Unverlangte Marktforschung am Telefon unzulässig

30. Juni 2006
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
5056 mal gelesen
0 Shares

Landgericht Hamburg

Urteil vom 30.06.2006

Az.: 309 S 276/05

In der Sache

g e g e n

erkennt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 9 auf die mündliche Verhandlung vom 25.4.2006 durch

für Recht:

Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg­St. Georg vom 27.10.2005 (918 C 413/05) wie folgt abgeändert und neu gefasst:

1. Im Wege der einstweiligen Verfügung wird der Verfügungsbeklagten verboten, den Verfügungskläger ohne dessen Einwilligung zu Marktforschungszwecken unter dessen Telefonanschluss … nebst weiteren Endnummern 1 und 2 anzurufen oder anrufen zu lassen.

2. Der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis € 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an den Mitgliedern der Geschäftsführung, angedroht.

3. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.
Anstelle des Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Der Verfügungskläger verfolgt mit seiner Berufung sein in der 1. Instanz geltend gemachtes Begehren weiter, der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu verbieten, ihn ohne vorherige Einwilligung zu Marktforschungszwecken anzurufen.

Der Verfügungskläger beantragt wie zuerkannt.

Die Verfügungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Für das Vorbringen der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.
Die Berufung ist zulässig und begründet.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts steht dem Verfügungskläger gegenüber der Verfügungsbeklagten ein Anspruch aus §§ 823, 1004 BGB zu, der den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigt. Die nicht von einer Einwilligung des Verfügungsklägers gedeckten Anrufe vom 28.8./2.9.2005 durch ein Tochterunternehmen der Verfügungsbeklagten auf dem Anschluss des Verfügungsklägers stellen einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers dar. Er kann daher für die Zukunft von der Verfügungsbeklagten die Unterlassung derartiger Beeinträchtigungen verlangen.

1) Unverlangte Telefonanrufe im Privatbereich zu geschäftlichen Zwecken stellen nach gefestigter Rechtsprechung regelmäßig einen Eingriff in das gemäß §§ 823 I, 1004 BGB geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar (vgl. z.B. OLG Stuttgart, NJW 1988, 2615). Dementsprechend liegt hier ein der Verfügungsbeklagten zuzurechnender Eingriff durch o.g. Anrufe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers vor.

Die durch die streitgegenständlichen Telefonanrufe verursachte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers ist rechtswidrig. Dies ergibt eine Abwägung zwischen den geschützten Rechtsgütern der Parteien. Bei der Abwägung ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass Telefonwerbung nach gefestigter Rechtsprechung eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der verfassungsrechtlich geschützten Privatsphäre des Angerufenen darstellt (vgl. nur LG Hamburg, Beschluss v. 14.2.2005, Az. 315 T 1/05). Für den Bereich des Lauterkeitsrechts ist diese Rechtsprechung durch die Regelung des § 7 II Nr. 2 UWG gesetzlich bestätigt worden. Zwar geht es vorliegend nicht um Werbung i.e.S., sondern um unverlangte Telefonanrufe zu Marktforschungszwecken. Die Kammer ist indes der Auffassung, dass auch Umfragen zu Marktforschungszwecken der Werbung gleichzustellen sind, wenn sie von Marktforschungsunternehmen im Auftrag anderer Unternehmen durchgeführt werden und mittelbar der Absatzförderung dienen, insbesondere wenn Verbrauchergewohnheiten im Zusammenhang mit Produkten und Dienstleistungen der Auftraggeber erfragt werden (so OLG Stuttgart, GRUR 2002, 457, 458; Gutachterausschuss für Wettbewerbsfragen in WRP 1997, 298; Köhler, Kommentar zum UWG, § 7 Rn. 42). Vorliegend sind diese Voraussetzungen gegeben. Aus dem von der Beklagten als Anlage BB 2 (BI. 127ff GA) eingereichten Fragebogen, der der streitgegenständlichen Umfrage zugrunde lag, ist ersichtlich, dass Verbraucher­gewohnheiten im Zusammenhang mit dem Produkt des Auftraggebers abgefragt werden.

Auch bei Anrufen zu Marktforschungszwecken überwiegt demnach das Interesse des einzelnen Betroffenen, ein Eindringen in seine Privatsphäre zu verhindern, gegenüber den Interessen des Marktforschungsunternehmens. Zwar ist auch dessen Tätigkeit grundrechtlich geschützt. Auf die im Grundsatz nach Art. 5 III GG schrankenlos gewährte Forschungsfreiheit kann sich die Verfügungsbeklagte jedoch nicht berufen. Im Bereich der Marktforschung wird die Verfügungsbeklagte vorrangig unternehmerisch tätig, da sie – wie bereits erläutert – im Interesse der wenigstens mittelbaren Förderung der Produkte ihrer Auftraggeber tätig wird, indem sie Informationen für betriebspolitische Dispositionen sammelt, besonders zur Erkundung neuer Absatzmöglichkeiten, für den zweckmäßigen Einsatz von Werbemitteln oder für die Anpassung an veränderte Verbrauchergewohnheiten.

