Gutachtenwerbung: Angabe der Fachinformation als Fundzustelle unzureichend

18. August 2021
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Arzneimittel und Tabletten in Blistern aufeinandergestapelt Beschluss des OLG Frankfurt am Main vom 13.07.2021, Az.: 6 W 43/21

Wird mit einer klinischen Studie für ein Heilmittel - wie im vorliegenden Fall für einen Impfstoff - geworben, so muss die unmittelbare Fundstelle der Studie angegeben werden. Nach Ansicht des OLG Frankfurt reiche die Angabe der Fachinformation als Fundstelle nicht aus. Vielmehr müsse die unmittelbare Überprüfung der Studienergebnisse durch die Fundstelle ermöglicht werden. Dies könne durch die Angabe der Fachinformation, die lediglich zu einer Zusammenfassung der Studie führt, nicht garantiert werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Beschluss vom 13.07.2021

Az.: 6 W 43/21

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12.5.2021 teilweise abgeändert.

I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung – der Dringlichkeit wegen ohne mündliche Verhandlung

– bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren –

verboten, geschäftlich handelnd das Arzneimittel Efluelda wie folgt zu bewerben und/oder bewerben zu lassen:

1. (-)

2. so wie in der Anlage A zu diesem Beschluss mit der Angabe

„In einer randomisiert kontrollierten Studie über 2 Influenza-Saisons in den USA und Kanada war der trivalente hochdosierte Influenza-Impfstoff (TIV-HD) Impfstoff•• 24 % wirksamer bei der Verhinderung laborbestätigter Influenza-Fälle bei Erwachsenen ab 65 Jahren als der standarddosierte Influenza-Impfstoff (95 %-KI: 9,7 % bis 36,5 %).“,
und/oder

3. so wie in der Anlage A zu diesem Beschluss mit der Angabe

[Abbildung]
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und/oder

4. (-)

5. so wie in der Anlage B zu diesem mit der Angabe

[Abbildung]
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II. Ausgenommen von dem Verbot gemäß Ziffer I. sind eine Werbung wie in der Anlage A zu diesem Beschluss mit der Angabe

[Abbildung]

und

eine Werbung wie in der Anlage B zu diesem Beschluss mit der Angabe

[Abbildung]

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Eilverfahrens haben die Antragstellerin 2/5 und die Antragsgegnerin 3/5 zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 375.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Eilverfahren über Werbeaussagen der Antragsgegnerin zu dem Arzneimittel Efluelda auf der Webseite der Antragsgegnerin (Anlage AS 1) am XX.XX.2021 sowie auf einer Werbekarte, die die Antragsgegnerin der „Zeitung1“ am selben Tag beilegen ließ.

Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Markt der Influenza-Impfstoffe für Personen ab 60 Jahren. Influenza-Totimpfstoffe lassen sich unterscheiden in trivalente und quadrivalente Impfstoffe, wobei dies die Zahl der angesprochenen Influenza-Stämme bezeichnet. Der streitgegenständliche Efluelda-Impfstoff der Antragsgegnerin ist ein Hochdosis-Impfstoff, der einen vielfach höheren Antigengehalt aufweist. Dies dient dem Zweck, bei der angesprochenen Altersgruppe der über 60-Jährigen einen besseren Immunschutz zu erreichen. Das konkurrierende Produkt der Antragstellerin versucht, die Immunantwort in dieser Altersgruppe durch Adjuvanzien zu verstärken.

Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin wegen ihrer Ansicht nach irreführender Werbung sowie Werbung ohne Angabe von Fundstellen in Anspruch.

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angesprochenen Verkehrskreise verstünden die Angabe nicht im Sinne einer Überlegenheit im Vergleich zu sämtlichen anderen Influenza-Impfstoffen. Der Fließtext lasse den Verkehr nicht über die Einzelheiten im Unklaren. Ein Anspruch auf Unterlassung hinsichtlich der fehlenden Quellenangabe bestehe nicht, da die Bezugnahme auf die aktuellen Fachinformationen keinen Verstoß gegen § 6 HWG begründe.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Verfügungsanträge weiterverfolgt. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 8.6.2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Der Senat hat der Antragsgegnerin rechtliches Gehör gewährt.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache teilweise Erfolg.

1. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin fehlt es dem Verfügungsantrag im Hinblick auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auch nicht an der Zulässigkeit. Soweit die Antragstellerin zur Begründung einzelner Anträge auf mehrere Rechtsverstöße (z.B. § 3 HWG und § 5 UWG) Bezug nimmt, handelt es sich um eine zulässige alternative Klagehäufung. Zwar ist in der konkreten Verletzungsform der Lebenssachverhalt zu sehen, der den Streitgegenstand bestimmt (BGHZ 194, 314 Rn 24 – Biomineralwasser). Dieser umfasst alle Rechtsverletzungen, die durch die konkrete Verletzungsform verwirklicht wurden (BGH GRUR 2012, 184 Rn 15 – Branchenbuch Berg; BGHZ 194, 314 Rn 24 – Biomineralwasser; BGH GRUR 2018, 203 Rn 18 – Betriebspsychologe). Soweit die Antragstellerin ihr Begehren daher auf mehrere Anspruchsgrundlagen stützt, begründet dies nicht eine Mehrheit von Streitgegenständen. Der Senat hat insoweit ein Wahlrecht, kann im Hinblick auf die Dispositionsmaxime aber ein Verbot nur auf solche Beanstandungen stützen, die der Kläger vorgetragen hat (OLG Frankfurt am Main WRP 2014, 1482).

Soweit die Antragsgegnerin eine fehlende Bestimmtheit darin sieht, es sei nicht erkennbar, ob die Antragstellerin – was möglich wäre – die verschiedenen Angriffe gegen die konkrete Verletzungsform nicht doch kumulativ und nicht alternativ geltend machen wollte, finden sich hierfür im Vorbringen der Antragstellerin keine Anhaltspunkte. Schon der einheitliche Antrag, der sich nur auf die konkrete Verletzungsform richtet und nicht weiter nach verschiedenen Unlauterkeitsmerkmalen ausdifferenziert ist, spricht dagegen. In der Antragsschrift hat die Antragstellerin zudem erklärt, dass sie hinsichtlich einzelner Anträge zwar Verstöße gegen mehrere UWG-Normen sehe, um dann allerdings anzuführen: „Die Anträge stellen jeweils auf die konkrete Verletzungsform ab.“

Bei sachgerechter Auslegung des Vortrages bestehen daher keine Bedenken im Hinblick auf die Bestimmtheit des Verfügungsantrages.

2. Im Hinblick auf die Anträge zu I. 2, I. 3 und I. 5 erweist sich der Verfügungsantrag als begründet. Der Antragstellerin steht jeweils ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. § 6 Nr. 1 HWG zu, da die Antragsgegnerin entgegen § 6 Nr. 1 HWG auf eine wissenschaftliche Veröffentlichung Bezug genommen hat, ohne die Fundstelle zu nennen.

a) § 6 HWG sieht zum Ausgleich für die erhöhte Glaubwürdigkeit, die Gutachten oder Zeugnissen zukommt, für Gutachtenwerbung bestimmte formale Voraussetzungen vor. Das Fachpublikum, an das sich die Werbung richtet, soll mithilfe dieser Angaben in die Lage versetzt werden, die mitgeteilten Ergebnisse kritisch und selbstständig zu überprüfen. Diese Angaben müssen so beschaffen sein, dass damit die Veröffentlichung ohne Weiteres aufgefunden und besorgt werden kann (Meier/von Czettritz/Gabriel/Kaufmann, Pharmarecht, § 8 Rn 57). Nicht ausreichend ist daher, dass etwaige Studienergebnisse bei den Zulassungsbehörden oder dem pharmazeutischen Unternehmer abgerufen werden könnten. Verlangt wird vielmehr die unmittelbare Angabe der in § 6 HWG aufgeführten Daten, also dass die Veröffentlichung und die Fundstelle genannt werden (OLG Hamburg GRUR-RR 2002, 365 f.)

b) Bei den von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Informationen handelt es sich um Gutachten bzw. Zeugnisse im Sinne von § 6 Nr. 1 HWG.

