Anspruch von im Maßregelvollzug Untergebrachten auf Rundfunkgebührenbefreiung

09. März 2011
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Eigener Leitsatz:

Da in Maßregelvollzug Untergebrachte eine vergleichbare finanzielle Bedürftigkeit wie in einer stationären Einrichtung untergebrachte Sozialhilfeempfänger haben, sind diese durch § 6 III RGebStV analog von der Gebührenpflicht zu befreien. Andernfalls würde dies eine unbillige Härte darstellen.

Verwaltungsgericht Hamburg

Urteil vom 26.10.2010

Az.: 10 K 498/10

Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.08.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2010 verpflichtet, den Kläger von der Pflicht zur Zahlung der Rundfunkgebühren für den Zeitraum August bis Oktober 2009 zu befreien.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Befreiung von der Pflicht zur Zahlung von Rundfunkgebühren für die Zeit vom 01.08.2009 bis zum 31.10.2009.

Der Kläger ist seit dem 01.08.2000 zunächst gemäß § 126a StPO und seit dem 18.07.2001 rechtskräftig gemäß § 63 StGB in der forensisch-psychiatrischen Abteilung der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll in stationärer Behandlung untergebracht (Maßregel der Besserung und Sicherung).

Mit Schreiben vom 10.06.2006 meldete der Kläger ein Rundfunkgerät bei dem Beklagten an und beantragte Gebührenbefreiung, da er im Maßregelvollzug Leistungen analog den Bestimmungen des XII. Sozialgesetzbuches erhalte. Mit Bescheid vom 19.09.2006 wurde der Kläger nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (im Folgenden RGebStV) für die Zeit vom 01.07.2006 bis 30.06.2007 von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.

Mit Antrag vom 21.06.2007 beantragte der Kläger erneut Gebührenbefreiung. Mit Bescheid vom 08.08.2007 sprach der Beklagte zunächst erneut eine Befreiung aus, der Bescheid konnte dem Kläger aus ungeklärten Gründen jedoch nicht zugestellt werden.

Mit Antrag vom 13.07.2009 beantragte der Kläger wiederum Gebührenbefreiung bei dem Beklagten. In seinem Antrag teilte er mit, auch ein Fernsehgerät angemeldet zu haben. Dem Antrag war eine Bestätigung der Asklepios-Klinik beigefügt, derzufolge dem Kläger „Hilfe zum Lebensunterhalt“ gemäß § 35 Abs. 2 SGB XII gewährt werde, der monatliche Barbetrag belaufe sich auf 96,93 €. Ferner lag eine Bescheinigung der Asklepios-Klinik an, nach der die Klinik aufgrund eines Beleihungsvertrages mit der Freien und Hansestadt Hamburg einzelfallbezogen den Anspruch des Untergebrachten gemäß der geltenden sozialhilferechtlichen Bestimmungen von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel (§§ 27 bis 40) des XII. Sozialgesetzbuches prüfe. Analog § 35 Abs. 2 SGB XII umfasse dies einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung.

Mit Bescheid vom 11.08.2009 lehnte der Beklagte die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht mit der Begründung ab, die vom Kläger eingereichten Unterlagen wiesen nicht nach, dass er die Voraussetzungen für eine Befreiung erfülle.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 24.08.2009 Widerspruch gegen diesen Bescheid ein. Da er über keine Vermögenswerte verfüge, werde ihm für die Zeit seiner Behandlungsfortdauer „Hilfe zum Lebensunterhalt“ gemäß § 35 Abs. 2 SGB XII gewährt, er erfülle daher die Voraussetzungen einer Befreiung.

Mit Schreiben vom 05.10.2009 meldete der Kläger Radio- und Fernsehgerät ab mit der Begründung, auf der Station seien Fernsehgeräte nicht erlaubt und das Radiogerät sei nicht mehr empfangsbereit.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2010 zurück. Der Kläger erfülle mit dem Bezug eines Barbetrages nach dem Hamburgischen Maßregelvollzugsgesetz (im Folgenden HmbMVollzG) nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 RGebStV. Die sozialen Leistungen, deren Bezug zu einer Gebührenbefreiung führten, seien dort abschließend aufgeführt. Der Barbetrag, den der Kläger erhalte, falle nicht darunter. Eine analoge Anwendung komme mangels Regelungslücke nicht in Betracht.

