Kein Anspruch auf Rückruf hergestellter Vervielfältigungsstücke des Tagebuchs der Anne Frank

30. Mai 2017
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Anne Frank Haus in Amsterdam Urteil des OLG Hamburg vom 14.04.2016, Az.: 5 U 117/12

Ein Anspruch aus § 98 Abs. 2 UrhG auf Rückruf und Entfernung hergestellter Vervielfältigungsstücke aus dem Vertriebsweg scheidet aus, wenn das streitige Werk zwischenzeitlich gemeinfrei wird. Steht dem Inhaber des Urheberrechts ein Anspruch auf Rückruf grundsätzlich zu, weil Vervielfältigungsstücke rechtsverletzend in Umlauf gebracht wurden, verliert er diesen Anspruch, sobald der urheberrechtliche Schutz endet. Sinn und Zweck des § 98 Abs. 2 UrhG ist, dem Rechteinhaber eine Möglichkeit zu geben, die Entfernung der beanstandeten Verletzungsmuster vom Markt zu verlangen. Besteht allerdings kein Urheberrechtsschutz mehr, handelt es sich auch nicht mehr um einen widerrechtlichen Zustand und der ehemalige Rechteinhaber ist nicht mehr schutzbedürftig.

Oberlandesgericht Hamburg

Urteil vom 14.04.2016

Az.: 5 U 117/12

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 10, Az.: 310 O 66/11 vom 01.06.2012 abgeändert und Ziffer 1 wie folgt neu gefasst:

1. Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung (Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre)

verboten,

bis einschließlich 31. Dezember 2015 die deutschsprachige Ausgabe des Buchs mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von Sid Jacobson und Ernie Colón, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter der ISBN 978-3-551-79185-6 erschienen ist, mit den Kapiteln 6 „Das Tagebuch“, 7 „Die acht Untertaucher“ und/oder 8 „Das neue Jahr“ in der Bundesrepublik Deutschland zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder diese Handlungen vornehmen zu lassen.

2. Es wird festgestellt, dass sich das Unterlassungsbegehren bezüglich des holländischen Tagebuchs der Anne Frank für die Zeit ab dem 01. Januar 2016 erledigt hat.

3. Die Beklagten werden verurteilt, Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über Art und Umfang der in Ziff. 1. des Tenors genannten Handlungen bis zum 31. Dezember 2015. Insbesondere sind anzugeben:

a. Die Anzahl der hergestellten, der verbreiteten und der noch auf dem Lager befindlichen Exemplare des in Ziff. 1. des Tenors genannten Buchs;

b. das Verbreitungsgebiet, aufgeschlüsselt nach Ländern, sowie die Anzahl der in Deutschland und in das jeweilige Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und in die Schweiz, verbreiteten Exemplare des in Ziff. 1. des Tenors genannten Buchs;

c. die jeweiligen Ladenpreise;

d. Art und Umfang des Werbematerials für das in Ziff. 1. des Tenors genannte Buch einschließlich Angaben zur Stückzahl, zum Verbreitungsgebiet, zum Verbreitungszeitraum sowie unter Vorlage von Belegexemplaren;

e. den jeweiligen Bruttoumsatz sowie den jeweils erzielten Gewinn;

f. die Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen des in Ziff. 1. des Tenors genannten Buchs;

II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

III. Auf die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 10, Az.: 310 O 66/11 vom 01.06.2012 wird die Klage im Übrigen abgewiesen. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten Berufungsverfahrens haben der Kläger 77,5% und die Beklagten 22,5% zu tragen.

V. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung

in Bezug auf den Hauptausspruch zu Ziff. I.1. in Höhe von €  40.000,-,

in Bezug auf den Hauptausspruch zu Ziff. I.3. in Höhe von €  10.000,-,

in Bezug auf den Kostenausspruch des Senatsurteils in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages

abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung seinerseits Sicherheit in entsprechender Höhe bzw. hinsichtlich des Kostenausspruchs Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet;

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten hinsichtlich des Kostenausspruchs des Senatsurteils durch Sicherheitsleistung Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

VI. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin ist eine Stiftung schweizerischen Rechts, die von dem Vater der Annelies Marie Frank, O… F…, gegründet wurde. Die Beklagte zu 1. ist ein Verlag und die Beklagte zu 2. ist eine Stiftung niederländischen Rechts, welche unter anderem das „Anne Frank Haus“ in Amsterdam betreibt.

Der Kläger nimmt die Beklagten u.a. auf Unterlassung wegen der nach seiner Auffassung urheberrechtsverletzenden Vervielfältigung und Verbreitung der deutschsprachigen Ausgabe des Buchs „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ (im Folgenden: „Grafische Biografie“, Anlage HL 11) in Anspruch.

Die deutsche Jüdin Annelies Marie Frank (Anne Frank) musste während des Naziregimes mit ihren Eltern und ihrer Schwester nach Holland emigrieren und sich schließlich mit ihrer Familie und weiteren Juden für ca. 2 Jahre in Amsterdam vor den Nazis verstecken. Während dieser Zeit entstand ihr weltweit bekanntes Tagebuch – ein historisches Dokument aus der Zeit des Holocaust -, in welchem die damals 13 Jahre alte Autorin persönliche Gedanken, Erlebnisse und Gefühle schriftlich festhielt, bis sie 1944 von den Nazis entdeckt wurde. Das Tagebuch wurde von Anne Frank in holländischer Sprache verfasst.

Anne Frank verstarb kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs im März 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ihr Alleinerbe war ihr Vater O… F… . Dieser hat seinerseits dem Kläger testamentarisch alle Rechte Anne Franks sowie seine eigenen Rechte vererbt. O… F… starb im Jahr 1980.

Eine erste – nicht vollständige – Fassung des Tagebuchs der Anne Frank wurde im Jahr 1947 in holländischer Sprache veröffentlicht. In der Folgezeit erschien zunächst im Jahr 1955 eine deutsche Übersetzung von A… S… (Anlage HL 19) und später im Jahr 1991 eine deutsche Übersetzung von der M… P… im S. F… Verlag (Anlage K 1, in 13. Auflage als Buch vorgelegt).

Die Beklagte zu 2. ist mit Unterstützung O… F… gegründet worden. Sie initiierte vor mehreren Jahren das Projekt „Grafische Biografie“. Die Beklagte zu 2. wählte den Verlag F…, S… & G…, LLC als Projektpartner. Als Textautor für diese „Grafische Biografie“ wurde S.. J… und als Zeichner E… C… verpflichtet. Die Beklagte zu 2. beteiligte sich an den Honorarvorschüssen für beide und sollte dafür Inhaberin aller Rechte an der „Grafischen Biografie“ werden, mit Ausnahme der Versionen in englischer Sprache.

Die von S… J… und E… C… in englischer Sprache geschaffene „Grafische Biografie“ enthält eine bildliche, sich den Stilmitteln eines Comics bedienende Darstellung des Lebens der Anne Frank. Die „Grafische Biografie“ befasst sich auch mit den Umständen und Geschehnissen, die Inhalt des Tagebuchs der Anne Frank sind. Inwieweit auf das Tagebuch Bezug genommen wurde ist zwischen den Parteien jedoch streitig. In zeitlicher Hinsicht beginnt die „Grafische Biografie“ vor der Geburt Anne Franks und befasst sich auch mit der Zeit nach ihrem Tod. Zusätzlich zu dieser konkreten Darstellung des Lebens der Anne Frank enthält die „Grafische Biografie“ in „Schlaglichtern“ weitere Informationen zum historischen Kontext.

Die Beklagte zu 2. vereinbarte mit der Beklagten zu 1., dass dieser exklusiv und weltweit die Rechte an der „Grafischen Biografie“ in deutscher Sprache eingeräumt werden. Die deutschsprachige Übersetzung der streitgegenständlichen „Grafischen Biografie“ erschien im Herbst 2010 unter der ISBN 978-3-551-79185-6 im Sortiment der Beklagten zu 1.. Teilweise entsprechen Wörter und Sätze der „Grafischen Biografie“ jenen der deutschen Übersetzungen des Tagebuchs der Anne Frank.

Der Kläger hat vorgetragen,

die Beklagte zu 2. sei zwar unter Mitwirkung O… F… gegründet und finanziell unterstützt worden. Sie habe aber in erster Linie das Anne-Frank-Haus in Amsterdam betreiben sollen. Wenn Abdruckrechte und/oder vergleichbare Rechte an dem Tagebuch betroffen gewesen seien, sei immer eine vorherige Absprache mit ihm, dem Kläger, erforderlich gewesen. Die Zusammenarbeit sei teilweise gut, mitunter aber auch angespannt gewesen. Es habe unterschiedliche Vorstellungen gegeben.

Grundlage für die „Grafische Biografie“ sei das Tagebuch der Anne Frank gewesen. Es handele sich nicht um die Lebensgeschichte Anne Franks, sondern um eine verbildlichte Wiedergabe des Tagebuches. Auch die Autoren der „Grafischen Biografie“ hätten in einem YouTube-Video geschildert, dass die Brillanz des Tagebuches die persönliche Note und die individuelle Art Anne Franks ausmache. Dies hätten sie in ihre „Grafische Biografie“ übersetzen wollen.

Diese diene dazu, einer jüngeren Generation diese Geschichte auf eine leichter konsumierbare Art und Weise zu vermitteln. Die „Grafische Biografie“ sei also als Ersatz für das Tagebuch gedacht. Die „Grafische Biografie“ enthalte gerade nicht nur gemeinfreie Fakten, sondern sei eine weiterreichende „Übersetzung“ des Inhalts des Tagebuchs in eine andere Werkform. Denn es würden auch die von Anne Frank in ihrem Tagebuch niedergeschriebenen Gedanken und Gefühle wiedergegeben. Die „Grafische Biografie“ sei zwar in zeitlicher Hinsicht umfangreicher als das Tagebuch.

Der Kern der „Grafische Biografie“ seien aber die Kapitel 6 bis 8. Und diese beruhten umfänglich auf dem Tagebuch. Die Autoren hätten inhaltlich und wörtlich Aufbau und Erzählstruktur sowie die einzelnen persönlich gefärbten Schilderungen Anne Franks übernommen. Es gehe in der „Grafische Biografie“ nicht allein um Fakten, sondern um die Gefühle und Gedanken Anne Franks und um Ereignisse, die diese individuell beschrieben habe.

Er, der Kläger, habe erst im Jahr 2010 von dem Projekt erfahren und sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

Der Kläger ist der Ansicht,

die Vervielfältigung und Verbreitung der „Grafische Biografie“ verletze ihm zustehende Urheberrechte an der holländischen Originalfassung und daneben auch an den deutschen Übersetzungen von A… S… und M… P… . Die Übersetzerinnen hätten ihm die Rechte an ihren Übersetzungen eingeräumt. Der Kläger stützt sich insoweit in erster Linie auf seine Rechte an der (späteren) Übersetzung von M… P… .

Die Verwertung der „Grafische Biografie“ setze eine Gestattung dieser Nutzung gemäß §§ 23, 16, 17 UrhG durch ihn, den Kläger, voraus. In diese Nutzung habe er nicht eingewilligt. Der S. F… Verlag habe die Nutzung nicht autorisieren können, weil die hierfür erforderlichen Rechte ausschließlich bei ihm, dem Kläger, lägen.

Die „Grafische Biografie“ sei auch keine freie Benutzung des Tagebuches, sondern eine abhängige Bearbeitung. Das Tagebuch der Anne Frank mache den Kern der „Grafische Biografie“ aus und präge diese entscheidend. Dies zeige sich insbesondere in den Kapiteln 6 bis 8.

Darüber hinaus verletze auch die Übernahme einzelner Textpassagen die bei ihm, dem Kläger, liegenden Urheber- bzw. Nutzungsrechte. Dies gelte jedenfalls im Hinblick auf die Vielzahl der übernommenen Textstellen und die damit verbundene „Summenwirkung“. Diese Textübernahmen seien auch nicht als Zitate gerechtfertigt. Der erforderliche Zitatzweck fehle, weil sich die „Grafische Biografie“ nicht mit diesen Textstellen auseinandersetze. Ein innerer Abstand oder eine eigenständige Aussage seien nicht erkennbar und auch nicht bezweckt.

Auch die Übernahme eines Gedichts O… F… auf Seite 97 der „Grafischen Biografie“ verletze sein, des Klägers, Urheberrecht.

Die „Grafische Biografie“ werde von Deutschland aus weltweit angeboten. Hierdurch werde gegen das deutsche Verbreitungsrecht verstoßen. Streitgegenständlich seien aber die Vervielfältigungen in Deutschland.

Der Kläger hat sein Begehren teilweise als Stufenklage erhoben. Der Kläger beabsichtigt, den auf Leistung von Schadensersatz gerichteten Antrag nach erteilter Auskunft und Rechnungslegung zu beziffern.

Der Kläger hat bei Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz beantragt:

1. Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monate tritt, oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung verboten, die deutschsprachige Ausgabe des Buches mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S… J… und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter ISBN 123413121110 erschienen ist, zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anbieten und verbreiten zu lassen;

hilfsweise,

den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monate tritt, oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung verboten, die deutschsprachige Ausgabe des Buches mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S…  J… und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter ISBN 123413121110 erschienen ist, zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder ins Ausland, insbesondere der Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz anbieten und verbreiten zu lassen, sofern darin die Kapitel 6 „Das Tagebuch“, 7 „Die acht Untergetauchten“ und/oder 8 „Das neue Jahr“ enthalten sind.

2. Die Beklagten werden verurteilt, Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über Art und Umfang der in Antrag 1. genannten Handlungen. Insbesondere sind anzugeben:

a. Die Anzahl der hergestellten, der verbreiteten und der noch auf dem Lager befindlichen Exemplare des in Nr. 1 genannten Buchs;

b. Das Verbreitungsgebiet, aufgeschlüsselt nach Ländern, sowie die Anzahl der im jeweiligen Verbreitungsgebiet verbreiteten Exemplare des in Antrag 1. genannten Buchs;

hilfsweise,

das Verbreitungsgebiet, aufgeschlüsselt nach Ländern, sowie die Anzahl der in Deutschland und in das jeweilige Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und in die Schweiz, verbreiteten Exemplare des in Antrag 1. genannten Buchs;

c. die jeweiligen Ladenpreise;

d. Art und Umfang des Werbematerials für das in Antrag 1. genannte Buch einschließlich Angaben zur Stückzahl, zum Verbreitungsgebiet, zum Verbreitungszeitraum sowie unter Vorlage von Belegexemplaren;

e. den jeweiligen Bruttoumsatz sowie den jeweils erzielten Gewinn;

f. die Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen des in Antrag 1. genannten Buchs;

g. weitere Ausgaben des in Nr. 1 genannten Buchs sowie weitere Nutzungshandlungen samt Angaben gem. a) bis f).

3. Die Beklagten werden verurteilt, sämtliche Exemplare des in Antrag 1. genannten Buchs zurückzurufen und aus den Vertriebswegen endgültig zu entfernen.

4. Die Beklagten werden verurteilt, sämtliche in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen Vervielfältigungsstücke des in Antrag 1. genannten Buchs auf ihre Kosten einem zur Vernichtung bereiten Gerichtsvollzieher herauszugeben und vernichten zu lassen.

Die Beklagten haben erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Für den Fall eines Verbots der „Grafischen Biografie“ haben die Beklagten hilfsweise beantragt,

eine Aufbrauchfrist von mindestens drei Monaten zu gewähren.

Die Beklagten haben vorgetragen,

die von dem Kläger behauptete Rechtsverletzung liege nicht vor.

Der Hauptzweck der Beklagten zu 2. sei es, neben dem Betrieb des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam auf Grundlage des Tagebuches die Ideale und Ideen Anne Franks zu verbreiten und die Völkerverständigung zu fördern. Die finanzielle Unterstützung durch den Anne Frank-Fonds sei auf ausdrücklichen Wunsch O… F… geschehen. Die Zusammenarbeit sowohl mit O… F… als auch mit dem Kläger sei bislang eng gewesen und es habe stets Einvernehmen darüber bestanden, dass die Beklagte zu 2. Publikationen veröffentliche, welche das Interesse an dem Tagebuch förderten. Dies sei teilweise auch ohne ausdrückliche Zustimmung durch den Kläger geschehen.

