„Falsch“bezeichnung schadet nicht!
Eigener Leitsatz:
Ein Stickstoffmonoxid-Stickstoffgasgemische ist auch dann ein zulassungsbedürftiges Arzneimittel, wenn es zwar als technisches Gasgemisch bezeichnet wurde aber die Reinheit und Konzentration eine Bestimmung als Arzneimittel nahe legt.
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg
Urteil vom 26.05.2011
Az.: 3 U 165/10
Tenor
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 02.09.2010, Az.: 315 O 553/09, wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Berufung nach einem Wert von 250.000 Euro zu tragen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Parteien sind Wettbewerber beim Vertrieb von therapeutischen Gasen.
Die Antragstellerin vertreibt das Fertigarzneimittel „I.“. Es handelt sich dabei um ein Inhalationsgas, das als arzneilich wirksamen Bestandteil Stickstoffmonoxid verdünnt in Stickstoffgas in einer Konzentration von 400 ppm (parts per million) enthält. Stickstoffmonoxid wirkt gefäßerweiternd. Das Arzneimittel I. ist seit 2001 durch die EMEA (European Medicines Agency) zentral zugelassen. Pharmazeutischer Unternehmer und Inhaber der Zulassung ist das Unternehmen I. aus Schweden, das wie die Antragstellerin zum L.-Konzern gehört.
I. wird – unter Reduktion der NO-Konzentration – zur Behandlung von Neugeborenen mit hypoxisch respiratorischer Insuffizienz und Anzeichen einer pulmonalen Hypertonie (Lungenversagen einhergehend mit Bluthochdruck in den Lungen) angewendet. Es dient der Verbesserung der Sauerstoffkonzentration, wird im Rahmen der Akutversorgung im Zusammenhang mit lebensrettenden Maßnahmen von Neugeborenen eingesetzt und ist nur auf ärztliche Verschreibung erhältlich.
Für die Anwendung am Patienten muss das in der vorhandenen Konzentration (400 ppm) toxisch wirkende Gasgemisch verdünnt werden, bis ein therapeutisch indizierter Konzentrationsgehalt in einem Bereich zwischen 5 und 80 ppm erreicht ist. Dies geschieht –z.B. mit Hilfe des Abgabesystems In. der Antragstellerin – unmittelbar vor der Inhalation unter gleichzeitiger Zugabe von medizinischer Luft / medizinischem Sauerstoff, wobei die Luft und das Stickstoffmonoxid im Inhalator selbst vermischt werden und der Patient das Gemisch direkt inhaliert. Erforderlich ist zudem eine stetige Überprüfung der Messgenauigkeit der Abgabesysteme (Kalibrierung). Dies geschieht dadurch, dass ein Gasgemisch (sog. Kalibriergas) mit einer vordefinierten Konzentration von Stickstoffmonoxid in die Abgabesysteme eingespeist und dann die Anzeige des Abgabesystems mit diesem Wert abgeglichen wird.
I. wird von der Antragstellerin in Alu-Druckbehältern in Größen von 2 und 10 Litern bei einem Druck von 155 bar vertrieben. Außerdem vertreibt die Antragstellerin auch entsprechende Kalibriergase (in Konzentrationen von 45 bzw. 10 ppm).
Die Antragsgegnerin stellt medizinische und technische Gase, u.a. auch ein Stickstoffmonoxid-Stickstoffgasgemisch mit einer Konzentration von 2.000 ppm NO als technisches Gas, her und vertreibt sie. Sie bewirbt ihre Produkte bundesweit im Internet (Anlage AST 5).
Bereits im Jahr 2006 hatte die Antragsgegnerin ein Stickstoffmonoxid-Stickstoffgasgemisch, für das sie keine Arzneizulassung hatte, für medizinische Zwecke an einen Abnehmer in Berlin geliefert, woraufhin die Antragstellerin sie abmahnte. Die Antragsgegnerin unterzeichnete daraufhin eine Unterlassungsverpflichtungserklärung (Anlage Ast 6), mit der sie sich verpflichtete, „es zukünftig zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs stickstoffmonoxidhaltige Gasgemische für medizinische Zwecke in den Verkehr zu bringen oder zu bewerben, soweit es sich um ein zulassungsbedürftiges Fertigarzneimittel handelt und hierfür keine Zulassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nach §§ 21 ff. AMG vorliegt.“
Gleichwohl lieferte die Antragsgegnerin 2007 ein stickstoffhaltiges Gasgemisch zu therapeutischen Zwecken an das Universitätsklinikum T., weshalb die Antragstellerin die Antragsgegnerin aus der Unterlassungsverpflichtungserklärung in Anspruch nahm (Anlage Ast 7).
Das Universitätsklinikum G. und M. (UKGM) gehörte bis August 2009 zu den I.-Kunden der Antragstellerin. Im August 2009 beendete das UKGM die Geschäftsbeziehung zur Antragstellerin in Bezug auf die Lieferung von NO-N2-Gasgemischen für die Bereiche der medizinischen Klinik II und Poliklinik / Innere Medizin und Pneumologie unter Hinweis darauf, dass der dortige Bedarf von einem anderen Lieferanten sichergestellt werde.
Die Antragstellerin brachte daraufhin am 18.11.2009 in Erfahrung, dass die Antragsgegnerin das UKGM belieferte, und zwar mit Stickstoffmonoxid-Stickstoffgasgemischen in Konzentrationen von 2.000 ppm NO. Sie entdeckte auf dem Gelände des Universitätsklinikums in G., nämlich im Bereich der medizinischen Klinik I und II im Innenhof nahe der Intensivstation für Erwachsene, vier Flaschen (siehe Anlage Ast 1), nämlich zwei Flaschen zu je 50l/150 bar und zwei Flaschen zu je 10 l/150 bar, die die Antragsgegnerin zuvor an die auf dem Gelände des Universitätsklinikums M. befindliche Krankenhausapotheke („Apotheke im Mutter-Kind-Zentrum“, vgl. auch Anlage AST 1) geliefert hatte.
