Aufbewahren von Daten auf einem Datenträger ist. Auf gerichtliche Nachfrage hat der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 14.09.2020 den Antrag auch dahingehend präzisiert, dass die Beobachtung (also Datenerhebung) nicht streitgegenständlich ist.

Hiervon ausgehend ist die Feststellungsklage zulässig. Aus der Datenspeicherung folgt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO. Es kommt hier auch keine vorrangig zu erhebende Leistungsklage, insbesondere keine Verpflichtungsklage auf Löschung personenbezogener Daten, in Betracht, § 43 Abs. 2 VwGO. Denn die streitgegenständliche E-Mail vom 07.05.2015 ist nicht in eine polizeiliche Akte übernommen worden und wurde außerdem gelöscht. Nur letzteres ist zwischen den Parteien streitig. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit des Vortrags des Beklagten zu zweifeln. Dieser verweist auf die „Richtlinie Informationssicherheit in der Polizei Niedersachsen – E-Mail-Nutzung -“ vom März 2011 (im Folgenden: Informationssicherheits-Richtlinie). In der nur auszugsweise vorgelegten Informationssicherheits-Richtlinie (GA Bl. 52 f.) heißt es unter Ziffer 4.6 „Archivierung“:

„E-Mails, die für die Bearbeitung von Vorgängen von Bedeutung sind, sind bei papiergebundener Aktenführung dem Vorgang in ausgedruckter Form beizufügen. Sie sind Bestandteil der Akte. Das E-Mail-System der Polizei Niedersachsen ist kein Archivierungssystem, die Archivierung von Vorgängen im E-Mail-System ist unzulässig. E-Mails, die für die Aufgabenerfüllung nicht mehr notwendig sind, sind zu löschen. Der Papierkorb der E-Mail-Anwendung ist regelmäßig zu leeren.“

Ergänzend heißt es in Fußnote 9:

„Wird die Akte als elektronische Akte geführt, sollte die Ablage im Dokumentenmanagementsystem (DMS) erfolgen.“

Unter Ziffer 4.4. heißt es:

„E-Mails sind im Posteingangsfach nicht länger zu speichern, als dies für die Aufgabenerfüllung unbedingt erforderlich ist. Die Größe der Mailbox ist begrenzt (Quota) und wenn dieser Grenzwert überschritten wird, kann der Anwender keine Mails mehr empfangen.“

Nach dem Vortrag des Beklagten wurde die Informationssicherheits-Richtlinie der Polizei allen Polizeibeamten bekannt gegeben. Dies entspricht der Praxis in Behörden, so auch innerhalb der Justiz. Es gibt keinen Anlass, an dem Vortrag zu zweifeln. Ebenso wenig gibt es aufgrund der oben wiedergegebenen eindeutigen Formulierungen in der Informationssicherheits-Richtlinie, die eindeutig als Weisung gefasst sind, Anlass, an dem Umstand der Löschung der E-Mail im Ausgangsfach des Verfassers wie in den Eingangsfächern der Adressaten zu zweifeln. Davon scheint im Übrigen auch der Klägervertreter auszugehen, der eine Feststellungsklage und nicht eine auf Löschung gerichtete Verpflichtungsklage erhoben hat.

Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenspeicherung in der E-Mail vom 07.05.2015. Im Falle der bereits vorgenommenen Löschung der über ihre Person gespeicherten Daten kann der Betroffene im Wege der Feststellungsklage gerichtlichen Rechtsschutz erlangen, wenn ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Speicherung besteht (Nds. OVG, Urt. v. 18.11.2016 – 11 LC 148/15 -, juris Rn. 49 m.w.N.). Als Feststellungsinteresse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art anzusehen. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern (st. Rspr, vgl. nur BVerwG, Urt. v. 06.02.1986 – 5 C 40.84 -, BVerwGE 74, 1, 4 und v. 25.10.2017 – 6 C 46.16 -, juris Rn. 20).