Erstmals sei das Projekt gegenüber der Beklagten zu 2. am 12.02.2007 angesprochen worden. Ab diesem Zeitpunkt habe man sich einige Male darüber ausgetauscht.

Die Beklagte zu 1. habe vor der erstmaligen Veröffentlichung den S. F… Verlag kontaktiert (E-Mail-Bestätigung am 06.09.2010, Anlage HL 13). Im Rahmen dieses Gespräches sei mit D… S… das Konzept der „Grafischen Biografie“ und der Umfang der Textübernahmen besprochen worden. Diese habe der Übernahme zugestimmt. Es sei auch nicht erkennbar gewesen, dass sie hierzu nicht autorisiert gewesen wäre. Erst später, am 28.09.2010, habe sich dann der Justitiar des S. F… Verlages, R… O…, bei dem zuständigen Programmleiter der Beklagten zu 1., R… K…, gemeldet und angegeben, die Textübernahme sei nicht gestattet worden und der Kläger habe auch angewiesen, zukünftig die Textübernahmen nicht zu erlauben (Anlage K 23).

Die „Grafische Biografie“ erzähle die gesamte Lebensgeschichte Anne Franks unter erklärender Einbeziehung der damaligen Verhältnisse nach dem ersten Weltkrieg und der NS-Zeit sachlich und wirklichkeitsgetreu in Form einer Bildergeschichte. Die „Grafische Biografie“ gehe damit inhaltlich weit über die Schilderungen in dem Tagebuch hinaus. Die „Grafische Biografie“ weise zahlreiche zusätzliche bzw. abweichende Elemente auf. Alle in der „Grafische Biografie“ dargestellten Umstände und Ereignisse seien auch aus anderen Quellen bekannt und durch diese belegt. Die Wiedergabe von Textpassagen aus dem Tagebuch solle dazu anregen, dieses zu lesen.

Die von dem Kläger gezogenen Schlüsse zu den vermeintlichen Absichten der Autoren ließen sich aus dem genannten YouTube-Video nicht ziehen. Die in Bezug genommenen Zitate der Autoren würden in einem falschen Kontext wiedergegeben. Auch auf dem Markt werde die „Grafische Biografie“ nicht als bloße Übernahme bzw. Überführung des Tagebuches in eine andere Werkform wahrgenommen, sondern als eigenständige Leistung die das Tagebuch ergänze. Vor diesem Hintergrund könne keine Rede davon sein, dass sich die Autoren nicht mit den Texten Anne Franks auseinander gesetzt hätten.

Die Beklagten bestreiten, dass die Rechte an den Übersetzungen beim Kläger liegen. Sie sind der Auffassung,

dem Kläger fehle in Bezug auf diese Übersetzungen bereits die Aktivlegitimation. Die Beklagte zur 2. sei nicht passivlegitimiert, weil sie an der Produktion und Vervielfältigung, dem Bewerben und der Verbreitung der „Grafischen Biografie“ nicht beteiligt gewesen sei. Dies sei nur durch die Beklagte zu 1. geschehen.

Die „Grafische Biografie“ verletze ohnehin kein Urheberrecht des Klägers, weil sie keine abhängige Bearbeitung, sondern eine freie Benutzung des Tagebuches sei. Soweit individuelle Züge des Tagebuches übernommen worden seien, würden diese jedenfalls verblassen. Die übernommenen einzelnen Textpassagen seien auch nicht urheberrechtlich schutzfähig.

Darüber hinaus könnten sie, die Beklagten, sich auf die urheberrechtliche Zitatschranke berufen. Die einzelnen Textstellen seien eindeutig als Zitate gekennzeichnet. Sie hätten jedenfalls auch mit dem erforderlichen Einverständnis gehandelt.

Schließlich seien der verlangte Rückruf, die Entfernung aus dem Vertriebsweg und die Vernichtung der „Grafische Biografie“ unverhältnismäßig. Die beiden zuerst genannten Ansprüche würden zudem gegen das Territorialitätsprinzip verstoßen.

Das Landgericht Hamburg hat mit dem angegriffenen Teilurteil vom 01.06.2012 – Az.: 310 O 66/11 – die Beklagten zu 1. und 2. im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt allerdings mir folgenden Einschränkungen und Modifikationen: Im Antrag zu 1. hat das Landgericht die ISBN auf „978-3-551-79185-6“ korrigiert. Im Antrag zu 2. lit. b. ist der Kläger lediglich mit seinem hilfsweise gestellten Antrag erfolgreich gewesen. Das mit dem Antrag zu 3. verfolgte Rückrufbegehren hat das Landgericht dergestalt gefasst, dass es sich auf sämtliche Vervielfältigungsstücke des streitgegenständlichen Buches bezieht, die in der Bundesrepublik Deutschland oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland verbreitet wurden. Bezüglich des weitergehenden Auskunftsbegehrens gemäß des Antrages zu 2. lit. b. und des Auskunftsbegehrens zu 2. lit. g. der Klageschrift vom 14.03.2011 hat das Landgericht die Klage im Übrigen abgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Den klägerischen Antrag auf Ergänzung des Teilurteils gemäß § 321 Abs. 1 ZPO hinsichtlich der kumulativen Geltendmachung der verfolgten Ansprüche hat das Landgericht mit Urteil vom 28.09.2012 zurückgewiesen. Mit einem weiteren Beschluss vom selben Tag hat das Landgericht den Tatbestand des Teilurteils berichtigt. Den weitergehenden Antrag, der auf eine Berichtigung des Tatbestandes hinsichtlich der kumulativen Geltendmachung der Ansprüche durch den Kläger gerichtet war, hat das Landgericht zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 19.01.2012, der Kläger stütze sich in erster Linie auf das in holländischer Sprache verfasste Originalwerk und in zweiter Linie auf die Übersetzung von Frau P…, sei nur so zu verstehen gewesen, dass die Ansprüche alternativ verfolgt worden seien. Weitere Ansprüche seien nicht mehr geltend gemacht worden.

Gegen das Teilurteil des Landgerichts Hamburg vom 01.06.2012 richten sich die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers und der Beklagten. Der Kläger hat außerdem mit Schriftsatz vom 15.03.2013 Anschlussberufung eingelegt.

Der Kläger verfolgt in zweiter Instanz sein Unterlassungsbegehren im Umfang des Hilfsantrags unter Modifizierung der Anträge und Vertiefung seines erstinstanzlichen Sachvortrags weiter.

Der Kläger ist der Auffassung,

er sei durch das erstinstanzliche Teilurteil beschwert und damit selbständig rechtsmittelbefugt, obwohl der ausgeurteilte Tenor – bis auf die angepasste ISBN – seinem Antrag zu 1. entspreche. Das Landgericht habe nur zu zwei Textübernahmen Stellung bezogen. Über das streitgegenständliche Gedicht O… F… habe das Landgericht überhaupt nicht entschieden und ebenso wenig darüber, ob auch die Rechte an den deutschen Übersetzungen verletzt seien. Der Tenor müsse unter Berücksichtigung der Urteilsgründe ausgelegt werden. Daraus ergebe sich, dass er, der Kläger, nach Auffassung des Landgerichts nicht vollumfänglich mit seinem Unterlassungsbegehren erfolgreich gewesen sei.

Das Landgericht hätte über alle von ihm zur Entscheidung gestellten Urheberrechtsverletzungen – gleich aus welchem Grund – in vollem Umfang entscheiden müssen. Dies sei jedoch trotz des umfassenden Unterlassungsausspruchs nicht geschehen. Eine abschließende Entscheidung über die übrigen Urheberrechtsverletzungen habe das Landgericht nicht auf die Feststellung der Schadenshöhe verschieben dürfen. Die Ansprüche seien kumulativ verfolgt worden. Es sei auch kein Anspruch fallen gelassen worden. Schriftsätzlich habe er immer eine kumulative Geltendmachung betont. Auch aus dem Verhandlungsprotokoll vom 19.01.2012 ergebe sich nichts Gegenteiliges. Das Landgericht habe zudem keinen rechtlichen Hinweis dazu gegeben, dass es von einer alternativen Geltendmachung ausgehe.

Über die beiden ausgeurteilten Textstellen hinaus seien die Kapitel 6 bis 8 der „Grafischen Biografie“ insgesamt eine rechtsverletzende – in den Worten des Klägers – „Übersetzung des Tagebuches in eine neue Werkform“. Es handele sich um eine chronologische, inhaltliche und gestalterische Übernahme des Tagebuches. Dabei sei entscheidend auf den Gesamteindruck abzustellen. Es komme auf die Übereinstimmungen an.

Vorsorglich hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung vom 03.12.2012 angekündigt, jedenfalls ab diesem Zeitpunkt alle Ansprüche kumulativ zu verfolgen. Soweit darin eine Klageänderung liege, sei diese jedenfalls sachdienlich.

Die Parteien gehen im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits übereinstimmend davon aus, dass die von dem Kläger geltend gemachten Urheberrechte von Anne Frank an der holländischen Originalfassung ihres Tagebuchs für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland mit Ablauf der 70jährigen Schutzfrist mit Ablauf des 31.12.2015 erloschen sind.

Der Kläger hat vor diesem Hintergrund seinen mit der Berufungsbegründung vom 03.12.2012 angekündigten Berufungsantrag modifiziert und mit Schriftsatz vom 21.12.2015 folgende Anträge angekündigt:

1.a. Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung (Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, die deutschsprachige Ausgabe des Buchs mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S… J… und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter der ISBN 978-3-551-79185-6 erschienen ist, mit den Kapiteln 6 „Das Tagebuch“, 7 „Die acht Untertaucher“ und/oder 8 „Das neue Jahr“ bis einschließlich 31. Dezember 2015 in der Bundesrepublik Deutschland zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder diese Handlungen vornehmen zu lassen.

1.b. Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung (Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, die deutschsprachige Ausgabe des Buchs mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S… J…. und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter der ISBN 978-3-551-79185-6 erschienen ist, mit den Kapiteln 6 „Das Tagebuch“, 7 „Die acht Untertaucher“ und/oder 8 „Das neue Jahr“ in der deutschen Übersetzung dieser Kapitel, wie sie in Anlage K 26 im Einzelnen aufgelistet ist, in der Bundesrepublik Deutschland zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder diese Handlungen vornehmen zu lassen.

1.c. Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung (Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, die deutschsprachige Ausgabe des Buchs mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S… J… und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter der ISBN 978-3-551-79185-6 erschienen ist, mit dem auf S. 97 unten links abgedruckten Gedicht O… F… mit dem Wortlaut

„Als Jüngste von allen und doch nicht mehr klein, hast du es nicht leicht, denn jeder will sein: ein bisschen dein Lehrer, dir oft zur Pein“

in der Bundesrepublik Deutschland zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder diese Handlungen vornehmen zu lassen

Mit Schriftsatz vom 15.01.2016 hat der Kläger das Unterlassungsbegehren bezüglich des holländischen Tagebuchs der Anne Frank für die Zeit ab 01. Januar 2016 unter Verwahrung gegen die Kosten für erledigt erklärt.

Die Beklagten haben dem ausdrücklich widersprochen und ausgeführt, eine Erledigung könne nicht eingetreten sein, da die Klage von vornherein unbegründet gewesen sei.

Im Anschluss an die Erörterungen in der Senatsverhandlung am 20.01.2016 verfolgt der Kläger im Wege der Berufung und Anschlussberufung nunmehr folgende Anträge:

1.a.α. Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung (Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, bis einschließlich 31. Dezember 2015 die deutschsprachige Ausgabe des Buchs mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S.. J… und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter der ISBN 978-3-551-79185-6 erschienen ist, mit den Kapiteln 6 „Das Tagebuch“, 7 „Die acht Untertaucher“ und/oder 8 „Das neue Jahr“ in der Bundesrepublik Deutschland zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder diese Handlungen vornehmen zu lassen.

1.a.β. Es wird festgestellt, dass sich das Unterlassungsbegehren bezüglich des holländischen Tagebuchs der Anne Frank für die Zeit ab dem 01.01.2016 erledigt hat.

und/oder

1.b. Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung (Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, die deutschsprachige Ausgabe des Buchs mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S.. J… und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter der ISBN 978-3-551-79185-6 erschienen ist, mit den Kapiteln 6 „Das Tagebuch“, 7 „Die acht Untertaucher“ und/oder 8 „Das neue Jahr“ in der deutschen Übersetzung dieser Kapitel in der Bundesrepublik Deutschland zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder diese Handlungen vornehmen zu lassen.

hilfsweise:

Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung (Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, die deutschsprachige Ausgabe des Buchs mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S… J… und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter der ISBN 978-3-551-79185-6 erschienen ist, mit den Kapiteln 6 „Das Tagebuch“, 7 „Die acht Untertaucher“ und/oder 8 „Das neue Jahr“ in der deutschen Übersetzung dieser Kapitel, wie sie in Anlage K 26 im Einzelnen aufgelistet ist, in der Bundesrepublik Deutschland zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder diese Handlungen vornehmen zu lassen.

und/oder

1.c. Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung (Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, die deutschsprachige Ausgabe des Buchs mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S… J… und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1. unter der ISBN 978-3-551-79185-6 erschienen ist, mit dem auf S. 97 unten links abgedruckten Gedicht O… F… mit dem Wortlaut

„Als Jüngste von allen und doch nicht mehr klein, hast du es nicht leicht, denn jeder will sein: ein bisschen dein Lehrer, dir oft zur Pein“

in der Bundesrepublik Deutschland zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anzubieten und zu verbreiten oder diese Handlungen vornehmen zu lassen.

Der Kläger hat in der Senatssitzung zudem klargestellt, dass die einzelnen in der Anlage K 26 genannten Textstellen zueinander ebenfalls in einem „und/oder“-Verhältnis stehen sollen.

Soweit die Klage mit dem geänderten Antrag zu Ziff. 1.b. des Klägers in der Berufungsinstanz erweitert worden ist, haben die Beklagten dem nicht zugestimmt. Sie sind der Auffassung, eine Klageänderung sei auch nicht sachdienlich.

Die Beklagten beantragen hinsichtlich der klägerischen Berufung im Übrigen,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

und hinsichtlich der klägerischen Anschlussberufung,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung,

die Berufung des Klägers sei unzulässig. Der ausgeurteilte Tenor – soweit zuerkannt – entspreche den von dem Kläger gestellten Anträgen. Eine Beschwer ergebe sich weder aus unerwünschten noch aus fehlerhaften Ausführungen innerhalb der Urteilsbegründung. Das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die verschiedenen Streitgegenstände alternativ verfolgt worden seien. Auch habe der Kläger seine Ansprüche hinsichtlich der Übersetzung von A… S… und des Gedichts O… F… in der mündlichen Verhandlung fallengelassen. Eine Klageänderung, wie sie der Kläger nun vornehmen möchte, sei jedenfalls unzulässig. Die Klageänderung sei auch nicht sachdienlich, weil nicht abschließend über diese Ansprüche durch das Berufungsgericht entschieden werde. Das beruhe darauf, dass das Landgericht hinsichtlich des Unterlassungsantrages ein unzulässiges Teilurteil ausgesprochen habe. Eine Heranziehung des anhängig gebliebenen Teils sei nicht sachdienlich. Darüber hinaus sei der Antrag nicht vollstreckungsfähig und schon deshalb unzulässig.

Die Kapitel 6 bis 8 könnten schon deshalb nicht insgesamt verboten werden, weil sie auch Ereignisse und Umstände darstellen würden, die jedenfalls nicht aus dem Tagebuch stammten. Der Antrag gehe damit zu weit.

Auch die vom Landgericht ausgeurteilten Darstellungen auf den Seiten 100, 101 und 108 der „Grafischen Biografie“ verletzten keine Urheberrechte des Klägers. Die Beklagten verweisen insoweit auf ihr erstinstanzliches Vorbringen sowie ihre Berufungsbegründung und sind der Auffassung,

die Schilderungen Anne Franks zu diesen Ereignissen seien schon nicht urheberrechtlich schutzfähig. Es handele sich um eine Darstellung typischer Verhaltensweisen der Tischgenossen und um eine protokollartige Wiedergabe typischer Geschehensabläufe im Hinterhaus. Das typische Verhalten der Personen zu Tisch werde auch aus anderen Quellen belegt (Anlage HL 48).

Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten in zweiter Instanz ihr vollumfängliches Abweisungsbegehren unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages weiter. Über die schon im Rahmen des erstinstanzlichen Vortrags und der klägerischen Berufung geschilderten Auffassungen hinaus tragen die Beklagten ergänzend vor,

die Entscheidung des Landgerichts über die Unterlassungsverpflichtung sowie über die Verpflichtung, die in den Verkehr gebrachten Exemplare der „Grafischen Biografie“ zurückzurufen, aus den Vertriebswegen zu entfernen und zur Vernichtung herauszugeben, sei im Wege eines Teilurteils unzulässig. Die erste Stufe der Stufenklage erwachse nicht in Rechtskraft und entfalte für das erstinstanzliche Gericht keine Bindungswirkung hinsichtlich materiell-rechtlicher Wertungen. Den tenorierten Ansprüchen und dem Anspruch auf Schadensersatz sei gemein, dass sie eine Urheberrechtsverletzung voraussetzten. Für den Schadensersatzanspruch könne diese Urheberrechtsverletzung von dem erstinstanzlichen Gericht noch anders bewertet werden. Deshalb bestehe die Gefahr einer abweichenden Entscheidung. Angesichts der – wenn auch gegen Sicherheitsleistung – vorläufigen Vollstreckbarkeit führe dies zu einem unerträglichen Maß an Rechtsunsicherheit und irreversiblen Schäden. Der Erlass eines unzulässigen Teilurteils stelle sich zudem als ein wesentlicher Verfahrensfehler dar. Die Sache sei daher an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen hinsichtlich ihrer Berufung nunmehr,

auf die Berufung der Beklagten das am 1. Juni 2012 verkündete Teilurteil der 10 Zivilkammer des Landgerichts Hamburg (Az.: 310 O 66/11) abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen,

hilfsweise:

den Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen;

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt unter Verweis auf seine Berufungsbegründung und seinen erstinstanzlichen Vortrag das landgerichtliche Teilurteil. Ergänzend ist der Kläger der Auffassung,

eine vollständige Verneinung des Unterlassungsanspruches aufgrund des Teilurteils komme nicht in Betracht. Auch wenn das Landgericht offengelassen habe, inwieweit zusätzliche Rechtsverletzungen durch weitere Übernahmen begangen worden seien, habe es doch keinen Zweifel daran gelassen, dass zumindest die ausgeurteilten Übernahmen sein, des Klägers, Urheberrecht verletzen würden. Insoweit seien auch die ausgeurteilten weiteren Ansprüche auf Auskunft, Rückruf und Vernichtung zutreffend. Denn die betreffenden Vervielfältigungsstücke würden auch stets die durch das Landgericht verbotenen Übernahmen enthalten.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils, daneben wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle des Landgerichts Hamburg vom 19.01.2012 und des Senats vom 20.01.2016 Bezug genommen.

II.

Eigene Sachentscheidung des Senats

Der Senat ist zu einer eigenen Sachentscheidung über die gegen das landgerichtliche Urteil eingelegten Rechtsmittel der Parteien befugt. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht ist nicht geboten. Insbesondere handelt es sich bei der landgerichtlichen Entscheidung nicht um ein unzulässiges Teilurteil i.S.v. § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO.

I. Ein Teilurteil gemäß § 301 ZPO ist dann unzulässig, wenn nicht auszuschließen ist, dass das Gericht in demselben Rechtsstreit zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt (BGH NJW 1999, 1035; BGH NJW 2004, 1452; BGH NJW 2007, 156, 157; BGHZ 189, 356 Rn. 13 f. m.w.N.).

1. Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ist gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Dazu reicht die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen aus, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden (BGHZ 189, 356 Rn. 13; BGH NJW-RR 2013, 683 Rn. 12; BGH NJW-RR 2014, 1298 Rn. 9). Ein Teilurteil darf deshalb nur ergehen, wenn der weitere Verlauf des Prozesses die zu treffende Entscheidung unter keinen Umständen mehr berühren kann (BGH GRUR 2010, 343 Rn. 21 – Oracle).

2. Nach diesen Maßstäben kommt es dementsprechend darauf an, ob das erkennende Gericht die für beide Verfahren entscheidungserheblichen Rechtsfragen abschließend entschieden hat und dadurch eine abweichende Entscheidung unmöglich gemacht hat. In geeigneten Fällen kann dies durch ein Zwischenfeststellungsurteil nach § 256 Abs. 2 ZPO erreicht werden (BGH NJW-RR 2012, 849 Rn. 13). Davon unabhängig ist das Gericht nach § 318 ZPO an die Entscheidung, die in dem von ihm erlassenen End- oder Zwischenurteil enthalten ist, gebunden. Das Gericht darf von dieser bereits getroffenen Entscheidung im weiteren Verfahren nicht abweichen. Es muss diese bei späteren Entscheidungen berücksichtigen und deren Inhalt zugrunde legen. Dies gilt auch für Teilurteile (vgl. MüKo/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 318 Rn. 5; auch Saenger, ZPO, 6. Aufl., § 318 Rn. 4). Im Umfang entspricht die prozessuale Bindungswirkung des § 318 ZPO der materiellen Rechtskraft (MüKo/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 318 Rn. 3) auch wenn beide im Übrigen voneinander zu unterscheiden sind.

II. Die Voraussetzungen eines unzulässigen Teilurteils liegen hier entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor.

1. Soweit das Landgericht in erster Instanz über die von dem Kläger zur Entscheidung gestellten Streitgegenstände eine Entscheidung durch Urteil nicht getroffen hat, besteht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen schon im Ausgangspunkt nicht.

a. Der Kläger hat erstinstanzlich (mindestens) vier unterschiedliche Streitgegenstände verfolgt. Er hat sich aus eigenem Recht zum einen auf das auf ihn übergegangene Urheberrecht von Anne Frank an dem Originaltagebuch (in niederländischer Sprache) berufen sowie auf das ebenfalls auf ihn übergegangene Urheberrecht von O… F… an dem Teil eines längeren Gedichts. Er hat weiter im Wege der Prozessstandschaft Urheberrechte der Übersetzerinnen A… S… und M… P… geltend gemacht.

b. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe seine auf die Rechte von A… S… und O… F… bezogenen Ansprüche bei Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht weiter verfolgt und deshalb letztlich fallen gelassen. Über das Übersetzer-Urheberrecht von M… P… hat das Landgericht Hamburg ebenfalls nicht entschieden (Ziff. 4.1.3. des landgerichtlichen Urteils).

c. Da eine erstinstanzliche Entscheidung über diese Streitgegenstände noch nicht ergangen ist, kann in Bezug auf diese Ansprüche die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen aus der Natur der Sache nicht bestehen. Die Voraussetzungen eines unzulässigen Teilurteils i.S.v. § 301 Abs. 1 ZPO können insoweit schon deshalb nicht vorliegen.

2. Auch soweit das Landgericht in erster Instanz über den Unterlassungsanspruch des Klägers in Bezug auf die Urheberrechte an dem niederländischen Originaltagebuch von Anne Frank entschieden hat, liegt entgegen der Beklagten ein unzulässiges Teilurteil nicht vor.

a. Das Landgericht Hamburg hat in seinem Urteil vom 01.06.2012 vollständig und abschließend über die zum Gegenstand des Unterlassungsanspruchs gemachte Urheberrechtsverletzung entschieden. Allerdings vermag die Begründung des landgerichtlichen Urteils insoweit weder zufrieden zu stellen noch den Senat zu überzeugen.

aa. Das Landgericht hat ein umfassendes Verbot der gesamten „Grafischen Biografie“ letztlich nur auf 2 konkrete Szenen gestützt und dabei in einem Fall („Tischszene“) eine Gesamtbetrachtung über mehrere Aussagen und Szenen vorgenommen, in einem anderen Fall („Singvogel“) hingegen die Einzelbetrachtung einer bestimmten Verbildlichung vorgenommen. Hiermit ist das Kernbegehren des Klägers, der zum Beispiel in seinem Schriftsatz vom 13.02.2012 ab Seite 17 bereits in

1. Instanz detailliert einen „Bild-Text-Vergleich“ vorgenommen und eine Fülle an rechtsverletzenden Übernahmen beanstandet hatte, nicht im Ansatz vollständig erörtert worden. Das klägerische Begehren hätte deswegen in jedem Fall eine umfassende Gesamtwürdigung erfordert, die das Landgericht zumindest in seinen Entscheidungsgründen schriftlich nicht niedergelegt hat. Gleichwohl ist unverkennbar, dass das Landgericht in seinem Urteil umfassend und vollständig über eine rechtsverletzende Übernahme aus dem Tagebuch der Anne Frank in die „Grafische Biografie“ entscheiden wollte und entschieden hat.

bb. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass jedenfalls in 1. Instanz und vor allem im Rahmen des insoweit allein entschiedenen Anspruchs auf der Grundlage der niederländischen Originalfassung des Tagebuchs die insgesamt 90 bzw. 82 relevanten Textstellen, die der Kläger in der Anlage K 26 aufgeführt hat, keine gesonderten Streitgegenstände, sondern lediglich konkrete Begründungselemente für eine umfassende Rechtsverletzung dargestellt haben. Anhand dieser Textstellen hat der Kläger den Umfang der Rechtsverletzung und zudem belegen wollen, dass die Vielzahl der Rechtsverletzung ein vollständiges Verbot der „Grafische Biografie“ rechtfertigt. In Bezug auf die Übersetzung von M… P… verhält sich die Situation in Bezug auf die einzelnen Streitgegenstände möglicherweise abweichend. Über jene hat das Landgericht indes ausdrücklich nicht entschieden.

cc. Wenngleich zumindest die in der Anlage K 26 aufgeführten einzelnen Beanstandungspunkte nach Auffassung des Senats bereits in 1. Instanz umfassend und zumindest weitgehend vollständig hätten erörtert werden sollen, hat das Landgericht sich in der Lage gesehen, ein vollständiges und umfassendes Verbot, wie dies der Kläger beantragt hat, bereits aufgrund der beiden zur Begründung herangezogenen Szenen auszusprechen. Damit hat das Landgericht aus seiner Sicht endgültig und abschließend über den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch entschieden und auch entscheiden wollen. Es hat ein vollständiges Verbot ausgesprochen und keine Teilabweisung oder sonstige relevante Einschränkung bezüglich des Unterlassungsausspruchs vorgenommen. Zwar enthält das Urteil nach Auffassung des Senats nicht unerhebliche Lücken in der Vollständigkeit seiner Begründung. Hierdurch wird ein als abschließend erlassenes Endurteil über den gesamten Streitgegenstand aber nicht zu einem unzulässigen Teilurteil.

b. Das Landgericht hat sich auch nicht vorbehalten, erst im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Schadensersatzanspruch endgültig über den Umfang einer Urheberrechtsverletzung zu entscheiden.

aa. Allerdings hat das Landgericht – hierauf weisen die Beklagten zu Recht hin – eine Formulierung gewählt, die Anlass zu Unklarheiten gibt:

„Ob und gegebenenfalls inwieweit die Nutzung des Verletzungsmusters neben dem Vorstehenden aus weiteren Gründen Urheberrechte an dem Klagemuster verletzt, wird die Kammer letztlich erst zu entscheiden haben, wenn über die Höhe des noch zu beziffernden Schadensersatzes zu befinden ist.“ (LGU, S. 19)

Erkennbar bezieht sich diese Formulierung indes nicht auf die von dem Landgericht bisher entschiedenen Streitgegenstände, sondern allein auf diejenigen Ansprüche, über die das Landgericht (noch) keine Entscheidung getroffen hatte. Demnach handelt es sich hierbei allein um eine unzutreffende rechtliche Ansicht ohne Auswirkungen auf das bereits ausgesprochene Verbot. Denn diese Formulierung steht bereits im Gegensatz zu der eigenen Tenorierung des Landgerichts, das ein „schlechthin“-Verbot ausgesprochen hatte. Damit hatte das Landgericht eine umfassende Urheberrechtsverletzung bereits angenommen, die in Bezug auf den tenorierten Unterlassungsanspruch nicht hinter dem Klagebegehren zurückblieb.

bb. In keinem Fall kann dieser Äußerung des Landgerichts nach Auffassung des Senats aber die Absicht entnommen werden, im Rahmen einer Entscheidung über den Schadensersatzanspruch von der bereits im Unterlassungsgebot festgestellten Verletzung wieder abzuweichen. Deshalb ist eine widersprechende Entscheidung des Landgerichts auch tatsächlich nicht zu erwarten.

c. Schließlich ist das Landgericht an die Bewertung einer umfassend festgestellten Urheberrechtsverletzung auch im Rahmen der Prüfung eines Schadensersatzanspruches gebunden. Es hätte sich eine abweichende Bewertung rechtlich zulässiger Weise überhaupt nicht vorbehalten können.

Das Landgericht ist nach allgemeinen Grundsätzen zunächst an seine eigene rechtliche Beurteilung gebunden. Bei einer Abänderung des Teilurteils in der Rechtsmittelinstanz durch den Senat ist das Landgericht zudem an die abweichende Rechtsauffassung des Senats gebunden und hat diese zugrunde zu legen. Zumindest im Anschluss an das vorliegende Senatsurteil ist eine abweichende Beurteilung durch das Landgericht bei der Behandlung des Schadensersatzanspruchs weder zulässig noch zu befürchten. Das Teilurteil ist deshalb nicht unzulässig.

d. Diese Bindungswirkung für das Landgericht wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Auskunftsanspruch und der Schadensersatzanspruch als Stufenklage nach § 254 ZPO erhoben wurden. Den Beklagten ist zwar insoweit zuzustimmen, dass die Entscheidung innerhalb der ersten Stufe der Stufenklage keine Bindungswirkung hinsichtlich der weiteren Stufen entfaltet (vgl. BGHZ 107, 236, 242; BGH, NJW-RR 2011, 189, 191; Saenger, ZPO, 6. Aufl., § 254 Rn. 11). Entgegen ihrer Auffassung werden vorliegend jedoch nicht alle Streitgegenstände mit einer Stufenklage verfolgt, sondern nur der Auskunftsanspruch und der Schadensersatzanspruch. Die weiteren geltend gemachten Streitgegenstände sind vielmehr durch eine objektive Klagehäufung nach § 260 ZPO mit dieser Stufenklage verbunden. Deshalb entfaltet ein Teilurteil hinsichtlich dieser Streitgegenstände auch eine prozessuale Bindungswirkung für das weitere Verfahren vor dem Landgericht.

3. Im Ergebnis besteht die von den Beklagten befürchtete Gefahr eines unzulässigen Teilurteils weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht. Eine Zurückverweisung an das Landgericht gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO ist deshalb weder zulässig noch geboten. Der Senat ist gemäß § 538 Abs. 1 ZPO zu einer eigenen Sachentscheidung berufen.

Vorbemerkung

Angesichts der mehrfachen Modifikation der Klageanträge bis zum Schluss des Rechtsstreits in zweiter Instanz befasst sich der Senat aus Gründen der besseren Verständlichkeit des inhaltlichen Begehrens des Klägers auf der Grundlage der im Berufungsrechtszug noch verfolgten Klageanträge im Folgenden zunächst mit dessen Rechtsmittel der selbständigen Berufung und Anschlussberufung.

Selbständige Berufung des Klägers

Der Kläger ist durch das landgerichtliche Urteil beschwert und deshalb befugt, hiergegen ein eigenes Rechtsmittel der Berufung einzulegen; im Übrigen wäre dieses Begehren jedenfalls zulässigerweise auch im Wege der eingelegten Anschlussberufung zu verfolgen.

