Bildarchiv muss Veröffentlichungen durch Verlage nicht prüfen

11. Februar 2011
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Eigener Leitsatz:
Gibt ein Bildarchiv Bilder an einen Zeitschriftenverlag heraus, so muss es die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung durch den Verlag nicht überprüfen. Da eine Weitergabe nicht zwangsweise zu einer Veröffentlichung führt, wird durch die bloße Weitergabe auch das Persönlichkeitsrecht eventuell Betroffener nicht belastet. Eine Prüfungspflicht würde in Anbetracht dessen einen unverhältnismäßigen Aufwand darstellen.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 07.12.2010

Az.: VI ZR 34/09

 

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2010 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. Dezember 2008 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. April 2008 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger wurde mehrfach wegen Tötungsdelikten verurteilt und verbüßt seit 1983 eine lebenslange Freiheitsstrafe. Über die gegen ihn geführten Strafprozesse wurde in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sowie über den letzten Fall 1983 bundesweit umfangreich in der Presse berichtet. Die Beklagte betreibt ein Bildarchiv zur kommerziellen Nutzung durch Presseunternehmen. Sie stellte der Playboy Deutschland Publishing GmbH zwei Bildnisse des Klägers zur Verfügung, welche diese zur Illustration eines in der Dezemberausgabe 2006 des "Playboy" unter dem Titel "Die Akte H… Psychogramm eines Jahrhundert-Mörders" veröffentlichten Artikels verwendete. Der Kläger sieht darin eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts und nimmt die Beklagte auf Unterlassung der erneuten Verbreitung dieser Bildnisse in Anspruch.
Das Landgericht (AfP 2008, 637) hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht (OLGR Frankfurt 2009, 334) hat ihr auf die Berufung des Klägers im Wesentlichen stattgegeben. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht führt im Wesentlichen aus:

Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch aus § 22 KunstUrhG zu, weil die Beklagte seine Bildnisse ohne seine Einwilligung verbreitet habe und eine Ausnahme gemäß § 23 Abs. 1 KunstUrhG nicht vorliege. Der Kläger sei auf den Bildern erkennbar, auch wenn diese bereits vor Jahrzehnten aufgenommen worden seien. Bei der Weitergabe an den Zeitschriftenverlag handele es sich auch um eine Verbreitungshandlung. Es handele sich nicht um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte, weil es an dem erforderlichen aktuellen Bezug fehle. Es gehe vorliegend allein um das Recht des Klägers am eigenen Bild als spezifische Ausprägung des Persönlichkeitsrechts, das mehr als 20 Jahre nach der letzten Verurteilung einer identifizierenden Berichterstattung ohne aktuellen Anlass entgegenstehe, weil dem Selbstbestimmungsrecht des Klägers nach so langer Zeit in jedem Fall Vorrang gegenüber einem eher Unterhaltungszwecken dienenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit zukomme. Die Beklagte habe durch die Herausgabe der Bildnisse ohne Prüfung einer Einwilligung und ohne Rechtfertigung gemäß § 23 Abs. 1 KunstUrhG das Persönlichkeitsrecht des Klägers rechtswidrig verletzt. Sie genieße zwar grundsätzlich den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, weil sie eine presseexterne Tätigkeit ausübe, bei der es sich um eine typischerweise pressebezogene Tätigkeit handele. Deshalb sei zu berücksichtigen, dass eine Beschränkung ihrer Tätigkeit geeignet wäre, die Bildberichterstattung der Medien und damit auch die Meinungsfreiheit zu beschränken. Dies führe jedoch nicht zu einer generellen und weitgehenden Haftungsfreistellung einer Bildagentur oder eines Pressearchivs. In Anbetracht der Umstände des Falls habe die Beklagte Anlass gehabt, sich nach dem Vorliegen einer Einwilligung oder einer Rechtfertigung zu erkundigen. Keinesfalls habe sie ihre eigene Verantwortlichkeit auf den Zeitungsverlag verlagern können. Die pauschale Behauptung, die Arbeit von Agenturen würde in nicht mehr hinnehmbarer Weise erschwert, wenn ihnen die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Bildveröffentlichung im Einzelfall obliegen würde, genüge nicht, um eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Bereiche des Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf Presse- und Informationsfreiheit generell zugunsten von Bildagenturen vorzunehmen. Die Beklagte werde mit dem aufgrund der eindeutigen Rechtslage erforderlichen Prüfungsaufwand auch nicht unzumutbar belastet.