Für den maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse jedenfalls mit einer Wiederholungsgefahr begründen, die zu den im Fall der erledigten Maßnahme anerkannten Fallgruppen gehört. Für die Begründung einer Wiederholungsgefahr ist nicht nur die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig eine vergleichbare Maßnahme ergeht. Darüber hinaus müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (BVerwG, Urt. v. 12.10. 2006 – 4 C 12.04 -, juris Rn 8). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin ist weiterhin politisch aktiv, wird als „linksmotiviert“ eingestuft und lebt weiterhin in A-Stadt. Auch sind die für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen rechtlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben. Das gilt für § 38 NPOG ebenso wie für die hier interessierende datenschutzrechtliche Lage. Das Niedersächsische Datenschutzgesetz – NDSG – wurde zwar durch Gesetz vom 16.05.2018 (Nds. GVBl. S. 66) vollständig neu gefasst. Auch gibt es die frühere Verfahrensbeschreibung nach § 8 NDSG in der Fassung vom 29.01.2002 (Nds. GVBl. S. 22), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12.12.2012 (Nds. GVBl. S. 589) (im Folgenden: NDSG 2002/2012), auf dessen Fehlen sich die Klägerin beruft, nicht mehr. Die wesentlichen Anforderungen bestehen allerdings im Rahmen des sog. Verarbeitungsverzeichnisses nach § 38 NDSG 2018 i.V.m. Art. 30 Datenschutzgrundverordnung weiter. Es kann daher offen bleiben, ob sich hier ein Feststellungsinteresse der Klägerin auch aus einem anderen Grund ergeben könnte.

I.2.

Die Klage hat hinsichtlich des Antrags zu 1) in der Sache Erfolg. Die Datenspeicherung in der E-Mail vom 07.05.2015 war zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig.

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bestimmt sich bei der Feststellungsklage nach dem Klageantrag und der Klagebegründung, in denen der Kläger den Zeitpunkt, zu dem das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses festgestellt werden soll, selbst bestimmt (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 18). Aus der Formulierung des Klageantrags „war/ist“ in Verbindung mit der Klagebegründung ergibt sich, dass die Klägerin im hier eingetretenen Fall der Löschung der E-Mail vom 07.05.2015 auf den Zeitpunkt unmittelbar vor Löschung abstellt. Die Löschung erfolgte nach Überzeugung der Kammer unter Zugrundelegung der o.g. Informationssicherheits-Richtlinie der Polizei in kurzer zeitlicher Folge zur E-Mail selbst, weil die Proteste gegen die L. in J. am 30.03.2015 bereits vergangen waren und auch die Gedenkveranstaltung am Kreuzweg für Nazi-Opfer am 07.05.2015 stattfand.

Anwendbar ist damit das NDSG 2002/2012. Anwendbar ist weiter das Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG, früher Nds. SOG, Überschrift geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20.05.2019, Nds. GVBl. S. 88) in der Fassung vom 19.01.2005 (Nds. GVBl. S. 9), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 16.12.2014 (Nds. GVBl. S. 436). Die späteren Änderungen bis Juni 2017 betrafen nicht die hier einschlägigen Regelungen; § 42a NPOG wurde neu eingefügt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 17.09.2015 (Nds. GVBl. S. 186), § 90 NPOG wurde geändert durch Artikel 2 § 6 des Gesetzes vom 12.11.2015 (GVBl. S. 307), § 14 wurde geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 06.04.2017 (Nds. GVBl. S. 106).

