Sandalen als Werke der angewandten Kunst

21. März 2022
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Urteil des LG Köln vom 03.03.2022, Az.: 14 O 366/21

Das LG Köln hat in seinem Urteil vom 03.03.2022 den Begriff der persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG konkretisiert. Unter anderem darf das Werk kein Produkt aus zwingenden Regeln sein, sondern muss die freie kreative Entscheidung seines Urhebers zum Ausdruck bringen. Dabei kann das Vorhandensein von Individualität und Originalität nicht nur anhand des konkreten Werkes beurteilt werden, vielmehr muss auch die Relation zum konkreten Schaffungsprozess und dem Schöpfer beachtet werden. Das Gericht ist außerdem der Auffassung, dass die Beurteilung zwar dem Unionsrecht entsprechen muss, den nationalen Gerichten aber in diesem Rahmen dennoch ein eigener Beurteilungsspielraum zukommt. Das LG gab so einem Schuhhersteller Recht, der wegen Urheberrechtsverletzungen an einer Sandale geklagt hatte.

Landgericht Köln

Urteil vom 03.03.2022

Az.: 14 O 366/21

 

Leitsätze

1.

Schuhmodelle (hier: Sandalen) können als Werke der angewandten Kunst Urheberrechtsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG genießen.

2.

Gegen die Annahme eines unionsrechtlich vereinheitlichten Werkbegriffs bestehen – jedenfalls für den Bereich der angewandten Kunst – grundsätzliche Bedenken. Vielmehr sind – unter Berücksichtigung von Art. 17 der Richtlinie 98/71/EG sowie der Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität gemäß Art. 5 EU-Vertrag – die nationalen Gerichte zur Beurteilung der für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst maßgeblichen Gestaltungshöhe und der Werkqualität kompetent. Den nationalen Gerichten – auch wenn man einen einheitlichen, unionsweiten Werkbegriff grundsätzlich anerkennt – steht bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten jedenfalls ein umfassender Beurteilungsspielraum zu.

3.

Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden.

4.

Maßgeblich ist, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Wenn bestehende Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat – etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln – bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist.

5.

Zu einem schöpferischen Werk wird ein Produkt erst dann, wenn der Schöpfer von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann. Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt.

6.

Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht. Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten.

7.

Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen.

Tenor

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 03.11.2021 wird bestätigt.

Die Verfügungsbeklagte trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.

 

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