Wahrscheinlichkeit der Wahrheit einer Behauptung im Verfügungsverfahren

05. August 2014
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Urteil des OLG Hamburg vom 06.05.2014, Az.: 7 U 47/12

Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist für die Überzeugungsbildung des Gerichts nicht erforderlich, dass die Überzeugung frei von allen Zweifeln ist. Vielmehr reicht es aus, wenn ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit vorliegt.

Oberlandgericht Hamburg

Urteil vom 06. Mai 2014

Az.: 7 U 47/12

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9. März 2012, Az. 324 O 657/10, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die einstweilige Verfügung vom 18. Januar 2011 wird aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Entscheidungsgründe

I. Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil, mit dem das Landgericht eine einstweilige Verfügung bestätigt hat, mit der ihr untersagt worden ist, Fernsehaufnahmen erneut zu verbreiten, die sie in den Münchener Praxisräumen des Antragstellers gefertigt hat, und durch die in dem Beschluss näher bezeichnete Äußerung den Eindruck zu erwecken, dass der Antragsteller in seiner Münchener Arztpraxis Patienten Eigenblutpräparate mit nach Hause gegeben habe.

Der Antragsteller ist Arzt und unterhält Arztpraxen in München und Salzburg. Er behandelt gegen Entgelt Krebspatienten. Zu seiner in der Wissenschaft umstrittenen Therapie gehört es unter anderem, Patienten Blut abzunehmen, dieses zu bearbeiten, und es den Patienten wieder zu infiltrieren. In Deutschland darf – anders als in Österreich – eine solche Infusion nicht außerhalb der Räume der Arztpraxis erfolgen. Die Antragsgegnerin ist eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt; sie strahlt u.a. das Fernsehmagazin Wiso aus. In dessen Ausgabe vom 6. Dezember 2010 (Mitschrift Anlage Ast 3) wurde behauptet, dass in der Münchner Praxis des Antragstellers Patienten Eigenblutpräparate mit nach Hause gegeben würden, und es wurden ohne Einwilligung des Antragstellers Bildaufnahmen aus den Innenräumen seiner Münchner Arztpraxis gezeigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen – insbesondere die beigefügten eidesstattlichen Versicherungen -, die Niederschriften über die Termine zur mündlichen Verhandlung und die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9. 3. 2012, 324 O 657/10 sowie die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 18.1.2011 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat im Termin am 28. Januar 2014 den Antragsteller persönlich gehört und die von ihm sistierte Zeugin … vernommen.

II. Die Berufung der Antragsgegnerin ist zulässig. Sie ist auch in der Sache begründet. Dem Antragsteller steht gegen die Antragsgegnerin kein Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung der angegriffenen Äußerung und der Fernsehaufnahmen zu.

Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin nicht verlangen, es zu unterlassen zu verbreiten, dass Patienten Ampullen mit dem Eigenblutpräparat ausgehändigt erhalten hätten. Dass der Antragsteller selbst Patienten solche Ampullen ausgehändigt hätte, wird in dem Fernsehbeitrag nicht gesagt, ein entsprechender Eindruck wird auch nicht erweckt, da der Beitrag dem Zuschauer nicht vermittelt, dass die Patienten während der Behandlung nur mit dem Antragsteller Kontakt hätten und nicht auch mit dessen Personal. In der beanstandeten Berichterstattung wird allerdings ausgesagt, dass Patienten in der Münchner Arztpraxis des Antragstellers Ampullen des Eigenblutpräparates ausgehändigt erhielten. Da eine solche Aushändigung gegen deutsches Arzneimittelrecht verstößt, stellt diese Äußerung eine Behauptung dar, die geeignet ist, den Antragsteller im öffentlichen Ansehen herabzusetzen, so dass ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB und § 186 StGB im Raume steht mit der Folge, dass es der Antragsgegnerin obliegt, vorzutragen und – im Verfügungsverfahren – glaubhaft zu machen, dass diese Behauptung zutrifft. Diese Glaubhaftmachung ist der Antragsgegnerin indessen gelungen.

