Widerrufsrecht bei individualisierter Ware

13. Oktober 2017
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Wintergarten Urteil des AG München vom 13.09.2017, Az.: 224 C 18398/15

Das Widerrufsrecht entfällt für Außer-Haustürgeschäfte (außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge i.S.v. § 312b BGB) erst, wenn der Hersteller mit der individuellen Anfertigung der Ware begonnen hat. Hierfür muss es sich aber auch um individualisierte Ware handeln - was nicht zutrifft, wenn ein Glasanbau aus vorgefertigten Teilen nur noch zusammengesetzt werden muss. In diesem Fall wäre die Ware nicht „speziell auf die Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten“.

Amtsgericht München

Endurteil vom 13.09.2017

Az.: 224 C 18398/15

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.03.2015 sowie weitere 413,64 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rückzahlung einer Vorauszahlung aus einem Werklieferungsvertrag eines Glasanbaus.

Der Kläger ist Inhaber eines Anwesens in der E.-Straße 9 in G.. Die Beklagte befasst sich mit der Lieferung, Errichtung und Vermarktung von Glasanbauten für Häuser. Nachdem die Beklagte im Briefkasten des Klägers einen Angebotsprospekts hinterlassen hatte und der Kläger die Beklagte zu sich nach Hause eingeladen hatte, unterbreitete am 26.2.2015 die Beklagte, vertreten durch ihren Außendienstvertreter M., dem Kläger ein Angebot zur Lieferung und Errichtung eines Glasanbaus zum Haus des Klägers. Der Gesamtpreis für die Errichtung des Glasanbaus der Serie „I. 2015“ betrug 42.770 €. Auf Anlage K1 wird Bezug genommen. Die Beklagte fertigte auch bereits eine Skizze an (Anlage B2), wonach der Glasanbau zwischen 4150 und 5000 mm breit sein soll, eine Tiefe von 3000 mm habe und eine Höhe hinten von 3250 mm, vorne ist noch keine Höhe vorgesehen.

Neben diesem Vertrag unterbreitete der Beklagtenvertreter M. Angebote zum Abschluss eines Garantie-Vertrags und eines Aktivitäten-Vertrags (Anlage K 2 und K 3). Der Garantievertrag sah vor, dass dem Kläger eine Grundvergütung von monatlich 530 € für bestimmte Werbemaßnahmen zu zahlen sein. Der Aktivitäten-Vertrag regelte diese Werbemaßnahmen genau, so war vorgesehen, dass der Kläger einen „Tag der offenen Tür“ viermal pro Jahr durchführe, monatlich 1000 Flyer verteile, 12 Prospekt-Ständer in geeigneten Geschäften mit viel Publikumsverkehr aufstelle, einen Firmen Aufkleber an seinem PKW anbringe und mindestens zwei Angebotes- oder Kaufinteressenten pro Monat der Beklagten mitteile.

Alle drei Verträge nahm der Kläger unmittelbar während der Verkaufs- und Vertragsverhandlungen an. Gleichzeitig übergab der Kläger dem Vertreter der Beklagten einen bereits ausgefüllten Überweisungsträger, der eine Überweisung zugunsten der Beklagten in Höhe von 4000,00 € vorsah. Im weiteren Verlauf des 26.2.2015 widerrief der Kläger alle Verträge, wobei er den Widerruf an die Beklagte per Fax, E-Mail und Brief übersendete. Den Überweisungsträger löste die Beklagte in den folgenden Tagen ein; eine Valutierung erfolgte am 4.3.2015.

Der Kläger behauptet, der Zeuge M. habe ihm gegenüber den Eindruck erweckt, dass sich der Glasanbau von selbst trage. Einzig die zuerst einzuzahlen 4000,00 € müssten aufgewendet werden.

Er ist der Rechtsauffassung, dass aufgrund des wirksam erklärten Widerrufs der Überweisungsträger nie hätte eingelöst werden dürfen. Jedenfalls könne er die Rückzahlung der bereits gezahlten 4000,00 € verlangen.

Er hält weiterhin den Werkvertrag gemäß § 138 BGB für nichtig, da die Vergütung weit über dem Markt-Niveau liege und daher Wucher vorliege.

Der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4000,00 € nebst Zinsen Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 27.2.2015 sowie 413,64 € an Nebenforderungen zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass die Vergütung zur Errichtung des Glasanbaus überhöht sei. Ein Wucher-Geschäft liege nicht vor.

Ein Widerrufsrecht sei nach § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ausgeschlossen, da der Glasanbau individuell angefertigt werde. Der Umfang der individuellen Anfertigung ergebe sich insbesondere aus der Plan-Skizze, Anlage B2.

Auf die schriftsätzlichen Äußerungen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tage wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

I.
Der Kläger kann die Rückzahlung der bereits gezahlten 4000,00 € verlangen, § 355 Abs. 3 S.1 BGB.

1. Den Widerruf hat der Kläger bereits am Tag des Vertragsschlusses und damit auf jeden Fall innerhalb einer Frist von 14 Tagen erklärt.

2. Das Widerrufsrecht ergibt sich aus § 312g BGB. Es liegt zweifelsohne ein Vertrag vor, der außerhalb der Geschäftsräume der Beklagten geschlossen worden ist, § 312 b Abs. 1 S. 1 BGB.