Rechtsgrundlage für die Datenspeicherung ist § 38 NPOG. Werden Daten zu dem Zweck erhoben, zu dem sie gespeichert worden sind, richtet sich die Zulässigkeit der Speicherung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 NPOG (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 18.11.2016 – 11 LC 148/15 -, juris Rn. 59 bis 65 sowie Ls. 3). Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 NPOG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die von ihnen im Rahmen der Aufgabenerfüllung nach diesem Gesetz rechtmäßig erhobenen personenbezogenen Daten speichern, verändern und nutzen, wenn dies zu dem Zweck erforderlich ist, zu dem sie erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung ist ausdrücklich, wie oben ausgeführt, nicht zum Streit gestellt. Nach den nicht bestrittenen Angaben des Beklagten erfolgte die Speicherung der personenbezogenen Daten der Klägerin, nachdem diese sich nur drei Wochen vorher befürwortend über gewalttätige Proteste gegen die L. in J. öffentlich geäußert hatte, und anlässlich einer Gedenkfeier für Opfer des NS-Regimes. Auch wenn die konkrete E-Mail Anhaltspunkte dafür bietet, dass herausgehobene Akteure der „linken Szene“ in A-Stadt auch anlassunabhängig von Polizeibeamten des FK 4 der Polizeiinspektion Göttingen anlässlich von Streifenfahrten oder Streifengängen wahrgenommen und ihre (Alltags-)Aktivitäten im FK 4 verbreitet werden, genügt der Vortrag des Beklagten noch, die Erforderlichkeit der Datenspeicherung wegen der besonderen Umstände zu bejahen. Die Kammer kann deshalb offenlassen, ob dies auch der Fall wäre, wenn solche besonderen Umstände nicht vorliegen.

Es liegt indes ein zur Rechtswidrigkeit der Datenspeicherung in der E-Mail vom 07.05.2015 liegender Mangel darin, dass es an einer Verfahrensbeschreibung für diejenigen E-Mails fehlte, die innerhalb des FK 4 zur wechselseitigen Information über bestimmte Lagen ausgetauscht wurden (und ggf. noch werden) und zu denen auch die streitgegenständliche E-Mail zählte.

Nach § 8 Abs. 1 NDSG 2002/2012 hat jede öffentliche Stelle, die Verfahren zur automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten einrichtet oder ändert, in einer Beschreibung (u.a.) die Bezeichnung der automatisierten Verarbeitung und ihre Zweckbestimmung, die Art der gespeicherten Daten sowie die Rechtsgrundlage ihrer Verarbeitung, den Kreis der Betroffenen, und Fristen für die Sperrung und Löschung der Daten festzulegen. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 NDSG 2002/2012 gilt Satz 1 nicht, wenn die Daten nur vorübergehend und zu einem anderen Zweck als dem der inhaltlichen Auswertung gespeichert werden. Die Verfahrensbeschreibung ist dem behördlichen Datenschutzbeauftragten zwecks Aufnahme in das Verfahrensverzeichnis zur Kenntnis zuzuleiten (vgl. § 8 a Abs. 2 Satz 5 NDSG). Beschreibungen nach § 8 NDSG 2002/2012 sind (auch) dem Landesbeauftragten für den Datenschutz zu übersenden, wenn die Verarbeitungen zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben nach dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung erfolgen (§ 22 Abs. 5 Nr. 2 NDSG).

Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts können sich Betroffene einer polizeilichen Maßnahme mit datenschutzrechtlichem Bezug auf die Fehlerhaftigkeit einer notwendigen Verfahrensbeschreibung berufen (Nds. OVG, Urt. v. 18.11.2016 – 11 LC 148/15 -, juris Rn. 51; vgl. auch Beckermann, in: Saipa u.a., NPOG/NHundG, Stand: 27. EL Sept. 2020, § 38 NPOG Rn. 4). Wegen der hohen Bedeutung der Verfahrensbeschreibung als wirksame Maßnahme zur Sicherung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, das durch polizeiliche Maßnahmen in besonderem Maße beeinträchtigt werden kann, folgt die Kammer dieser Rechtsprechung und geht ebenfalls davon aus, dass eine Verfahrensbeschreibung nach § 8 NDSG 2002/2012 insoweit Außenwirkung entfaltet. Eine unzulässige Datenspeicherung liegt dann aber erst recht vor, wenn eine notwendige Verfahrensbeschreibung vollständig fehlt.