I. Ein zulässiges Rechtsmittel der Berufung des Klägers setzt voraus, dass der Kläger durch das landgerichtliche Urteil beschwert ist. Eine Beschwer ist dadurch gekennzeichnet, dass der Inhalt der angefochtenen Entscheidung als solcher für den Rechtsmittelführer sachlich nachteilig ist (vgl. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 35. Aufl., Vor § 511 Rn. 19). Dies ist regelmäßig der Fall, wenn der Tenor der Entscheidung von den gestellten Anträgen nachteilig abweicht (vgl. BGH, NJW 1999, 1339). Zumeist ergibt sich die Beschwer offenkundig aus dem quantitativen oder qualitativen Minus des Urteilstenors selbst im Vergleich zu den gestellten Anträgen. Die Beschwer kann sich nicht allein aus den tatsächlichen Feststellungen oder der nicht in Rechtskraft erwachsenden Begründung ergeben. Letztlich kommt es maßgeblich auf den rechtskraftfähigen Inhalt der Entscheidung an, der sich aus dem Tenor unter Zuhilfenahme der Entscheidungsgründe ableiten lässt. Ist der Tenor aus sich heraus nicht eindeutig verständlich, muss er mithilfe der Entscheidungsgründe ausgelegt werden (vgl. BGH NJW-RR 2011, 1382; Saenger, ZPO, 6. Aufl., § 313 Rn. 12; Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 313 Rn. 13).

2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Kläger unzweifelhaft durch die landgerichtliche Entscheidung insoweit beschwert, als das Landgericht seinen Anspruch auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung teilweise (zu Ziff. 2 lit. b und Ziff. 2. lit. g) zurückgewiesen hat. Insoweit hat der Kläger indes ein Rechtsmittel nicht eingelegt bzw. zumindest nicht begründet. Seine Berufungsbegründung befasst sich ausschließlich mit dem Unterlassungsanspruch, so dass davon auszugehen ist, dass der Kläger die geringfügige Abweisung eines überschießenden Auskunftsanspruchs nicht mit seinem Rechtsmittel angreifen wollte.

3. Demgegenüber mag zwar auf den ersten Blick zweifelhaft sein, ob der Kläger – wovon er ausgeht – in Bezug auf den Unterlassungsanspruch durch das landgerichtliche Urteil im Rechtssinne ebenfalls beschwert ist. Dies ist aber der Fall.

a. Das Landgericht hat die Beklagten nach dem Wortlaut in Ziffer 1. des Tenors antragsgemäß verurteilt, indem es den Tenor wie folgt gefasst hat:

„Den Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu EUR 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung (Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, die deutschsprachige Ausgabe des Buchs mit dem Titel „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“ von S.. J… und E… C…, welche im Jahre 2010 im Verlag der Beklagten zu 1) unter der ISBN 978-3-551-79185-6 erschienen ist, in der Bundesrepublik Deutschland zu vervielfältigen und in der Bundesrepublik Deutschland und/oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und /oder von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland, insbesondere in die Republik Österreich und/oder in die Schweiz, anbieten und verbreiten zu lassen.“

b. Dieser Ausspruch wird indes von den Gründen der Entscheidung nicht getragen. Danach bleibt die landgerichtliche Feststellung von Urheberrechtsverstößen erheblich hinter dem klägerischen Unterlassungsbegehren zurück. Es besteht vielmehr eine Diskrepanz zwischen dem Wortlaut des Tenors und den Entscheidungsgründen.

aa. Vorliegend ist der Tenor zwar in seinem Wortlaut unmissverständlich eindeutig. Es ergibt sich aus dem Tenor indes in keiner Weise, wodurch mit dem Verletzungsmuster gegen das Urheberrecht des Klägers verstoßen wird. Nach einer rein wörtliche Auslegung des Tenors stellt es sich so dar, als verwirkliche das Verletzungsmuster als Ganzes eine Urheberrechtsverletzung mit der Folge, dass auch eine Vielzahl von Änderungen ungeeignet wären, aus diesem Verbot herauszuführen. Danach könnte nur eine vollständige und ersatzlose Einstellung der Nutzung der „Grafischen Biografie“ geeignet sein, dem Unterlassungsbegehren gerecht zu werden. Der Bezug auf das Veröffentlichungsjahr und die ISBN helfen in diesem Punkt nicht weiter, denn dadurch wird lediglich ein konkretes Werk als Bezugsobjekt dieses Tenors erkennbar gemacht. Ein abweichender Umfang des Verbotes ergibt sich daraus hingegen nicht.

bb. Aus den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils hingegen wird deutlich, dass der materielle Verbotsumfang möglicherweise nur sehr viel enger gefasst werden sollte, als es der Wortlaut des Tenors allein zum Ausdruck bringt. In seinen Entscheidungsgründen hat das Landgericht lediglich auf zwei Stellen innerhalb des Verletzungsmusters abgestellt und diese als Urheberrechtsverletzung eingeordnet. Zum einen seien Anne Franks Beschreibungen aus ihrem Brief vom 09.08.1943 urheberrechtswidrig auf den Seiten 100 und 101 in das Verletzungsmuster übernommen worden, zum anderen ihre eigentümliche Darstellung aus ihrem Brief vom 29.10.1943, welche auf Seite 108 des Verletzungsmusters wiedergegeben wird. Ob darüber hinaus noch weitere Urheberrechtsverletzungen vorliegen, sei eine Frage, die im Rahmen des Schadensersatzes erörtert werden könne.

cc. Aus den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils wird ebenfalls deutlich, dass das Landgericht endgültig und vollständig über den Unterlassungs- und den Auskunftsanspruch sowie weitere Nebenansprüche entscheiden wollte. Die zitierte Formulierung des Landgerichts in Bezug auf die Höhe des Schadensersatzanspruchs steht dem – wie bereits ausgeführt – nicht entgegen.

dd. Eine Beschwer des Klägers ergibt sich bereits aus dieser Diskrepanz. Denn der Kläger muss befürchten, bei einer Durchsetzung des landgerichtlichen Urteils im Zwangsvollstreckungsverfahren mit dem Einwand konfrontiert zu werden, dass der Tenor wegen der abweichenden Begründung weniger weit reicht als es sein Wortlaut nahe legt. Er muss in diesem Fall möglicherweise befürchten, dass ihm die Beklagten entgegenhalten, dass sie – trotz des weiter gefassten Verbotstenors – befugt seien, die „Grafische Biografie“ unbeanstandet weiter zu verwenden, wenn und soweit sie (lediglich) diese beiden Textstellen in einer Weise entfernen/modifizieren, die den landgerichtlichen Bedenken Rechnung trägt. Hieraus könnte die Argumentation abgeleitet werden, dass die „Grafische Biografie“ dann nach der Begründung des Landgerichts nicht mehr rechtsverletzend sei und eine Zwangsvollstreckung nicht möglich sei. Eine derartige, objektiv begründete Ungewissheit muss der Kläger aber aus Rechtsgründen nicht hinnehmen. Denn dieser hatte mit seinem Antrag ein zwar nicht vom Wortlaut, jedoch in der inhaltlichen Begründung viel weitergehendes Verbot begehrt, nämlich eine vollständige inhaltliche Ersetzung zumindest der Kapitel 6 bis 8. Welchen Streitgegenstand der Kläger mit dem Hauptantrag verfolgt hat, ergibt sich nicht aus ihm allein, sondern unter Berücksichtigung des erstinstanzlichen Klägervortrags. Aus diesem folgt, dass mit dem erstinstanzlichen Antrag das Verletzungsmuster als Ganzes angegriffen worden ist, weil es nach Auffassung des Klägers – zumindest in Bezug auf die darin enthaltenen Kapitel 6 bis 8 – insgesamt als Urheberrechtsverletzung zu bewerten sei. Dieser Bewertung ist das Landgericht indes zumindest in der Begründung nicht gefolgt. Durch die damit verursachte Ungewissheit über die genaue Reichweite des erstinstanzlichen Ausspruchs ist der Kläger aber im Rechtssinne beschwert und als befugt anzusehen, ein eigenes Rechtsmittel der Berufung einlegen.

c. Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob die Anschlussberufung, die in demselben Umfang wie die Berufung eingelegt worden ist, zulässig ist. Dies wäre aber der Fall, wie sogleich auszuführen ist.

Anschlussberufung des Klägers

I. Die gem. § 524 Abs. 2 ZPO eröffnete Anschlussberufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere rechtzeitig innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingelegt worden.

1. Allerdings hat es insoweit an einer wirksamen Fristsetzung durch den Senat für die Einlegung einer Anschlussberufung gefehlt. Dem Kläger ist die Berufungsbegründung der Beklagten am 14.12.2012 zugestellt worden. In diesem Zusammenhang ist es versäumt worden, dem Kläger eine Frist zur Berufungserwiderung gem. § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu setzen, die für die Zulässigkeit der Anschlussberufung gem. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO ebenfalls von Bedeutung ist. Erst nach Einreichung der Berufungserwiderung der Beklagten ist dem Kläger sodann versehentlich unter Hinweis auf die Fristsetzung zur Anschlussberufung eine Berufungserwiderungsfrist gesetzt worden. Innerhalb dieser Fristsetzung hat der Kläger seine Anschlussberufungsschrift nunmehr eingereicht.

2. Die insoweit unbeabsichtigt fehlerhafte Fristbehandlung durch den Senat führt indes nicht zur Unzulässigkeit der Anschlussberufung.

a. Zum einen handelt es sich bei § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO lediglich um eine „soll“-Vorschrift. Dies bedeutet, dass das Setzen einer Berufungserwiderungsfrist gesetzlich nicht zwingend vorgegeben ist, sondern im Einzelfall auch unterbleiben kann. Gleichwohl muss auch in diesen Fällen die Einlegung einer Anschlussberufung zur Vermeidung einer ansonsten unbilligen Benachteiligung des Rechtsmittelgegners zulässig sein.

b. Zudem entspricht es zutreffender Auffassung, dass auch dann, wenn eine Berufungsbegründungsfrist nicht wirksam gesetzt worden ist, die Anschließung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung möglich ist (Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 524 Rdn. 10).

c. Damit stehen der Zulässigkeit der von dem Kläger bereits am 18.03.2012 eingelegten Anschlussberufung keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Die Anschlussberufung setzt keine Beschwer voraus (Ball in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 524 Rn. 10).

II. Die Anschließung des Klägers ist auch nicht i.S.v. § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos geworden. Die Berufung der Beklagten ist weder zurückgenommen noch – wie nachfolgend noch auszuführen sein wird – verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen worden. Der Kläger hat seine Anschlussberufung inhaltlich ausdrücklich in demselben Umfang eingelegt wie seine selbständige (Haupt)Berufung. Dies hat der Kläger-Vertreter in der Senatssitzung ausdrücklich klargestellt.

III. Das Berufungsbegehren ist insoweit auch teilweise begründet, als der Kläger sein Unterlassungsbegehren bezüglich der holländischen Originalfassung des Tagebuchs der Anne Frank nicht lediglich auf eine rechtsverletzende Übernahme der von dem Landgericht insoweit erörterten zwei Szenen stützen kann. Vielmehr stellen sich die Kapitel 6 bis 8 der „Grafische Biografie“ der Beklagten – nur diese sind im Berufungsrechtszug noch streitgegenständlich – umfassend und vollständig als rechtsverletzende Bearbeitung des Originaltagebuchs dar. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts teilt der Senat nicht.

Dem Kläger stand deshalb aus seinen Rechten an dem Tagebuch der Anne Frank in seiner holländischen Originalfassung bis einschließlich zum 31.12.2015 auch ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch zu, auf Grund dessen er in dem tenorierten Umfang das Vervielfältigen, Anbieten und Verbreiten des Buches „Das Leben von Anne Frank – eine grafische Biografie“, wie es unter der ISBN 978-3-551-79185-6 im Jahr 2010 bei der Beklagten zu 1. erschienen ist (Verletzungsmuster), mit den Kapiteln 6 bis 8 untersagen konnte (Tenor zu Ziff. 1). Dieser Unterlassungsanspruch hat sich für die Zeit ab dem 01.01.2016 erledigt, da das dem Kläger zustehende Urheberrecht an dem Tagebuch für die Bundesrepublik Deutschland erloschen ist (Tenor zu Ziff. 2.) In diesem Umfang stehen dem Kläger ebenfalls die bereits von dem Landgericht ausgesprochenen Nebenansprüche auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung zu (Tenor zu Ziff. 3).

Weitergehende Ansprüche kann der Kläger hingegen nicht erfolgreich geltend machen. Der von den Übersetzerinnen M… P… und A… S… abgeleitete Unterlassungsanspruch wegen der Übernahme von Textstellen aus den Übersetzung der jeweiligen Autorinnen ist weder nach dem Hauptantrag uneingeschränkt noch nach dem Hilfsantrag beschränkt auf die in der Anlage K 26 konkret bezeichneten Textstellen begründet (Antrag zu Ziff. 1.b.).

Auch das Begehren, den Beklagten die Verwendung eines Gedichts von O… F… zu untersagen, bleibt erfolglos (Antrag zu Ziff. 1.c.).

IV. Der Kläger kann seine Unterlassungsansprüche auch in zweiter Instanz grundsätzlich umfassend auf eine Rechtsverletzung in Bezug auf die holländische Originalfassung des Tagebuchs, die Übersetzungen von M… P… und A… S… sowie auf das Gedicht O… F… stützen.

1. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.01.2012 vor dem Landgericht Hamburg ergibt sich nach dem Verständnis des Senats nicht zwingend, dass der Kläger die auf A… S… und O… F… bezogenen Ansprüche fallengelassen hat. Die Aussage, er stütze sich in erster Linie auf das in holländischer Sprache verfasste Originalwerk der Anne Frank und in zweiter Linie auf die Übersetzung, die M… P… erstellt hat, kann nach den Umständen des Einzelfalls so zu verstehen sein, dass weitere Ansprüche nicht geltend gemacht werden. Es bedeutet dies jedoch nicht zwangsläufig, wenn die übrigen Umstände erkennbar gegen eine derartige Absicht sprechen. Insoweit könnten auch lediglich zwei (von mehreren) Streitgegenstände in eine Reihenfolge gesetzt worden sein. Die weiteren Streitgegenstände drei und vier wären hiermit dann nicht ausdrücklich angesprochen worden. Auch nach dem landgerichtlichen Protokoll sind im Verlauf der Sitzung die weiteren geltend gemachten Ansprüche kurz angesprochen worden. Aus dem Protokoll ergeben sich keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die weiteren Ansprüche fallengelassen hat, wenngleich dies auch nicht ausgeschlossen erscheint. Ein derartiges Verhalten wäre nach dem bisherigen Prozessverlauf allerdings ersichtlich überraschend und nicht interessengerecht gewesen. Denn der Kläger hat in der Vergangenheit seine eigenen und im Wege der Prozessstandschaft verfolgten Rechte stets umfassend wahrnehmen wollen. So hat er insbesondere auch schriftsätzlich mehrfach angekündigt, alle Ansprüche kumulativ geltend machen zu wollen. Hatte das Landgericht Zweifel zu Verständnis und Tragweite der Erklärung, wäre vor diesem Hintergrund möglicherweise ein Hinweis bzw. eine konkrete Nachfrage im Sinne von § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO, zumindest aber eine ausdrückliche Protokollerklärung zu dem Schicksal der weiteren Streitgegenstände erforderlich gewesen.

