Unterlassungsschuldner haftet grundsätzlich nicht für Weiterverbreitung verbotener Berichterstattung durch Dritte

28. September 2017
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Computerbildschirm mit Suchmaschine Beschluss des OLG Celle vom 21.08.2017, Az.: 13 W 45/17

Die Verpflichtung, unberechtige Veröffentlichungen von Inhalten im Internet zu unterlassen, erschöpft sich nicht in einem „Nichtstun“, sondern verpflichtet zur Beseitigung des Störungszustandes. Dies umfasst die Löschung von eigenen Webseiten und Löschungsaufforderungen gegenüber den größten Suchmaschinen. Der Schuldner hat jedoch für das selbständige Handeln Dritter nur dann einzustehen, sofern ihm dieses wirtschaftlich zugutekommt und er mit deren Handeln ernstlich rechnen musste. Es ist dem Schuldner nicht zumutbar, anlasslos die Verbreitung der Inhalte über jegliche Sozialen Netzwerke oder Video-Plattformen zu kontrollieren.

Oberlandesgericht Celle

Beschluss vom 21.08.2017

Az.: 13 W 45/17

 

Gründe

I.

Der Antragsgegnerin ist mit einer durch Beschluss des Senats vom 11. April 2017 zum Az. 13 W 20/17 erlassenen einstweiligen Verfügung bei gleichzeitiger Androhung von Ordnungsmitteln untersagt worden, verschiedene Äußerungen im Zusammenhang mit einer Berichterstattung der Antragsgegnerin unter dem Titel „Wirbel um belasteten Bauschutt in H.“ in der Sendung „M.“ vom 13. März 2017 zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen.

Nach Zustellung des Beschlusses am 20. April 2017 entfernte die Antragsgegnerin den Beitrag aus ihrer Mediathek und beantragte eine Löschung bei den gängigen Suchmaschinen, insbesondere bei G. Eine weitergehende Internetsuche nach etwaiger Weiterverbreitung des Videobeitrages führte die Antragsgegnerin nicht durch. Sie wurde deshalb erst durch den Ordnungsgeldantrag der Antragstellerin darauf aufmerksam gemacht, dass nach dem 20. April 2017 der streitgegenständliche Bericht noch auf der Videoplattform Y. T. abrufbar war, wo er von dem Nutzer „G. S.“ eingestellt und mindestens 153 mal aufgerufen worden war.

Nach Erhalt des Ordnungsmittelantrages nahm die Antragsgegnerin Kontakt mit dem Anbieter von Y.T. auf und sorgte so dafür, dass der Beitrag auf Y.T. gelöscht wurde.

Das Landgericht hat auf Antrag der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld verhängt und dies damit begründet, die Antragsgegnerin habe im konkreten Fall nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan, um die Verletzung durch den Y.T.-Nutzer „G. S.“ zu verhindern. Sie sei wegen der absehbaren Weiterverbreitung des Beitrages aus ihrer Mediathek dazu verpflichtet gewesen, „die gängigsten Plattformen“, darunter auch Y.T., unter Nutzung der dortigen Suchfunktion und der Eingabe von Schlagworten nach dem streitgegenständlichen Beitrag zu durchsuchen. Wegen des Verstoßes sei die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 5.000,00 € erforderlich und angemessen.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie vertritt die Auffassung, sie habe für das Handeln des Dritten „G. S.“ nicht einzustehen, weil der Verstoß ihr wirtschaftlich nicht zugutekomme, sie damit nicht ernstlich habe rechnen müssen und sie keine rechtlichen und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten des Dritten gehabt habe. Die vom Landgericht geforderte Einwirkung sei ihr auch nicht zumutbar, weil die Rechtsauffassung der Kammer dazu führe, dass eine Vielzahl von Videoportalen nach einem unklaren Katalog von Suchbegriffen zu durchsuchen sei. Insofern führe die angefochtene Entscheidung auch zu Wertungswidersprüchen zum etablierten Haftungskonzept bei der Verbreitung von Inhalten Dritter im Internet, wonach Löschungspflichten von Nicht-Tätern oder -Teilnehmern erst dann bestünden, wenn sie zuvor auf konkrete rechtsverletzende Verbreitungen durch Dritte hingewiesen worden seien. Jedenfalls fehle es am Verschulden der Antragsgegnerin, die mit einer anderweitigen Rechtsprechung nicht habe rechnen müssen. Die Höhe des festgesetzten Ordnungsgeldes sei mit Blick auf die geringe Schwere des – unterstellten – Verstoßes und die unverzügliche Reaktion der Antragsgegnerin unangemessen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Antragsgegnerin wird auf die Beschwerdebegründung (Bl. 110 ff. Ordnungsmittelheft) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sondern die Sache mit Beschluss vom 31. Juli 2017 (Bl. 127 Ordnungsmittelheft) dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg.

Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes gemäß § 890 Abs. 1 ZPO sind nicht erfüllt. Zwar liegen die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen vor. Die Antragsgegnerin hat jedoch nicht schuldhaft gegen das titulierte Unterlassungsgebot verstoßen, indem sie nach der Zustellung der einstweiligen Verfügung am 20. April 2017 nicht dafür gesorgt hat, dass der streitgegenständliche Beitrag aus ihrer Sendung „M.“ auch von der Videoplattform Y.T. entfernt wurde.

Zwar erschöpft sich eine titulierte Unterlassungsverpflichtung nicht in bloßem Nichtstun. Sie umfasst vielmehr auch die Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustandes, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot Folge geleistet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992 – IX ZR 36/92 – Straßenverengung, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 11. November 2014 – VI ZR 18/14, juris Rn. 16). Der Schuldner hat deshalb alles zu tun, was im konkreten Fall erforderlich und zumutbar ist, um künftige Verletzungen des Unterlassungsgebotes zu verhindern (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 29. November 2011 – 5 W 258/11, juris Rn. 11; Köhler/Feddersen in: Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 12 Rn. 6.7 m. w. N.). Die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, ist daher mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig dahin auszulegen, dass sie nicht nur die Unterlassung derartiger Handlungen, sondern auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands umfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2016 – I ZB 34/15 – Rückruf von RESCUE-Produkten, juris Rn. 24 m. w. N.).

Bezogen auf Verstöße durch Aussagen im Internet bedeutet dies, dass der Schuldner durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen hat, dass die durch die Unterlassungsverpflichtung betroffenen Inhalte seiner Webseite – hier der Beitrag aus der Mediathek der Antragsgegnerin – nicht mehr im Internet aufgerufen werden können, und zwar weder über die Webseite direkt noch über eine Internetsuchmaschine (vgl. Senat, Urteil vom 29. Januar 2015 – 13 U 58/14, juris Rn. 20 f.). Deshalb gehört es zu den Pflichten des Schuldners, nicht nur die betroffenen Inhalte durch Änderung oder Löschung der Webseite zu entfernen, sondern auch die Abrufbarkeit wenigstens über G. als die am häufigsten genutzte Suchmaschine im Internet auszuschließen (Senat, a. a. O., m. w. N.). Dem Schuldner obliegt es dabei zu überprüfen, ob die auf seiner Webseite entfernten Inhalte bzw. die gelöschten Webseiten noch über die Trefferliste dieser Suchmaschine aufgerufen werden können. In diesem Fall muss der Schuldner gegenüber G. den Antrag auf Löschung im G.-Cache bzw. auf Entfernung der von seiner Webseite bereits gelöschten Inhalte stellen.