Der Anwendungsbereich von § 8 NDSG 2002/2012 ist eröffnet. Automatisierte Verarbeitung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen, § 3 Abs. 5 NDSG 2002/2012. Die Legaldefinition ist wortgleich mit der nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz – BDSG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.01.2003 (BGBl. I S. 66). Automatisierte Verarbeitung setzt voraus, dass neben der durch technische Anlagen erfolgenden Erhebung oder Speicherung auch eine automatisierte Auswertung der Daten, d.h. ein Nutzen der Daten ermöglicht wird. Es bedarf also der Möglichkeit der technischen Auswertung der erhobenen und gespeicherten Daten (Gola/Schomerus, BDSG, 2. Aufl. 2015, § 3 Rn. 15a). Kennzeichnend für ein automatisiertes Verfahren ist die Verarbeitung personenbezogener Daten für einen bestimmten Zweck (Der Landesbeauftragte für Datenschutz Niedersachsen, Erläuterungen zur Anwendung des NDSG, Stand Dezember 2012, zu § 8 Satz 2 S. 64).

Nach dieser Maßgabe ist jedenfalls die Übergabe von Lageberichten per E-Mail an einen Verteiler innerhalb einer Polizeieinheit eine automatisierte Verarbeitung i.S.d. § 8 Satz 1 NDSG 2002/2012, weil zwar die Dateneingabe manuell geschieht, die Speicherung wie Übermittlung dann aber automatisiert und ohne menschliches Zutun. Schließlich sind E-Mails auch – worauf der Klägervertreter zutreffend hinweist – automatisiert auswertbar über die Suchfunktion. Mit dieser Funktion, die jedes E-Mail-Programm bietet, können nicht nur personenbezogene Daten in Absendern und Empfängern gesucht werden, sondern auch im Text selbst. Jedenfalls bei dieser Praxis innerhalb des FK 4 werden personenbezogene Daten von Menschen, die Gegenstand von Wahrnehmung durch Polizeibeamte waren, auch für einen bestimmten Zweck gespeichert, nämlich der Übergabe von Lageberichten. Die Nutzung des E-Mail-Programms für diese Übergabe unterscheidet sich wegen der Speicherungs- und Durchsuchungsmöglichkeiten gerade von der mündlichen Information im Kollegenkreis oder von der Übergabe auf Notizzetteln. Erst hieraus ergibt sich ein datenschutzrechtlich relevantes Verfahren. Daran ändert im konkreten Fall auch der Umstand nichts, dass nach Ziff. 4.6 der Informationssicherheits-Richtlinie der Polizei Niedersachsen E-Mails, die für die Aufgabenerfüllung nicht mehr notwendig sind, zu löschen sind.

Es kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben, ob die E-Mail-Nutzung zur behördeninternen Kommunikation stets eine automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.d. § 8 Satz 1 NDSG 2002/2012 darstellt, weil mindestens die Absender- und Empfängerdaten bei der Nutzung automatisiert erhoben und dann gespeichert werden. Auch für Nutzung zur internen (und auch externen) Kommunikation ist das Vorliegen einer Verfahrensbeschreibung nicht ersichtlich. Jedenfalls ist eine E-Mail-Anwendung nicht mit einem „Bürokommunikationsprogramm“ wie einem Textverarbeitungs- oder Tabellenkalkulationsprogramm vergleichbar, das für sich genommen datenschutzrechtlich neutral ist und erst in einer konkreten Anwendung die o.g. Zwecksetzung erhalten kann (vgl. Der Landesbeauftragte, a.a.O., S. 64).

Die Regelungen zur E-Mail-Nutzung, die sich in der Informationssicherheits-Richtlinie finden, genügen nicht den Anforderungen an eine Verfahrensbeschreibung. Es handelt sich hierbei um teils technische, teils organisatorische Maßnahmen nach § 7 NDSG 2002/2012.