2. Auch diese Frage bedarf aber im Ergebnis keiner abschließenden Beurteilung. Denn unabhängig davon wäre jedenfalls auch im Berufungsrechtszug noch ein Rückgriff auf diese Ansprüche durch eine entsprechende Klageänderung (Klagehäufung) nach § 533 ZPO zulässig, die der Kläger vorgenommen hat.

a. Nach ständiger Rechtsprechung setzt diese Klageänderung in der zweiten Instanz voraus, dass die ursprüngliche Klage zumindest teilweise weiterverfolgt wird, weil es ansonsten an der erforderlichen Beschwer fehlt (BGH NJW 2008, 3570, 3571; BGH GRUR 2009, 856, 857/858 – Tripp-Trapp-Stuhl). Dies ist – wie dargelegt – vorliegend der Fall.

b. Der Kläger hat seine Klage in zweiter Instanz zunächst nach Maßgabe der ursprünglichen Hauptanträge zu Ziff. 1.a., Ziff. 1.b. und Ziff. 1.c. konkretisiert und zum Teil – wenn man davon ausgeht, er habe die in Bezug auf A… S… und O… F… streitgegenständlichen Ansprüche bereits in erster Instanz fallen gelassen – auch gegenüber seinem erstinstanzlichen Klageantrag zu Ziff. 1. erweitert. Nach Eintritt des erledigenden Ereignisses zum 31.12.2015 hat der Kläger seinen Unterlassungsantrag erneut modifiziert. Schließlich hat der Kläger sodann in der Senatssitzung seinen zunächst als Unterlassungsantrag zu Ziff. 1.b. verfolgten Hauptantrag als Hilfsantrag gestellt und dieses Begehren um einen neuen Hauptantrag ergänzt.

c. Die Beklagten haben in der Senatsverhandlung den von dem Kläger beabsichtigten Änderungen/Erweiterungen seines Klagebegehrens eine Zustimmung nicht erteilt, sondern diesen zum Teil ausdrücklich widersprochen. Der Senat hält jedoch die Klageänderung, die in der erneuten kumulativen Geltendmachung der bereits erstinstanzlich verfolgten Streitgegenstände liegt i.S.v. § 533 Nr. 1 ZPO für sachdienlich. Eine Sachdienlichkeit kann im Allgemeinen nur verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff eingeführt wird, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann (BGH NJW 2007, 2414, 2415; Saenger, ZPO, 6. Aufl., § 263 Rn. 10). Auch bezüglich der Übersetzung von A… S… und des Gedichts O… F… ist der Streitstoff indes erstinstanzlich von den Parteien bereits umfangreich aufgearbeitet und erörtert worden, so dass auch die Voraussetzungen gem. §§ 533 Nr. 2 i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorliegen. Der Senat kann zu diesen Streitgegenstände auch abschließend entscheiden, weil diese nicht im Wege der Stufenklage nach § 254 ZPO geltend gemacht werden (können) und eine Entscheidung deshalb Bindungswirkung nach § 318 ZPO entfaltet.

3. Allerdings hat der Kläger in Bezug auf sein Unterlassungsbegehren seinen Klageantrag in der Berufungsinstanz teilweise auch i.S.v. §§ 269, 525 ZPO wieder zurückgenommen. Während das Landgericht Hamburg mit seinem Urteil vom 01.06.2012 ein einschränkungsloses Verbot der „Grafischen Biografie“ tenoriert hatte, beansprucht der Kläger mit seinen im Berufungsrechtszug zunächst angekündigten Klageanträgen zu Ziff. 1.a. und 1.b. einen solches Verbot nur noch „mit den Kapiteln 6 „Das Tagebuch“, 7 „Die acht Untertaucher“ und/oder 8 „Das neue Jahr““. Dementsprechend ist Streitgegenstand nicht mehr ein Verbot der „Grafischen Biografie“ schlechthin, sondern nur noch dann, wenn diese (in einer „und/oder“Verknüpfung) die Kapitel 6 bis 8 enthält. Diese Beschränkung des Begehrens begründet sich ersichtlich daraus, dass nur diese Kapitel in maßgeblichem Umfang auf das Tagebuch der Anne Frank zurückgreifen. Der Sache nach liegt hierin indes eine teilweise Klagerücknahme i.S.v. § 269 ZPO. Da der Kläger-Vertreter in der Senatssitzung trotz eines dahingehenden Hinweises des Senats keine Erklärungen abgegeben hat, ist die insoweit über die nunmehr gestellten Berufungsanträge hinausgehende Klage abzuweisen. Dies betrifft auch den zunächst angekündigten Berufungsantrag zu Ziff. 1.b. in dem Umfang, in dem die Anlage K 26 Textstellen enthält, die nicht in den Kapiteln 6 bis 8 enthalten sind.

V. Dem Kläger steht bzw. stand gegenüber beiden Beklagten nach Maßgabe seines Berufungsantrags zu Ziff. 1.a.α der beantragte, zeitlich bis zum 31.12.2015 begrenzte, Unterlassungsanspruch aus seinem Urheberrecht an der holländischen Originalfassung des Tagebuches der Anne Frank zu, der sich erst ab dem 01.01.2016 erledigt hat. Nach § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG kann derjenige, der ein Urheberrecht widerrechtlich verletzt, vom Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Eine derartige Urheberrechtsverletzung lag in der Vergangenheit vor.

1. Der Kläger konnte sein Unterlassungsbegehren – wie in der Senatssitzung am 20.01.2016 geschehen – wirksam mit ex nunc-Wirkung nur für die Zeit nach dem erledigenden Ereignisse für erledigt erklären. Dies hat zur Folge, dass ein rechtlich begründeter Unterlassungstitel im Übrigen erhalten und der Unterlassungsanspruch mit zeitlicher Wirkung bis zu dem erledigenden Ereignis, d.h. für bis zum 31.12.2015 begangene Rechtsverletzungen durchsetzbar bleibt.

a. Ein in die Zukunft gerichteter Unterlassungsanspruch kann zwar grundsätzlich nur solange geltend gemacht werden, wie noch ein verletzbares Urheberrecht besteht (vgl. etwa BGH WRP 1999, 831, 834 – Tele-Info-CD; zum UWG auch BGH GRUR 2009, 79 Rn. 25 – Gebäckpresse; GRUR 2009, 845 Rn. 38 – Internet-Videorecorder). Denn eine Nutzungshandlung ist nur dann eine Urheberrechtsverletzung, wenn sie in den Schutzbereich eines noch nicht abgelaufenen Urheberrechts eingreift. Beginnt die Nutzungshandlung noch während der urheberrechtliche Schutz besteht, läuft dieser dann jedoch ab, liegt nur bis zu diesem Zeitpunkt eine Urheberrechtsverletzung vor (vgl. Dreier/Schulze/Specht, UrhG, 5. Aufl., § 97 Rn. 9). Denn nach Ablauf der Schutzfrist wird das Werk gemeinfrei und auch Dritte können es nutzen. Unbeschadet eventuell schon entstandener Schadensersatzansprüche oder sonstiger Folgeansprüche hat der ehemalige Urheberrechtsinhaber dann keinen Anspruch mehr darauf, dass Dritte Nutzungshandlungen (weiterhin) unterlassen. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass das Urheberrecht des Klägers an der holländischen Originalfassung für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland gem. § 64 UrhG mit Ablauf des 31.12.2015 erloschen. Damit ist zu diesem Zeitpunkt auch ein in die Zukunft gerichteter Unterlassungsanspruch erloschen.

b. Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass ein begründeter Unterlassungsanspruch des Klägers vollständig entfällt. Ein Unterlassungskläger hat nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung vielmehr die Möglichkeit, seine Erledigterklärung auf die Zeit nach dem erledigenden Ereignis zu beschränken (vgl. BGH GRUR 2004, 264, 266 – Euro-Einführungsrabatt). Eine solche beschränkte Erledigterklärung eines Verfahrens ist rechtlich möglich (vgl. BGH GRUR 2004, 264, 266 – Euro-Einführungsrabatt m.w.N.; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 890 Rdnr. 29). Auch bei einem Unterlassungstitel, der von vornherein befristet war oder dem nach den Umständen nur in einem bestimmten Zeitraum zuwidergehandelt werden konnte, ist der Zeitablauf kein erledigendes Ereignis (vgl. BGH GRUR 2004, 264, 266 – Euro-Einführungsrabatt m.w.N.). Über den prozessualen Anspruch kann vielmehr weiterhin entschieden werden, soweit es um die Möglichkeit geht, das in einem bereits erwirkten Titel ausgesprochene Unterlassungsgebot für die Vergangenheit durchzusetzen. Dies ist auch interessengerecht, wenn aus anderen Gründen ein erledigendes Ereignis eintritt. Ob und in welchem Umfang der Kläger einen eventuellen Unterlassungstitel durchsetzen möchte, ist für den Senat nach dem beiderseitigen Parteivortrag nicht erkennbar. Es besteht aber jedenfalls kein Grund zu der Annahme, dass der Unterlassungstitel für den Kläger wertlos wäre oder er auf eine Rechtsdurchsetzung verzichtet hätte. Die Entscheidung „Euro-Einführungsrabatt“ ist zwar aus Anlass der Durchsetzung von Ordnungsmittelverfahren für in der Vergangenheit liegende Verstöße gegen eine Unterlassungsverpflichtung ergangen. Die von dem BGH insoweit aufgestellten Rechtsgrundsätze sind jedoch nicht auf derartige Sachverhaltskonstellationen beschränkt, sondern bringen einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zum Ausdruck und sind deshalb verallgemeinerungsfähig.

c. Dementsprechend hat der Senat trotz des Auslaufens der Schutzdauer auf der Grundlage des Berufungsantrags zu Ziff. 1.a.α weiterhin darüber zu entscheiden, ob das insoweit verfolgte Begehren in der Vergangenheit zulässig und begründet gewesen ist. Hieraus ergibt sich sodann unmittelbar die Folge, ob auch dem in die Zukunft gerichteten Feststellungsantrag zu Ziff.1.a.β zu entsprechen ist.

2. Der Unterlassungsanspruch ist in dem beantragten Umfang für die Vergangenheit auch inhaltlich begründet gewesen. Denn die Beklagten haben durch die Vervielfältigung, das Anbieten und/oder Verbreiten des Verletzungsmusters – der „Grafischen Biografie“ – das Urheberrecht des Klägers an dem holländischen Original des Tagebuchs der Anne Frank aus §§ 16, 17 i.V.m. § 23 UrhG verletzt, soweit das Verletzungsmuster auch die Kapitel 6 bis 8 enthält. Nach § 23 UrhG dürfen Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes nur mit Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden. Die Kapitel 6 bis 8 sind eine derart abhängige Bearbeitung der Originalfassung des Tagebuches der Anne Frank i.S.d. § 23 UrhG, zu der weder der Kläger noch ein sonst wie Berechtigter seine Einwilligung erklärt hat.

a. Das Tagebuch der Anne Frank in seiner holländischen Originalfassung ist ein urheberrechtlich geschütztes Sprachwerk gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, das Gegenstand einer Bearbeitung sein kann. Hiervon gehen im Ergebnis auch die Parteien übereinstimmend zutreffend aus.

aa. Nach der ständigen Rechtsprechung liegt ein schutzfähiges Sprachwerk vor, wenn der Text entweder durch seine Darstellungsform oder seinem Inhalt nach eine persönliche geistige Schöpfung darstellt. Diese kann sich etwa in der durch eine individuelle Gedankenführung geprägten sprachlichen Gestaltung offenbaren, ebenso aber auch in einer individuellen Auswahl oder Darstellung des Inhalts (vgl. etwa BGH WRP 1999, 831, 833 – Tele-Info-CD; BGH GRUR 1997, 459, 460 – CB-Info Bank I; OLG Köln GRUR-RR 2003, 265 ff.; Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl., § 2 Rn. 48). Neben der individuellen sprachlichen Gestaltung ist grundsätzlich auch der Inhalt eines Textes schutzfähig, wenn er auf einer persönlichen geistigen Schöpfung beruht. Nicht schutzfähig ist der Inhalt hingegen, soweit er auf der Wiedergabe von tatsächlichen Geschehnissen beruht. Denn die Realität als solche ist gemeinfrei und auch ein großer Rechercheaufwand wird nicht durch ein Urheberrecht an ihr belohnt (vgl. Senat GRUR-RR 2007, 222, 223 f. – Clowns & Heroes; Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl., § 2 Rn. 49).

bb. Beschreibt ein Sprachwerk also lediglich tatsächliche Geschehnisse, so entsteht an diesen selbst kein Urheberrecht. Der urheberrechtliche Schutzbereich erstreckt sich vielmehr nur auf die schutzfähigen Elemente, wie etwa die individuelle sprachliche oder gestalterische Darstellung. Durchschnittliche, einfache Briefe, die Mitteilungen über tatsächliche Geschehnisse enthalten, genießen deshalb ebenso wenig Schutz (BGHZ 31, 308, 311 – Alte Herren; Urheberrechtsschutz bejaht in: KG GRUR-RR 2002, 313 – Das Leben, dieser Augenblick; LG Berlin ZUM-RD 2007, 423, 424) wie alltägliche Tagebücher (vgl. KG GRUR 1973, 603, 604 – Hauptmann-Tagebücher) die sonst keine individuelle Prägung im urheberrechtlichen Sinne aufweisen. Dennoch können auch Briefe und Tagebücher urheberrechtlich schutzfähig sein, wenn die erforderliche individuelle Prägung vorliegt (Schutz bejaht etwa BGHZ 15, 249, 255 – Cosima Wagner; KG GRUR-RR 2002, 313 – Das Leben, dieser Augenblick).

cc. Das Tagebuch der Anne Frank ist in seiner Gesamtheit hinreichend individuell geprägt. Es ist ein historisches Dokument, dessen hoher literarischer Wert – auch unter den Parteien – unumstritten ist. In diesem Tagebuch werden zwar auch tatsächliche Geschehnisse beschrieben. Darüber hinaus ist es aber wesentlich von der konkreten sprachlichen und gestalterischen Darstellung der heranwachsenden Anne Frank geprägt. Das Tagebuch ist Zeugnis ihres Reifeprozesses und ermöglicht einzigartige Einblicke in ihre Gedankenwelt. Die Originalfassung entstand im Ausgangspunkt aus dem Material, das im Jahr 1945 von M… G… an O… F… übergeben worden ist, also aus dem Poesiealbum, 2 Heften und 3 Mappen mit losen Blättern. Unter Hinzufügung weiterer Funde und zunächst umfangreicher Bearbeitungen wurden im Laufe der Zeit verschiedene Fassungen geschaffen. Die Originalfassung ist die Grundlage aller dieser Versionen und das „Tagebuch“ als solches ein Werk, das nicht auf ein einzelnes Buch beschränkt ist, sondern auf mehreren Trägern fixiert ist.

dd. Dabei kann in diesem Zusammenhang der literaturwissenschaftliche Diskurs zu den verschiedenen Fassungen letztlich dahinstehen. Anne Frank war genauso Urheberin der sog. „Fassung a“ (nicht überarbeitet) wie auch der „Fassung b“ (durch sie überarbeitet). Die deutsche Übersetzung von M… P…, anhand derer der Kläger die von ihm verfolgte Rechtsverletzung der Beklagten in erster Linie darstellt, ist eine Zusammenstellung der Fassungen a und b und geht jedenfalls nicht über beide hinaus. Soweit es nicht um die sprachlich vollkommen exakte Gestaltung geht, kann sie deshalb vorliegend als hinreichend genaue Wiedergabe der Originalfassung verwendet werden.

ee. Unbeschadet der Abweichungen zwischen den von Anne Frank selbst herrührenden Werkfassungen „a“ und „b“ sowie der auf diesen Werkfassungen basierenden Fassung „c“ von O… F… (in der Übersetzung von A… S…) ist die „erzählerische Essenz“ des Tagebuchs der Anne Frank, soweit sie im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits für die Frage einer Rechtsverletzung durch die Grafische Biografie von Bedeutung ist, in allen Fassungen letztlich dieselbe. Diese hat in der Übersetzung von M… P… umfassend ihren Ausdruck gefunden, anhand derer die Parteien – zu Recht – die Frage einer Urheberrechtsverletzung in diesem Rechtsstreit erörtern. Bestehende Abweichungen wirken sich jedenfalls nicht auf die Frage einer rechtsverletzenden Übernahme durch die Beklagten aus, denn etwaige Veränderungen bzw. Auslassungen (insbesondere der Textfassung „c“) betreffen nicht die Art der Darstellung, auf die der Kläger ein Urheberrechtsverletzung durch die Kapitel 6 bis 8 maßgeblich stützt. Dementsprechend bedarf es im Folgenden keiner Differenzierung zwischen diesen Fassungen.