Mit Bescheid vom 29.01.2009 lehnte der Beklagte auch den Antrag des Klägers vom 21.06.2007 ab. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 26.02.2010 Widerspruch ein, über den bis heute nicht entschieden wurde.

Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 11.08.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 28.01.2010 am 26.02.2010 Klage. Die Bescheide des Beklagten seien schon deswegen rechtswidrig, weil sie die Härtefallregelung des § 6 Abs. 3 RGebStV nicht berücksichtigten. Die Voraussetzungen eines besonderen Härtefalles seien beim Kläger aber gegeben. Beim Kläger liege im Rahmen der Gewährung des angemessenen Barbetrages nach § 35 Abs. 1 HmbMVollzG eine vergleichbare Bedürftigkeit vor wie bei dem Personenkreis, der nach § 35 Abs. 2 SGB XII in einer stationären Einrichtung untergebracht und von der Rundfunkgebührenpflicht befreit sei.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Bescheide vom 11.08.2009 und 28.01.2010 den Beklagten zu verpflichten, den Kläger von der Pflicht zur Zahlung der Rundfunkgebühren für den Zeitraum August bis Oktober 2009 zu befreien.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, für eine Entscheidung nach § 6 Abs. 3 RGebStV hätte der Kläger einen besonders auf einen Härtefall ausgerichteten Antrag stellen müssen. Ein Härtefall sei auch nicht gegeben. Die Gewährung einer Befreiung bei Bezug von Leistungen analog § 35 Abs. 2 SGB XII würde dazu führen, dass die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV festgelegten Befreiungsvoraussetzungen durch die Härtefallklausel umgangen würden.

Entscheidungsgründe:
I.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Ablehnung der beantragten Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat aus § 6 Abs. 3 RGebStV einen Anspruch auf Gebührenbefreiung für die Zeit August 2009 bis Oktober 2009 (§113 Abs. 5 VwGO).

Der Kläger hat einen Antrag auf Befreiung von Rundfunkgebühren am 13.07.2009 gestellt, so dass gem. § 6 Abs. 5 RGebStV eine Befreiung ab dem 01.08.2009 in Betracht kommt. Einer gesonderten Antragstellung für eine Befreiung aus Härtegründen bedarf es nicht. Für den Fall, dass der Antragsteller auch die tatsächlichen Grundlagen für eine Entscheidung nach der Härtefallregelung bei Antragstellung mitteilt, hat der Beklagte nicht nur die Befreiungstatbestände des § 6 Abs. 1 RGebStV zu prüfen, sondern von Amts wegen auch eine Entscheidung nach § 6 Abs. 3 RGebStV zu treffen (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. vom 08.02.2007, Az. 3 O 35/06 in juris). Das gilt umso mehr, wenn – wie hier – in der Vergangenheit bei unveränderter Sach- und Rechtslage bereits eine Befreiung erteilt wurde.

Zu Recht hat der Beklagte eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV abgelehnt, da der Kläger keine Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches erhält.

Beim Kläger liegt aber eine besondere Härte im Sinne des § 6 Abs. 3 RGebStV vor (1.), die das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert und dem Kläger einen Anspruch auf Gebührenbefreiung verschafft (2.).

1.

Eine besondere Härte ist hier darin zu sehen, dass der Kläger als einzige Einnahme ein monatliches Taschengeld in Höhe von 96,93 € nach § 35 Abs. 1 HmbMVollzG erhält. Sowohl in formaler als auch in materieller Hinsicht steht damit eine vergleichbare Bedürftigkeit fest wie bei einem Empfänger von Leistungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV, der aus diesem Grund eine Gebührenbefreiung erhält. Ein solches Taschengeld erhalten nach § 35 Abs. 1 HmbMVollzG untergebrachte Personen nämlich „nach den Grundsätzen und Maßstäben des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (…)“. Das bedeutet, dass einerseits die gewährte Leistung der Höhe nach dem entsprechen soll, was ein Empfänger von Sozialhilfe, der in einer Einrichtung lebt, an Barmitteln erhält und dass andererseits die Bedürftigkeit eines Empfängers dieser Leistung genauso geprüft wurde wie diejenige eines Empfängers von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.

