Zur Ermittlung des lizenzanalogen Schadensersatzes beim Filesharing

23. März 2016
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Hörbücher gestapelt mit Kopfhörer Urteil des LG Düsseldorf vom 16.12.2015, Az.: 12 S 13/15

Wird ein Hörbuch mittels Filesharing öffentlich zugänglich gemacht, so wird die Höhe des lizenzanalogen Schadensersatzes unter Berücksichtigung der Länge des Zeitraums, innerhalb dessen das Hörbuch abrufbar war, der Popularität des Werks und des Brutto-Verkaufspreis in einem Portal, in dem das Hörbuch heruntergeladen werden kann, ermittelt.

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 16.12.2015

Az.: 12 S 13/15

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts vom 05.02.2015, Az.: 57 C 6204/14, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 300,00 € sowie weitere 506,00 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.08.2013 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

A.

Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche wegen der öffentlichen Zugänglichmachung des Hörbuchs mit dem Titel „E“ bestehend aus 7 CDs mit einer Gesamtlänge von ca. 515 Minuten über ein sog. Filesharing-System durch den Beklagten.

Der haftungsbegründende Tatbestand steht aufgrund der erstinstanzlichen Feststellungen, auf die Bezug genommen wird, fest. Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren allein noch über die Höhe des lizenzanalogen Schadensersatzes sowie die Höhe der Abmahnkosten.

Die Klägerin ist ausschließliche Inhaberin der Rechte des Tonträgerherstellers im Sinne von § 85 UrhG. Sie räumt keine Lizenzen für die öffentliche Zugänglichmachung in Tauschbörsen ein. Sie gestattet jedoch Drittunternehmen, das Hörbuch öffentlich zugänglich zu machen. Die für diese Werknutzung anfallenden Lizenzgebühren bemisst sie nach einer sog. „Abruflizenz“, das heißt, derjenige, der den Download des Hörbuches anbietet, hat pro Downloadvorgang einen Anteil des Verkaufspreises an die Klägerin zu zahlen.

Die Klägerin ist der Ansicht, der an sie zu leistende lizenzanaloge Schadensersatz müsse mindestens 300,00 € betragen. Verständige Vertragsparteien würden sich auf eine Angebots-, keine Verkaufs-/ Abruflizenz einigen, da die Anzahl der Abrufe in Tauschbörsen nicht messbar und folglich im Unterschied zu einem konkreten Angebotszeitraum der Kontrolle von Lizenznehmer und -geber entzogen sei. Bei der Bemessung des lizenzanalogen Schadensersatzes seien zudem die Gefahren, die sog. „Tauschbörsen“ mit sich bringen (insbesondere unbegrenzte Vervielfältigung und Multiplikation der Werknutzer), zu berücksichtigen.

Das Amtsgericht hat der Klage mit Urteil vom 05.02.2015 teilweise, nämlich dem Antrag auf Zahlung eines lizenzanalogen Schadensersatzes in Höhe von 198,00 € und dem Antrag auf Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 153,00 €, stattgegeben und die Klage im Übrigen (Schadensersatzanspruch: 102,00 € und Abmahnkosten: 353,00 €) abgewiesen. Das Ergebnis der Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Amtsgericht damit begründet, dass der private Nutzer eines Filesharing-Systems in Ermangelung eines kommerziellen Interesses nicht mit einem gewerblichen Lizenznehmer verglichen werden könne. Es bestehe ein Unterschied zu der typischen Situation im Urheberrecht, bei der ein kommerzieller Marktteilnehmer in eigener Gewinnerzielungsabsicht unerlaubt auf fremde urheberrechtlich geschützte Inhalte zugreife. In Fortsetzung dieser Erwägungen hat das Amtsgericht sich an dem auf dem Markt erzielbaren Lizenzeinnahmen für einen Einzeldownload über einen legalen Anbieter orientiert und diesen „mit der Anzahl der unter Berücksichtigung der besonderen Eingriffsintensität des Filesharing berücksichtigungsfähigen Downloads“ multipliziert. Der sich danach ergebende Lizenzpreis liege üblicherweise bei durchschnittlich 50 % des Bruttoverkaufspreises. Dabei hat das Amtsgericht den Bruttoverkaufspreis des Hörbuchs auf 9,90 € geschätzt. Die berücksichtigungsfähigen Downloads hat das Gericht auf eine Anzahl von 40 Stück geschätzt und auf dieser Grundlage folgende Berechnung vorgenommen: 9,90 € / 2 * 40 = 198,00 €. Den Gegenstandswert des für die Bemessung der Abmahnkosten maßgeblichen Unterlassungsbegehrens hat das Amtsgericht mit dem 10-fachen des mit 198,00 € geschätzten Schadensersatzes angesetzt.

Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hält an ihrem ursprünglichen Antrag auf Zahlung eines lizenzanalogen Schadensersatzes in Höhe von insgesamt 300,00 € sowie auf Zahlung von Abmahnkosten – auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von 10.000,00 € und einer 1,0 Geschäftsgebühr – in Höhe von 506,00 € fest. Die Klägerin rügt eine ermessensfehlerhafte Schadensschätzung, insbesondere die Privilegierung des privaten Fileshares gegenüber dem kommerziellen Nutzer urheberrechtlich geschützter Werke. Zudem habe das Amtsgericht bei dem Einsatz des Lizenzbetrags für die öffentliche Zugänglichmachung außerhalb eines Filesharing-Systems übersehen, dass kein Schadensersatz wegen der Vervielfältigung des Hörbuches geltend gemacht werde, sondern wegen dessen öffentlicher Zugänglichmachung. Selbst dann, wenn man die Berechnung des Amtsgerichts zugrundelege, seien die angesetzten konkreten Werte fehlerhaft. Insbesondere sei der Multiplikator von 40 Downloads vor dem Hintergrund der Dauer der feststehenden Rechtsverletzungen willkürlich und zu niedrig angesetzt. Der Gegenstandswert für die Abmahnkosten sei formelhaft und ohne Ausübung des gerichtlichen Ermessens festgesetzt worden.

Wegen des Parteivorbringens im Rahmen des Berufungsverfahrens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll zur Sitzung vom 02.12.2015 Bezug genommen.

B.

Die nach § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO statthafte und im Übrigen zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 300,00 € gem. § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG zu.

Berufungsgegenstand ist die Höhe des nach § 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG geltend gemachten lizenzanalogen Schadensersatzes. Nach der Vorschrift kann der Geschädigte die Lizenzgebühr verlangen, die ein vernünftiger Lizenzgeber bei vertraglicher Einräumung gefordert und ein vernünftiger Lizenzgeber gewährt hätte, wenn beide die im Zeitpunkt der Entscheidung gegebene Sachlage gekannt hätten (v. Wolff, in: Wandtke/ Bullinger, UrhG, Kommentar, 4. Auflage, 2014, § 97, Rn. 74). Die Schadenshöhe kann dabei nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände im Wege des freien richterlichen Ermessens geschätzt werden.

Dies berücksichtigend kann vorliegend angenommen werden, dass sich verständige Vertragsparteien mindestens auf einen Betrag von 300,00 € als Lizenz für die öffentliche Zugänglichmachung des Hörbuchs in einem Filesharing-System in dem festgestellten Umfang verständigt hätten.

Die Kammer sieht in einigen der von dem Amtsgericht zugrunde gelegten Faktoren geeignete Anhaltspunkte für eine nach den dargestellten Grundsätzen vorzunehmenden Schadensschätzung. Eine sich an der unterschiedlichen Zielrichtung der Nutzung eines Filesharing-Systems orientierende Differenzierung zwischen einem kommerziellen Anbieter und einem privaten Nutzer ist jedoch nicht gerechtfertigt. Sie findet weder im Urheberrechtsgesetz, das allein an den Nutzungsumfang und nicht die Zielsetzung der Nutzung anknüpft, noch in den dargestellten Grundsätzen der Lizenzanalogie einen Ausdruck.

Im Rahmen der Schadensschätzung ist der Vortrag der Klägerin zu beachten, dass der Umstand, dass die Anzahl der Downloads bei Filesharing-Systemen nicht messbar ist, im Rahmen von Vertragsverhandlungen derart Berücksichtigung gefunden hätten, dass sich die Lizenzgebühr an dem Zeitraum, innerhalb dessen das streitgegenständliche Hörbuch zum Abruf zur Verfügung gestellt werden sollte, orientiert hätte. Auch die Popularität des Hörbuchs würde bei verständiger Würdigung Eingang in Vertragsverhandlungen für die streitgegenständliche Nutzung finden, denn diese bietet einen Anknüpfungspunkt für den Mindestumfang, in dem vermutlich auf das Hörbuch zugegriffen wird. Das streitgegenständliche Hörbuch war über einen Zeitraum von 15 Stunden abrufbar. Weiter ist zu beachten, dass dem Genre, dem das Hörbuch zuzuordnen ist, grundsätzlich keine Beschränkung auf einen nur bestimmten, kleinen Adressatenkreis zu entnehmen ist. Das Hörbuch befand sich zwar nicht mehr in seiner akuten Verwertungsphase – die Erstveröffentlichung erfolgte im Jahre 2009 – wohl aber können ihm eine gewisse Bekannt- und Beliebtheit nicht abgesprochen werden. Wie die screenshots aus dem Schriftsatz vom 15.07.2014 erkennen lassen, erschien das Hörbuch auch als Buch, in einer Reihe mit weiteren Werken des Autors, beispielsweise „E2“.