Hierbei ist es unerheblich, dass die angewandten Verfahren wissenschaftlichen Kriterien genügen, da es nicht auf die Methodik, sondern auf den Zweck einer durchgeführten Umfrage ankommt. Maßgeblich ist, dass der Grad der mit Telefonanrufen zum Zwecke der Marktforschung einhergehenden Belästigung nicht geringer zu bemessen ist als der von unerlaubter Telefonwerbung. Die mit dem Eindringen in die Privatsphäre des Angerufenen verbundene Belästigungswirkung ist die gleiche (vgl. Gutachterausschuss für Wettbewerbsfragen in WRP 1997, 298). Dass der BGH unerbetene Vertreterbesuche für wettbewerbsrechtlich zulässig und diesbezüglich einen .,historischen Besitzstand“ attestiert, führt entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten zu keiner anderen Beurteilung, da es sich um nicht vergleichbare Sachverhalte handelt (vgl. Wettbewerbsrecht/Köhler, Kommentar, 24. Aufl. 2006, § 7 UWG Rn. 49 m.w.N.).

Durch das Verbot der telefonischen Datenerhebung ohne vorherige Zustimmung des Betroffenen wird auch nicht in unverhältnismäßiger Weise in die von Art. 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Verfügungsbeklagten eingegriffen. Marktforschungsinstituten stehen auch andere Möglichkeiten zur Verfügung, aussagekräftige Daten im Rahmen ihrer Tätigkeit zu erlangen. Diese Alternativen sind zwar regelmäßig mit mehr Aufwand verbunden als eine Telefonumfrage. Der zusätzliche Aufwand ist der Verfügungsbeklagten allerdings zuzumuten. Dass Telefonumfragen die zeitsparendste und kostengünstigste Methode der Marktforschung sind, rechtfertigt nicht die damit einhergehenden Eingriffe in die Grundrechte der hiervon Betroffenen.

2. Ein Anordnungsgrund liegt vor. Der rechtswidrige Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers begründet eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr. An deren Widerlegung sind hohe Anforderungen zu stellen (BGH NJW 1994, 1283ff). Regelmäßig ist hierfür die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung erforderlich (vgl. Palandt/Sprau BGB, 63. Aufl., Einf v § 823 Rn. 20). Da die Verfügungsbeklagte sich bislang geweigert hat, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, ist die tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr nicht widerlegt. Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist die Aufnahme der Telefonnummern des Verfügungsklägers in eine sog. „…­Sperrdatei“ nicht geeignet, die Vermutung der Wiederholungsgefahr zu widerlegen. Zwar ist der Verfügungsbeklagten zuzugeben, dass das von ihr geschilderte weitgehend automatisierte Verfahren einen erneuten Anruf auf dem Anschluss des Verfügungsklägers eher unwahrscheinlich machen dürfte. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass hinsichtlich jeder einzelnen Studie der von der Verfügungsbeklagten geschilderte Datenabgleich mit der …-Sperrdatei auch tatsächlich durchgeführt wird (vgl. Schriftsatz vom 12.1.2006, S. 15f = BI. 118f GA sowie Anlage BB4, BI. 140 GA). Ob dies jeweils der Fall sein wird, hängt aber wiederum maßgeblich davon ab, ob sich die Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten in Zukunft mit absoluter Zuverlässigkeit an das o.g. Procedere halten werden. Überdies ist erforderlich, dass die dauerhafte Speicherung der Telefonnummern in der …-Sperrdatei gewährleistet wird und sichergestellt ist, dass die Verfügungsbeklagte auch stets mittels eines Passworts Zugriff auf die Sperrdatei haben wird. Vor diesem Hintergrund hat sich die Kammer nicht davon überzeugen können, dass die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausnahmsweise entbehrlich ist, um die Vermutung der Wiederholungsgefahr zu widerlegen.

3) Schließlich steht dem Erlass der einstweiligen Verfügung auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Dass der Verfügungskläger der Aufnahme seiner Telefonnummern in o.g. …-Sperrdatei widersprochen und zwischenzeitlich Klage auf Löschung seiner Telefonnummern aus der Sperrdatei erhoben hat, obwohl er nicht mehr von der Verfügungsbeklagten angerufen werden möchte, begründet kein widersprüchliches und damit treuwidriges Verhalten. Dies wäre nur dann gegeben, wenn die Speicherung der Telefonnummern in einer Sperrdatei die einzige Möglichkeit wäre, zukünftige unerbetene Anrufe auf dem Telefonanschluss des Verfügungsklägers auszuschließen. Die Verfügungsbeklagte hat indes die Möglichkeit, Telefonnummern zu Marktforschungszwecken ausschließlich aus öffentlich zugänglichen Verzeichnissen zu entnehmen, in denen die Telefonnummern des Verfügungsklägers nicht aufgeführt sind, weil es sich um sog. „Geheimnummern“ handelt. Überdies gilt es zu berücksichtigen, dass die Verfügungsbeklagte nach obigen Ausführungen ohnehin kein Recht hat, Inhaber von Telefonanschlüssen ohne deren vorherige Zustimmung zu Marktforschungszwecken anzurufen. Daher ist es nahe liegend, Telefonnummern zu Marktforschungszwecken von vorneherein nur Verzeichnissen zu entneh­men, die ausschließlich Fernsprechteilnehmer aufführen, die mit Anrufen zu Marktforschungszwecken einverstanden sind.

Die Androhung von Ordnungsmitteln ergibt sich aus § 890 ZPO. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a