II.
Die dagegen gerichtete Revision hat Erfolg.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. Die Beklagte hat sein Persönlichkeitsrecht durch die Weitergabe der Bilder an den Presseverlag nicht rechtswidrig verletzt.
Nach Ansicht des erkennenden Senats liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 KunstUrhG nicht vor. Mit Recht beanstandet die Revision die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Begriff des Verbreitens im Sinne dieser Vorschrift. Darauf, ob der Begriff in gleicher Weise wie in § 17 UrhG zu verstehen ist (zum Streitstand vgl. etwa Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 22 KunstUrhG Rn. 9 einerseits und von Strobl-Albeg, in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 7 Rn. 43, S. 435 andererseits), kommt es bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht an. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob ein Informationsaustausch, der quasi im presseinternen Bereich stattfindet und das Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen allenfalls geringfügig beeinträchtigt, mit Blick auf die Pressefreiheit als Verbreitungshandlung qualifiziert werden kann. Dies ist in solchen Fällen grundsätzlich zu verneinen.
Der Schutzbereich der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Pressefreiheit ist berührt, wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt geht (BVerfGE 85, 1, 12 f.). Die besondere Garantie der Pressefreiheit betrifft die einzelne Meinungsäußerungen übersteigende Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung (BVerfGE 20, 162, 175 f.; 85, 1, 12). Die Pressefreiheit gewährleistet sowohl als Grundrecht des Einzelnen wie als Garantie des Instituts "Freie Presse" nicht nur die Freiheit der Verbreitung von Nachrichten und Meinungen; sie schützt vielmehr auch den gesamten Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu der insbesondere die Beschaffung von Informationen gehört (BVerfGE 10, 118, 121; 12, 205, 260; 20, 162, 176; 21, 271, 279; 36, 193, 204; 50, 234, 240; 77, 346, 354; 85, 1, 12; BVerfG NJW 2001, 503, 504; NJW 1995, 184, 185; NJW 1996, 310). Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zur Information versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokratie eröffnete Rolle wirksam wahrzunehmen (BVerfGE 50, 234, 240).
Das Grundrecht der Pressefreiheit garantiert als objektives Recht die Freiheit des Pressewesens insgesamt. Der Schutz der Pressefreiheit beschränkt sich nicht auf die unmittelbar inhaltsbezogenen Pressetätigkeiten, sondern erfasst im Interesse einer ungehinderten Meinungsverbreitung auch inhaltsferne Hilfsfunktionen von Presseunternehmen (vgl. BVerfGE 25, 296, 304; BVerfGE 64, 108, 114 f.; 77, 346, 354). Im Einzelnen kommt es für die Definition des Schutzbereichs darauf an, was notwendige Bedingung des Funktionierens einer freien Presse ist (BVerfGE 66, 116, 134; 77, 346, 354). Zwar wird nicht jede selbstständige Dienstleistung in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einbezogen, die der Presse zugutekommt und für diese funktionswichtig ist. Der Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 GG besteht im Interesse der freien Meinungsbildung und kann deswegen nur durch einen ausreichenden Inhaltsbezug ausgelöst werden. Für presseexterne Hilfstätigkeiten greift der Schutz aber ausnahmsweise im Interesse eines freiheitlichen Pressewesens, wenn eine selbstständig ausgeübte, nicht die Herstellung von Presseerzeugnissen betreffende Hilfstätigkeit typischerweise pressebezogen ist, in enger organisatorischer Bindung an die Presse erfolgt, für das Funktionieren einer freien Presse notwendig ist und wenn sich die staatliche Regulierung dieser Tätigkeit zugleich einschränkend auf die Meinungsverbreitung auswirkt (BVerfGE 77, 346, 354).
Diesem Verständnis der Pressefreiheit ist bei der Auslegung des Begriffs des Verbreitens von Bildnissen im Sinne des § 22 KunstUrhG Rechnung zu tragen. Danach stellt der quasi presseintern bleibende Abruf von Bildnissen durch Presseunternehmen keine Verbreitungshandlung des Betreibers eines Bildarchivs dar. Die Hilfstätigkeit des Bildarchivs ist in diesem Fall typischerweise pressebezogen. Ersichtlich liegt keine Verbreitungshandlung vor, wenn ein Presseverlag auf sein eigenes Bildarchiv, wie es zahlreiche Medienunternehmen unterhalten, zugreift. Nichts anderes gilt, wenn er auf das Bildarchiv eines Drittunternehmens zugreift. Das Bildarchiv erbringt in diesem Fall eine typisch medienbezogene Hilfstätigkeit, die in enger organisatorischer Bindung an die Medien erfolgt und für das Funktionieren der freien Medien notwendig ist (so zutreffend LG Hamburg, AfP 2007, 385 Rn. 28). Bleibt der Vorgang in dieser Weise ohne Außenwirkung, ist der durch §§ 22, 23 KunstUrhG angestrebte Schutz des Persönlichkeitsrechts des Abgebildeten nicht tangiert. Es besteht deshalb kein rechtfertigender Grund, den Schutz, den die Pressefreiheit bei der Beschaffung von Informationen gewährt, dadurch zu schwächen, dass dem Betreiber des Bildarchivs die nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KunstUrhG erforderlichen Prüfpflichten hinsichtlich einer möglichen Verwertung der Bilder im Rahmen einer Presseberichterstattung angesonnen werden.

