Prüfungspflichten eines Autors bei benachteiligenden Behauptungen

06. Dezember 2010
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Eigener Leitsatz:

Bei Veröffentlichungen, die sich nachteilig auf das Ansehen auswirken, sind hohe Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt zu stellen, auch wenn das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Meinungsfreiheit durch Art. 5 Grundgesetz besonders geschützte Güter darstellen. Pauschale Vorwürfe innerhalb eines Buches zur Zugehörigkeit bestimmter Personen zu einem Mafia-Clan sind unzulässig, wenn sie lediglich auf ungenauen Aussagen eines italienischen Staatsanwaltes und nicht bewiesener Berichte des Bundeskriminalamtes gestützt sind. Vielmehr muss der Autor des Buches selbst vor Veröffentlichung seine Behauptungen sorgfältig auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen.

Landgericht München I

Pressemitteilung Nr. 28/2010 vom 11.11.2010

Az.: 9 O 19400/10, 9 O 19401/10

Es gibt Organisationen, denen man öffentlich nicht zugerechnet werden möchte – und zwar unabhängig davon, ob man tatsächlich dazugehört; die Mafia ist so eine Organisation. Deshalb liest keiner gerne seinen Namen in einem Buch über die Machenschaften der italienischen Mafia, jedenfalls dann nicht, wenn man dort als Mafioso erscheint. So geschehen in einem Ende September 2010 von einem Münchener Verlag veröffentlichten Buch. Die zwei derart ins Licht der Öffentlichkeit Gezerrten beantragten daraufhin beim Landgericht München I einstweiligen Rechtsschutz gegen bestimmte – ihre Person betreffende – Behauptungen, insbesondere die Behauptung der Zugehörigkeit zu bestimmten Mafia-Clans.

Die für das Äußerungsrecht zuständige 9. Zivilkammer sah darin rufschädigende und unrichtige Tatsachenbehauptungen und untersagte diese mit einem gestern verkündeten Urteil. Zur der Begründung der Entscheidung heißt es unter anderem:

„Zwar dürfen die Medien infolge ihres durch Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) weitreichend geschützten Auftrages bereits über den Verdacht einer Straftat berichten, wenn ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, der für den Wahrheitsgehalt der Information spricht und ihr damit "Öffentlichkeitswert" verleiht. Dabei sind allerdings vor dem Hintergrund des durch Art. 1, 2 GG geschützten Persönlichkeitsrechts des Betroffenen die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht umso höher anzusetzen, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird. … Auch müssen die zur Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenen Tatsachen und Argumente benannt werden. Vor der Veröffentlichung ist regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. … Andererseits dürfen die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt und die Wahrheitspflicht nicht überspannt und insbesondere nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Stets ist zwischen dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwiegen, wobei das Informationsinteresse der Allgemeinheit regelmäßig dann vorrangig ist, wenn die dargestellten Sorgfaltsanforderungen eingehalten sind. Von Bedeutung ist insoweit auch, ob der in Anspruch Genommene vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt hat.“

Der Verlag stützte seine Vorwürfe unter anderem auf eine eidesstattliche Versicherung eines italienischen Staatsanwalts und auf Berichte des Bundeskriminalamts. Damit – so die Richter der 9. Zivilkammer – ließen sich die weitreichenden Vorwürfe jedoch nicht belegen. Wie der italienische Staatsanwalt zu der Einschätzung komme, die beiden Kläger seien Mafia-Mitglieder, bleibe vollkommen offen. Die Authentizität der Berichte des BKA sei fraglich, zumal zumindest Einzelpunkte darin unstreitig unrichtig seien, so dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, der Rest – im Wesentlichen pauschale Anschuldigungen – sei richtig. Es fehle auch daran, dass der Autor die Richtigkeit dieser Behauptungen durch eine Eigenrecherche verifiziert hätte. Zurückhaltung sei auch insofern geboten gewesen, als bislang weder deutsche noch italienische Behörden und Gerichte die im Raum stehenden Indizien für ausreichend hielten, um eine Verurteilung als hinreichend wahrscheinlich anzusehen.

„Statt einer objektiven Darstellung des verfahrensmäßigen Stands der Dinge wird durch die angegriffene Veröffentlichung der Eindruck erweckt, als würden die im Raum stehenden Indizien zu der Annahme ausreichen, der Verfügungskläger sei tatsächlich ´Ndranghetista. Die Verfügungsbeklagte verletzt hierdurch nicht nur das Gebot der zurückhaltenden Verdachtberichterstattung, sondern maßt sich an, anstelle der gebotenen Offenlegung des Verfahrensstandes dem Leser Schlussfolgerungen nahe zu legen, in Bezug auf die offensichtlich längst geklärt ist, dass den hierfür zuständigen Behörden die dargelegten Indizien nicht ausreichen.“

– Nicht rechtskräftig –

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