Bezeichnung „Stadtwerke“ ist nichts für Private

28. Januar 2010
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Eigener Leitsatz:

Die Verwendung der Bezeichnung "Stadtwerke" durch ein privates Gasversorgungsunternehmen stellt eine unlautere Werbung dar. Nach dem OLG Hamm assoziiert der Verbraucher mit dem Begriff "Stadtwerke" ein Versorgungsunternehmen, das einen Bezug zu einem kommunalen Träger aufweist. Wirbt ein bundesweit tätiges Gasversorgungsunternehmen mit diesem Begriff, ist daher darin eine Irreführung der Verbraucher und somit eine unzulässige Wettbewerbshandlung zu sehen.

Oberlandesgericht Hamm

Urteil vom 08.12.2009

Az.: 4 U 128/09

 

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. Juni 2009 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bochum wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es im Tenor zu 1 a statt „eines Gasversorgungsunternehmens“ richtig „ihres Gasversorgungsunternehmens“ und im Tenor zu 1 b statt „eines …. Geschäftsbetriebes“ richtig „ihres … Geschäftsbetriebes“ heißt.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerinnen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 300.000,- EUR abzuwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand:

Die Klägerinnen versorgen die Einwohner der Städte X bzw. I, den Handel und das ansässige Gewerbe mit Strom, Gas und Wärme. Die Klägerinnen sind zwar privatrechtlich organisiert, Inhaber aller Geschäftsanteile bzw. Aktien sind aber die Städte X, I und C.

Die Beklagte befindet sich vollständig in privatem Besitz. Sie bietet Kunden insbesondere über das Internet die Versorgung mit Gas an. Wegen ihres Internetsauftritts wird insbesondere auf das Anlagenkonvolut S und B 1 Bezug genommen.

Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Verwendung der Bezeichnung "Stadtwerke" in der früheren Firmierung der Beklagten sowie in dem werblichen Hinweis, dass die Beklagte ein modernes Stadtwerk sei, sei irreführend für die angesprochenen Verbraucher. Als "Stadtwerke" würden nach dem Verständnis der Verbraucher kommunale Versorgungsunternehmen bezeichnet oder zumindest gemeindenahe Betriebe, die die Grundversorgung der Bevölkerung mit Strom, Wasser und Gas abdeckten.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 30. Juni 2009 antragsgemäß gegenüber der Beklagten wie folgt für Recht erkannt:

1.

Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen,

a) zur Förderung des Wettbewerbs Dienstleistungen eines Gasversorgungsunternehmens unter Verwendung des Begriffs "Stadtwerke" wie nachfolgende abgebildet zu bewerben

b) den Begriff "Stadtwerke" zur Kennzeichnung oder als Teil der Kennzeichnung eines auf die Erbringung von Dienstleistungen der Energieversorgung mit Erdgas gerichteten Geschäftsbetriebes zu verwenden;

2.

Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtungen gemäß vorstehenden Ziffern 1. a) und b) ein Ordnungsgeld bis zu sechs Monaten angedroht, wobei die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf;

3.

Die Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen unverzüglich Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die vorstehend unter Ziffern 1. a) und b) genannten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe des Umfangs der betriebenen Werbung, gegliedert nach Werbeträgern unter Angabe von Auflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
   
4.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen allen Schaden zu ersetzen, der diesen durch die vorstehend unter Ziffer 1. a) und b) genannten Handlungen entstanden ist und möglicherweise noch entsteht;

5.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen als Gesamtgläubiger 3.303,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.02.2009 zu zahlen.

Das Landgericht hat eine Täuschung der Beklagten im Hinblick auf ihre geschäftlichen Verhältnisse bejaht und ausgeführt, mit dem Begriff "Stadtwerke" assoziiere der Verkehr ein Unternehmen der Daseinsvorsorge, das einen Bezug zum kommunalen Träger ausweise. Der Verkehr erwarte eine Verbindung zu einer Stadt, die dieser eine Einflussmöglichkeit auf die Geschäftspolitik verschaffe und die das Unternehmen in einer finanziellen Krise auffange. In vielen Fällen könne noch die Erwartung hinzu kommen, dass die Erlöse jedenfalls teilweise der Gemeinschaft zugute kämen. Sollten auch andere Unternehmen in rein privater Trägerschaft die Bezeichnung "Stadtwerke" führen, habe dies in der Region auf das Vorstellungsbild der Verbraucher keinen Einfluss genommen. Der Irreführung stehe nicht entgegen, dass die Firmierung der Beklagten nicht auf eine konkrete Stadt hindeute. Auch in dem Falle bleibe es bei der generellen Erwartung.