(1) Die in Bezug genommene Information ist nicht die Fachinformation. Hiervon scheint das Landgericht auszugehen, wenn es im Nichtabhilfebeschluss ausführt, dass § 6 HWG auf den Verweis auf Fachinformationen nicht anwendbar sei und diese auch nicht verbiete. Die angegriffenen Textstellen werben indes nicht mir der Fachinformation, sondern mit dem Ergebnis von konkret benannten Studien („Randomisiert kontrollierte Studie“, „mehrere retrospektive Beobachtungsstudien“, „Real-World-Daten“), zu deren Beleg auf die Fachinformation Bezug genommen wird.

(2) Klinischen Studien, Feldstudien oder Compliance-Studien fallen in den Anwendungsbereich des § 6 Nr. 1 HWG, ohne dass es einer abschließenden Prüfung bedürfte, ob sie Gutachtencharakter haben, da die werbliche Verwertung der dort getätigten Beobachtungen bzw. dort gewonnenen Ergebnisse auf jeden Fall Zeugnischarakter haben (OLG Hamburg GRUR-RR 2002, 365 – Quellenangaben; LG Baden-Baden MD 2007, 601; Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht: UWG, 3. Aufl., Lebensmittel-, Kosmetik- und Heilmittelwerbung, Rn 496; BeckOK HWG/Reese, 5. Ed. 1.2.2021, HWG § 6 Rn 45 – 47).

Daher unterfallen die antragsgegenständlichen Aussagen § 6 Nr. 1 HWG.

Die Antragsgegnerin hat diese auch im Sinne von § 6 Nr. 1 HWG „erwähnt“. Ausreichend ist insoweit, dass allgemein auf die Studie Bezug genommen wird oder ein Hinweis darauf erfolgt, ohne es ganz oder teilweise im Wortlaut wiederzugeben (LG Baden-Baden MD 2004, 433, 435; MD 2007, 601, 602; BeckOK HWG/Reese, 5. Ed. 1.2.2021, HWG § 6 Rn 55).

(3) Die danach notwendige Angabe der Fundstelle hat die Antragsgegnerin nicht vorgenommen. Nicht ausreichend ist die hier verwendete Angabe der Fachinformation als Fundstelle, in der wiederum die „richtige“ Fundstelle aufgeführt ist. Der Regelungszweck des § 6 UWG, die unmittelbare Überprüfung der in Bezug genommenen Ergebnisse zu ermöglichen, würde nicht erreicht, wenn der angesprochene Verkehr erst die Fachinformation konsultieren müsste. Diese ist zwar für den Verkehr verfügbar und muss nicht erst angefordert werden. Notwendig wäre jedoch ein Suchen der Information in der fünfseitigen eng bedruckten Fachinformation (Anlage AS 8), was ein unmittelbares und schnelles Überprüfen der Studienergebnisse erheblich erschwert. Zudem findet der interessierte Verkehr dort auch nicht die Studie selbst, sondern nur eine Zusammenfassung. Erst die dort enthaltenen bibliographischen Daten – soweit vorhanden – ermöglichen in einem weiteren Schritt das Auffinden der Studie.

(4) Soweit die Antragsgegnerin der Auffassung ist, dass aus der Aufnahme der Studien in die Fachinformation der Schluss gezogen könne, dass die Ergebnisse als wissenschaftlich valide anzusehen seien, weil anzunehmen sei, dass dem eine entsprechende Wertung der Zulassungsbehörde als fachlich kompetenter Stelle zugrunde liege, verkennt sie den Schutzzweck des § 6 HWG, der er es den Fachkreisen ermöglichen soll, unmittelbar eine Kontrolle der zitierten Studien vornehmen zu können. Dies gilt naturgemäß auch dann, wenn zitierte Studien Gegenstand oder Grundlage einer behördlichen Zulassungsentscheidung gewesen sein sollten. Der Schutzzweck des § 6 HWG entfällt dann nicht.

c) Der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch die Antragstellerin steht nicht deren Rechtsmissbräuchlichkeit nach § 8c UWG entgegen.

