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Gericht muss Zeitungsverlag ein anonymisiertes Urteil zusenden

15. Juli 2016
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Holzwürfel, die das Wort "Presserecht" ergeben auf Zeitungsausschnitten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.09.2015, Az.: 1 BvR 857/15

Die Pressefreiheit sichert einem Zeitungsverlag das Recht auf die Zusendung eines anonymisierten Gerichtsurteils. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf den genauen Wortlaut eines Urteils zu erfahren, und nicht nur die Pressemitteilung des Gerichts. Ausnahmen gelten nur, wenn konkrete Anhaltspunkte unmittelbar und dringend die Gefahr nahelegen würden, dass durch die Veröffentlichung des Urteils das Strafverfahren vereitelt, erschwert, verzögert oder zumindest gefährdet würde.

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 14.09.2015

Az.: 1 BvR 857/15

 

Tenor

  1. Der Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 13. März 2015 – 1 EO 128/15 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Thüringer Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Der Freistaat Thüringen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
  3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.

Der Verfassungsbeschwerde liegt ein verwaltungsgerichtliches Eilrechtsschutzverfahren zugrunde, in welchem um die Übersendung einer anonymisierten Abschrift eines Strafurteils an die Beschwerdeführerin gestritten wurde.

1. Die Beschwerdeführerin, eine Zeitungs-Verlagsgruppe, begehrte Auskunft über die schriftlichen Urteilsgründe des in einem Strafverfahren vor dem Landgericht gegen den beigeladenen ehemaligen Innenminister des Freistaates T. und Beigeordneten der Stadt E. ergangenen Urteils durch die Übersendung einer anonymisierten Kopie des Urteils.

Nach Durchführung einer sechstägigen Hauptverhandlung mit umfänglicher, Namen und Straftaten nennender Medienbegleitung wurde mit diesem Urteil der Beigeladene im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Beigeordneter sowie als Stadtratsmitglied wegen Vorteilsannahme in zwei Fällen und Abgeordnetenbestechung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen weiteren Beschuldigten wurde bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs zurückgestellt. Eine weitere Person wird gesondert verfolgt. Die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt E. wegen Beihilfe zur Vorteilsannahme lehnte das Landgericht ab.

2. Die Beschwerdeführerin beantragte beim Präsidenten des Landgerichts (im Folgenden: Antragsgegner) die Übersendung einer Kopie des Strafurteils. Der Antragsgegner lehnte dies ab. Durch Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antragsgegner antragsgemäß verpflichtet, der Antragstellerin Auskunft über die schriftlichen Urteilsgründe des ergangenen Urteils durch Übersendung einer anonymisierten Kopie des vollständigen Urteils zu erteilen.

3. Auf die Beschwerde des Beigeladenen änderte das Oberverwaltungsgericht mit angefochtenem Beschluss die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ab und lehnte den Antrag der Beschwerdeführerin auf Auskunftserteilung ab.