Der Antragsteller weist allerdings zu Recht darauf hin, dass die von der Antragsgegnerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen von … und … im Hinblick auf die streitige Behauptung unergiebig sind, weil sie Vorgänge betreffen, die sich in der Salzburger Arztpraxis des Antragstellers abgespielt haben sollen. Dem Antragsteller mag auch darin zu folgen sein, dass die eidesstattlichen Versicherungen der für die Antragsgegnerin tätigen Journalisten, die den Antragsteller und … unter dem Vorwand aufgesucht hatten, sie hätten einen krebskranken Vater, der sich von dem Antragsteller behandeln lassen wolle, allein nicht ausreichen würden, um hinreichend zu belegen, dass es zur Aushändigung von Ampullen an Patienten komme; denn insoweit liegen mit den eidesstattlichen Versicherungen des Antragstellers und der Zeugin … und deren Zeugenaussage Glaubhaftmachungs- bzw. Beweismittel vor, die geeignet sein mögen, die Bekundung der Journalisten, ihnen sei gesagt worden, dass sie solche Ampullen erhalten würden, zu erschüttern. Die Antragsgegnerin hat aber weitere Glaubhaftmachungsmittel vorgelegt, die den Vortrag, Patienten würden in der Münchener Praxis des Antragstellers Ampullen mit Eigenblut ausgehändigt, so wahrscheinlich machen, dass sie ausreichen, um eine für das Verfügungsverfahren hinreichende Wahrscheinlichkeit der Wahrheit dieser Behauptung zu begründen.

Letztendlich nicht hinreichend zu widerlegen vermag der Antragsteller insbesondere den mit den eidesstattlichen Versicherungen von …, … und … glaubhaft gemachten Sachverhalt. Diese Angehörigen jeweils unterschiedlicher Patienten, die von dem Antragsteller vor deren Tod behandelt worden sind, versichern an Eides Statt, dass ihnen in den Münchner Praxisräumen des Antragstellers Ampullen mit Eigenblutpräparaten ausgehändigt worden sind, die sie ihren Angehörigen außerhalb der Praxisräume des Antragstellers infiltrieren sollten. Daran, dass diese Bekundungen zutreffend sind, bestehen keine durchgreifenden Zweifel. Obwohl die betroffenen Patienten jeweils unabhängig voneinander in der Münchener Praxis des Antragstellers behandelt wurden und nicht ersichtlich ist, dass die Angehörigen untereinander in Kontakt stünden, geben sie die Anweisungen, die ihnen bei Aushändigung der Ampullen erteilt worden sind, identisch wieder, nämlich dahingehend, dass die Ampullen zunächst gefroren aufzubewahren seien und vor der Gabe an den Patienten auf lauwarme Temperatur zu bringen seien. Diese Art der Behandlung ergibt sich nicht aus der Sache selbst, so dass fernliegend ist, dass die jeweiligen Angehörigen sich diese Art der Behandlung jeweils unabhängig voneinander ausgedacht haben. … hat zudem plastisch geschildert, welche Schwierigkeiten es ihm, der in München nicht über eine Bleibe mit einem Tiefkühlschrank verfügt hat, bereitet habe, einen Ort zu finden, an dem er die Ampullen gefroren aufbewahren könne. Soweit der Antragsteller durch eidesstattliche Versicherung von … glaubhaft zu machen sucht, dass … die Ampullen nicht, wie in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben, an einem Mittwoch, dem 13. September 2006 hätten ausgehändigt werden können, steht dem entgegen, dass es in der eidesstattlichen Versicherung vom 21. August 2008 lediglich heißt „soweit erinnerlich“, so dass dieser Umstand allein nicht als entscheidend angesehen werden kann. Die eidesstattlichen Versicherungen werden auch nicht dadurch entwertet, dass die betroffenen, von dem Antragsteller behandelten Patienten sämtlich verstorben sind und ihre Angehörigen deswegen möglicherweise Anlass haben könnten, dem Antragsteller zu zürnen und deshalb aus persönlichen Motiven die Unwahrheit zu bekunden; denn zum einen könnte diese Motivationslage nicht erklären, weshalb alle Angehörigen die gleiche Art der Anwendung schildern, die ihnen bei Aushändigung der Ampullen vorgeschrieben worden ist, zum anderen wäre nicht so recht einsichtig, weshalb, wenn denn schon die Bekundungen zum Nachteil des Antragstellers sollten erfunden worden sein, sie sich ausgerechnet auf einen Punkt beziehen sollten, der – im Vergleich zu den weiteren gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfen – von eher untergeordneter Bedeutung ist, ist doch die Aushändigung von Eigenblutpräparaten ein Vorgang, der nur in Deutschland, nicht aber in dem unmittelbar angrenzenden Österreich vom Gesetz verboten ist. Eine weitere Stütze findet der Vortrag der Antragsgegnerin daher schließlich auch in der eidesstattlichen Versicherung der ehemaligen Mitarbeiterin … des Antragstellers, die bekundet hat, dass unter ihren Kollegen während ihrer Tätigkeit in der Münchener Praxis des Antragstellers darüber gesprochen worden sei, dass Ampullen mit dem Eigenblutpräparat an Patienten herausgegeben würden und Patienten angerufen und neue Ampullen angefordert hätten. Da die Mitarbeiterin im Streit aus dem Dienst des Antragstellers ausgeschieden ist, kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sie Anlass hätte, zu Lasten des Antragstellers die Unwahrheit zu bekunden; auch das erscheint hier indessen insoweit unwahrscheinlich, als sich ihre Bekundungen auf einen Punkt beziehen, der in der Kritik an dem Antragsteller nur einen Randpunkt bildet. Die Bekundungen von …, dass sie in München Ampullen mit Eigenblut nicht an Patienten herausgegeben habe und der Antragsteller das den Mitarbeitern auch untersagt habe, steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil … an den geschilderten Vorgängen nicht unmittelbar beteiligt war.