(1) Soweit die Antragstellerin die mit dem Verfügungsantrag geltend gemachten beiden Verletzungsfälle in verschiedenen Abmahnungen geltend gemacht hat, liegt hier kein Fall des § 8c Abs. 2 Nr. 6 UWG vor.

Ist es dem Anspruchsberechtigten möglich und zumutbar, mehrere Wettbewerbsverstöße mit einem Klageantrag (oder einem Verfügungsantrag oder einer Abmahnung) geltend zu machen, so kann es zwar einen Missbrauch darstellen, wenn er ohne sachlichen Grund eine Aufspaltung vornimmt und mehrere Abmahnungen ausspricht oder Klagen neben- oder nacheinander erhebt (BGH GRUR 2009, 1180 Rn 20 – 0,00 Grundgebühr; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen UWG, 39. Aufl. 2021, § 8c Rn 28; OLG Frankfurt am Main WRP 2018, 736 – zum Fall einer „versehentlichen“ Verfahrensspaltung).

Ein sachlicher Grund ist indes anzunehmen, wenn eine inhaltlich übereinstimmende Werbung in unterschiedlichen Medien oder mittels unterschiedlicher Maßnahmen erfolgt und der Kläger jeweils die konkrete Verletzungsform angreift (und somit unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen), sofern die rechtliche Beurteilung oder die Beweisbarkeit des jeweiligen Wettbewerbsverstoßes unterschiedlich sein kann (BGH GRUR 2019, 631 Rn 62 – Das beste Netz; OLG Frankfurt am Main WRP 2010, 158, 160). Dies gilt insbesondere bei Wettbewerbsverstößen wie im vorliegenden Fall, die zwar Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede aufweisen, etwa im Hinblick auf Art, Zeit, Ort und Gegenstand der Werbung (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen UWG, 39. Aufl. 2021, § 8c Rn. 29). Zwar sind die gelten gemachten Verstöße auf der Website und dem Flyer weitgehend identisch und ist es angesichts der Kenntnisnahme am 10.3.21 auch nicht erkennbar, warum aus Dringlichkeitsgründen die Abmahnungen am 30.3. und 31.3. nicht hätten zusammengefasst werden können. In der Gesamtschau ist dies jedoch für den Senat nicht ausreichend, um dem ungewöhnlichen Vorgehen der Antragstellerin das Verdikt der Rechtsmissbräuchlichkeit zu verleihen. Hierbei ist nämlich zu betrachten, dass der Antragstellerin die Verstöße beim Verfügungsantrag wieder zusammengeführt hat und keine kostentreibende Aufspaltung vorgenommen hat.

(2) Soweit die Antragstellerin mit den Abmahnungen Abmahnkostenersatz auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von 375.000 € (30.3.21) sowie 350.000 € (31.3.21) fordert, bietet dies schon deshalb keinen Anlass zur Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nach § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG, weil die Antragsgegnerin selbst bei vergleichbaren Abmahnungen Streitwerte in ähnlicher Größenordnung angesetzt hat. Im Übrigen rechtfertigt das vorgetragenen Marktvolumen von Grippeimpfstoffen für über 60-Jährige diese Gegenstandswerte ohne Weiteres.

Die Gebührenforderung erweist sich allerdings in anderer Hinsicht als übersetzt. Nach der „Novembermann“-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 2019, 1044) – deren Grundsätze auch auf lauterkeitsrechtliche Konstellationen Anwendung finden sollen (Büscher GRUR 2021, 162) – können mehrere Abmahnungen eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG darstellen, wenn diese im wesentlichen gleiche Verletzungshandlungen betreffen. Nach Auffassung des Senats spricht einiges dafür, jedenfalls die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erstellten Abmahnungen als eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG anzusehen, mit der Folge, dass die Gegenstandswerte jeweils zu addieren sind und die jeweils Abgemahnten nur einen Anteil der so berechneten Kosten zu tragen hätten, der deutlich niedriger wäre als die jeweils auf Grundlage eines Wertes von 375.000 € bzw. 300.000 € errechnete 1,3-fache Gebühr.