Es sei der Beschwerdeführerin nicht gelungen, einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. § 4 Abs. 1 ThürPrG gewähre der Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf die Übersendung eines anonymisierten vollständigen Urteils. Nach dieser Vorschrift seien Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer Aufgaben dienenden Auskünfte zu erteilen. Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 ThürPrG dürfe die Auskunft verweigert werden, wenn die sachgemäße Durchführung eines Strafverfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könne. Bei der Auslegung der Norm sei zu berücksichtigen, dass sich die Beschwerdeführerin auf das Grundrecht der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen könne. Allerdings verpflichte § 4 Abs. 1 ThürPrG die Behörden lediglich zur Erteilung einer Auskunft. Eine besondere Form der Auskunft sei nicht vorgegeben. Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG lasse sich kein Anspruch auf Einsichtnahme in Behördenakten herleiten. Lediglich in Ausnahmefällen könne das Auswahlermessen dahingehend reduziert sein, dass die Herausgabe einer Urteilskopie verlangt werden dürfe. Eine derartige Ermessensreduzierung sei jedoch nicht gegeben. Sie lasse sich nicht bereits aus der allgemeinen Verpflichtung der Justiz zur Veröffentlichung gerichtlicher, die Öffentlichkeit interessierender Entscheidungen herleiten. Bei der Veröffentlichung müssten die Gerichte neben den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten und dem Datenschutz die ihnen auferlegten Neutralitätspflichten beachten. Diese Verpflichtung der Gerichte zu unbedingter Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand sei zentraler Bestandteil der rechtsstaatlichen Grundkonzeption und habe Einfluss auf die mit Verfassungsrang ausgestattete Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege. Sie dürfe und müsse im Rahmen der Veröffentlichung von Entscheidungen durch die Justiz berücksichtigt werden. Ein Anspruch auf Erteilung einer Auskunft gerade durch Übersendung eines die Presse interessierenden Urteils bestehe jedenfalls dann nicht, wenn einer der Versagungsgründe des § 4 Abs. 2 ThürPrG vorliege, insbesondere wenn dadurch die sachgemäße Durchführung eines Strafverfahrens gefährdet werden könne.

Dies sei hier der Fall. Angesichts des – im Zeitpunkt des Auskunftsbegehrens noch laufenden – Revisionsverfahrens sei die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werde und gegebenenfalls die Beweisaufnahme nochmals durchgeführt werden müsse. Darüber hinaus sei bisher noch nicht abschließend über die Eröffnung der Hauptverhandlung in den Verfahren derjenigen Personen entschieden worden, die bei der Verurteilung des Beigeladenen wegen Abgeordnetenbestechung (§ 108e Abs. 1 StGB) und Vorteilsannahme (§ 331 Abs. 1 StGB) die jeweils spiegelbildlichen Tatbestände verwirklicht haben könnten. Bei einer Veröffentlichung des Urteils im Wortlaut bestehe die Möglichkeit, dass Zeugen beeinflusst würden. Die Durchführung der Beweisaufnahme in der öffentlichen Hauptverhandlung und die Verlesung des Urteils seien nicht mit einer Veröffentlichung des genauen Wortlauts gleichzusetzen. Der möglichen Gefährdung der weiteren Gerichtsverfahren lasse sich nicht mit einer Anonymisierung entgegensteuern, da sich die Beteiligten und die Zeugen ohne größere Mühen wiederfinden könnten. Unabhängig von der Frage, ob im Hinblick auf die Erörterung des Schriftverkehrs in der Hauptverhandlung, der dort erfolgten Zeugenvernehmungen sowie deren Bewertung in der Urteilsbegründung der Straftatbestand des § 353d Nr. 3 StGB nicht mehr erfüllt werden könne, lasse sich eine Gefährdung von Strafverfahren hier nicht von der Hand weisen. Veröffentlichungen amtlicher Schriftstücke im Wortlaut stellten eine größere Gefahr für die Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten und die von dem Verfahren Betroffenen dar als lediglich inhaltlich berichtende Veröffentlichungen in nicht wörtlicher Rede, da sie eine besondere Überzeugungs- und Beweiskraft besäßen und den Eindruck amtlicher Authentizität erweckten. Diese Folgen seien bei der Beurteilung der Frage, ob der Antragsgegner hier gehalten sei, die begehrte Auskunft gerade durch Übersendung einer Urteilskopie zu erfüllen, zu berücksichtigen. Die Auskunft gebende Stelle müsse alle möglichen Auswirkungen der Freigabe der begehrten Information umfassend in den Blick nehmen, denn nach der Herausgabe einer entsprechenden Urteilskopie habe sie keinen Einfluss mehr darauf, ob die Urteilskopie vollständig veröffentlicht werde, nur Teile daraus zitiert würden oder sie überhaupt keine Verwendung finde. Entscheidend sei, dass die Information in der Hand Anderer geeignet sein könne, entsprechend bekannt zu werden. Unter Berücksichtigung dieser Umstände müsse sich die Beschwerdeführerin darauf verweisen lassen, konkrete Auskunftsbegehren – beispielsweise zu den Gründen der Strafzumessung – an das Landgericht zu richten.