2. Entgegen den Ausführungen der Revisionserwiderung hat das Landgericht eine Störerhaftung der Beklagten zutreffend verneint.
Die Störerhaftung darf nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, die nicht selbst den Eingriff vorgenommen haben. Die Haftung des Störers setzt deshalb das Bestehen so genannter Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (vgl. Senatsurteil vom 30. Juni 2009 – VI ZR 210/08, VersR 2009, 1417 Rn. 18; BGH, Urteile vom 11. März 2004 – I ZR 304/01, BGHZ 158, 236, 251; vom 1. April 2004 – I ZR 317/01, BGHZ 158, 343, 350; vom 19. April 2007 – I ZR 35/04, BGHZ 172, 119, 131 f.; vom 30. April 2008 – I ZR 73/05, GRUR 2008, 702, 706 Rn. 53). Dabei können Funktion und Aufgabenstellung des als Störer in Anspruch genommenen Dritten und die Eigenverantwortung des unmittelbar Handelnden eine Rolle spielen (Senatsurteil vom 30. Juni 2009 – VI ZR 210/08, aaO; BGH, Urteil vom 17. Mai 2001 – I ZR 251/99, BGHZ 148, 13, 18 f.; vom 1. April 2004 – I ZR 317/01, aaO).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erstreckten sich die Prüfungspflichten der Beklagten nicht auf die konkrete Presseveröffentlichung in der Ausgabe Dezember 2006 des Magazins "Playboy". Eine Verpflichtung des Betreibers eines Bildarchivs, ausnahmslos oder doch regelmäßig vor Herausgabe von angefordertem Bildmaterial zu prüfen, für welche Zwecke dieses verwendet werden soll, besteht aufgrund der Störerhaftung nicht. Eine derart umfangreiche Obliegenheit würde die Betreiber von Archiven in technischer, persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht überfordern und das Betreiben von umfangreichen Text- und Bildarchiven letztlich wegen der sich aus der Überwachungspflicht ergebenden Haftungsrisiken in unzumutbarer Weise erschweren. Ein solcher Eingriff in die Pressefreiheit ist auch im Bereich der Störerhaftung aus den vorstehend erörterten Gründen nicht zu rechtfertigen.

III.
Die Klage ist danach abzuweisen. Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, kann der erkennende Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 17.04.2008 – 2/3 O 90/07 –
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 23.12.2008 – 11 U 21/08 –

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