Darüber hinaus hatte die Antragsgegnerin bereits einige Jahre zuvor – von der Antragstellerin unbemerkt – das Stickstoffmonoxid-Stickstoffgasgemisch in identischer Konzentration an das UKGM geliefert (vgl. auch eidesstattliche Versicherung I.H. Anlage AG 10), wobei bei beiden Lieferungen das UKGM der Antragsgegnerin die beabsichtigte Verwendung zu technischen Zwecken bestätigte.
Die Antragstellerin mahnte die Antragsgegnerin erfolglos ab (Anlage Ast 9). Diese stellte sich von vornherein auf den Standpunkt, nicht zur Unterlassung verpflichtet zu sein, weil sie das streitgegenständliche Gasgemisch nicht zu medizinischen Zwecken vertrieben, sondern dieses vielmehr ausdrücklich zu rein technischen Zwecken, als Prüfgas, geliefert habe.
Tatsächlich sind den gelieferten Flaschen Analysebescheinigungen für technische Gase beigefügt worden, die jeweils ein Analyseprotokoll enthielten, in dem Bezug genommen wurde auf die Klasseneinteilung für Prüfgase. Außerdem handelte es sich bei dem zu den Flaschen gehörenden Ventilflaschenanschluss um einen speziellen Anschluss für Prüfgase.
Die Antragstellerin ist gleichwohl der Auffassung, dass das von der Antragsgegnerin vertriebene Gasgemisch ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel sei. Es werde im Krankenhaus nicht zu rein technischen Zwecken, insbesondere als Kalibriergas, sondern ersichtlich – wie der Antragsgegnerin auch bekannt, zumal diese ja bereits in 2007 dasselbe Gemisch an die Universitätsklinik T. zu therapeutischen Zwecken geliefert habe – zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass das von der Antragsgegnerin vertriebene Gas einen für die Verwendung als technisches Gas ungeeigneten Konzentrationsgrad aufweise. Als technischer Verwendungszweck komme im Bereich des UKGM allein die Nutzung zur Kalibrierung in Betracht; schon dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Konzentration von 2000 ppm zum Zwecke der Kalibrierung unpraktikabel sei, weil vor jeder Kalibrierung eine kosten- und zeitaufwändige, zudem fehlerträchtige „Präkalibrierung“ nötig sei. Nur die Verwendung eines Kalibriergases in deutlich niedrigerer Konzentration (wie von der Antragstellerin vertrieben) gewährleiste – innerhalb des medizinisch indizierten Korridors – die exakte Verdünnung und sichere Anwendung des Arzneimittels. Zudem sei aber die gelieferte Menge für eine Verwendung als Kalibriergas völlig überdimensioniert. Sie stelle – sollte das Gasgemisch tatsächlich allein zur technischen Kalibrierung eingesetzt werden – den Bedarf eines Durchschnittskrankenhauses über Jahrzehnte hin sicher. Andere technische Verwendungsmöglichkeiten neben der Verwendung als Kalibriergas seien im UKGM ohnehin nicht ersichtlich. Ein technisch sinnvoller Verwendungszweck für derart hoch konzentrierte Gase bestehe vielmehr nur für völlig anders dimensionierte Großanlagen (Kraftwerke).
Es gebe für den medizinischen Bereich Applikationsgeräte (etwa das Gerät N., Anlage AST 20) und F. (Anlage AST 21), die in der Lage seien, das N2-NO-Gas von einer Konzentration von 2000 ppm auf patientengeeignete Konzentrationen herunter zu dosieren.
Schließlich zeige auch der spezielle Druckbehälteranschluss für Prüfgase nicht die technische Verwendungsabsicht auf; denn ein einfacher Austausch des Flaschenanschlusses und die Zwischenschaltung eines Druckminderers erlaubten ohne weiteres medizinische Verwendungsmöglichkeiten.
Die Antragstellerin beanstandet den Vertrieb des Gasgemisches deshalb als Verstoß gegen § 21 Abs. 1 AMG.
Mit Verfügungsbeschluss vom 23.12.2009 hat das Landgericht es der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel im Wege der einstweiligen Verfügung verboten,
Stickstoffmonoxid-Stickstoffgasgemische in einer Konzentration von 100 ppm Stickstoffmonoxid (NO) oder höheren NO-Konzentrationen für medizinische Zwecke in den Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben, solange hierfür keine arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt worden ist, insbesondere wenn dies in Konzentrationen von 2.000 ppm NO gegenüber Krankenhäusern oder Krankenhausapotheken wie aus der Anlage Ast 1 ersichtlich geschieht.
Die Antragsgegnerin hat Widerspruch eingelegt und die örtliche Zuständigkeit des LG Hamburg gerügt.
Sie hat die Dringlichkeit bestritten, diese sei nicht substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht. Denn die Antragstellerin habe bereits die Belieferung des Universitätsklinikums T. durch die Antragsgegnerin zum Anlass genommen, der Antragsgegnerin am 24.01.2008 eine Abmahnung zukommen zu lassen (Anlage AST 7), diese Angelegenheit indes nicht weiterverfolgt.
Zur Sache hat sie geltend gemacht, dass es sich bei dem von ihr vertriebenen NO-Druckgas mit der Konzentration von 2.000 ppm um ein technisches Gas handele, das von ihr allein zu technischen Zwecken – als Prüfgas – vertrieben und von der Kundin auch so abgenommen worden sei. Dies ergebe sich nicht nur aus den der streitgegenständlichen Lieferung jeweils beigefügten Analysebescheinigungen und –protokollen sowie aus der Bezugnahme auf den Ventilflaschenanschluss, sondern auch daraus, dass es auch in Krankenhäusern zahlreiche nicht medizinische Einsatzmöglichkeiten für das gelieferte Gas gebe, etwa – neben der Kalibrierung – das Spülen von Zell-Countern, die Kalibrierung von Gas-Chromatographen etc. Zudem sei die Konzentration von 2.000 ppm von keinem therapeutischen Applikationsgerät zu verarbeiten.