Ein Anspruch unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bestehe in Anbetracht der abschließenden, die verfassungsrechtliche Position der Presse hinreichend berücksichtigenden gesetzlichen Regelung in den landesrechtlichen Pressegesetzen nicht. Dies gelte im gleichen Maße im Hinblick auf Art. 10 EMRK.

4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 (Pressefreiheit) und aus Art. 19 Abs. 4 GG (effektiver Rechtsschutz) geltend.

5. Dem Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz und dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen zu der Reichweite presserechtlicher Auskunftsansprüche bereits entschieden (vgl. BVerfGE 50, 234 <240>; 91, 125 <134>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 1988 – 1 BvR 155/85 u. a. -, NJW 1989, S. 382; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 28. August 2000 – 1 BvR 1307/91 -, NJW 2001, S. 503 <503 f.>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. September 2014 – 1 BvR 23/14 -, NJW 2014, S. 3711 <3712>).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sich die Beschwerdeführerin auf eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Art. 19 Abs. 4 GG beruft, zulässig. Der Rüge steht insbesondere nicht der Grundsatz der Subsidiarität entsprechend § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG entgegen.

Das in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität fordert, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder zu verhindern (vgl. BVerfGE 74, 102 <113>). Das bedeutet, dass auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten sein kann, wenn sich dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Chance bietet, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Die Notwendigkeit vorab das Klageverfahren zu betreiben, fehlt allerdings, wenn dies für den Beschwerdeführer nicht zumutbar ist. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann (vgl. BVerfGE 77, 381 <401 f.> m.w.N.; 79, 275 <278 f.>; 86, 15 <22 f.>).

Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Entscheidung hängt von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung ab. Verwiese man den Beschwerdeführer auf den Rechtsweg in der Hauptsache, würde dies einen schweren und unabwendbaren Nachteil darstellen, da auch mit Blick auf die Aktualität der Berichterstattung in einer Tageszeitung bei einem Erfolg in der Hauptsache eine Verwertung der Urteilsabschrift wegen des Zeitablaufs voraussichtlich nicht mehr in Betracht kommen würde.

2. Die angegriffene Entscheidung verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

a) Bei einer Eilentscheidung über einen presserechtlichen Auskunftsanspruch ist stets die grundrechtliche Dimension der Pressefreiheit zu beachten. Dies gilt auch in Bezug auf Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden einschließlich der Gerichte (vgl. BVerfGE 20, 162 <175 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. September 2014 – 1 BvR 23/14 -, NJW 2014, S. 3711 <3712>), wobei zu berücksichtigen ist, dass der Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit selbst Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist (vgl. BVerfGE 103, 44 <63>) und eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen allgemein anerkannt ist (vgl. BVerwGE 104, 105 <108 f.> m.w.N.). Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Informationen versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommenden Funktionen wirksam wahrzunehmen (vgl. BVerfGE 50, 234 <240>; 91, 125 <134>). Der Presse kommt neben einer Informations- insbesondere eine Kontrollfunktion zu (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03 -, NJW-RR 2010, S. 470 <471>). Beide Funktionen sind berührt, wenn ein Pressevertreter zum Zwecke der Berichterstattung über ein gerichtliches Strafverfahren recherchiert. In diesem Verfahren geht es – überdies in besonders einschneidender Weise – um die Ausübung staatlicher Gewalt. Der Schutz der Pressefreiheit reicht hier weiter als in Fällen, in denen die Presse eine Berichterstattung über private Umstände zu Unterhaltungszwecken anstrebt (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2014 – 6 C 35/13 -, NJW 2015, S. 807 <809>, unter Verweis auf BVerfGE 34, 269 <283>; 101, 361 <391>). Grundsätzlich entscheidet die Presse danach in den Grenzen des Rechts selbst, ob und wie sie über ein bestimmtes Thema berichtet. Das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse, das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffungen grundrechtlich schützt (vgl. BVerfGE 10, 118 <121>; 101, 361 <389>; 107, 299 <329>).