Die Indizwirkung des § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG tritt jedoch erst dann ein, wenn diese Werte „offensichtlich“ überhöht sind. Die ursprüngliche Entwurfsfassung des neuen UWG sah vor, dass ein Missbrauch bereits dann indiziert wird, wenn „erheblich“ überhöhte Vertragsstrafen gefordert werden oder eine „erheblich“ über die Rechtsverletzung hinausgehende Unterlassungsverpflichtung vorgeschlagen wird. Da sich kaum objektivieren lässt, welche Zuvielforderung „erheblich“ ist, wäre eine gravierende Rechtsunsicherheit entstanden. Deshalb wurde der Begriff „erheblich“ durch den Begriff „offensichtlich“ ersetzt. Damit soll nach der Gesetzesbegründung verdeutlicht werden, dass es nur um eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fehler geht (Kochendörfer WRP 2020, 1513). An einer solchen Offensichtlichkeit fehlt es hier. Die Indizwirkung der überhöhten Abmahnkostenersatzforderung beruht nämlich darauf, dass der Abmahnende wider besseres Wissen zu hohe Gebühren fordert. Angesichts der Tatsache, dass die BGH-Entscheidung erst vom 6.6.2019 datiert, der Tatsache, dass noch keine höchstrichterliche Entscheidung zu vergleichbaren UWG-Fällen bekannt geworden ist, sowie der problematischen Abgrenzung bei der Frage, ob eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG vorliegt, kann die Indizwirkung hier nicht eintreten.

d) Die durch die Verstöße begründete Wiederholungsgefahr ist nicht durch die strafbewehrten Unterlassungserklärungen der Antragsgegnerin vom 9.4.2021 (Anlage AS 14, Bl. 112 ff.) sowie 12.4.2021 (Anlage AS 16 Bl. 121 ff.) in Wegfall geraten. Die Unterlassungserklärungen erfassen schon nicht den Verstoß gegen § 6 HWG.

(1) Beanstandet – wie hier – der Gläubiger das konkrete Verhalten des Schuldners unter zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten als wettbewerbswidrig, muss bei der Unterwerfung zur Erreichung des Wegfalls der Wiederholungsgefahr sichergestellt sein, dass sie auch beide Varianten alternativ als kerngleiche Verletzungen erfasst. Das kann einmal dadurch zum Ausdruck kommen, dass sich der Schuldner hinsichtlich der konkreten Verletzungsform unterwirft und zum Ausdruck bringt, dass sich die Unterwerfung alternativ auf beide Varianten bezieht. Der Schuldner kann sich aber auch in einer abstrakten Form gesondert hinsichtlich beider Varianten unterwerfen (Köhler/Bornkamm-Feddersen UWG, 39. Aufl. 2021, § 13 Rn 142).

(2) Die Unterlassungserklärungen der Antragsgegnerin erfassen den Verstoß gegen § 6 HWG nicht.

Die Antragsgegnerin hat in ihren Unterlassungserklärungen die konkrete Verletzungsform aufgenommen, ohne näher zu erläutern, ob die Unterlassungserklärung sich auf § 6 HWG oder auf § 5 UWG bezieht, was beides Teil der Abmahnung durch die Antragstellerin gewesen ist. Aus dem Schreiben (S. 8) ergibt sich, dass die Antragsgegnerin sich mit beiden Angriffen auseinandergesetzt hat und diese beide zurückgewiesen hat. Weitere Auslegungshinweise lassen sich dem Schreiben nicht entnehmen. Diese Unsicherheit geht zu Lasten der Antragsgegnerin, die für den Wegfall der Wiederholungsgefahr darlegungs- und beweisbelastet ist.

Auf diese Problematik hatte die Antragstellerin bereits mit Schriftsatz vom 4.5.2021 hingewiesen.

3. Im Hinblick auf den Antrag I. 1 hat das Landgericht den Verfügungsantrag zu Recht zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat den Verkehr nicht nach § 3 HWG in die Irre geführt. Der angesprochene Verkehr wird der Angabe nicht den von der Antragstellerin zugrunde gelegten Inhalt entnehmen.

a) Die Werbung in den Anlagen A und B richtet sich an Fachkreise.