Nach § 35 Abs. 2 SGB XII umfasst der notwendige Lebensunterhalt insbesondere einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von mindestens 27 % des Eckregelsatzes. Wenn nach dem Willen des Gesetzgebers der notwendige Lebensunterhalt der im Hamburger Maßregelvollzug Untergebrachten dem eines Leistungsempfänger nach § 35 SGB XII entspricht, also davon ausgegangen wird, dass hier die gleichen Bedürfnisse (etwa zusätzliche Nahrungs- und Genussmittel, Ausgaben für Information, Kommunikation und Kultur) bestehen und notwendigerweise zu befriedigen sind, dann muss dem im Rahmen des Maßregelvollzuges Untergebrachten der Barbetrag auch für die Befriedigung dieser Bedürfnisse voll zur Verfügung stehen. Die Bezahlung der Rundfunkgebühren hiervon ist nicht vorgesehen, denn diese müssen von den Leistungsempfängern nach § 35 SGB XII wegen § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV nicht bezahlt werden, was in die Berechnung des notwendigen Lebensbedarfs eingeflossen ist. Würde man dem im Maßregelvollzug Untergebrachten eine entsprechende Befreiung nicht gewähren, hieße dies, dass er seinen vom Gesetzgeber definierten sonstigen notwendigen Lebensbedarf mit dem ihm zur Verfügung gestellten Taschengeld regelmäßig nicht vollständig decken könnte. Dies stellt eine besondere Härte dar, die vom Landesgesetzgeber, der gerade die finanzielle Gleichstellung der im Maßregelvollzug Untergebrachten wollte, nicht beabsichtigt ist (ebenso VG Hannover, Urt. vom 12.01.2010, Az. 7 A 4548/08 in juris).

Der im hamburgischen Maßregelvollzug Untergebrachte ist auch insoweit dem Empfänger von Sozialleistungen gleich gestellt, als dass eine Bedürftigkeitsprüfung nach den Grundsätzen des SGB XII vor Gewährung der Leistung zu erfolgen hat. Diese Prüfung erfolgt aufgrund des Beleihungsvertrages mit der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Klinik. Die von dort ausgestellte Bescheinigung über die Gewährung des Taschengeldes erfüllt daher die gleiche Funktion wie die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV genannten Bescheide. Damit wird dem Beklagten auch im Fall eines im Maßregelvollzug Untergebrachten erspart, eigene Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Rundfunkteilnehmern zu treffen.

2.

Im Regelfall des Bezugs von Taschengeld nach § 35 Abs. 1 HmbMVollzG unter Vorlage einer Bescheinigung der insoweit beliehenen Klinik ist das Ermessen der Beklagten bei der Entscheidung über eine Härtefallbefreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV auf Null reduziert und eine entsprechende Befreiung zu erteilen.

Das ergibt sich daraus, dass der Beklagte der gesetzgeberischen Entscheidung, den im Maßregelvollzug Untergebrachten dem Sozialhilfeempfänger in Einrichtungen gleichzustellen, nicht ohne besonderen Grund entgegenwirken darf, und auch er dem Untergebrachten das zum Leben Notwendige zu belassen hat. Angesichts der beabsichtigten Gleichstellung und der Tatsache, dass die Bedürftigkeit des Untergebrachten zuvor geprüft und bescheinigt wird, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Einfügung eines entsprechenden Befreiungstatbestandes in den RGebStV lediglich übersehen hat, so dass eine Regelungslücke besteht, die mit Hilfe der Anwendung des § 6 Abs. 3 RGebStV zu schließen ist.

Etwas anderes, nämlich die Eröffnung eines Ermessens, könnte dann gelten, wenn im Einzelfall feststünde, dass der im Maßregelvollzug Untergebrachte gerade wegen des Zweckes seiner Unterbringung einen geringeren Bedarf an Barmitteln hat, weil er bestimmte in die Berechnung einfließende Bedürfnisse nicht hat oder nicht befriedigen darf (z.B. Genussmittelkonsum). In diesem Fall könnte dem Untergebrachten auch bei Entrichtung von Rundfunkgebühren noch das für ihn speziell Lebensnotwendige verbleiben. Für eine solche Konstellation ist vorliegend allerdings nichts ersichtlich.
  
II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckung wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit in Verfahren wegen Rundfunkgebührenbefreiung aus sozialen Gründen ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.

Die Berufung ist gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Kammer der Frage, ob im Falle eines gesetzlich geregelten Leistungsanspruchs wegen Bedürftigkeit unter ausdrücklicher Verweisung auf die Grundsätze und Maßstäbe des SGB XII regelmäßig eine Befreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV zu erteilen ist, grundsätzliche Bedeutung beimisst.

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