Auch ist im Rahmen der Grundsätze der Lizenzanalogie eine Orientierung an dem Brutto-Verkaufspreis eines Portals, bei dem das Hörbuch heruntergeladen werden kann, im Grundsatz gerechtfertigt (BGH, Urt. v. 11.06.2015, Az.: I ZR 19/14, Rn. 58, zitiert nach BeckRS 2015, 20064). Ein Lizenzgeber hätte einem Lizenznehmer entgegenhalten können, dass durch die Verbreitung über ein Filesharing-System Einbußen im Zusammenhang mit anderen Vertriebswegen für das Hörbuch entstehen. Denn derjenige, der das streitgegenständliche Hörbuch über ein Filesharing-System herunterlädt, erwirbt es nicht über ein kommerzielles Downloadportal, an dessen Vertrieb die Klägerin – anders als bei der Nutzungshandlung durch den Beklagten – mit 40 % des Netto-Verkaufspreises beteiligt gewesen wäre. Zwar könnte sich der Lizenzgeber dem Argument, dass nicht jeder der das Hörbuch über das Filesharing-System abruft, auch ein potenzieller Erwerber über ein kommerzielles Downloadportal ist, nicht entziehen. Dies ändert aber nichts daran, dass zumindest auch solche Personen über das Filesharing-System auf das Hörbuch zugreifen, die es ansonsten über ein Downloadportal käuflich erworben hätten.

Diese Erwägungen berücksichtigend ist die Annahme einer Lizenzhöhe von mindestens 300,00 € angemessen.

2.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten für das Abmahnschreiben vom 28.02.2011 gem. § 97a Abs. 1 Satz 2 UrhG a. F. in Höhe von 506,00 € zu.

a)

Die Abmahnung ist wirksam, sie erfüllt die erforderlichen Mindestanforderungen an den Inhalt eines Abmahnschreibens.

Eine Verpflichtung zur Erstattung von Abmahnkosten besteht nicht, wenn die Abmahnung die Mindestanforderungen an ein Abmahnschreiben nicht erfüllt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.11.2011, Az.: I-20 W 132/11, Rn. 4, zitiert nach juris). Zur Abmahnung gehört, dass der Abmahnende die Rechtsverletzung und seine Sachbefugnis darlegt, also kundtut, weshalb er sich für berechtigt hält, den beanstandeten Verstoß zu verfolgen (a. a. O.).

In diesem Zusammenhang steht insbesondere der Umstand, dass der dem Abmahnschreiben beigefügte Entwurf einer Unterlassungserklärung sich pauschal auf die geschützten Werke der Unterlassungsgläubigerin bezogen hat, ohne eine Liste dieser Werke vorzulegen, dem Erstattungsanspruch in dem hier vorliegenden Fall nicht entgegen. Wie die auf das streitgegenständliche Hörbuch beschränkt abgegebene Unterlassungserklärung des Beklagten (Anlage K 4-3, Bl. 74 GA) zeigt, hat das Abmahnschreiben die Rechtsverletzung, die es zum Gegenstand hatte, so deutlich erkennen lassen, dass der Abgemahnte auf dieser Grundlage erkennen konnte, ob er eine Unterlassungserklärung abgibt oder nicht. Damit hat das Abmahnschreiben der Klägerin – im Ergebnis – seinen Zweck, nämlich die Vermeidung eines Rechtsstreits im Hinblick auf den Unterlassungsanspruch, erfüllt.

b)

Die Abmahnkosten sind auch in der geltend gemachten Höhe entstanden.

Der Ansatz eines Gegenstandswertes von 10.000,00 € erscheint angemessen.

Der Gegenstandswert für ein Abmahnschreiben entspricht gem. § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG, § 12 Abs. 1 GKG dem Streitwert der Hauptsacheklage, der gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO nach freiem Ermessen auf der Grundlage des objektiven Interesses des Klägers an der Erlangung des von ihm begehrten Rechtsschutzes festzusetzen ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.01.2014, Az.: I-20 W 40/13).

Nach dieser Maßgabe hält das Gericht den Ansatz eines Gegenstandswertes von 10.000,00 € für das Unterlassungsbegehren für angemessen. Der Wert spiegelt das durch die Gefährlichkeit und Schädlichkeit des Verstoßes bestimmte Interesse wider. Gefährlichkeit und Schädlichkeit des Verstoßes sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass der öffentlichen Zugänglichmachung über ein sog. Filesharing-System eine unendliche Weiterverbreitung immanent ist. Diese Gefährlichkeit erfährt keine Einschränkung dadurch, dass der Verletzer eine Absicht einer gewerblichen Nutzung nicht hatte. Es handelt sich zudem um ein nicht völlig unbedeutendes Hörbuch, sondern um ein solches, das einen gewissen Adressatenkreis erreicht – insoweit wird auf die Ausführungen zur Höhe des lizenzanalogen Schadensersatzes verwiesen.

Auf der Grundlage der bis zum 31.07.2013 geltenden RVG-Tabelle und bei Ansatz einer 1,0 Gebühr ergibt sich der von der Klägerin geltend gemachte Betrag in Höhe von 506,00 €.

3.

Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergehen nach §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO), besteht nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Streitwert für die Berufung:             455,00 €

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