Das Landgericht hat auch die wettbewerbsrechtliche Relevanz der Täuschung bejaht. Diese werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Verbraucher möglicherweise erkennen könne, dass die Beklagte keinerlei Bezug zu einer Stadt habe.

Wegen des Inhaltes des Urteiles im Einzelnen wird auf Blatt 155 ff d.A. verwiesen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag aus erster Instanz weiterverfolgt.

Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages ist die Beklagte weiterhin der Auffassung, dass der Verbraucher mit dem Begriff Stadtwerke lediglich ein beliebiges Unternehmen der Daseinsvorsorge assoziiere. Deshalb führe der Gebrauch dieses Begriffes durch die Beklagte den Verbraucher auch nicht in die Irre. Inzwischen wiesen eine Reihe derartiger Unternehmen, die ebenfalls die Bezeichnung "Stadtwerke" trügen, keine kommunale Beteiligung mehr auf. Die Beklagte wolle sich lediglich in die übliche Terminologie ihrer Mitkonkurrenten einreihen. Selbst wenn aber eine Irreführung in Betracht käme, so fehle ihr jedenfalls die wettbewerbsrechtliche Relevanz. Darüber hinaus würde ein etwaiger Irrtum über eine angebliche Verbundenheit der Beklagten mit einem städtischen Unternehmen zum Zeitpunkt der endgültigen Marktentscheidung eines zunächst getäuschten Verbrauchers bereits aufgeklärt.

In ihrer Berufungsbegründung stellt die Beklagte dar, wie viele Kunden sie beliefere, wie sie personell aufgestellt sei und aufgrund welcher Verträge die L GmbH von Gaserzeugern Gas beziehe (vgl. im Einzelnen Berufungsbegründung Bl. 196 ff d.A.).

Angesichts dieser geschilderten Umstände hält die Beklagte die Ansicht des Landgerichts für überholt, der Begriff "Stadtwerke" sei für kommunale Unternehmungen reserviert. Die Ansicht des Landgerichts sei auch deshalb nicht zu teilen, weil seit 2005 die Trennung des Netzbetriebes von den im Wettbewerb stehenden Aufgaben "Erzeugung und Versorgung" vorgeschrieben sei. Zu berücksichtigen sei ferner, dass es mittlerweile in Deutschland Stadtwerke gebe, die nicht mehr von Kommunen gehalten würden (vgl. die Beispielsfälle in der Berufungsbegründung Bl. 197 ff d.A.).

Die Beklagte behauptet, infolge intensiver Berichterstattung seien diese Fälle dem Verbraucher auch bekannt, so dass er gerade keinen Bezug zu einem kommunalen Träger mehr bei der Bezeichnung "Stadtwerke" erwarte.

Nicht zu teilen sei ferner die Annahme des Landgerichts, die Kommunen hätten Einfluss auf die Geschäftspolitik und die Städte fingen wirtschaftliche Krisen von Stadtwerken auf. Von einer Insolvenzfestigkeit könne keine Rede sein. Dazu verweist die Beklagte auf die Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz (Kreisgrundversorgungsordnung) und die Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes. Die Insolvenz eines Anbieters wirke sich auf die Verbraucher nicht aus, weil der Grundversorger die Versorgung übernehme. Selbst wenn die Beklagte insolvent werden sollte, entstünde dem Kunden kein Schaden. Falsch sei auch die Annahme des Landgerichts, dass in vielen Fällen erwartet werde, dass Erlöse jedenfalls teilweise der Gemeinde zugute kämen.

Ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte das Landgericht auch nicht über das Vorstellungsbild der Verbraucher entscheiden dürfen. Ein demoskopisches Gutachten hätte das von der Beklagten behauptete Verbraucherverständnis bestätigt.

Nicht überzeugen könne auch die Ansicht des Landgerichts, es sei unerheblich, dass in der Firmierung der Beklagten der Begriff "Stadtwerke" ohne Bezug zu einer Stadt stehe. Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagte ausschließlich im Internet werbe und auf den ersten Blick erkennbar sei, dass sie bundesweit tätig sei und dass sie ein rein privates Unternehmen ohne kommunale Beteiligung sei.

Hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Relevanz einer Täuschung sei zu berücksichtigen, dass es dem Verkehr nicht entscheidend darauf ankomme, dass ein kommunaler Bezug bestehe. Es gebe keine Tatsachen dafür, dass kommunale Unternehmen von Verbrauchern gegenüber privaten Unternehmen bevorzugt würden. Auch hier habe das Landgericht nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens davon ausgehen dürfen, dass Verbraucher mit kommunalen Unternehmen nur Positives assoziierten. Entscheidend sei für den Kunden allein der Preis.

Die Beklagte beantragt,

das Endurteil des Landgerichts Bochum vom 30. Juni 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen und zwar mit der Maßgabe, dass es im Tenor zu 1 a statt "eines Gasversorgungsunternehmens" richtig "ihres Gasversorgungsunternehmens" und im Tenor zu 1 b statt "eines …. Geschäftsbetriebes" richtig "ihres … Geschäftsbetriebes" heißt.

Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages verteidigen die Klägerinnen das angefochtene Urteil, das für sie in einer Reihe gleichartiger Entscheidungen steht, wegen deren Auflistung im Einzelnen auf die Berufungserwiderung Blatt 221 ff der Akten verwiesen wird.

Die Beklagte vermenge auch die Fragestellungen. Die Grundversorgung der Kunden im Falle der Insolvenz ihres Gasanbieters bedeute gerade nicht, dass Gasanbieter insolvenzfest seien. Das vom Grundversorger geforderte Entgelt könne auf einem völlig anderen Preisniveau liegen, als das vom Kunden mit dem Gasversorger vereinbarte Entgelt. Das Landgericht habe auch kein Sachverständigengutachten zur Auffassung der Verkehrskreise einholen müssen. Hier gehe es nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um die Anwendung eines speziellen Erfahrungswissens.

Auch den Vorwurf der Beklagten, das Landgericht habe dem fehlenden lokalisierenden Zusatz keine Bedeutung beigemessen, lassen die Klägerinnen nicht gelten.

Zur Frage der wettbewerbsrechtlichen Relevanz der Irreführung betonen die Klägerinnen, dass der Verbraucher mit dem Begriff Stadtwerke eine Vielzahl konkreter Vorstellungen über die gesellschaftsrechtlichen Hintergründe, ihre Insolvenzfestigkeit, ihre vorrangigen Aufgaben und unternehmerischen Ziele verknüpfe. Die Irreführung durch die Beklagte führe zu einer Fehlvorstellung, die ohne weiteres geeignet sei, das Marktverhalten der Verbraucher wesentlich zu beeinflussen.

Wegen des Inhaltes der Parteivorträge im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Akte 4 U 129/09 OLG Hamm war beigezogen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht gegen die Beklagte in vollem Umfang erkannt.

Die Verbotsanträge sind jedenfalls nach der Klarstellung durch die Klägerinnen im Senatstermin hinreichend bestimmt, als sich das Verbot nunmehr auch sprachlich auf den Geschäftsbetrieb der Beklagten ausdrücklich bezieht.

Dem Verbotsantrag zu a) kommt auch im Vergleich zu dem Verbotsantrag zu b) ein selbständiger Bedeutungsgehalt zu. Der Antrag zu a) richtet sich gegen die konkrete Werbung. Der Antrag zu b) soll sich gegen die Firmierung richten. In der Werbung der Beklagten kann aber zweifelhaft sein, ob der Begriff "Stadtwerke" firmenmäßig gebraucht wird oder nur beschreibend (vgl. Internetausdruck Bl. 21 d.A.: "… Damit sind wir ein modernes Stadtwerk. …"). Ist letzteres der Fall, würde das Verbot zu b) die Werbung nicht erfassen. Von daher kann den Klägerinnen nicht abgesprochen werden, die Werbung gesondert verboten wissen zu wollen. Andernfalls wären die Klägerinnen nicht umfassend genug geschützt.

Die Verbotsbegehren sind auch begründet.

Den Klägerinnen steht ein Unterlassungsanspruch nach §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3, 5 Abs. 2 Nr. 3 UWG 2004 und 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG 2008 zu. Das UWG 2004 ist hier auch noch zu beachten, weil die Verletzungshandlung bereits im Dezember 2008 und damit vor Inkrafttreten des UWG 2008 begangen wurde. Die Beklagte hat mit den beanstandeten Bezeichnungen relevante irreführende Angaben über geschäftliche Verhältnisse und die Eigenschaften ihres Unternehmens gemacht. Sie hat eine unlautere Wettbewerbshandlung i.S.d. § 3 UWG 2004 bzw. eine unzulässige geschäftliche Handlung i.S.d. § 3 Abs. 1 UWG 2008 begangen.