Davon zu trennen – und vom Senat im vorstehend zitierten Urteil nicht entschieden – ist die hier streitentscheidende Frage, ob Veröffentlichungen durch Dritte im Internet dem Unterlassungsschuldner rechtlich zuzuordnen sind. Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs hat für das selbstständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen. Er ist jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche und tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2013 – I ZR 77/12 – Vertragsstrafenklausel, Haus & Grund, juris Rn. 26 m. w. N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. März 2016 – 2 W 49/15, juris Rn. 23; Köhler/ Feddersen, a. a. O.). Danach stellt nicht jedwedes Auftauchen eines früheren Verstoßes im Internet zwingend einen zurechenbaren Verstoß durch den Unterlassungsschuldner dar. Die eigenständige Übernahme von Aussagen, mit der der Unterlassungsschuldner nicht zu rechnen brauchte, hat er ebenso nicht zu vertreten wie eine von ihm nicht veranlasste oder unterstützte, nicht marktbezogene Weiterverbreitung (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O., Rn. 24).

Dies zugrunde gelegt, hat die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall ihrer Unterlassungsverpflichtung genügt. Sie hat neben der Löschung des Mediathek-Beitrages unstreitig sichergestellt, dass der Beitrag auch nicht mehr über den Cache gängiger Suchmaschinen, insbesondere über G., aufgerufen werden kann. Darüber hinaus war die Antragsgegnerin entgegen der Auffassung der Antragstellerin und des Landgerichts nicht verpflichtet, eine anlassunabhängige Suche nach einer möglichen Weiterverbreitung ihres Beitrages auf der Videoplattform Y.T. vorzunehmen.

Die Voraussetzungen für eine Einwirkungspflicht der Antragsgegnerin sind hier schon deshalb nicht erfüllt, weil das Handeln des Y.T.-Nutzers „G. S.“ ihr nicht wirtschaftlich zugutekam, sondern im Gegenteil in Konkurrenz zu ihrem eigenen Mediathek-Angebot stand. Es kann daher offen bleiben, ob die Antragsgegnerin mit einer solchen – rechtlich unzulässigen – Weiterverbreitung ohne konkreten Anlass ernstlich rechnen musste, nur weil sie den Beitrag in ihrer Mediathek zur Verfügung gestellt hatte. Insoweit weist die Antragsgegnerin allerdings zutreffend darauf hin, dass der vorliegende Fall nicht vergleichbar ist mit der Veranlassung von Rechtsverletzungen Dritter durch Lieferung rechtsverletzender Produkte (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2016 – I ZB 34/15 – Rückruf von RESCUE-Produkten) oder durch Aufnahme der eigenen Webseite in Branchensuchdienste und -verzeichnisse (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O.).

Jedenfalls erachtet es der Senat selbst bei Annahme einer „internettypischen Gefahr“ (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28. Juli 2015 – VI ZR 340/14, juris Rn. 37) für nicht zumutbar, von dem Unterlassungsschuldner über den Ausschluss der Aufrufbarkeit der eigenen Webseite hinaus die anlassunabhängige Kontrolle der „gängigsten“ Videoportale zu fordern. Denn von einer solchen Kontrolle müsste konsequenterweise neben Y.T. auch eine Vielzahl anderer Kanäle und Social Media Plattformen wie F. und I. erfasst sein, wobei sowohl die Auswahl der zu prüfenden Webseiten als auch die dabei zu verwendenden Suchbegriffe kaum bestimmbar erscheinen. Insofern war die Antragsgegnerin vielmehr nach Auffassung des Senats erst verpflichtet, auf Hinweis des Betroffenen im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten tätig zu werden und auf eine Löschung des von einem Dritten veröffentlichten Beitrags hinzuwirken (so auch BGH, a. a. O., betreffend den Anspruch gegen einen mittelbaren Störer auf das Hinwirken auf Löschung rechtswidriger, im Internet abrufbarer Tatsachenbehauptungen). Dieser Pflicht ist die Antragsgegnerin nach Erhalt des Ordnungsgeldantrages unverzüglich nachgekommen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 891 Satz 3, 91 Abs. 1 ZPO.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die streitgegenständlichen Fragen grundsätzliche Bedeutung haben (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

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