ff. Zwar liegt dem Senat keine in sich geschlossene Gesamtausgabe des Tagebuchs der Anne Frank in holländischer Sprache zum Vergleich vor. Das Landgericht Hamburg hatte mit den Partei-Vertretern in der Kammersitzung am 19.01.2012 ausweislich des Protokolls die Notwendigkeit einer derartigen Vorlage erörtert. Der Kläger hat daraufhin als Anlage K 37 die wissenschaftliche Arbeit „De Dagboeken van Anne Frank“ und als Anlage K 38 deren Übersetzung in die deutsche Sprache als „Die Tagebücher der Anne Frank“ in Buchform zur Akte gereicht. Aus diesen Synopsen ergeben sich unter anderem die Textfassungen „a“, „b“ und „c“ der jeweiligen Tagebucheintragungen in Gegenüberstellung, und zwar sowohl in holländischer als auch in deutscher Sprache. Diese Anlagen sind geeignet und ausreichend, um dem Senat die erforderliche Beurteilung zu ermöglichen, und zwar auch – worauf an anderer Stelle noch einzugehen sein wird – in Bezug auf die von dem Kläger in Anspruch genommenen Urheberrechte der Übersetzerinnen M… P…und A… S… .

gg. Der Senat wird vor diesem Hintergrund überall dort, wo es nicht auf die in jeder Hinsicht exakte Wortfassung ankommt, ebenso wie die Parteien die deutsche Sprachfassung des „Anne Frank Tagebuch“ von M… P…, erschienen im F… Taschenbuch Verlag, von dem Kläger vorgelegt als Anlage K 1, im Zuge der weiteren Erörterungen seinen Ausführungen zu Grunde legen.

b. Der Kläger war Inhaber der Urheberrechte an der holländischen Originalfassung. Alleiniger Rechtsnachfolger der im Jahr 1945 verstorbenen Anne Frank war ihr Vater O… F…. Dieser wiederum hat den Kläger testamentarisch als dessen Rechtsnachfolger bestimmt. Dies haben auch die Beklagten nicht bestritten. Der Erbfall ist mit dem Tod O… F… im Jahr 1980 eingetreten.

c. Bei den streitgegenständlichen Kapiteln 6 bis 8 des Verletzungsmusters handelt es sich um eine abhängige Bearbeitung des Tagebuchs der Anne Frank i.S.d. § 23 UrhG. Sie stellen sich nicht als eine freie Benutzung i.S.d. § 24 UrhG dar. Eine zusammenfassend wertende Betracht führt nach Auffassung des Senats zu dem Ergebnis, dass die Kapitel 6 bis 8 der Grafischen Biografie letztlich nichts anderes als eine „Nacherzählung“ der entsprechenden Passagen des Tagebuchs der Anne Frank mit anderen gestalterischen Mitteln sind.

aa. Dabei ist bereits im Einzelnen umstritten, nach welchen Kriterien in rechtlicher Hinsicht im Rahmen von § 23 Satz 1 UrhG zwischen einer „Bearbeitung“ und einer (anderen) „Umgestaltung“ zu unterscheiden ist (vgl. Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl., § 23 Rn. 3 ff.; Schack, UrhR, 6. Aufl., Rn. 268). Für die Abgrenzung kann zum einen auf die dienende Funktion der Bearbeitung abgestellt werden (so etwa Dreier/Schulze, UrhG, 5. Aufl., § 23 Rn. 5 ff.), wobei eine Umgestaltung dann anzunehmen sei, wenn das neue Werk dem Veränderten nicht dient. Diese Ansicht kann sich letztlich auch auf die Gesetzesbegründung berufen. Zum anderen kann man das maßgebliche Kriterium in der Schutzfähigkeit des durch die Veränderung geschaffenen Werkes sehen. Ist es selbst eine schutzfähige persönliche Schöpfung sei es eine Bearbeitung, werde diese Schwelle nicht überschritten, handele es sich um eine Umgestaltung (so etwa Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl., § 23 Rn. 3 ff.). Im Ergebnis kann dieser Streit vorliegend offen bleiben, denn ihm kommt weder für den vorliegenden Rechtsstreit noch ansonsten eine entscheidende Bedeutung zu. Denn die gesetzliche Rechtsfolge ist für beide Alternativen jedenfalls dieselbe. Der Einfachheit halber wird im Folgenden der Oberbegriff „Bearbeitung“ verwendet.

bb. Entgegen der Auffassung der Beklagten, handelt es sich bei den Kapiteln 6 bis 8 nicht schon deswegen um eine „freien Benutzung“ i.S.d. § 24 UrhG, weil das Verletzungsmuster eine grafische Biografie, also eine andere Werkform als das Tagebuch der Anne Frank verkörpert.

aaa. Für eine derartige Beurteilung kommt es stets – und auch vorliegend – auf eine umfassende Prüfung des Einzelfalls an. Es trifft zwar zu, dass eine abhängige Bearbeitung regelmäßig dort ausscheidet, wo ein Werk in eine andere Kunstform übertragen wird (vgl. Dreier/Schulze, UrhG, 5. Aufl., § 24 Rn. 19; Schack, UrhR, 6. Aufl., Rn. 275; Schricker/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl., § 24 Rn. 23). Dies ist jedoch keine zwangsläufige Folge, die in jedem Fall eintritt, sondern das regelmäßige Ergebnis der § 24 UrhG zugrundliegenden Erwägungen. Eine freie Benutzung liegt immer dann vor, wenn das neu geschaffene Werk selbst schutzfähig ist und das ältere Werk dem Urheber lediglich als Anregung gedient hat. Ob eine bloße Anregung vorliegt, zeigt sich darin, dass die prägenden Züge des älteren Werkes vollständig in dem neuen Werk verblassen. Es finden sich dann keine geschützten Elemente in dem neuen Werk wieder, die eine Abhängigkeit von dem älteren Werk begründen könnten. § 23 UrhG unterwirft den Schöpfer einer abhängigen Bearbeitung dem Einwilligungserfordernis des Urhebers des bearbeiteten Werkes, weil sein neu geschaffenes Werk nur zu Teilen auf seiner eigenen Schöpfungsleistung beruht; § 24 UrhG privilegiert hingegen den Schöpfer, weil nur seine eigene Leistung maßgeblich das neue Werk prägt (vgl. Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl., § 24 Rn. 1; Dreier/Schulze, UrhG, 5 Aufl., § 24 Rn. 1). Nur zwischen ihm und dem neuen Werk besteht das „geistige Band“, dessen Schutz das Urheberrecht bezweckt (Schack, UrhR, 6. Aufl., Rn 339).

bbb. Die Übertragung in eine andere Werkform stellt sich vor diesem Hintergrund (nur) deshalb regelmäßig als eine freie Benutzung dar, weil sich die prägenden Züge eines Werkes nicht in eine andere Werkform übertragen lassen. Ein Sprachwerk verliert zwangsläufig seine individuelle Gestalt, wenn es etwa in ein Musikstück umgewandelt wird. Ein vormals vermittelter Inhalt kann nicht – oder zumindest nur mit einem sehr großen Interpretationsschritt – in dem neuen Musikstück wiedergefunden werden. Dies verhält sich im vorliegenden Fall jedoch anders.

(1) Den Beklagten ist allerdings darin zuzustimmen, dass eine grafische Biografie kein Sprachwerk im klassischen Sinne ist. Insoweit unterscheidet sie sich nicht von einem Comic bzw. einer „Graphic Novel“. Auch bei ihr ergibt sich der vermittelte Inhalt gerade aus dem Zusammenspiel von Bild und Text. Die eingeschränkte textliche Ausdrucksmöglichkeit, die zwangsläufig mit den räumlichen Begrenzungen verbunden ist, wird durch die bildlichen Darstellungen kompensiert. Gleichzeitig erlaubt diese bildliche Darstellung dem Künstler, dem Leser jenseits von dessen Vorstellungskraft ein bestimmtes Bild zu vermitteln. Dem Künstler stehen in dieser Werkform damit im Ergebnis nicht weniger, sondern andere Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung als etwa dem Romanautor. Dies rechtfertigt die Annahme einer eigenen Werkform.

(2) Gleichzeitig liegt diese Werkform dennoch so dicht an klassischen Sprachwerken, dass prägenden Züge übernommen werden können und diese auch nicht notwendigerweise in dem neuen Werk verblassen müssen. Dies ergibt sich schon daraus, dass es ohne weiteres auch möglich ist, Text zu übernehmen und gerade die sprachliche Gestaltung ein prägender Bestandteil eines Sprachwerkes ist. Gleiches gilt jedoch auch hinsichtlich anderer prägender Elemente wie Handlungsfaden oder Auswahl des Inhalts. Insoweit ist der Hinweis des Klägers durchaus zutreffend und gerechtfertigt, dass eine „Verbildlichung“ eines Sprachwerkes ähnlich einer „Verfilmung“ dieses Werkes sei. Denn auch ein Filmwerk bietet teilweise ähnliche Gestaltungsmöglichkeiten, wenn es auch im Großen und Ganzen mit einer grafischen Novelle nicht vergleichbar ist.

cc. Der gebotene umfassende Vergleich zwischen der Originalfassung des Tagebuchs der Anne Frank einerseits und den Kapiteln 6 bis 8 des Verletzungsmusters andererseits ergibt nach Auffassung des Senats, dass es sich jedenfalls bei diesen Kapiteln der „Grafischen Biografie“ um eine abhängige Bearbeitung i.S.d. § 23 UrhG handelt, obwohl von den Beklagten gegenüber dem Tagebuch eine andere Werkform gewählt worden ist.

aaa. Die Feststellung, ob eine abhängige Bearbeitung oder eine freie Benutzung nach § 24 UrhG vorliegt, ergibt sich als das Ergebnis einer 3-schrittigen Prüfung. Entscheidend ist zunächst, welche individuellen Züge das Tagebuch prägen (vgl. schon BGH GRUR 1980, 853, 854 – Architektenwechsel), sodann inwieweit diese individuellen Züge in das Verletzungsmuster aufgenommen worden sind und schließlich, ob sie innerhalb dieses neuen Werkes verblassen (vgl. etwa BGH GRUR 2004, 855, 857 – Hundefigur m.w.N.; Dreier/Schulze, UrhG, 5 Aufl., § 24 Rn. 11 ff.). Dabei ist kein milder Maßstab anzulegen (vgl. BGHZ 141, 267, 280 – Laras Tochter). Übereinstimmungen fallen hierbei schwerer ins Gewicht als Abweichungen (vgl. BGH GRUR 2009, 856 Rn. 28 – Tripp-Trapp-Stuhl).

bbb. Insoweit wird die landgerichtliche Entscheidung dem Kernbegehren des Klägers nach Auffassung des Senats nicht ausreichend gerecht. Dem Kläger ging es von Beginn des Rechtsstreits ersichtlich nicht – jedenfalls nicht im Zusammenhang mit dem holländischen Originaltagebuch von Anne Frank – lediglich darum, dass einzelne Passagen oder berichtete Geschehnisse von den Beklagten in die „Grafische . Biografie“ rechtsverletzend übernommen worden sind. Es ging dem Kläger erkennbar in besonderer Weise auch um eine umfassende „Verbildlichung“ nicht nur der sachlichen Schilderungen von Anne Frank, sondern auch ihrer Gefühle, zwischenmenschlicher Spannungen usw. und damit auch und gerade derjenigen Gestaltungselemente, die sich nicht in einer Schilderung historischen Fakten erschöpfen. Hierzu hatte der Kläger bereits mit der Klageschrift als Anlage K 5 einen „Plotabgleich“ vorgelegt, mit dem er die Verbildlichung konkreter Tagebuchaussagen durch die „Grafische Biografie“ in einer Ausdrucksform zu belegen versucht hat, die gerade nicht in irgendeiner Weise „historisch“ vorgegeben oder bedingt gewesen ist. Derartige Gegenüberstellungen hat der Kläger auch in der Folgezeit noch mehrfach vorgelegt (Anlage K 39 „Bild-Text-Vergleich“) Das Begehren des Klägers war dementsprechend von Anfang an auf eine umfassende Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller einzelnen Beanstandungen in Wort und Bild gerichtet, die zwar bei einer Einzelbetrachtung unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Werkform „Tagebuch“ einerseits und „Biografie“ andererseits für sich genommen eine Rechtsverletzung möglicherweise nicht begründen können, in ihrer Gesamtheit und strukturierten Übernahme unter Berücksichtigung der Besonderheiten gerade des Tagebuchs der Anne Frank aber ein abweichendes Ergebnis rechtfertigen können. Diese Gesamtbeurteilung hat das Landgericht nicht ausreichend vorgenommen. Zumindest ist dies für den Senat nicht erkennbar.

ccc. Als Autorin des Tagebuches hat Anne Frank den Inhalt des Werkes frei bestimmt. Aus der Vielzahl an täglichen Ereignissen hat sie selbst diejenigen ausgewählt, über welche sie in ihrem Tagebuch reflektiert und die sie für berichtenswert gehalten hat. Eine individuelle Prägung im urheberrechtlichen Sinne erlangt das Tagebuch dabei nicht primär durch die fantasievolle Schöpfung einer Geschichte. Vielmehr wird das Werk maßgeblich dadurch geprägt, „wie“ über die Geschehnisse berichtet wird und welche individuellen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Dabei bezieht sich die eigenschöpferische Prägung wiederum nicht auf die Schlussfolgerung als solche, denn sie ist ein tatsächliches Geschehen über das gemeinfrei berichtet werden kann. Urheberrechtlich schutzfähig ist aber die individuelle Darstellung der Schlussfolgerung und ihr Verhältnis zum Gesamtwerk, etwa die Frage, welches Gewicht ihr in Bezug auf andere Darstellungen eingeräumt wird und auf welche Art und Weise sie dem Leser präsentiert wird. Neben der konkreten sprachlichen Gestaltung bezieht sich der urheberrechtliche Schutz daneben auch auf verwendete gedanklichen Bilder oder Gleichnisse, die im Ergebnis sprachlich unterschiedlich umgesetzt werden können.

(1) Allein aus der Funktion der Werkform „Tagebuch“ kann allerdings nicht bereits ein hinreichend verlässlicher Rückschluss auf den (u.U. fehlenden) Grad der individuellen und bewussten Prägung gezogen werden. Denn Tagebücher können durchaus sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen. Sie dokumentieren die Erlebnisse des Tagebuchschreibenden, sind ihm darüberhinaus aber auch Reflexionshilfe. Privat geführte Tagebücher sind in der Regel nur für den Tagebuchführenden selbst und nicht für die Lektüre anderer bestimmt. Derartige Tagebücher sind für Außenstehende teilweise nur eingeschränkt verständlich. Daneben können Tagebücher allerdings auch von vornherein auf eine spätere Veröffentlichung gerichtet sein. Sie dienen in diesen Fällen weniger als Reflexionshilfe, sondern vielmehr dem Zweck, Dritten später eine Erklärung für die Handlungen und Entscheidungen des Tagebuchführenden zu bieten. Solche Tagebücher sind von vornherein stärker stilisiert als rein private. Denn die Autoren haben von Beginn an die spätere Publikation vor Augen. Eine Zwischenform dieser beiden Varianten sind Tagebücher, deren Texte später als Grundlage für eine Veröffentlichung dienen sollen, etwa für einen autobiografischen Roman, die zunächst aber nur für den Autor selbst geschrieben sind. Auch diese Texte sind für einen Außenstehenden häufig nicht komplett verständlich, die Auswahl des wiedergegebenen Materials hat aber schon die spätere Veröffentlichung im Blick und die Gestaltung wird bewusst gewählt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dies können etwa thematische Bögen, ein gezielter Spannungsaufbau oder eine bewusste Leserführung sein.

(2) Die Aufzeichnungen Anne Franks dienten allen diesen Zwecken. Die Originalfassung ist nicht das Ergebnis eines lediglich privat geführten Tagebuches, sondern Anne Frank hat ab einem bestimmten Zeitpunkt (erste Gedanken daran ab der Rede des Exilministers B…. am 28. März 1944) angefangen, ihre bisherigen Aufzeichnungen bewusst zu redigieren (Entschluss 20. Mai 1944, vgl. Textfassung „a“ der Anlage K 38). In der „Fassung a“ finden sich schon vor diesem Zeitpunkt an verschiedenen Stellen Hinweise darauf, dass der Text später veröffentlicht werden soll (etwa im Eintrag unmittelbar nach dieser Rede vom 29.03.1944, insbesondere aber im (2.) Eintrag vom 11.05.1944, zuvor schon im Eintrag vom 29. Juli 1943 „Die Leser mögen zur Kenntnis nehmen…“). Insoweit nimmt der Senat ergänzend auf die Darstellung auf S. 67 – 70 der Anlage K 38 Bezug. Schon daraus kann auf eine bewusste und individuelle Gestaltung des Werkes geschlossen werden.