Die sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG ergebende Klagebefugnis der Klägerinnen wird von keiner Seite in Frage gestellt. Es ist unstreitig, dass zwischen den Klägerinnen als regionalen Gasversorgungsunternehmen und der Beklagten als im Internet und damit bundesweit tätigem Gasversorgungsunternehmen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht.

Die werbende Bezeichnung des Unternehmens der Beklagten mit "Stadtwerke" ist zugleich eine Wettbewerbshandlung im früheren Sinne und eine geschäftliche Handlung i.S.d. UWG 2008.

In der Verwendung der beanstandeten Bezeichnung "Stadtwerke" in der früheren Firmierung der Beklagten im Internet und in der Internetwerbung für günstiges Gas mit der Aussage "damit sind wir ein modernes Stadtwerk" ist eine Irreführung in Form einer Täuschung über ihre geschäftlichen Verhältnisse zu sehen. Die verwendete Bezeichnung "Stadtwerke" für das Unternehmen der Beklagten im Internet ist in solcher Weise irreführend, da sie jedenfalls von einer nicht unerheblichen Zahl der angesprochenen Verkehrskreise falsch verstanden wird.

Die von der Werbung der Beklagten angesprochenen Verkehrskreise sind die Verbraucher, die ggf. auch im Internet nach einem günstigen Gasversorger suchen. Es sind nicht nur regelmäßige und besonders erfahrene Internetnutzer, sondern es ist auch jedermann, der sich gelegentlich im Internet oder sonstwie über besondere Angebote oder aufgrund von Presseberichten auch gezielt über Angebote auf dem geöffneten Gasmarkt informiert. Zu diesem Kreis können vermehrt auch ältere Menschen gehören, worauf das OLG Bremen in der von den Klägerinnen vorgelegten Entscheidung (vgl. Fotokopie Bl. 243 ff d.A.) zu Recht verweist. Es gibt deshalb keinen besonderen Interessentenkreis. Vielmehr handelt es sich um die allgemeinen Verkehrskreise. Es kommt somit darauf an, welche Vorstellungen sich die durchschnittlich informierten, situationsbedingt aufmerksamen und angemessen verständigen Verbraucher von dem Begriff "Stadtwerke" machen. Die Frage, wie die angesprochenen Verkehrskreise eine bestimmte Werbung verstehen, kann zwar nicht i.S.v. § 291 ZPO offenkundig sein, weil sich die Feststellung der Verkehrsauffassung auf Erfahrungswissen stützt. § 291 ZPO betrifft indessen nur Tatsachen und nicht auch Erfahrungssätze. Der Richter kann das Verkehrsverständnis aber ohne sachverständige Hilfe beurteilen, wenn er aufgrund seines Erfahrungswissens selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt (Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 27 Rz. 4 ff m.w.N.). Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn er selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen zählt, ist aber auch möglich, wenn er durch die fragliche Werbung zwar nicht unmittelbar angesprochen wird, sein Erfahrungswissen aber auch in diesem Falle nutzbar machen kann (BGH GRUR 2004, 244 – Marktführerschaft). Die Vorstellung dieser angesprochenen Verkehrskreise können die Mitglieder des Senats nach diesen Grundsätzen hier sowohl als selbst betroffene Verbraucher als auch aufgrund ihrer Lebenserfahrung selbst beurteilen. Die Einholung eines demoskopischen Gutachtens zur Ermittlung des Verkehrsverständnisses des streitgegenständlichen Begriffes war somit nicht erforderlich.