Unter Zugrundelegung der vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze für die Überzeugungsbildung, nach denen eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht gefordert werden darf, sondern sich das Gericht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss (BGH, Urt. v. 11.12.2012, NJW 2013, S. 790 ff., 791), sind die von der Antragsgegnerin vorgelegten Glaubhaftmachungsmittel daher auch unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller vorgelegten Glaubhaftmachungs- und Beweismittel ausreichend, um ihren Vortrag als glaubhaft gemacht anzusehen.

Da danach davon auszugehen ist, dass es in der Münchener Praxis des Antragstellers zu einer – vom deutschen Gesetz nicht zugelassenen – Aushändigung von Ampullen an Patienten gekommen ist, ist auch die Veröffentlichung der beanstandeten Fernsehaufnahmen als zulässig anzusehen. Insoweit ist im Rahmen eines Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB zwischen dem aus Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Antragstellers bzw. seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und dem in Art. 5 Abs. 1 GG wurzelnden Recht der Antragsgegnerin auf freie Berichterstattung abzuwägen. Danach ist die Antragsgegnerin als Sendeanstalt als grundsätzlich berechtigt anzusehen, über von ihr aufgedeckte Missstände auch unter Bildbeigabe zu berichten. Die von ihr gezeigten Bilder stehen mit den berichteten Vorgängen auch in unmittelbarem Zusammenhang. Der Antragsteller wird durch ihre Verbreitung demgegenüber nicht schwerwiegend in seinen Rechten verletzt, da die Praxisräume ohnehin einem größeren Personenkreis einsehbar sind und er nur in seiner Berufssphäre betroffen ist (vgl. dazu BGH, Urt. v. 21.11.2006, GRUR 2007, S. 350 ff., 351).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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