Außerdem handele es sich bei dem Gas schon gar nicht um ein Fertigarzneimittel, sondern allenfalls um ein Zwischenprodukt. Denn es müsse von Ärzten und Apothekern zunächst weiter verarbeitet, nämlich mit medizinischem Sauerstoff vermischt werden, damit es überhaupt therapeutisch eingesetzt werden könne. Allein die Herstellung des Gases sei mithin nicht der für ein Arzneimittel wesentliche Herstellungsschritt. Vielmehr stelle die stets notwendige Vermischung des NO-N2-Gasgemisches mit der medizinischen Luft / dem medizinischen Sauerstoff den wesentlichen Verarbeitungsschritt dar, der das erst dann in die Patientenlunge gelangende Gasgemisch zum Arzneimittel mache.
Das Landgericht hat seine Verbotsverfügung mit Urteil vom 02.09.2010 bestätigt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerechte eingelegte und begründete Berufung der Antragsgegnerin.
Sie wendet ein, das Urteil des Landgerichts Hamburg beruhe auf einer unzutreffenden Anwendung des § 14 UWG. Deshalb habe es zu Unrecht seine örtliche Zuständigkeit angenommen. Denn eine Erstbegehungsgefahr in Hamburg drohe nicht, weil Hamburg nicht zum Vertriebsgebiet der Antragsgegnerin gehöre.
Insbesondere aber habe das Landgericht für das streitgegenständliche Gasgemisch zu Unrecht eine Arzneimitteleigenschaft i.S. des § 2 Abs 1 AMG angenommen. Zwar habe es noch richtig darauf abgestellt, dass das Gasgemisch objektiv, also rein stofflich, sowohl als technisches Gas, entsprechend medizinisch verdünnt aber auch als medizinisches Gas einsetzbar sei, und deshalb zu Recht festgestellt, dass es zur Zweckbestimmung auf die Verkehrsauffassung unbeteiligter Dritter ankomme und nach der Aufmachung und Kennzeichnung deshalb zunächst einmal auf eine technische Zweckbestimmung zu schließen sei. Falsch sei dann aber die Folgerung, dass dies für die Zweckbestimmung dann nicht maßgeblich sei, wenn der technische Verwendungszweck nur vorgespiegelt sei, tatsächlich also Hersteller, Verkäufer und Verwender aufgrund ihres Sachverstandes entgegen der nach außen erkennbaren Etikettierung gewusst hätten, dass das Gas sinnvoll nur zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden konnte und sollte. Vielmehr gelte: ein Erzeugnis, das aufgrund seiner konkreten Aufmachung nach der Verkehrsanschauung nicht als Arzneimittel zu qualifizieren sei, werde auch im Falle einer hiervon abweichenden subjektiven Bestimmung zum therapeutischen Gebrauch nicht zum Arzneimittel.
Selbst wenn eine abweichende subjektive Zweckbestimmung indes die Arzneimitteleigenschaft i.S. des § 2 Abs 1 AMG zu begründen geeignet wäre, habe das Landgericht keine zulässigen Anknüpfungstatsachen für die seinerseits angenommene subjektive Zweckbestimmung herangezogen. So habe das Landgericht zu Unrecht und ohne, dass die Antragstellerin entsprechende Tatsachen glaubhaft gemacht hätte, lediglich postuliert, dass die Antragsgegnerin über den nötigen Sachverstand verfügt habe, dass das streitgegenständliche, von ihr als technisches Gas vertriebene Gas für medizinische Zwecke verwendet werden könne. Dasselbe gelte für die lediglich unterstellte Kenntnis der Antragsgegnerin und ihrer Mitarbeiter von einem medizinischen Einsatz. Dafür könne auch weder die „Vorgeschichte“ noch die bloße Tatsache, dass an die Krankenhausapotheke geliefert worden sei, herangezogen werden.
Unzutreffend sei schließlich auch die Einstufung des streitgegenständlichen Gases als Fertigarzneimittel i.S. von § 4 Abs. 1 AMG. Denn bei einem therapeutischen Einsatz des Gases müsse das Gas zuvor eigenverantwortlich und unter ständiger Beobachtung sowie der Adaption der Dosis unter Einsatz nicht bloßer Umgebungsluft, sondern unter zusätzlicher Verwendung medizinischer Luft / medizinischen Sauerstoffs verdünnt werden; dies sei keine bloße Rekonstitution i. S. von § 4 Nr. 31 AMG; vielmehr werde das Arzneimittel erst dadurch hergestellt (§ 4 Nr. 14 AMG).
Schließlich bestehe schon keine Wiederholungsgefahr; diese sei nämlich durch die Unterlassungserklärung (Anlage AST 6) ausgeräumt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 02.09.2010 die einstweiligen Verfügung gemäß Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 23.12.2009 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin vom 18.12.2009 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Antragstellerin verteidigt das Urteil des Landgerichts, sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Sie hält die Einwände gegen die örtliche Zuständigkeit gemäß § 513 Abs. 2 ZPO für unbeachtlich und in der Sache unberechtigt.
Darüber hinaus ist sie nach wie vor der Auffassung, dass es sich bei dem von der Antragsgegnerin vertriebenen Gasgemisch um ein Arzneimittel i.S. von § 2 I AMG handele. Abzustellen sei bei der Einstufung tatsächlich auf die allgemeine Verkehrsauffassung. Diese sei jedoch nicht auf das zu reduzieren, was sich aus der Aufmachung und Kennzeichnung des Präparates ergebe, sondern anhand aller zusammentreffenden objektiven Kriterien zu ermitteln und zu bewerten. Prägende und die Arzneimitteleigenschaft i.S. von § 2 I AMG begründende Kriterien seien daher vor allem, dass das funktionsgleiche Produkt der Antragstellerin ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel darstelle, das Produkt der Antragsgegnerin von Kliniken abgenommen werde, die es jedenfalls auch medizinisch verwenden können, ausschließlich nicht therapeutische Verwendungszwecke in der konkret vorliegenden Dosierung und Menge nicht dargelegt seien, die Antragsgegnerin in der Vergangenheit klinische Einrichtungen zu therapeutischen Zwecken beliefert habe, die Lieferung an Krankenhausapothekenerfolge und eine entsprechende Dosisanpassung für den medizinischen Anwendungsbereich ohne Weiteres technisch möglich sei. Dem könne nicht einfach dadurch begegnet werden, dass das Gas anderweitig deklariert werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist unbegründet.