Den durchschnittlich informierten Verbrauchern ist aber bekannt, dass man als "Stadtwerke" immer noch ein kommunales Unternehmen oder zumindest einen gemeindenahen Betrieb bezeichnet, der mit städtischer Beteiligung die Grundversorgung mit Strom, Wasser und Gas und oft auch die Abwasserentsorgung abdeckt. Dem entspricht es, dass der Zusatz "städtisch" allgemein auf Beziehungen zu einer Stadt hinweist (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG 27. Aufl. § 5 Rz. 5.93) und dass der Begriff Bundeszentrale auf eine behördliche Tätigkeit anspielt (Fezer/Peifer, UWG § 5 Rz. 374; BGH GRUR 1980, 754 – Bundeszentrale für Fälschungsaufklärung). "Stadtwerke" werden somit nicht allgemein als Synonym für Versorgungsunternehmen aller Art angesehen. Es wird durchaus zwischen Stadtwerken und sonstigen (privaten) Versorgungsunternehmen unterschieden. Das macht insbesondere auch der vorgelegte Text der Meldung der Tagesschau vom 11. Februar 2009 deutlich (vgl. Fotokopien Bl. 11 ff d.A.). Zwar mögen solche Stadtwerke im Allgemeinen auf die Kommune Bezug nehmen, in der sie zumeist ausschließlich tätig sind. Ebenso mag der maßgebliche Verbraucher wissen, dass sich der Gasmarkt wie andere Märkte auch der Energieversorgung öffnet und dass sich zunehmend private Anbieter in den Wettbewerb einschalten. Ungeachtet dessen führt aber das Verkehrsverständnis von dem, was "Stadtwerke" sind, weiterhin dazu, dass der Verkehr auch dann einen Bezug zu einer Stadt oder mehreren Städten und somit einen irgendwie gearteten kommunalen Bezug eines Unternehmens annimmt, wenn sich dieses wie hier früher die Beklagte als "L Stadtwerke" bezeichnet. Auch wenn der Verkehr den genauen Bezugspunkt zu einer bestimmten öffentlichen Hand hier nicht erkennt, verbindet er damit jedenfalls kein rein privates Unternehmen, das erst unlängst gegründet worden ist und nie in einem Kontakt zu einer Kommune gestanden hat wie die Beklagte. Daran ändert es auch nichts, dass einzelne Stadtwerke sogar mehrheitlich ihre Anteile an private Investoren übertragen haben. In einem solchen Falle können sie zudem auch gerade das Recht verlieren, sich als "Stadtwerke" bezeichnen zu dürfen. In dem Fall der Stadtwerke C2 (swb AG) hat beispielsweise das OLG Bremen im vorliegenden Beschluss vom 22. Oktober 2009 (Az. 2 W 92/09 = Bl. 243 ff d.A.) der swb AG untersagt, in ihrer Firmierung den Bestandteil "swb" weiterhin zu verwenden, weil gerade auch ältere Verbraucher damit immer noch "Stadtwerke" verbinden würden, die mehrheitlich im Eigentum der Stadt stehen. Allerdings ist diese Entscheidung des OLG Bremen für den vorliegenden Fall nur von begrenzter Aussagekraft. Denn die Beklagte würde wohl selbst eine Irreführung bejahen, wenn sie sich einen Ortszusatz gegeben hätte. Denn in dem fraglichen Kürzel "swb" stand das "b" für Z. Infolgedessen ging es im Bremer Verfahren auch hauptsächlich darum, ob der Verkehr das Kürzel als "Stadtwerke C2" auflöst.

Demgegenüber stellt die Beklagte hier entscheidend darauf ab, dass jeder Ortszusatz in ihrer angegriffenen Bezeichnung fehlt. Die Beklagte möchte vielmehr in dem Begriff "Stadtwerke", wenn er ohne Ortszusatz gebraucht wird, lediglich eine allgemeine Beschreibung für ein beliebiges Unternehmen sehen, das die örtliche Energieversorgung betreibt, also im Gegensatz wohl zu solchen Versorgungsunternehmen, die den industriellen Bedarf bedienen. Eine solche Umwandlung in einen konturlosen Begriff für die allgemeine örtliche Energieversorgung hat der Begriff "Stadtwerke" aber noch nicht durchgemacht.

Es ist außerdem fraglich, inwieweit solche Beteiligungen privater Investoren an bestimmten Stadtwerken allgemein bekannt geworden sind. Außerdem geht es insoweit in der Regel um die Fortführung von früher unter kommunaler Kontrolle stehenden Unternehmen, bei denen die ihre Anteile veräußernde Stadt ihre Mehrheit sichern oder jedenfalls Bedingungen stellen kann. Es kommt hinzu, dass gerade für eine nicht unbeträchtliche Zahl der Verbraucher, die in Gemeinden wie C, I und X leben, in denen die Stadtwerke noch ganz oder mehrheitlich in kommunaler Hand sind, der kommunale Bezug von Stadtwerken nach wie vor außer Frage steht. Gerade auch bei diesen "spukt in den Köpfen", dass eine kommunale Verbundenheit zu Stadtwerken besteht.