Das Verkehrsverständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und vernünftigen Verbrauchers – ebenso wie das eines Arztes – vermögen die Mitglieder des Senats, die sich hierbei auf ihre eigene Sachkunde und Lebenserfahrung stützen können, selbst zu beurteilen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Beurteilung des Verkehrsverständnisses von Ärzten durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem – wie hier – keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat (OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2018, 251). Das gilt insbesondere, wenn weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass Gewerbetreibende die Werbeaussage in einem besonderen, vom allgemeinen deutschen Sprachgebrauch abweichenden Sinne verstehen werden (OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 267 – Leistungsspitze; BeckOK UWG/Rehart/ Ruhl/Isele, 12. Ed. 1.5.2021 Rn 79, UWG § 5 Rn 79).

b) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wird der Verkehr die Aussage „Efluelda bietet überlegenen Impfschutz“ nicht isoliert betrachten, sondern im Zusammenhang mit den nachfolgenden Erläuterungen.

Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die angesprochenen Verkehrskreise die Werbung nicht flüchtig wahrnehmen. Gegenüber Fachkreisen mit höherem Bildungsgrad und Fachkunde kann im Allgemeinen ein höherer Grad an Aufmerksamkeit und Beurteilungsvermögen zu Grunde gelegt werden, weil Vorbildung, Erfahrung und Kenntnis der Verhältnisse eine kritische Prüfung ermöglichen oder erleichtern (BGH GRUR 2007, 605, 606 Rn 16 – Color-rado; BGH GRUR 1984, 376, 377 – Johannisbeerkonzentrat, BGH GRUR 2007, 605 Rn 11 – Umsatzzuwachs).

Bei Einbeziehung des auf die Überschrift folgenden Textes (der im Übrigen durch einen Doppelpunkt ausdrücklich in die Aussage der Überschrift einbezogen wird) wird der Verkehr danach hier keiner Irreführung erliegen. Er wird zunächst die Aussage nicht dahingehend verstehen, Efluelda biete überlegenen Impfschutz gegenüber allen am Markt verfügbaren Wettbewerbsprodukten. In dem Text wird zunächst darauf hingewiesen, dass standarddosierte Impfstoffe bei älteren Menschen nicht so gut wirken, um unmittelbar im Anschluss auszuführen, dass Efluelda mit 4-facher Dosierung an Antigenen einen verbesserten Schutz für diese Zielgruppe bietet. Erläutert wird sodann, dass der trivalente hochdosierte Impfstoff in eine randomisiert kontrollierten Studie 24 % wirksamer als der Standardimpfstoff war. Die Antragsgegnerin trifft also keine Aussage über sämtliche am Markt erhältliche Wettbewerbsprodukte, sondern stellt ihren (neuen) 4-fach-Impfstoff (nur) einem klassischen Impfstoff gegenüber.

c) Schließlich führt auch die Tatsache, dass die Studien nicht mit Efluelda, sondern mit Influvac Tetra durchgeführt wurde, nicht zu einer Irreführung. Der Verkehr wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse auf Efluelda übertragen werden können.

d) Soweit die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28.5.2021 erstmals zu einem nach § 4 Nr. 4 UWG unzulässigen Warenarten-(System-)Vergleich vorträgt, hat das Landgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass es insoweit an der nötigen Dringlichkeit fehlt.