Die Antragstellerin hat gegenüber der Antragsgegnerin gemäß §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 21 I AMG einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin die Lieferung von Stickstoffmonoxid-Stickstoffgasgemischen für medizinische Zwecke in Konzentrationen von 100 ppm Stickstoffmonoxid (NO) oder höheren Konzentrationen, insbesondere 2.000 ppm NO, an Krankenhäuser und Krankenhausapotheken unterlässt, solange sie nicht über eine entsprechende arzneimittelrechtliche Erlaubnis verfügt.
1.
Die Antragsgegnerin wendet in der Berufung erfolglos ein, das Landgericht Hamburg sei örtlich unzuständig gewesen. Denn die Bejahung der örtlichen Zuständigkeit durch das erstinstanzliche Gericht ist durch § 513 II ZPO der Nachprüfung durch das Berufungsgericht entzogen.
2.
Ein Verfügungsgrund ist gegeben.
Die von den Antragsgegnerinnen gegen die Dringlichkeitsvermutung des § 12 II UWG vorgebrachten Einwände greifen nicht durch. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 II UWG ist dann widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass ihm die Angelegenheit nicht eilig ist. Das ist in der Regel der Fall, wenn er längere Zeit mit der Antragstellung wartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt, bzw. grob fahrlässig nicht kennt. Dabei genügt grundsätzlich die Kenntnis der Tatsachen, die den Wettbewerbsverstoß begründen (vgl. HansOLG WRP 2007, 675 ff., Hefermehl/ Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 26. Aufl., § 12 UWG, Rdn. 3.15 mwN).
Kenntnis vom Verletzungsfall ist demnach gegeben, wenn der jeweils Verletzte mit seinen Kenntnissen mit Aussicht auf Erfolg gerichtlich gegen den Verletzer vorgehen könnte. Dazu muss er im Besitz eines Verletzungsgegenstandes sein und auch wissen, wer Schuldner des Unterlassungsanspruchs ist. Der Verletzte darf sich nicht so viel Zeit lassen, dass man daraus den Schluss ziehen könnte, ihm sei nicht dringend an der Durchsetzung des Anspruchs gelegen. Er darf sich insbesondere nicht so viel Zeit lassen, dass der (potentielle) Unterlassungsschuldner nicht mehr
Hiernach hat die Antragstellerin mit dem Auffinden der von der Antragsgegnerin gelieferten Flaschen am 18.11.2009 Kenntnis vom konkreten Verletzungsfall erlangt; die Abmahnung erfolgte am 09.12.2009. Bereits am 18.12.2009 wurde dann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt. Dies belegt, dass die Antragstellerin sehr zügig auf den Verletzungsfall reagiert und damit gezeigt hat, den begehrten Unterlassungsanspruch umgehend gerichtlich durchsetzen zu wollen.
3.
Der Unterlassungsanspruch steht der Antragstellerin auch in der Sache zu. Denn die Antragsgegnerin vertreibt ein Fertigarzneimittel, nämlich Stickstoffmonoxid-Stickstoffgasgemische in Konzentration von 2.000 ppm NO als medizinisches Gasgemisch ohne arzneimittelrechtliche Zulassung.
Die Antragsgegnerin hat zwei 10 Literflaschen/150 bar und zwei 50 Literflaschen/150 bar mit der gemäß beigefügtem Analyseprotokoll erfolgten Deklarierung als „technisches Gasgemisch“ aus Stickstoffmonoxid mit der Konzentration von 2.000 ppm und dem inerten Trägergas Stickstoff an ein Krankenhaus – nämlich die Krankenhausapotheke des UKGM in M. – geliefert, von wo sie an das Universitätsklinikum G. weiter geliefert und am 18.11.2009 im Bereich der med. Klinik I und II, im Innenhof nahe der medizinischen Intensivstation für Erwachsene aufgefunden worden sind (vgl. auch Anlage AST 15). Dass das Gas in dieser Reinheit von der Antragsgegnerin geliefert worden ist, ist unstreitig. Für dieses Produkt gibt es unstreitig auch keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Einer solchen bedürfte es indes, wenn ein in dieser Reinheit und in dieser Konzentration an Krankenhäuser und Krankenhausapotheken geliefertes Gas trotz seiner Bezeichnung als „technisches Gasgemisch“ ein Fertigarzneimittel wäre, das der Zulassung bedarf. So liegt der Fall hier.
Fertigarzneimittel, die Arzneimittel im Sinne des § 2 I oder II Nr. 1 AMG sind, dürfen gemäß § 21 I S. 1 AMG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder der Rat der Europäischen Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art. 3 I, II der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (Abl. EU Nr. L 136 S.1) auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinien 2001/20/EG und 2001/83/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 726&2004 (Abl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1) und der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 erteilt haben.
§ 21 I AMG ist eine Vorschrift, die im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten regelt, das Inverkehrbringen und Bewerben von Arzneimitteln ohne Zulassung stellt ein nach § 4 Nr. 11 UWG unlauteres Marktverhalten dar (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Auflage, § 4 Rdn. 11.147 mwN).
a)
Das streitgegenständliche Gas erfüllt die Voraussetzungen eines Bestimmungsarzneimittels im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Es handelt sich um
– eine Zubereitung aus Stoffen, nämlich aus zwei Gasen, von denen eines der Wirkstoff und eines das inerte Trägermedium ist
– es ist zur Anwendung am menschlichen Körper geeignet, denn nach entsprechender Verdünnung und Dosierung kann es zur Verbesserung des Gasaustausches in den Lungen eingesetzt werden
– es ist ein Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden, weil es von Körperzellen aufgenommen werden und deren Funktion steuern kann; Stickstoffmonoxid soll die glatten Muskelzellen in den Wänden der Blutgefäße entspannen, wodurch mehr Blut mit Sauerstoff in die gut beatmeten Teile der Lunge gelangen kann.