b) Die Pressefreiheit ist durch die Auslegung und Anwendung des § 4 Abs. 1 und 2 ThürPrG durch das Oberverwaltungsgericht verletzt worden.

aa) Im Ausgangspunkt hat das Oberverwaltungsgericht die Vorschrift allerdings in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahingehend ausgelegt, dass den auskunftspflichtigen Stellen – auch unter Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG – grundsätzlich ein Ermessensspielraum bei der Frage nach Art und Umfang der Auskunft zusteht. In keinem der Landespressegesetze – so auch nicht in Thüringen – wird der Inhalt des presserechtlichen Auskunftsanspruchs näher präzisiert. Es wird lediglich bestimmt, dass die Behörden sowie die der Aufsicht des Landes unterliegenden Körperschaften des öffentlichen Rechts verpflichtet sind, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienenden Auskünfte zu erteilen. Bei der Erfüllung des Anspruchs wird den Behörden ein Ermessensspielraum zugestanden, der sich lediglich im Einzelfall zu einem Anspruch auf Akteneinsicht verdichten soll (vgl. Soehring, in: Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Aufl. 2013, § 4 Rn. 22b).

Bei der Bestimmung der konkreten Tragweite des Auskunftsanspruchs im Einzelfall ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen (vgl. BVerfGE 35, 202 <233>). Das danach maßgebliche öffentliche Informationsinteresse ist anhand des Gegenstands des Auskunftsersuchens und damit der beabsichtigten Berichterstattung zu bestimmen. Dabei besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Einsicht in Behördenakten.

bb) Für die Auskunft über Gerichtsentscheidungen gelten jedoch Besonderheiten, die das Oberverwaltungsgericht nicht hinreichend beachtet hat. Es ist weithin anerkannt, dass aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung grundsätzlich eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen folgt (vgl. BVerwGE 104, 105 <108 f.> m.w.N.). Diese Veröffentlichungspflicht erstreckt sich nicht nur auf rechtskräftige Entscheidungen, sondern kann bereits vor Rechtskraft greifen (vgl. Putzke/Zenthöfer, NJW 2015, S. 1777 <1778>). Sie bezieht sich auf die Entscheidungen als solche in ihrem amtlichen Wortlaut. Hiermit korrespondiert ein presserechtlicher Auskunftsanspruch von Medienvertretern.

cc) Der Zugang zu Gerichtsentscheidungen ist allerdings nicht unbegrenzt. So sind die Entscheidungen etwa hinsichtlich persönlicher Angaben und Umstände in der Regel zu anonymisieren. Dies ändert an der grundsätzlichen Öffentlichkeit solcher Entscheidungen nichts.

Unberührt von der grundsätzlichen Zugänglichkeit von Gerichtsentscheidungen bleiben auch die allgemeinen gesetzlichen wie verfassungsrechtlichen Anforderungen an den weiteren Umgang der Medien mit den Entscheidungen. Äußerungen und Publikationen können, wie etwa nach den Grundsätzen zur Verdachtsberichterstattung (vgl. BVerfGE 12, 113 <130 f.>; 114, 339 <354>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03 -, NJW-RR 2010, S. 470 <473>; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 -, NJW 2014, S. 2029 <2032>) oder zur Zurückhaltung bei Berichten über zurückliegende Straftaten, die die Resozialisierung von Straftätern beeinträchtigen (BVerfGE 35, 202 <233 ff.>), Grenzen unterliegen. Die Medien haben insoweit gesteigerte Sorgfaltspflichten zu beachten. Die Verantwortung für die Beachtung dieser Pflichten liegt dabei grundsätzlich bei den Medien selbst. Diese Sorgfaltspflichten können nicht schon generell zum Maßstab für das Zugänglichmachen der gerichtlichen Entscheidungen seitens der Gerichtsverwaltung gemacht werden.