(3) Anne Frank bedient sich unterschiedlicher Methoden, um ihr Tagebuch und den darin enthaltenen Handlungsfaden individuell zu gestalten und für den Leser verständlicher zu machen. Diese lassen sich grob in drei Kategorien einordnen: Erstens gestaltet sie ihren Text bewusst so, dass einem Leser die Orientierung leichter fällt, zweitens bearbeitet sie ihren Text dergestalt, dass ihre Ausführungen authentisch wirken und drittens verstärkt sie die Spannungsbögen.

(a) Ein bedeutendes Stilelement des Tagebuches ist die fiktive Empfängerin der Briefe „Kitty“. Ursprünglich erfindet Anne Frank „Kitty“, weil sie sich einen Gesprächspartner und eine Vertraute wünscht. Zunächst wird „Kitty“ von ihr auch mit dem Tagebuch als solchem gleichgesetzt. Im Verlauf des Werkes nimmt die fiktive Adressatin „Kitty“ allerdings immer deutlichere Züge einer konkreten Person an. In Annes Vorstellung verfügt „Kitty“ über ähnlich wenig Informationen über das Leben im Hinterhaus oder im Krieg wie der Leser, nämlich im Grunde genommen über keine. Auf diese Art und Weise können auch umfangreichere Beschreibungen über wesentliche Situationen, wie etwa die räumliche Situation im Hinterhaus (S. 32 ff., PresslerÜbersetzung) oder den Alltag der Untergetauchten (S. 58, 124, 128, PresslerÜbersetzung) literarisch elegant vermittelt werden. An mehreren Stellen wird deutlich, dass Anne Frank dabei von vornherein an spätere mögliche Leser gedacht hat (S. 20, 123, Pressler-Übersetzung).

(b) Die Briefform ermöglicht es Anne Frank außerdem immer wieder, den zukünftigen Lesern direkte oder indirekte Hinweise zu geben oder ihren geschriebenen Text zu kommentieren. Diesem Zweck dienen etwa ihre Nachträge die – wie die Briefe auch – teilweise zugespitzte Beurteilungen über sich selbst enthalten (vgl. etwa S. 71, Pressler-Übersetzung). Um die Glaubwürdigkeit ihrer Aufzeichnungen weiter zu erhöhen, bedient sich Anne Frank darüber hinaus noch einer Vielzahl von anderen rhetorischen Mitteln. In diese Kategorie gehören etwa auch die von ihr im Tagebuch wiedergegebenen Dialoge zwischen den Untergetauchten. Dem späteren Leser kann so ein lebendiger Eindruck von der Atmosphäre im Versteck vermittelt werden.

(c) Daneben verwendet Anne Frank zahlreiche Stilelemente, um Spannung zu erzeugen. So stellt sie etwa rhetorische Fragen (S. 33, Pressler-Übersetzung) oder benutzt Schlussformeln wie „morgen mehr“ (S. 34, Pressler-Übersetzung). Dadurch wird das Interesse des Lesers am Fortgang der Ereignisse gesteigert. Auch durch Anne Franks Schilderungen zu den vielen Besuchern und Einbrüchen gewinnt das Werk an Spannung, denn mit solchen Ereignissen war immer die Bedrohung verbunden, entdeckt zu werden (vgl. S. 60, 68, 97 f., 116 f., 195 f., PresslerÜbersetzung). Ein Spannungshöhepunkt in diesem Bereich bildet dabei der ausführliche Bericht über den Einbruch in das Lager (S. 241 – 249, PresslerÜbersetzung).

(4) Ein besonderes Gewicht nimmt für Anne Frank die Schilderung und Reflexion über die unterschiedlichen zwischenmenschlichen Beziehungen ein, zum einen zwischen ihr und den anderen Untergetauchten, zum anderen aber auch zwischen den übrigen Untergetauchten untereinander. So berichtet sie etwa ausführlich über ihr Verhältnis zu F… P… (A… D…), der sich mit ihr das Zimmer teilte.

(a) Großes Gewicht hat insbesondere der Konflikt mit ihrer Mutter, der einen ersten Höhepunkt erreicht, als Anne ablehnt, mit ihrer Mutter zu beten (S. 101 f., P….Übersetzung) und zu dem Anne den Satz ihrer Mutter niederschreibt: „Liebe lässt sich nicht erzwingen“. Die im Laufe der Zeit immer fundamentaler werdende Opposition gegenüber ihrer Mutter spiegelt sich im Tagebuch wider. Anne Frank befasst sich in ihrem Werk ausführlich mit diesem Konflikt und dies teilweise auf eine sehr individuelle Art und Weise. Sie weigert sich etwa unter anderem, ihre Mutter als „Mams“ zu bezeichnen. Denn Ihrer Auffassung nach hat ihre Mutter nicht die dafür erforderlichen Qualitäten. Stattdessen nennt sie ihre Mutter oft „Mansa“ und daraus abgeleitet „Mans“. Diese Wortschöpfung steht für Anne Frank für eine unvollendete „Mams“, der die Ehre des zusätzlichen Bogens im Buchstaben „m“ nicht zuteil wird. In ruhigeren Momenten reflektiert Anne Frank jedoch auch über ihre eigene Beteiligung an diesem Konflikt und kommt zu milderen Urteilen (vgl. S. 158, Pressler-Übersetzung).

(b) Daneben beschäftigt sich Anne Frank mit dem Verhältnis ihres Vaters und ihrer Mutter zueinander. Sie glaubt, dass die Mutter niemals den ersten Platz im Herzen ihres Vaters haben werde. Literarisch fasst sie ihre Erkenntnis hierzu pointiert zusammen indem sie schreibt: „Vater schätzt Mutter und hat sie gern, aber nicht mit der Liebe einer Ehe, die ich mir vorstelle.“

(c) Viel Raum gibt Anne Frank auch dem Verhältnis zu ihrem Vater, O… F…. Dieses Verhältnis ändert sich im Laufe der Zeit erheblich und das Tagebuch zeichnet diese Entwicklung nach. Zunächst ist es noch von einer kindlichen Abhängigkeit und Fixierung geprägt, kühlt sich jedoch immer weiter ab, bis es nach einem Streit über die Beziehung zu P… v.. P… (P… v.. D…) und einem verletzenden Brief Anne Franks seinen Tiefpunkt erreicht. Dieser Wechsel der männlichen Bezugsperson als zentraler Bestandteil Anne Franks Pubertät ist in ihrem Tagebuch ausführlich und ehrlich aufgezeichnet.

(d) Auch Anne Franks Beziehung zu P… v.. P… ist von einem deutlichen Wechsel geprägt und wird durch Anne Frank in ihrem Tagebuch niedergelegt. Anfangs verwendet sie für ihn noch Begriffe wie „langweilig“, „Lulatsch“ (S. 43, Pr…Übersetzung) und „dumm“ (S. 44, P…-Übersetzung). Langsam verändert sich jedoch ihre Einstellung zu ihm. Über die Gestalt des P… S…, zu dem sie ihre Liebe im Tagebuch bekennt und der ihr im Traum erscheint, rückt auch P… v.. P… zunehmend in ihr Bewusstsein. Bedingt durch die Enge des Verstecks durchläuft diese jugendliche Liebe schnell verschiedene Phasen, von der ersten Annährung, über den ersten Kuss, zu einem starken „Wir“-Gefühl Anne Franks und schließlich zu ihrer allmählichen Abkehr und Neuorientierung. Denn Anne Frank ist von P… v.. P… enttäuscht und urteilt über ihn „P… hat noch zu wenig Charakter, zu wenig Willenskraft, zu wenig Mut und Kraft“ (S. 263, P…-Übersetzung).

(5) In der Folgezeit versteht sich Anne Frank zunehmend als angehende Schriftstellerin und Journalistin (S. 237 f., P…-Übersetzung). Ihr Tagebuch nutzt sie nicht mehr nur als persönliches Journal, sondern ist sich dessen Bedeutung als mögliche Grundlage für eine spätere Veröffentlichung bewusst. So verzeichnet sie etwa akribisch die Auseinandersetzungen innerhalb des Verstecks, weil diese durch die Isolation bedingt sind und sie diese deshalb für die Nachwelt dokumentieren möchte. Darüber hinaus beschäftigt sie sich auch mit dem damals herrschenden Frauenbild (S. 297, P…Übersetzung).

(6) Insgesamt zeichnet sich das Tagebuch durch seine scharfsinnigen und ehrlichen Ausführungen zu den Umständen und Ereignissen im Versteck aus. Anfangs sind die Einträge noch teilweise naiv, spontan und subjektiv, mit zunehmendem Reifegrad Anne Franks beginnen jedoch auch ihre Ausführungen immer reflektierter, bewusster und selbstkritischer zu werden. Vor allem im hinteren Teil des Tagebuches werden thematische Bögen gespannt. Die Aufbau der Sätze wird dialektischer und die Analysen ihrer eigenen Situation und der Gesamtumstände umfangreicher und feiner. In ihrem Tagebuch schildert sie den Verlauf des Krieges und ihren ungewöhnlichen Alltag. Dabei geht sie vor allem auf die typischen Probleme des Erwachsenwerdens ein, die sich für sie allerdings in einem sehr untypischen Kontext stellen. Besonders wichtige Themen sind für sie fehlende Intimität und Privatsphäre, das Verlangen nach Nähe und Autoritätskonflikte mit den Eltern. Letztlich geht es in dem Tagebuch maßgeblich auch um ihren täglichen Kampf um Individualität. Anne Frank führt ihr Tagebuch regelmäßig, aber nicht täglich oder in anderen festen Zeitabständen. Teilweise vergehen Wochen, in denen Anne Frank ihre Gedanken nicht dem Tagebuch anvertraut. Überwiegend haben die einzelnen Tagebucheinträge die Länge von ungefähr 1,5 Druckseiten. Für sie wichtigere Themen behandelt sie üblicherweise in längeren Tagebucheinträgen. Hierzu gehören etwa die Beschreibung der Tagesabläufe (vgl. S. 124-135, P…-Übersetzung) und der Einbruch ins Lager (vgl. S. 241-249, P…Übersetzung). Dabei gibt es allerdings auch markante Ausnahmen. So beschreibt sie ihren ersten Kuss in einem Tagebucheintrag, der nicht einmal 1 Seite lang ist (S. 252 f., P…-Übersetzung).

ddd. In den Kapiteln 6 bis 8 des Verletzungsmusters findet sich diese individuelle Prägung wieder. Sie ergibt sich nicht aus der Schilderung der tatsächlichen Geschehnisse im Versteck, sondern daraus, dass dem Handlungsfaden gefolgt wird und auch „wie“ Anne Frank über diese Geschehnisse berichtet hat. Dabei ist der Anknüpfungspunkt nicht der konkrete Wortlaut. Denn hier folgt das Verletzungsmuster der deutschen Übersetzung. Vielmehr geht es um die von Anne Frank verwendeten gedanklichen Bilder, die sich letztlich in unterschiedlichen Worten ausdrücken lassen und auch in eine Bildsprache übersetzt werden können. Ebenso muss darauf abgestellt werden, welches Gewicht Anne Frank den verschiedenen Handlungskomplexen eingeräumt hat.

(1) Eine Erzählung des gelebten Lebens von Anne Frank ist als historische Begebenheit grundsätzlich frei und als solche urheberrechtlich nicht zu beanstanden. Darauf weisen die Beklagten zutreffend hin. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die betreffende Person ihr Leben oder Teile davon in einem Tagebuch oder einer Biografie niedergelegt hat. Dies macht die Schilderung bzw. „Nacherzählung“ ihres Lebens nicht grundsätzlich unzulässig. Auch davon gehen die Beklagten zu Recht aus. Die Beklagten haben auch in der Senatsverhandlung noch einmal nachdrücklich auf den „Biografie“-Charakter des Verletzungsgegenstandes hingewiesen und ausgeführt, in welchem Umfang das Leben, die sozialen Kontakte, die Eigenheiten, die Standpunkte usw. der zu beschreibenden Person aus der Natur der Sache notwendigerweise einer freien Verwendung durch den Biografen zugänglich sein müssen. Auch dieser Auffassung der Beklagten kann im Ausgangspunkt nicht widersprochen werden. Hierauf ist auch der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. B… W… in dem von den Beklagten als Anlage HL 32 vorgelegten „Gutachten Anne Frank“ näher eingegangen.

(2) Um eine derartige Situation geht es vorliegend jedoch nicht. Zumindest nicht in Ansehung der Kapitel 6 bis 8 der „Grafischen Biografie“, die im Rahmen dieses Rechtsstreits allein noch streitgegenständlich sind. Denn diese zeichnen gerade nicht das „Leben“ der Anne Frank, sondern vielmehr ganz wesentlich und erkennbar das „Tagebuch“ der Anne Frank nach, und zwar in einer Weise, die nicht durch allein durch historische Begebenheiten vorgegeben ist, sondern ganz maßgeblich durch das schöpferische Gepräge des Tagebuchs bestimmt ist. Diese Kapitel 6 bis 8 sind keine „Nacherzählung“ des „Lebens“ der Anne Frank, sondern letztlich nichts anderes als eine „Nacherzählung“ der entsprechenden Passagen des „Tagebuchs der Anne Frank“, wenngleich mit anderen gestalterischen Mitteln. Dies wird im Folgenden noch darzustellen sein. Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, dass es zu einer Vielzahl von Begebenheiten auch der Bewohner des „Hinterhauses“ abweichende Schilderungen und Perspektiven Dritter wie z.B. von O… F… und M… G… gibt, die eine von der Perspektive Anne Franks abweichende Sicht ermöglichen. Die Beklagten haben in den Kapiteln 6 bis 8 von derartigen Drittquellen jedenfalls nicht in einer Weise Gebrauch gemacht, die die Nacherzählung des Tagebuchs von Anne Frank in irgendeiner Weise maßgeblich verblassen lassen würde.

(3) Weil das Verletzungsmuster eine andere Werkform ist, ergeben sich zwangsläufig starke Abweichungen von der Originalfassung. Darin unterscheidet sich die Überführung eines Sprachwerks in die Werkform einer grafischen Biografie allerdings nicht von – beispielsweise – der Verfilmung eines Sprachwerkes. Auch dabei werden teilweise erhebliche Anpassungen vorgenommen, die der anderen Werkform geschuldet sind. Dennoch handelt es sich dabei regelmäßig um eine Bearbeitung. Dies ist bei Romanverfilmungen ohne weiteres erkennbar, weil auch die geschützte Fabel übernommen werden muss. Wie dargestellt, kann sich eine individuelle Prägung – wie hier – aber auch aus anderen Gesichtspunkten ergeben. Entscheidend bleibt demnach alleine, ob trotz der Anpassungen die individuelle Prägung erkennbar bleibt. Dem stehen (auch erhebliche) Kürzungen nicht per se entgegen. Auch wenn die Kapitel 6 bis 8 bei weitem nicht alles das wiedergeben, was Anne Frank in ihrem Tagebuch geschrieben hat, bleibt ihre individuelle Prägung, nämlich die Art, wie sie über ihr Leben im Hinterhaus berichtet hat, deutlich erkennbar.

(a) Das Verletzungsmuster folgt der Chronologie der Tagebucheinträge weitestgehend. Nur vereinzelt wird die Darstellung in eine andere Reihenfolge gebracht. Das ist noch naheliegend, weil die Lebensgeschichte Anne Franks sinnvoll chronologisch erzählt werden kann. Zwingend ist aber schon dies nicht. Denkbar wären etwa stärkere thematische Einordnungen. Auffällig sind jedoch die sehr vergleichbaren Schwerpunktsetzungen. So wird in Kapitel 6 etwa ausführlich der Tagesablauf dargestellt (S. 83-86, Anlage HL 11), denen auch Anne Frank viel Raum in ihrem Tagebuch gibt (vgl. S. 124-135, P…-Übersetzung); in Kapitel 8 wird dem Einbruch ins Lager drei Seiten gewidmet (S. 112-114, Anlage HL 11), Anne Frank hat dieses Ereignis umfangreich in ihrem Tagebuch beschrieben (vgl. S. 241-249, P…Übersetzung). Diese Art der schriftlichen Fixierung von Ereignissen wird im Ansatz dadurch übersetzt, dass Anne Frank auf den Bildern häufig schreibend dargestellt wird (z.B. Seiten 71, 79, 84, 87, 88, 97, 100, 102, 103, 104, 107, 108, 109, 111, 116, 117, 118, Anlage HL 11).