– Das streitgegenständliche Gas, das als „technisches Gas“ bezeichnet und – nach entsprechender Verdünnung – sowohl für therapeutische als auch für nicht-medizinische Zwecke eingesetzt werden kann, ist hier konkret auch zur Verwendung als Arzneimittel bestimmt gewesen.
Dem präventiven Schutzzweck (Gesundheitsschutz) des AMG folgend ist die Zweckbestimmung allein nach objektiven Kriterien zu beurteilen und orientiert sich in erster Linie an der überwiegenden Verbrauchererwartung, die der subjektiven Zweckbestimmung durch den Hersteller vorgeht. Entscheidend ist dabei, dass das Präparat gegenüber dem Verbraucher aufgrund seiner stofflichen Zusammensetzung, seiner Aufmachung und der Art seines Vertriebes als Arzneimittel in Erscheinung tritt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1994; BGH NJW 2010, 2528 ff.; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht-Kommentar, 117. Ergänzungslieferung 2011 zu § 2 AMG, Rz. 48). Ein Präparat ist also (Bestimmungs)-Arzneimittel, wenn es bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher (gemeint ist hier der durchschnittliche informierte Verbraucher innerhalb eines einheitlichen Verkehrskreises (BGH, a.a.O.), hier also Abnehmer im klinischen bzw. medizinischen Bereich) auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit die Erkenntnis vermittelt, dass es Arzneimitteleigenschaften, also solche zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher Krankheiten hat und innerhalb des angesprochenen Verkehrskreises der entsprechenden Verbrauchergewohnheit folgend auch zu arzneilichen Zwecken eingesetzt werden kann. Dieser Prüfungsmaßstab gilt auch für das streitgegenständliche grundsätzlich sowohl zu technischen als auch medizinischen Zwecken einsetzbare, also „doppelt geeignete“ Gasgemisch. Denn auch insoweit kann der innerhalb des einheitlichen Verkehrskreises angesprochene Verbraucher nur anhand der Aufmachung, seiner Darreichungsform und Verwendungsmöglichkeiten, der Liefermenge und der Lieferumstände die Zweckbestimmung des Mittels erkennen.
Das Gasgemisch der Antragsgegnerin ist als Arzneimittel einzustufen. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass das von der Antragsgegnerin gelieferte Gasgemisch aus der Sicht der belieferten Klinik, also des angesprochenen Verkehrs, nicht – jedenfalls nicht vorwiegend – dazu diente, den dortigen Bedarf an Kalibrierungsgasen zu decken, sondern für einen medizinischen Einsatz Verwendung finden sollte.
Die Antragstellerin hat überzeugend ausgeführt und glaubhaft gemacht, dass das gelieferte Gas in der vorhandenen Konzentration schon nicht wirtschaftlich sinnvoll allein zu Kalibrierungszwecken eingesetzt werden kann, weil dazu eine zeitaufwändige und zudem fehlerträchtige „Prä-Kalibrierung“, also die Herstellung eines für die Kalibrierung einsetzbaren Gasgemisches, erforderlich ist. Zudem hat die Antragstellerin substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die von der Antragsgegnerin gelieferte Menge in keinem vernünftigen Verhältnis zum tatsächlichen Bedarf einer Klinik an Kalibriergas steht, weil es dort und insbesondere bei der UKGM keinen sinnvollen Einsatz des Stickstoff-Stickstoffmonoxid-Gemisches zu technischen Zwecken gibt (vgl. Anlagen AST 14 und 19). Dagegen hat die Antragsgegnerin zwar andere denkbare technische Einsatzmöglichkeiten (Spülen von Zellcountern in Laboren, Kalibrierung von Gaschromatographen, Weiterlieferung an Arztpraxen) im klinischen Bereich aufgezählt, dies indes nur kursorisch, ohne darzulegen, dass diese Verwendungen im konkreten Fall gerade auch für die gelieferte Menge tatsächlich in Betracht kamen. Das spricht bereits dafür, dass die UKGM das in Rede stehende Gasgemisch bei der Antragsgegnerin in jedenfalls maßgeblichem Umfang auch zu Zwecken des medizinischen Einsatzes erworben hat, weil nur so erklärbar scheint, dass die Klinik ein Stickstoff-Stickstoffmonoxid-Gasgemisch in der hohen Konzentration von 2000 ppm NO angekauft hat.
Zusätzlich spricht gegen einen aus der Sicht der belieferten Klinik ausschließlich technischen Zwecken dienenden Einsatz des gelieferten Gases zwar nicht schon nur der Umstand, dass die in Rede stehenden Gasflaschen im Bereich der medizinischen Klinik, teils nahe der Intensivstation, aufgefunden worden sind (Anlage Ast 1), denn auch dort mag es einen – geringen – Bedarf an Kalibrierungsgasen geben, die zudem auch über die Krankenhausapotheke bezogen werden mögen. Es kann für die Gesamtbetrachtung aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass die UKGM ihre Geschäftsbeziehung zur Antragstellerin wegen der Lieferung eines medizinischen Zwecken dienenden Stickstoffgasgemisches unstreitig im August 2009 unter Hinweis darauf beendet hat, dass der dortige Bedarf an medizinischen Gasen von einem anderen Lieferanten sichergestellt werde, und die Antragsgegnerin die streitgegenständlichen Gasflaschen alsbald danach an die UKGM auslieferte, wie das am 3.11.2009 ausgestellte und der in Rede stehenden Gaslieferung der Antragsgegnerin beigefügte Prüfzeugnis gemäß der Anlage AG 3 belegt.
Diese Umstände prägen insgesamt aus der notwendigen objektiven Sicht die Verbrauchererwartung, hier also die Erwartung der Klinik von dem – jedenfalls vornehmlich – medizinischen Einsatz des gelieferten Gases.
