Falsche Tatsachenbehauptungen nicht durch Meinungsfreiheit geschützt

29. April 2010
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Eigener Leitsatz:

Die Veröffentlichung von falschen Tatsachenbehauptungen beim Onlinelexikon Wikipedia unterliegt nicht dem Schutzbereich des Art. 5 GG. Dies gilt insbesondere, wenn die im Internet veröffentlichten Beiträge das Ansehen einer Person in rechtswidriger Weise schädigen. Das Persönlichkeitsrecht überwiegt in solchen Fällen das etwaige öffentliche Interesse an der Berichterstattung. Vorliegend ging es um einen Poltiker, der angeblich eine Minderjährige auf einem Stuhl mit Handschellen gefesselt und diese anschließend fotografiert haben soll.

Landgericht Hamburg

Urteil vom 26.03.2010

Az.:  325 O 321/08

I. Die Beklagte zu 2. wird verurteilt,

es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes – und für den
Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer
Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten
(Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 Euro,
Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

zu unterlassen,

im Bereich der Bundesrepublik Deutschland

a) in Bezug auf den Kläger zu berichten und/oder berichten zu
lassen und/oder zu veröffentlichen und/oder veröffentlichen zu
lassen und/oder zuzulassen, dass auf den Internetseiten der
Beklagten zu 2. berichtet wird,
der Kläger habe eine Schülerin gefesselt und fotografiert
beziehungsweise daran mitgewirkt,

und/oder

b) in Bezug auf den Kläger über einen angeblichen, die angebliche
Fesselung und die Anfertigung von diese Fesselung zeigenden
Fotografien betreffenden Skandal zu berichten und/oder berichten
zu lassen und/oder zu veröffentlichen und/oder veröffentlichen zu
lassen und/oder zuzulassen, dass auf den Internetseiten der
Beklagten zu 2. über diesen angeblichen Skandal berichtet wird,

und/oder

c) zu berichten und/oder berichten zu lassen und/oder zu
veröffentlichen und/oder veröffentlichen zu lassen und/oder
zuzulassen, dass auf den Internetseiten der Beklagten zu 2.
berichtet wird,

der Kläger sei Politiker.

II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

III. Die Einspruchsfrist wird auf einen Monat festgesetzt.

Tatbestand

Mit der am 20. April 2009 an die Beklagte zu 2) zugestellten Klage vom 6.
Dezember 2008 nimmt der Kläger die Beklagte zu 2. (neben der
Beklagten zu 1.) auf Unterlassung von im Internet veröffentlichten
Beiträgen, die sich mit Kläger befassen, in Anspruch.

Der Kläger trägt unter .anderem vor, die Beklagte zu 2) verbreite in ihrem
unter w…org im Internet angebotenen Lexikon auch eine eigene Seite
über den Kläger. Auf dieser werde unter anderem berichtet, dass er (der
Kläger) in einen Skandal verwickelt sei, bei dem es darum gehe, dass er
vor mehr als acht Jahren daran beteiligt gewesen sein solle, ein 16-
jähriges Mädchen auf einem Stuhl mit Handschellen gefesselt und
fotografiert zu haben, und dass darüber bei der Gelegenheit seines
Nachrückens in die Hamburgische Bürgerschaft in den Medien berichtet
worden sei.

Durch die Berichterstattung über diese Vorgänge auf den Internet-Seiten
der Beklagten zu 2. werde er in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
verletzt, weil er an der berichteten Fesselung nicht beteiligt gewesen sei.
Er sei seit seinem Ausscheiden aus der Hamburger Bürgerschaft, das
heißt, seit März 2008, auch nicht mehr politisch tätig.

Der Kläger habe beide Beklagte mehrfach abgemahnt.

Der Kläger beantragt,

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, die
Seiten

http://de. w…org/wiki/ ….,

http://de. w…org/wiki/Diskussion: ….-…_ …

sowie

http://de. w…org/w/index.php?title= …-…_ …&action=history
zu löschen.

2. Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, es zu unterlassen, von der
Seite http://wikipedia.de auf die Seite http://de. w…org/wiki/ ….
weiterzuleiten.

3. Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, dem Kläger eine
Geldentschädigung in einer durch das Gericht zu
bestimmenden Höhe zu bezahlen.

Das Gericht hat das schriftliche Vorverfahren angeordnet. Aufgrund
Verfügung des Gerichts vom 23. Dezember 2008 der Beklagten die Klage
am 20. April 2009 im Wege der internationalen Rechtshilfe zugestellt
worden. Der Beklagten zu 2. ist aufgegeben worden, binnen einen
Monats dem Gericht mitzuteilen, ob sie sich gegen die Klage verteidigen
wolle.

Eine Verteidigungsanzeige der Beklagten zu 2. ist dem Gericht nicht
zugegangen.

Entscheidungsgründe

Da die Beklagte zu 2. eine Erklärung, sich gegen die Klage verteidigen zu
wollen, nicht abgegeben hat, kann das Gericht gemäß § 331 Absatz 3
Zivilprozessordnung ohne mündliche Verhandlung ein Versäumnisurteil
erlassen.

Das angerufene Gericht ist international und örtlich zuständig. Die
streitgegenständliche Veröffentlichung ist bestimmungsgemäß auch im
Inland und auch im Bezirk des Landgerichts Hamburg über das Internet
abrufbar.