3. Dieses Widerrufsrechts ist auch nicht nach § 312 g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB ausgeschlossen. Demnach wäre das Widerrufsrecht ausgeschlossen für „Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch die Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind“. Diese zugunsten der Beklagten wirkende Ausnahmevorschrift zum allgemeinen Widerrufsrecht bei Außer-Geschäftsraum-Verträgen ist aber nicht anwendbar:

a) Anders als die Beklagte meint, handelt es bei den vorliegenden Glasanbau nicht um Waren im Sinne des § 312 g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB.

Dies könnte sich nach der Ansicht des Gerichts bereits daraus ergeben, dass der Glasanbau nur aus bereits vorgefertigten Teilen zusammengesetzt wird. Dies ist z. B. daran zu erkennen, dass in der nur rudimentär vorhandenen Planung (Anlage B2) sogar einige Maße offen geblieben sind. Daher hätte die Beklagte ohne weiteres die vorhandenen passenden Teile verwenden können. Auch im Übrigen wäre es der Beklagten möglich, die Teile ohne größeren Aufwand wieder auseinander zu nehmen. Dem stünde auch grundsätzlich nicht entgegen, dass möglicherweise einige wenige Teile auf besondere Längen zugeschnitten werden müssten (etwa für das Abflussrohr) und daher nicht ohne weiteres wieder verwendbar wären.

b) Letztlich kommt es jedoch auf diese Frage gar nicht an.

Denn bereits der Wortlaut der Regelung gefordert, dass die Waren auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers „zugeschnitten sind“. Diese Formulierung deutet darauf hin, dass ein Widerrufsrechts-Ausschluss erst stattfindet, wenn ein sprechender Zuschnitt vorgenommen worden ist. Denn „zugeschnitten sind“ ist eine sprachliche Verkürzung von „zugeschnitten worden sind“ und damit handelt sich um das Perfekt Passiv von „zuschneiden“.

Dieses Normverständnis deckt sich im Übrigen mit dem Ausgangstext der Verbraucherrechterichtlinie. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich den englischen und französischen Text des Art. 2 Abs. 4 der Verbraucherrechterichtlinie anschaut, da in beiden Texten das Partizip Perfekt Passiv verwendet wird. So heißt es in der englischen Fassung:

‚goods made to the consumer’s specifications’ means non-prefabricated goods made on the basis of an individual choice of or decision by the consumer

Das gleiche Partizip Perfekt Passiv was ich finde sich auch in der französischen Fassung:

«bien fabriqué d’après les spécifications du consommateur», bien non préfabriqué réalisé sur la base d’un choix individuel ou d’une décision du consommateur.

c) Eine solche Sichtweise überzeugt auch inhaltlich. Denn sie beschränkt das Widerrufsrecht des Verbrauchers nur in solchen Fällen, in denen der Unternehmer bereits durch die Maßanfertigung der Waren Vertrauen in den Bestand des Vertrages gelegt hat und aufgrund des Umstandes, dass er die Ware nicht mehr leicht weiterveräußern kann, auch besonders schutzwürdig ist.

Hat er jedoch die Maßanfertigung noch gar nicht vorgenommen, so ist ihm auch noch kein Schaden entstanden. Es wäre insofern unbillig, allein aufgrund des Umstandes, dass er eine Maßanfertigung noch in Zukunft vornehmen könnte und diese dann nicht mehr leicht verkäuflich wäre, dem Unternehmer bereits jetzt die Vorteile des Wegfalls des Widerrufsrechts ohne Grund zu gewähren.

Insofern trifft auch die Argumentation von Wendehorst auf die Zustimmung des Gerichts, wenn er genau eine solche zeitliche Grenze fordert. Einzig teilt das Gericht seine Auffassung nicht insoweit, als das Wendehorst die teleologische Reduktion des Normtext vorschlägt (MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312g Rn. 18), wohingegen sich nach der Auffassung des Gerichts bereits im Wortlaut selbst eine Stütze findet.

II.
Da der Vertrag jedenfalls wirksam widerrufen war, war aus Gründen der Prozessökonomie nicht weiter zu untersuchen, ob der Vertrag gemäß § 138 BGB nichtig gewesen wäre. Die Rechtsfolge eines bereicherungsrechtlichen Rückgewährverhältnisses nach § 812 BGB hätte sich im Ergebnis nicht von der des Widerrufsrechts unterschieden.

III.
Ebenso nicht zu entscheiden war, ob die Beklagte den Kläger dahingehend in Irre geführt haben könnte, dass sie angab, dass sich der Glasanbau wegen der geplanten Werbemaßnahmen von selbst finanzieren würde. Dies hätte zur Folge gehabt, dass die gezahlten 4000,00 € nach §§ 280 Abs.1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB zurückzuzahlen gewesen wären.

IV.
Die Pflicht zur Zahlung der Zinsen ergibt sich aus §§ 280 Abs.1, Abs. 2, 286, 288 BGB. Allerdings können Zinsen erst ab dem Zeitpunkt verlangt werden, an dem die Zahlung erfolgt war.
Eine Mahnung war nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB nicht erforderlich. Denn aufgrund des Widerrufs wusste die Beklagte, dass sie den Überweisungsträger nicht mehr einreichen durfte. Dass sie dennoch den Überweisungsträger eingereicht hat, stellt eine erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht da.

V.
Aus gleichem Grund kann auch Ersatz der Rechtsanwaltskosten unmittelbar aus § 280 Abs. 1 BGB verlangt werden.

VI.
Die Kosten ergeben sich aus §§ 91, 92 ZPO.

VII.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

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