Der glaubhaft gemachte Vortrag der Antragsgegnerin, allein die Lieferung eines technischen Gases beabsichtigt und sich diesen ausschließlichen Verwendungszweck auch von der Klinik bestätigen lassen zu haben (vgl. Anlage AG 10), steht dem nicht entscheidend entgegen. Ebenso wenig der Umstand, dass das Gasgemisch von der Antragsgegnerin auch nach außen hin als Prüfgas und damit für technische Zwecke deklariert sowie mit einem für diese Zwecke geeigneten Ventilflaschenanschluss versehen worden ist.
Denn angesichts der geschilderten Gesamtumstände, ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin und ihre Kundin ernsthaft davon ausgingen, dass eine auch nur überwiegende technische Verwendung des gelieferten Gasgemisches im Bereich des UKGM beabsichtigt war und in Betracht kam. Die Antragsgegnerin wusste schon aufgrund zurückliegender Lieferungen des streitgegenständlichen Gases an Kliniken zu medizinischen Zwecken, dass ein solcher Einsatz auch für das als „technisches Gas“ vertriebene Mittel in Betracht kam. Sie konnte sich auf eine Erklärung der Klinik, das Mittel tatsächlich ausschließlich als technisches Gas zu verwenden, schon angesichts der gelieferten Menge des hoch konzentrierten Gases nicht verlassen, sondern nahm es überwiegend wahrscheinlich jedenfalls in Kauf, dass das Gas auch zu medizinischen Zwecken eingesetzt werden würde.
Das war nach dem glaubhaft gemachten Vortrag der Antragstellerin (Anlagen Ast 20 und 21) auch technisch möglich. Die Ausgangskonzentration des gelieferten Gases von 2.000 ppm NO lässt sich mittels geeigneter Dosierungsgeräte (z.B. das Gerät „N.“) unter Einsatz eines „F.s“ und eines für den Anschluss an die medizinische Versorgung geeigneten Adapters auf eine therapeutisch einsetzbare Konzentration herunterdosieren. Die technische Vorgabe der Antragsgegnerin zum Anschluss der gelieferten Gasflaschen führt daher ebenfalls nicht zu der Annahme, die Antragsgegnerin habe hierdurch – mittelbar – eine Zweckbestimmung vorgenommen, die einen Einsatz des Gases zu medizinischen Zwecken ausschlösse und damit die Verkehrsvorstellung der Klinik von den Einsatzmöglichkeiten des Gases prägte.
Bei der Frage nach dem bestimmungsgemäßen Einsatz des Mittels kommt es nämlich nicht allein und insbesondere nicht wesentlich auf die Aufmachung des Produktes und die deklarierte Zweckbestimmung an. Geht der angesprochene Verkehr nach den Umständen – wie hier etwa der stofflichen Zusammensetzung und Menge des gelieferten Produkts sowie den Umständen des Vertriebs – davon aus, das Produkt jedenfalls auch im medizinischen Bereich einzusetzen, dann vermag eine Herstellerdeklaration, die eine Negativerklärung zur Arzneimitteleigenschaft enthält, die Arzneimitteleigenschaft nicht auszuschließen (vgl. Kloesel/Cyran, a.a.O., Rz. 56 zu § 2 AMG). Die objektive Zweckbestimmung eines Produkts nach der Verbrauchererwartung geht der subjektiven Zweckbestimmung durch den Hersteller vor (ebenda, Rz. 48). Der von Kloesel/Cyran (a.a.O., Rz. 54) vertretenen Auffassung, dass bei einer doppelten Eignung allein die Zweckbestimmung des Herstellers maßgeblich sei, vermag sich der Senat jedenfalls für den Streitfall, in dem die Eignung des Mittels für den vom Hersteller deklarierten Zweck – wie vorliegend überwiegend wahrscheinlich – aus der Sicht des Abnehmers des Mittels erkennbar in den Hintergrund tritt, nicht zu folgen. Das würde der Umgehung der arzneimittelrechtlichen Zulassungspflicht Tür und Tor öffnen und widerspräche dem Zweck des AMG, den Verbraucher im Interesse des Gesundheitsschutzes vor dem unkontrollierten Einsatz von Arzneimitteln zu schützen.
(b)
Das streitgegenständliche Gas erfüllt mit der gegebenen Zweckbestimmung auch die Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Denn es kann im oder am menschlichen Körper angewendet werden, um physiologische Funktionen durch eine pharmakologische Wirkung zu beeinflussen (s.o. Verbesserung des Gasaustausches in den Lungen). In der Medizin verwendete Gase beeinflussen die Körperfunktion; ihre Wirkweise ist pharmakologisch, weil sie von Körperzellen aufgenommen werden und deren Funktion steuern. Stickstoffmonoxid soll die glatten Muskelzellen in den Wänden der Blutgefäße entspannen, wodurch mehr Blut mit Sauerstoff in die gut beatmeten Teile der Lunge gelangen kann. Das setzt eine pharmakologische Wirkung voraus, also eine Rezeptoranbindung mit entsprechender Reaktion. Das Mittel wird nach dem Vorstehenden im konkreten Fall schließlich überwiegend wahrscheinlich von der UKGM auch verabreicht, um i.S. des § 2 Abs. 1 Ziff. 2 lit. a) AMG zu wirken. Ein Mittel mit doppelter Zweckbestimmung wird jedenfalls bei der Abgabe an den Bezieher, der es – wie vorliegend überwiegend wahrscheinlich – zu arzneilichen Zwecken bestimmt, zum Arzneimittel, mag bei der Herstellung eine solche Zweckbestimmung auch noch nicht vorgelegen haben (ebenda, Rz. 71 zum Mittel Sauerstoff).
c)
Die Antragsgegnerin vertreibt auch ein Fertigarzneimittel i.S. des § 4 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Hierunter fallen Arzneimittel, die „im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden“.
aa) Die Antragsgegnerin bringt mit dem in 10 und 50-Liter Stahlbehältern vertriebenen Gasgemisch Arzneimittel – nämlich eine zur Therapie einer Krankheit bestimmte Spezialität – in den Verkehr. Der Vertrieb dieses Fertigarzneimittels bedarf der Zulassung, die die Antragsgegnerin nicht hat (§ 21 AMG).