Dem mit der Klage vom 6. Dezember 2008 verfolgten, gegen die Beklagte
zu 2. gerichteten Klagebegehren ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang zu entsprechen. Das tatsächliche Vorbringen des Klägers ist
325 O 321/08
Urteil vom 26.03.2010 Landgericht Hamburg
gemäß § 330 Absatz 1 Zivilprozessordnung als zugestanden
anzunehmen.

Der mit dem Klagantrag zu Ziffer 1. verfolgte Anspruch, soweit er sich
gegen die Beklagte zu 2. richtet, ist in dem aus dem Tenor dieses Urteils
ersichtlichen Umfang begründet. Aus Gründen der Klarstellung hat das
Gericht den Urteilsauspruch dahingehend gefasst, dass die Beklagte zu
2. es zu unterlassen hat, über den Kläger in der im Tenor bezeichneten
Weise zu berichten und/oder berichten zu lassen und/oder es zuzulassen,
dass auf ihren Internetseiten in dieser Weise über den Kläger berichtet
wird, was zugleich bedeutet, dass die Beklagte zu 2. die dem Verbot
unterfallenden Äußerungen aus ihren Internetveröffentlichungen zu
entfernen hat.

Der Anspruch auf Unterlassen der im Tenor bezeichneten
Äußerungen/Berichterstattungsgegenstände ergibt sich aus § 1004 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs analog, § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Daraus ergibt sich ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 2. es
zu unterlassen, über die angebliche Fesselung einer Schülerin und der
Anfertigung von Fotografien davon zu berichten. Es besteht kein durch
die in Artikel 5 des Grundgesetzes verbürgte Meinungsfreiheit
geschütztes Recht, von der angeblichen Fesselung zu berichten. Erstens
besteht kein Recht darauf, von einer angeblichen Beteiligung des Klägers
an diesem Vorfall zu berichten. Dem Vortrag des Klägers zufolge – von
seiner Richtigkeit ist im Verfahren über den Erlass dieses
Versäumnisurteils auszugehen – trifft es nicht zu, dass er an diesem
Vorfall beteiligt war. Der Kläger kann daher verlangen, dass hierüber nicht
berichtet wird, weil es sich um falsche Tatsachenbehauptungen handelt.
Zweitens besteht auch kein Recht darauf, in Bezug auf den Kläger über
einen mit diesem Vorfall zusammenhängenden Skandal zu berichten. Da
nach dem Vortrag des Klägers – von seiner Richtigkeit ist im Verfahren
über den Erlass dieses Versäumnisurteils auszugehen – er an einer
angeblichen Fesselung und Ablichtung der Schülerin nicht beteiligt war,
besteht auch kein Interesse der Öffentlichkeit daran, über einen damit
zusammenhängenden Skandal informiert zu werden, soweit dieser mit
einer angeblichen Mitwirkung des Klägers in Verbindung gebracht wird.

Durch eine Berichterstattung, die den Kläger mit einem Skandal wegen
der angeblichen Fesselung in Zusammenhang bringt, wird das Ansehen
des Klägers in rechtswidriger Weise geschädigt. Die Berichterstattung
über den Skandal, soweit der Kläger damit in Verbindung gebracht wird,
ist geeignet, den Kläger in seinem Ansehen zu schädigen. Der Kläger
braucht eine derartige Schädigung seines Ansehens nicht hinzunehmen,
da er an dem Vorgang, über den berichtet wird, nicht beteiligt war und
daher auch kein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der
Berichterstattung besteht, soweit der Kläger mit dem Skandal in
Verbindung gebracht wird.

Auf den Internet-Seiten unter w…org der Beklagten zu 2. ist über den
Skandal und über den gegen den Kläger gerichteten Vorwurf berichtet
worden. Der Kläger hat die Beklagte zu 2. zur Unterlassung aufgefordert.
Die Beklagte zu 2. hat auf die Aufforderung des Klägers nicht reagiert.
Der Anspruch des Klägers kann daher sowohl auf den Gesichtspunkt der
fortwährenden Beeinträchtigung als auch auf den Gesichtspunkt der
Wiederholungsgefahr gestützt werden.

Aus dem Gesichtspunkt der Unwahrheit der Tatsachenbehauptung ist
auch die Äußerung zu verbieten, der Kläger sei Politiker. Dem der
Entscheidung zugrunde zu legenden Vortrag des Klägers zufolge ist er
seit seinem Ausscheiden aus der Hamburger Bürgerschaft nicht mehr
politisch aktiv.

Das ausgesprochene Verbot betrifft die aktuellen Veröffentlichungen der
Beklagten zu 2. über den Kläger und auch die Wiedergabe in den
historischen Versionen der Veröffentlichungen und auch die
Diskussionsforen.

Soweit der Antrag zu Ziffer 1. weiter geht, kann die Beklagte zu 2. nicht
durch Versäumnisurteil verurteilt werden. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf Löschung der gesamten ihn betreffenden Berichterstattung. Als
ehemaliger Funktionär der politischen Partei in Hamburg und
ehemaliger Abgeordneter der Bürgerschaft hat er aus dem Gesichtspunkt
des Informationsinteresses der Öffentlichkeit über seine politischen
Aktivitäten und Aktivitäten als Volksvertreter, der er war, die
Berichterstattung hinzunehmen.

Eine Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits bleibt dem
Schlussurteil vorbehalten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus
§ 708 Nummer 2 der Zivilprozessordnung.

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