Diese Verbrauchervorstellung entspricht nicht der Wirklichkeit. Die Beklagte hat als junges, bundesweit tätiges Privatunternehmen keinerlei kommunalen Bezug. Durch die unpassende Bezeichnung "Stadtwerke" wird kaschiert, dass es bei der Beklagten um etwas völlig neues geht, das mit der Vorstellung der alten Stadtwerke, die noch bei einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Internetnutzern und sonstigen Interessenten an der Gasversorgung verwurzelt ist, nicht zu vereinbaren ist. Bei der Verwendung der Bezeichnung "Stadtwerke" oder "modernes Stadtwerk" durch die Beklagte besteht jedenfalls die Gefahr, dass das private Gasversorgungsunternehmen der Beklagten mit den herkömmlichen Stadtwerken in Beziehung gebracht wird. Die Gaskunden, die jahrelang die Erfahrung im Umgang mit solchen Stadtwerken gemacht haben, erwarten dann auch von der Beklagten schon deshalb gleiche Seriosität und Bonität. Es ist auch gerade nicht so, dass sie sich über die Verhältnisse bei ihrem Gasversorger überhaupt keine Gedanken machen, sondern nur den billigsten Anbieter suchen, wer immer es sei. Das mag allenfalls bei einem Teil der Kunden so sein. Ein anderer nicht unerheblicher Teil hält es aus den verschiedensten, teilweise auch emotionalen Gründen für wichtig, ob der Versorger einen kommunalen Bezug hat wie die Stadtwerke oder ob er rein privat tätig wird. Er geht davon aus, dass ein zuverlässiges am Gemeinwohl orientiertes langfristiges Wirtschaften eher bei den kommunalen Versorgern Berücksichtigung findet. Gerade bei solchen Versorgern meint er jedenfalls weit eher zu wissen, worauf er sich mit einer Vertragsbeziehung in diesem sensiblen Bereich einlässt. Davon, dass ein kommunales Unternehmen als Grundversorger ggf. die weitere Versorgung sicherstellen muss, wenn das private Gasversorgungsunternehmen in Schwierigkeit geraten sollte, weiß der Verbraucher in der Regel nichts. Auch in einem solchen Fall kann es zu erheblichen Komplikationen für den Verbraucher kommen.

Diese Fehlvorstellung der angesprochenen Verkehrskreise, die sich hier durch die Bezeichnung "Stadtwerke" bei der Beklagten ergibt, ist auch wettbewerbsrechtlich relevant, nämlich geeignet, das Marktverhalten der Gegenseite, hier der Verbraucher zu beeinflussen (BGH GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei). Eine solche Relevanz ist ohne weiteres gegeben, wenn es nach der Lebenserfahrung naheliegt, dass die erzeugte Fehlvorstellung für die Marktentscheidung eines nicht unbeträchtlichen Teils des Verkehrs von Bedeutung ist. Das ist hier der Fall. Wie schon ausgeführt wurde, ist es nicht so, dass es den angesprochenen Verbrauchern, auch wenn sie ihr Gas möglichst kostengünstig beziehen wollen, gleichgültig ist, wer die für die kontinuierliche Versorgung erforderliche Dienstleistung erbringt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der angesprochenen Verbraucher, die aus Kostengründen zu einem Wechsel bereit sein könnten, verknüpfen mit einem Versorgungsunternehmen mit einer kommunalen Verbundenheit immer noch die Vorstellung von Verlässlichkeit und Seriosität sowie von einer faktischen Insolvenzfestigkeit (BGH GRUR 2007, 1079 – Bundesdruckerei). Entscheidend ist, dass die Verbraucher auch in Bezug auf die Entwicklung des Gasmarktes eher bereit sind, sich bei einem Wechsel einem Unternehmen anzuvertrauen, das nach ihrer persönlichen Einschätzung auf irgendeine Weise einen kommunalen Bezug aufweist und sich jedenfalls von den herkömmlichen Stadtwerken nicht vollkommen unterscheidet.

Die für einen Verbotsausspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist hier durch die Umfirmierung der Beklagten nicht weggefallen. Denn die Beklagte kann die beanstandete Bezeichnung jederzeit wieder aufnehmen.

Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten folgt aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG. Die Höhe der Abmahnkosten ist von der Beklagten in ihrer Berechtigung nicht bestritten worden.

Der Anspruch der Klägerinnen auf Auskunft und Schadensersatz folgt aus § 9 UWG. Denn die Beklagte hätte den irreführenden Charakter der beanstandeten Bezeichnung als "Stadtwerke" ohne weiteres erkennen können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Es handelt sich um die Frage einer Irreführung im Einzelfall, ohne dass grundsätzliche Rechtsfragen zur Irreführungsgefahr dabei angesprochen würden.

Vorinstanz:
Landgericht Bochum, Az.: 12 O 25/09

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