bb) Insbesondere ist das streitgegenständliche Gasgemisch auch „im Voraus hergestellt“ i. S. von § 4 Abs 1 AMG. Denn das Stickstoffmonoxid-Stickstoffgasgemisch ist gerade nicht für den Einzelfall auf besondere Bestellung oder Anforderung als Rezepturarznei ad hoc nach Eingang einer individuellen Verschreibung hergestellt worden, sondern von der Krankenhausapotheke des UKGM für den allgemeinen Bedarf bestellt worden, um es je nach Bedarf in verschiedenen Einzelgaben an den Endverbraucher abzugeben. Insoweit ist das streitgegenständliche Gasgemisch auch für eine Vielzahl von Personen, für einen noch unbestimmten, nicht eingrenzbaren Personenkreis bestimmt.
cc) Schließlich wird das Gasgemisch in dem 10 und 50-Liter Stahlbehältern auch in einer für den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht. Die verwendete Gasflaschen stellen eine solche Verpackung dar. Denn der Vertrieb des Gasgemisches in den 10 und 50-Liter Stahlflaschen ist von der Antragsgegnerin gewählt worden, um sicherzustellen, dass das Gasgemisch dem Verbraucher so zur Verfügung steht, wie es vom Hersteller verpackt wurde. Dabei sind unter „Verbraucher“ neben den Patienten selbst insbesondere auch Einrichtungen der Gesundheits- und Krankenfürsorge zu subsumieren, also in diesem Fall das Klinikpersonal, das die Arzneimittel anwendet (vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, A 1.0, § 4, Anmerkung 4c). Dies hat der Senat bereits in der Entscheidung „Atemtest“ (Urteil vom 17.12. 2009 – 3 U 48/02-, Seite 17) herausgestellt, in der es heißt:
„Wie das BVerwG in seinem Urteil vom 9. März 1999 (Buchholz 418.32 AMG Nr. 33) überzeugend ausgeführt hat, handelt es sich im Falle der Portionierung von Bulkware nämlich schon bei dem an den Apotheker gelieferten Großgebinde um ein „im voraus“ hergestelltes Arzneimittel (BVerwG a.a.O., Juris Rn. 19 und 20). Auszugehen ist insoweit von dem Wortlaut der Legaldefinition des Fertigarzneimittels in § 4 Abs. 1 AMG. Der dort verwendete Begriff des „Herstellens“ ist in § 4 Abs. 14 AMG definiert. Danach ist „Herstellen“ das Gewinnen, das Anfertigen, das Zubereiten, das Be- und Verarbeiten, das Umfüllen einschließlich Abfüllen, das Abpacken und das Kennzeichnen. Das Abfüllen, Abpacken und das Kennzeichnen sind mithin Bestandteil des Herstellungsvorgangs. Dabei ist aber zu beachten, dass in dieser Definition nicht von der zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung die Rede ist. Das bedeutet also, dass jedes Abpacken – also auch das in Großgebinden – unter die Herstellungsdefinition fällt. Die Herstellung eines Großgebindes ohne Zuordnung zu einem bestimmten Patienten ist damit dem Wortlaut nach „im voraus hergestellt“. Dieses schon durch Wortlautauslegung gewonnene Ergebnis hat das BVerwG in der nachfolgenden Rn. 21 seiner Entscheidung auch noch mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes überzeugend begründet.“
Auch bei dem streitgegenständlichen Gasgemisch handelt es sich um Bulkware, weil das Arzneimittel in anwendungsfertigem Zustand als Gasgemisch in Behältnissen zum Anschluss an das Applikationsgerät in den Verkehr gebracht wird (siehe zur Definition des Begriffs „Bulkware“: Kloesel/Cyran, AMG, § 2 Rz 27 unter Berufung auf die a.a.O. wiedergegebenen Definitionen des Ausschusses Arzneimittel-, Apotheken- und Gefahrstoffwesen der Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeamten der Länder < AGLMB >, Bundesgesundheitsblatt Nr. 3/1992, S. 158 und Kloesel/Cyran, AMG, § 4 Rz. 4).
d)
Das von der Antragsgegnerin vertriebene Gasgemisch ist nicht etwa deshalb als bloßes – nicht zulassungspflichtiges – Zwischenprodukt i.S. von § 4 I S. 2 AMG, das für eine weitere Verarbeitung durch einen Hersteller bestimmt ist, zu qualifizieren, weil es – wie auch das Produkt der Antragstellerin – unmittelbar vor der Anwendung mit medizinischer Luft / medizinischem Sauerstoff verdünnt werden muss, um in medizinisch verträglicher Dosis verabreicht werden zu können.
Zwischenprodukte sind lediglich teilweise bearbeitete Arzneimittel, die noch weitere Produktionsstufen durchlaufen müssen, bevor sie zur (dann durch die Zulassungsbehörden zu prüfenden) Bulkware werden, die bereits an den Verbraucher abgegeben werden könnte (vgl. Kloesel/Cyran, a.a.O., § 4 AMG, A 1.0, Anmerkung 10a).
Die im Streitfall erforderliche Verdünnung ist im Gegensatz dazu lediglich die Rekonstitution eines Fertigarzneimittels nach § 4 Nr. 31 AMG, also die Überführung zur Anwendung beim Menschen in seine anwendungsfähige Form unmittelbar vor seiner Anwendung gemäß den Angaben der Packungsbeilage (die hier unter Verstoß gegen § 11 AMG fehlt) oder im Rahmen der klinischen Prüfung nach Maßgabe des Prüfplanes.
Es bedarf für einen Anwendung am Patienten keiner weiteren Verarbeitungsschritte mehr. Das Gasgemisch wird lediglich mittels einer Misch-und Applikationsapparatur verabreicht, um es auf eine therapeutische Dosis – nämlich Konzentrationen von 5 – 8 ppm – herabzusetzen. Dabei ist das Klinikpersonal für die Verdünnung des Gasgemisches verantwortlich. Dieses stellt aber lediglich einen weiteren Schritt zur patientengerechten, verträglichen Anwendung des Arzneimittels, nicht indes zur Herstellung des eigentlichen Arzneimittels, also des Mittels mit Eigenschaften zur Heilung und Linderung menschlicher Krankheiten und Beschwerden, dar.