dd) Wieweit die Beeinträchtigung des weiteren oder anderer Gerichtsverfahren der Zugänglichmachung von Gerichtsentscheidungen Grenzen setzen kann und Entscheidungen deshalb auch als Ganze zurückgehalten werden können, kann hier offenbleiben. Denn jedenfalls tragen die in dem angegriffenen Beschluss angeführten Gründe eine Zurückhaltung der in Frage stehenden Entscheidungen nicht.

Der Beschluss verweist ohne nähere Darlegungen auf eine bloß mögliche Gefährdung des noch nicht rechtskräftigen Verfahrens des Beigeladenen sowie weiterer Strafverfahren im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 ThürPrG, namentlich die potentielle Beeinträchtigung von Zeugen, die im Falle einer Berichterstattung mit anonymisierter Urteilsabschrift drohen könnte. Dies genügt zur Ablehnung eines auf Herausgabe der Urteilsabschrift gerichteten Auskunftsanspruchs nicht. Jedenfalls angesichts des Umstands, dass es sich bei dem Beigeladenen um eine Person des öffentlichen Lebens handelt und es um strafrechtliche Vorwürfe geht, die aufgrund der geschützten Rechtsgüter – die Sachlichkeit des Abstimmungsverhaltens und damit die Funktionsfähigkeit des repräsentativen Systems einerseits (§ 108e StGB) sowie die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes (§ 331 StGB) andererseits – im öffentlichen Interesse liegen, können die begehrten Entscheidungen allenfalls dann vollständig unter Verschluss gehalten werden, wenn konkrete Anhaltspunkte die Gefahr einer Vereitelung, Erschwerung, Verzögerung oder Gefährdung der sachgemäßen Durchführung eines Strafverfahrens im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 ThürPrG unmittelbar und dringend nahelegen.

Hierfür sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Auch drängt sich in keiner Weise auf, dass die Beschwerdeführerin ihr obliegende Sorgfaltspflichten und die Rechte Dritter nicht respektieren wird. Vielmehr erweist sich gerade in dem zugrundeliegenden Verfahren, dass die grundsätzliche Zugänglichkeit von Gerichtsentscheidungen und ein entsprechender Auskunftsanspruch in die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Öffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens unmittelbar eingebunden sind. So war vorliegend das Strafverfahren mit einer öffentlichen, sechs Verhandlungstage umfassenden Hauptverhandlung von einer umfangreichen Presseberichterstattung begleitet; die Pressemitteilungen des Landgerichts nannten die Beigeladenen, die ihnen vorgeworfenen Straftaten, die Wertungen des Landgerichts sowie die im Revisionsverfahren zu beurteilenden Fragen. Entsprechend geht das Verfahrensrecht davon aus, dass die Berichterstattung auch über Einzelheiten des Verfahrens grundsätzlich hinzunehmen ist und hierdurch das Strafverfahren nicht übermäßig beeinträchtigt wird. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies für die Gerichtsentscheidungen selbst grundsätzlich anders zu beurteilen ist. Dass die Kenntnis des Strafurteils, anders als die öffentliche Ausgestaltung des Strafverfahrens selbst, im konkreten Fall zu einer Voreingenommenheit von Zeugen und Schöffen oder zu einer Anpassung des Vorbringens des Betroffenen führen müsste, in Folge derer die Wahrheitsfindung gefährdet und kein gerechtes Urteil mehr erwartet werden könnte, ist jedenfalls hier nicht hinreichend dargetan.

3. Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf dem Grundrechtsverstoß. Sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

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