Zwar weist die Antragstellerin zu Recht darauf hin, dass insoweit keine Veränderung des Streitgegenstandes vorliegt. Der Streitgegenstand eines auf die konkrete Verletzungsform bezogenen Unterlassungsantrags umfasst nämlich alle Rechtsverletzungen, die in der konkreten Verletzungsform verwirklicht sind. Beanstandet der Antragsteller eine Werbung unter mehreren Gesichtspunkten, überlässt er es dem Gericht zu bestimmen, auf welchen Aspekt das Verbot gestützt wird (BGH GRUR 2013, 401 Rn 24 – Biomineralwasser). Es gelangen auch beide Angriffe in die Berufung bzw. Beschwerde. Das ändert jedoch nichts daran, dass ein gerichtliches Verbot nur auf diejenigen tatsächlichen Beanstandungen gestützt werden kann, die von einem Kläger bzw. Antragsteller im Verfahren auch erhoben werden. Insbesondere darf das Gericht die konkrete Verletzungsform nicht mit dem Vorwurf der Irreführung über eine bestimmte Tatsache begründen, wenn diese Irreführungsgefahr zwar zum Streitgegenstand in dem dargestellten weiten Sinn gehört, der Kläger selbst sich auf diese konkrete Irreführungsgefahr jedoch nicht berufen hat. Dies wäre mit der Dispositionsmaxime unvereinbar, die die Berücksichtigung nicht vorgetragener Tatsachen selbst dann verbietet, wenn sie offenkundig sind (OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2013, 302 – Zählrate; OLG Frankfurt am Main PharmR 2020, 492).

Für die Dringlichkeit hat das in ständiger Rechtsprechung des Senats zur Folge, dass ein nachträglich nach Ablauf der Dringlichkeitsfrist geltend gemachter Gesichtspunkt der konkreten Verletzungsform als dringlichkeitsschädlich anzusehen ist (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 8.11.2018 – 6 U 77/18 = BeckRS 2018, 30032; OLG Frankfurt am Main PharmR 2020, 492; OLG Frankfurt am Main WRP 2017, 94, Rn 9 ff.). Das Landgericht hat insoweit daher zu Recht einen Verlust der Dringlichkeit angenommen. Die Unlauterkeit nach § 4 Nr. 4 UWG hat die Antragstellerin erstmals in der Beschwerde angeführt. Soweit die Antragstellerin darauf hinweist, sie habe sich bereits in der Antragsschrift dagegen gewandt, dass der streitgegenständliche Vergleich nicht wahrheitsgemäß sei und bei den Adressaten ein unzutreffendes Bild vermittele, hat die Antragstellerin ihren Antrag ausdrücklich auf § 3 HWG bzw. § 5 UWG gestützt (S. 16 der Antragsschrift). Ausführungen zu einem unlauteren Systemvergleich nach § 4 Nr. 4 UWG finden sich dort nicht.

4. Auch hinsichtlich des Antrags I. 4 hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine Irreführung im Sinne von § 3 HWG nicht vorliegt.

a) Soweit die Antragstellerin eine Irreführung darin begründet sieht, dass die Aussagen zur Wirksamkeit im Präsens formuliert sind, obwohl die Studie nur vergangene Grippesaisons betraf und über eine aktuelle Wirksamkeit gar keine Aussage getroffen werden könne, ist dem angesprochenen Fachverkehr bekannt, dass Grippeimpfstoffe jedes Jahr im Hinblick auf neue Virusstämme angepasst werden müssen. Er hat daher den Verständnishorizont, dass sämtliche Angaben zu Wirksamkeiten nur retrospektiv zu verstehen sind. Dies wird gestützt durch die unmittelbar unter der Aussage befindliche, herausgehobene Erklärung „Real-World-Daten aus 8 Saisons mit mehr als 24 Mio. Geimpften ab 65 bestätigen überlegenen Schutz“. Dass es sich hierbei nur um vergangene Saisons und nicht um zukünftige handeln kann, versteht der Verkehr ohne nähere Erläuterungen.

b) Soweit die Antragstellerin eine Irreführung darin begründet sieht, dass der Eindruck erweckt werde, eine erhöhte Wirksamkeit sei gegenüber allen trivalenten standarddosierten Impfstoffen vorhanden, greift dies auch nicht durch. Dass der Verkehr dies so nicht versteht, ergibt sich aus den obigen Ausführungen.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO. Der Streitwert erreicht zwar eine für UWG-Streitigkeiten ungewohnte Höhe. Der Senat sieht jedoch angesichts der dargelegten hohen wirtschaftlichen Bedeutung die Streitwertangabe der Antragstellerin (320 Mio. €-Markt für Impfstoffe für über 60-Jährige) – der nach der Senatsrechtsprechung regelmäßig eine erhebliche indizielle Bedeutung zukommt – als nicht widerlegt an.

 

 

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