Vielmehr verlässt sich das Klinikpersonal auf die Angaben des Herstellers zu Qualität und Konzentration des gelieferten Gasgemisches und wendet es auf dieser Grundlage medizinisch verträglich an. Dies ist mit Blick auf das Gebot der Arzneimittelsicherheit nur dann verantwortbar, wenn die Produktion des eigentlichen Gasgemisches der Kontrolle der arzneimittelrechtlichen Zulassungsbehörden unterliegt.
Etwas Anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die zur Verdünnung eingesetzte und über die Applikationsapparatur zugefügte medizinische Luft / medizinischer Sauerstoff selbst Arzneimittel i.S. von § 2 Abs 1 AMG ist. Denn die zugesetzte medizinische Luft /medizinischer Sauerstoff dient hier allein der Verdünnung. Sie ist bloßer Hilfsstoff zur patientengerechten Anwendung, zur Herbeiführung einer nicht-toxischen, keimfreien und verträglichen Dosis des Arzneimittels Stickstoff-Stickstoffmonoxid-Gasgemischs, das die Sauerstoffkonzentration in den Lungen verbessern soll.
e)
Schließlich ergibt sich auch aus dem Ausnahmetatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG keine Freistellung von der Zulassungspflicht.
Nach dieser Vorschrift bedarf es der von § 21 Abs. 1 AMG geforderten Zulassung als Fertigarzneimittel nicht, wenn die Arzneimittel zur Anwendung beim Menschen bestimmt sind und auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebes hergestellt werden und zur Abgabe in dieser Apotheke bestimmt sind. Diese Voraussetzungen liegen – wie schon oben ausgeführt – nicht vor:
Das Gasgemisch wird nicht in seinen wesentlichen Herstellungsschritten in der Krankenhausapotheke hergestellt.
Der Ausnahmetatbestand des § 21 II Nr. 1 AMG erfordert es, wie der Senat in der schon zitierten Entscheidung „Atemtest“ vom 17. 12 2009 – 3 U 48/02 – auf Seiten 20 ff ausgeführt hat,
„dass die Herstellung in der Apotheke sich nicht nur auf unwesentliche Herstellungsschritte wie die Endkonfektionierung beschränkt, z. B. dem Abpacken in Kleingebinde (Kloesel/Cyran, AMG, § 21 AMG Rz. 30). Die Herstellung ärztlich verschriebener Fertigarzneimittel in der Apotheke soll im Wesentlichen in der Apotheke selbst und nicht durch einen industriellen Hersteller erfolgen (Begründung des Regierungsentwurfs zum 4. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drucks. 11/5373, S. 13). Es geht also um die traditionelle "verlängerte Rezeptur" und es soll ausgeschlossen sein, dass Arzneimittel industriell vorgefertigt werden.
Wenn das Gesetz verlangt, dass das Arzneimittel „in den wesentlichen Schritten“ in der Apotheke hergestellt sein muss, bedeutet dies, dass zwar nicht alle, jedenfalls aber die wesentlichen Herstellungsschritte dort stattfinden müssen (vgl. nochmals: BVerwG. Buchholz 418.32 AMG Nr. 33, Juris Rz 29 unter Verweis auf die soeben zitierte Gesetzesbegründung). Damit müssen die zur Herstellung des Arzneimittels 13C-Atemtes erforderlichen Schritte gewichtet werden, um Feststellungen zur Wesentlichkeit der in der Apotheke vorgenommenen Herstellungsschritte treffen zu können…..Die Frage, ob die wesentlichen Herstellungsschritte in der Apotheke erfolgen, erfordert nach allem eine Prüfung des jeweiligen Einzelfalles, wobei im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung die Art und Anzahl der jeweiligen Herstellungsschritte des Mittels zu berücksichtigen sind, in die auch diejenigen für das Fertigarzneimittel erforderlichen Herstellungsschritte einzubeziehen sind, die nicht in einer Apotheke, sondern nur industriell erfolgen können (BGH Urteil vom 23.6.05 – I ZR 194/02 – Atemtest, GRUR 2005, 778, 779). Dabei ist zu prüfen, welcher Stellenwert der nicht in der Apotheke des Beklagten erfolgenden Herstellung des Wirkstoffs im Verhältnis zu den von dem Beklagten zur Herstellung der Kapseln bei der Defektur ausgeführten weiteren Arbeitsschritten zukommt.“
Nach diesen Voraussetzungen kann festgestellt werden, dass allein die bei Entgegennahme des Produktes in der Krankenhausapotheke stattfindende Eingangsprüfung im Vergleich zur Herstellung des Gasgemisches in der für die medizinische Anwendung erforderlichen Reinheit ebenso wenig wie die Rekonstitution unmittelbar vor der Anwendung (dazu s.o.) wesentlicher Herstellungsschritt ist. Der Gewinnung des NO-Gemisches mit dem geforderten Reinheitsgrad kommt hier für die Herstellung des Arzneimittels eine so wesentliche Bedeutung zu, dass sie gegenüber den weiteren Herstellungsschritten, die in der Apotheke oder im klinischen Bereich vorgenommen werden, jedenfalls nicht als unwesentlich qualifiziert werden kann. Nach Auffassung des Senats treten die dort vorgenommenen Herstellungsschritte sogar in den Hintergrund. Denn die therapeutische Wirkung des Arzneimittels beruht allein auf dem in der gebotenen Reinheit für die therapeutische Anwendung bereitgestellten Gas und alle weiteren Schritte tragen zur Herstellung des Therapeutikums jedenfalls nichts Wesentliches bei.
Die Wiederholungsgefahr ist nicht bereits durch die Abgabe der Unterlassungserklärung der Antragsgegnerin vom 04.07.2006 (Anlage AST 6) ausgeräumt. Denn die Antragsgegnerin hat sich trotz Abgabe dieser Erklärung nicht von dem angegriffenen Verhalten abhalten lassen und dadurch zu erkennen gegeben, dass auch weitere entsprechende Verstöße zu besorgen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.