Auch liegt kein Ausnahmefall nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 NDSG 2012 vor. Die Daten in der E-Mail vom 07.05.2015 wurden nach Maßgabe der Informationssicherheits-Richtlinie der Polizei, dort Ziff. 4.4. und 4.6., zwar nur vorübergehend gespeichert. Ihre Speicherung dient aber dem Zweck der inhaltlichen Auswertung. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die inhaltliche Auswertung regelmäßig nicht automatisiert, also mit Suchfunktion, sondern schlicht durch Lesen erfolgt. Eine Beschränkung des Begriffs der inhaltlichen Auswertung auf automatisierte Verfahren ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Regelung. Auch die Gesetzgebungsgeschichte gibt Anhaltspunkte dafür, dass jegliche inhaltliche Auswertung gemeint ist. Ausweislich des Gesetzentwurfs sollte die Vorschrift wie folgt lauten: „Satz 1 gilt nicht für automatisierte Verarbeitungen, bei denen personenbezogene Daten ausschließlich aus verarbeitungstechnischen Gründen vorübergehend vorgehalten werden sowie für automatisierte Verarbeitungen nach § 8 a Abs. 2 und 3“ (LT-Drs. 14/960). Aufgrund der Beratungen im Innenausschuss des Niedersächsischen Landtags wurde die Fassung geändert. Im Schriftlichen Bericht (LT-Drs. 14/2538, S. 4) heißt es dazu: „In der Einleitung wird der Begriff der „automatisierten Verarbeitung“ durch den Begriff des „Verfahrens zur automatisierten Verarbeitung“ ersetzt, um deutlich zu machen, dass die Verpflichtung zur Erstellung einer Verfahrensbeschreibung nicht an einzelnen Verarbeitungsvorgängen anknüpft. Infolge dieser Änderung kann Satz 2 – anders als bereits in § 101 h Abs. 1 NBG geschehen – allgemeiner gefasst werden. Damit wird das in seinem Zweck unklare Merkmal der „verarbeitungstechnischen Gründe“ vermieden; ausgenommen werden der Sache nach insbesondere die in § 10 Abs. 4 NDSG genannten Verarbeitungszwecke.“ Eine Ausweitung des Anwendungsberichts der Regelung war demzufolge ausdrücklich nicht beabsichtigt, lediglich eine allgemeinere Fassung. Die inhaltliche Auswertung ist damit der Gegenbegriff zur Auswertung von Steuerungsbefehlen (vgl. zur vergleichbaren Regelung des § 5 Abs. 6 Satz 1 BSI-Gesetz die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 16/11967, S. 15: „Eine darüber hinausgehende Nutzung oder Verarbeitung von Telekommunikationsinhalten, insbesondere des semantischen Inhalts, ist untersagt. […] Die Inhaltsauswertung durch das BSI beschränkt sich auf die Durchsicht der technischen Steuerbefehle. [..].“).

Mangels notwendiger Verfahrensbeschreibung nach § 8 Satz 1 NDSG 2002/2012 war die Speicherung der personenbezogenen Daten der Klägerin in der E-Mail vom 07.05.2015 mithin rechtswidrig.

II.

Hinsichtlich des Antrags zu 2) ist die Klage unzulässig, weil die Feststellungsklage subsidiär zur Verpflichtungsklage ist, § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Über das Auskunftsbegehren hat die Behörde durch Verwaltungsakt entschieden, so dass die Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 12.04.2017 eine weitergehende Auskunftserteilung hätte beantragen müssen. Dies hat sie nicht getan, obwohl bei Klageerhebung auch die Rechtsmittelfrist noch lief.

Aber selbst wenn der Feststellungsantrag nach § 88 VwGO in einen Verpflichtungsantrag umgedeutet werden könnte, hätte die Klage in der Sache keinen Erfolg. Gegenstand des Auskunftsanspruchs sind nur gegenwärtig gespeicherte Daten. Zu diesen gehörte nach Überzeugung der Kammer die E-Mail vom 07.05.2015 bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr (s.o. unter I.1.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Ein Grund für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO besteht nicht, weil keine der behandelten Rechtsfragen im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedarf. Das gilt auch für die Anwendung von § 8 NDSG 2002/2012, der außer Kraft getreten ist.

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