(b) Die von Anne Frank ausgewählten Themenkomplexe werden auch im Verletzungsmuster behandelt, ohne dass eigene und darüber hinausgehende Wertungen der Autoren erkennbar wären. Die Perspektive Anne Franks – und damit ihre Art der Darstellung – wird nicht verlassen. So wird etwa ihr schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter wie in dem Tagebuch thematisiert. Dies geschieht z.B. auf Seite 97 des Verletzungsmusters, indem Anne Franks Weigerung, mit der Mutter zu beten, wiedergegeben wird. Diese Darstellung beschränkt sich ausschließlich auf die Perspektive Anne Franks, ohne dass dieser Konflikt aus einer Außenperspektive in den Kontext ihrer Pubertät gestellt wird. Vielmehr wird dieser Konflikt so dargestellt, wie Anne Frank es getan hat.

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Auch das Verhältnis zwischen O… F… und E… F… wird auf Seite 106 des Verletzungsmusters (Anlage HL 11) thematisiert; die Perspektive Anne Franks wird auch hierbei nicht verlassen. Vielmehr wird ihr entwickeltes Bild „… nicht mit der Liebe einer Ehe, die ich mir vorstelle“ übernommen.

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Gleiches gilt für die weiteren von Anne Frank behandelten Verhältnisse, nämlich insbesondere zu O… F…, P… v… P… und F… P….. Hieran zeigt sich, dass in dem Verletzungsmuster deutlich Anne Franks „Wie“ der Darstellung übernommen wurde. Es werden gerade nicht nur historische Ereignisse übernommen, sondern es wird umfänglich der Darstellungsweise und der Gewichtung des Tagebuches gefolgt.

(c) Daneben enthält das Verletzungsmuster Stilelemente, die auch von Anne Frank bei der Beschreibung der jeweiligen Situation gewählt worden sind. In ihrem Tagebucheintrag vom 8. Juli 1942 etwa beschreibt sie, wie sie erfuhr, dass die Familie Frank in ein Versteck umziehen muss. Dabei verwendet sie rhetorische Fragen, um die Spannung zu erhöhen (vgl. S. 33, P…-Übersetzung). Eben dieses Mittel (die konkreten rhetorischen Fragen) verwendet auch das Verletzungsmuster bei der Darstellung dieser Situation (S. 75, Anlage HL 11).

(d) Insgesamt orientieren sich die Kapitel 6 bis 8 sehr stark an den von Anne Frank ausgewählten Themen. Der Kläger hat hierzu in seinem Schriftsatz vom 13.02.2012 (S. 17 ff.) umfangreich dargelegt, welche Textabschnitte aus dem Tagebuch durch welche Bilder und Textübernahmen in das Verletzungsmuster übernommen wurden. Dies ergibt sich auch aus dem Plotvergleich in Anlage K 5, aus den Gegenüberstellungen in den Anlagen K 4 und K 26 und dem Vergleich mit dem Verletzungsmuster Anlage HL 11. Dabei ist nochmals zu betonen, dass es in diesem Zusammenhang nicht um die Information als solche geht, sondern um die Auswahl und Gewichtung, die Anne Frank getroffen hat.

(4) Insbesondere spiegeln sich auch Anne Franks eigene individuelle Beschreibungen von Personen und Gegebenheiten in den Bildern des Verletzungsmusters deutlich erkennbar wider.

(a) So wird etwa F… P… zumeist sehr mürrisch gezeichnet, ihr Vater O… F… fast immer freundlich und gutherzig. Dies mag mitunter auch auf historischen Fakten beruhen, findet seine Grundlage aber vor allem in den Beschreibungen und Wertungen Anne Franks in ihrem Tagebuch. Auch hier wird erkennbar, dass die Innenperspektive nicht verlassen wird. Anders als die Beklagten meinen, wird auch keine entscheidende Außenperspektive dadurch eingenommen, dass die Bilder häufig mit einleitenden Sätzen (etwa „Anne schreibt…“) versehen sind. Diese einleitenden Sätze bewerten die in den Bildern dargestellten Szenen nicht und kommentieren diese auch in keinem wesentlichen Umfang. Es gibt keinen neutraler Erzähler, der einen inneren Abstand zum Gegenstand der Erzählung hätte und für den Leser aktiv in Erscheinung tritt. Vielmehr sind die einleitenden Sätze der Werkform der grafischen Biografie geschuldet. Ohne solche einleitenden Sätze ließe sich etwa eine Chronologie nur sehr viel schwieriger erzeugen.

(b) Mitunter werden auch sehr individuelle gedankliche Bilder Anne Franks von der sprachlichen Form, in eine bildliche übersetzt. Dies ist z.B. auf Seite 108 mittig rechts des Verletzungsmusters der Fall, in dem Anne Frank den Vergleich mit einem Singvogel anstellt, dem die Flügel ausgerissen worden seien.

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Das landgerichtliche Urteil hat diese Verbildlichung zutreffend gewertet. Daneben findet sich etwa auf Seite 87 des Verletzungsmusters eine bildliche Umsetzung eines Textes von Anne Frank (S. 146, Pressler-Übersetzung) „Ich sehe uns acht im Hinterhaus, als wären wir ein Stück blauer Himmel, umringt von schwarzen, schwarzen Regenwolken. Das runde Fleckchen, auf dem wir stehen, ist noch sicher, aber die Wolken rücken immer näher, und der Ring, der uns von der nahenden Gefahr trennt, wird immer enger.“ Auch hierbei kommt es nicht auf die genaue sprachliche Umsetzung an, sondern auf das gedankliche Bild, dessen Anne Frank sich bedient.

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(c) Schließlich wird auch der Wandel von einer naiven, spontanen zu einer bewussteren, selbstreflektierenden Darstellung durch verschiedene Bildelemente nachvollzogen. So wird etwa auf Seite 108 mittig rechts des Verletzungsmusters das Vogelbild übernommen und auf Seite 109 mittig wird bildlich Anne Franks Reflexion über das Jahr 1943 gezeigt. Dies setzt sich auch im weiteren Verlauf des Verletzungsmusters fort, etwa auf Seite 116 unten links oder Seite 117 unten links.

(5) Die Beklagten weisen zwar zutreffend darauf hin, dass die „Grafische Biografie“ gegenüber dem Tagebuch insoweit einen „Perspektivwechsel“ vornimmt, als das Werk der Beklagten zumindest weitgehend die Erzählperspektive eines Dritten einnimmt und nicht der „Ich“-Erzählung des Tagebuchs folgt. Auch diese Unterschiede stehen der Abhängigkeit der dargelegten Bearbeitung nicht entgegen. Sie ergeben sich letztlich zwangsläufig aus der Übertragung von einer Werkform in die andere. Gerade bei der Transformation eines Sprachwerks in ein bebildertes Werk – wie einen Film oder eine Graphic Novel – ist eine derartige Veränderung der Erzählperspektive zumeist nicht nur naheliegend, sondern häufig auch erforderlich, um eine angemessen Darstellung erzielen und erwünschte Spannungsbögen erzeugen zu können. Dies wird hier dadurch verwirklicht, dass die „Gedankenwelt“ und die Erzählperspektive Anne Franks in weiten Teilen in Bilder umgesetzt ist, in denen Anne Frank aber unverändert auch persönlich „zu Wort kommt“. Bei einer derartigen Ausgangslage kann auch eine solche Veränderung der Erzählperspektive – die nicht im Ansatz mit einem „neutralen Erzähler“ vergleichbar ist – der im Übrigen verwirklichten rechtsverletzenden Bearbeitung nicht in relevanter Weise entgegenstehen.

ddd. Obgleich das Verletzungsmuster zeitlich früher als das Tagebuch ansetzt und auch über Anne Franks Leben berichtet, nachdem diese nicht mehr an ihrem Tagebuch schrieb, verblassen diese Züge nicht in der Gesamtkomposition des Verletzungsmusters.

(1) In diesem Zusammenhang weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass bei der Beurteilung, ob eine Rechtsverletzung vorliegt, vorhandene Gemeinsamkeiten gewichtiger sind als bestehende Unterschiede (vgl. BGH GRUR 2009, 856 Rn. 28 – Tripp-Trapp-Stuhl). Es ist deutlich erkennbar, dass die Kapitel 6 bis 8 das Tagebuch betreffen. Dies wird auch durch die häufigen Bilder verstärkt, die Anne Frank schreibend zeigen. Dem Leser ist unmittelbar bewusst, dass es sich bei den wiedergegebenen Textteilen um solche aus dem Tagebuch bzw. der P…-Übersetzung handelt. Unabhängig davon, ob diese Übernahmen als Zitate im urheberrechtlichen Sinne zu werten sind, weisen die häufig gesetzten Anführungszeichen unmissverständlich auf diese Fremdherkunft hin.

(2) Dass teilweise auch Textteile in den Sprechblasen wiedergegeben werden, ohne dass diese mit Anführungszeichen gekennzeichnet sind (vgl. S. 108 mittig rechts, Anlage HL 11 und S. 140 f., P…-Übersetzung), beseitigt diesen Eindruck insgesamt nicht. Die Verbildlichungen werden ebenso als von der Originalfassung des Tagebuches geprägt wahrgenommen. Die eingeschränkte Innenperspektive Anne Franks wird im Hauptstrang der Erzählung zu keinem Zeitpunkt verlassen. Eine erkennbare Kommentierung oder Bewertung des Gezeigten von außen findet nicht statt.

(3) Daran vermögen auch die eingefügten „Schlaglichter“ nichts zu ändern. Diese sind vielmehr deutlich als Fremdkörper innerhalb der eigentlichen Erzählung gekennzeichnet und heben sich deutlich von ihr ab. Dies verstärkt den Eindruck des Lesers, diese Erzählelemente seien von außen hinzugefügt, die Erzählung werde ansonsten aber allein aus der Innenperspektive Anne Franks wiedergegeben, nämlich so, wie sie es selbst getan hat.

eee. Wie bereits ausgeführt, ging es dem Kläger jedenfalls in Bezug auf das Originaltagebuch der Anne Frank – für die Inanspruchnahme der Rechte der Übersetzerinnen A… S… und M… P… gilt dies nicht uneingeschränkt – erkennbar um eine Gesamtbetrachtung und nicht nur um die Beanstandung der in Anlage K 26 im Einzelnen aufgeführten Textpassagen. Vor diesem Hintergrund ist etwa auch die von den Beklagten als Anlage HL 15 vorgelegte Gegenüberstellung dieser Textpassagen mit „Anderen Textquellen“ sowie „Bildquellen“ ungeeignet, eine Rechtsverletzung auszuräumen. Es steht außer Zweifel, dass eine erheblicher Zahl abweichender Bildquellen und Textquellen (z.B. Schilderungen v… M… G…, HL 35 sowie HL 45 bis HL 48 sowie anderer Personen, vgl. HL 39, bzw. das als Anlage HL 4b vorgelegte Buch „Anne Frank“ der Beklagten zu 2.) existieren, die ebenfalls historische Umstände belegen. Diese sind indes nicht geeignet die konkret rechtsverletzende Übernahme der Gefühls- und Erlebniswelt von Anne Frank, die nicht nur ihr Tagebuch prägt, sondern gerade auch in der „Grafischen Biografie“ maßgeblich ihren Niederschlag finden, zu rechtfertigen. Nicht ohne Grund haben die Beklagten insoweit selbst vorgetragen, diese weiteren Quellen seien herangezogen worden, „um Annes tatsächlichen Ausführungen so weit wie möglich auch anderweitig abzusichern oder zu ergänzen“ (Hervorhebung durch den Senat).

d. In diese Bearbeitung ist durch oder für den Kläger auch nicht wirksam eingewilligt worden. Dies ist nach § 23 UrhG aber erforderlich, damit eine abhängige Bearbeitung veröffentlicht oder verwertet werden darf.

aa. Der Einwilligungsvorbehalt bezieht sich dabei zwar lediglich auf die geschützten Teile des Originalwerks. Ungeschützte Teile dürfen dem Werk entnommen und in veränderter Form veröffentlicht und verwertet werden (BGH GRUR 1981, 267 – Dirlada; BGH GRUR 1988, 812, 814 – Ein bisschen Frieden; BGH GRUR 1994, 191, 198 – Asterix-Persiflagen). Die Kapitel 6 bis 8 sind aber – wie dargestellt – nicht nur eine Wiedergabe von gemeinfreien Geschehnissen, sondern enthalten darüber hinaus über die gesamte Strecke der Schilderung an zahlreichen unterschiedlichen Stellen und ineinander verwoben schutzfähige Elemente in einem solchen Umfang, dass die Kapitel 6 bis 8 in ihrer Gesamtheit als Bearbeitung zu werten sind. Deshalb bedurfte es einer Gesamteinwilligung des Klägers in Kenntnis der konkret beabsichtigten Ausgestaltung des Verletzungsmusters. Der Hinweis „mit nur ein paar Zitaten von Anne Frank“ war nicht geeignet, dem Kläger den erforderlichen Eindruck von dem beabsichtigten Umfang der Übernahme zu verschaffen. Auch nach dem Vortrag der Beklagten sind keine Umstände ersichtlich, die eine Einwilligung in eine so ausgestaltete Bearbeitung erkennen lassen.

bb. Der Kläger ist zwar – in streitigem Umfang – schon einige Jahre vor der Veröffentlichung des Verletzungsmusters über das Projekt „Grafische Biografie“ informiert worden (vgl. Anlagen K 18 und K 19). Aus einer derartigen Kenntnis allein lässt sich jedoch keine Einwilligung in dem erforderlichen Umfang ableiten. Denn Kenntnis bedeutet noch keine Billigung im Sinne eines rechtsgeschäftlichen Einverständnisses. Eine Pflicht zum Widerspruch oblag dem Kläger nicht. Angesichts des späteren Umfangs der Übernahme durch Verbildlichung konnten die Beklagten auch nicht im Ansatz mit einer stillschweigenden Billigung des Klägers rechnen. Denn zumindest dessen wirtschaftliche Interessen waren durch die Veröffentlichung der „Grafischen Biografie“ in der streitgegenständlichen Art erheblich tangiert. Gerade weil durchaus berechtigter Anlass zur Sorge bestand, dass zumindest Teile der potentiellen Leserschaft die „Grafische Biografie“ als Ersatz für das – und nicht als Ergänzung zu dem – Tagebuch der Anne Frank behandeln würden. Dies gilt selbst dann, wenn die Beklagten eine derartige Folge nicht beabsichtigten oder gar zu verhindern versuchten.

cc. Das Gespräch der Beklagten zu 1. und D… S… vom S. F…Verlag bezog sich nach ihrem eigenen Vortrag nur auf Textübernahmen in einem gewissen – im einzelnen streitigen – Umfang. Eine erforderliche (Gesamt)Einwilligung in die vorliegende Gestaltung der Kapitel 6 bis 8 kann auch darin nicht im Ansatz gesehen werden. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der E-Mail von R… K… vom 28.09.2010, der selbst lediglich davon spricht, dass „auch Zitate aus dem Tagebuch verwendet worden“ seien. Darum geht es vorliegend indes nicht, sondern um eine Bearbeitung i.S.v. § 23 UrhG. Daneben vermag der Senat aber auch nicht zu erkennen, dass der S. F… Verlag überhaupt die erforderlichen Rechte in Hinblick auf die holländische Originalfassung hätte einräumen können. Hierzu ist auch von den Beklagten nicht substantiiert vorgetragen worden. Der Umstand, ob es für die Beklagte zu 1. erkennbar gewesen ist, ob D…S… zu dieser Einwilligung berechtigt gewesen wäre oder nicht, ist vorliegend bedeutungslos. Der Kläger hat jedenfalls keinen ihm zurechenbaren Rechtsschein gesetzt, auf den sich die Beklagten notfalls berufen könnten. Vielmehr hat auch der S. F… Verlag in einem engen zeitlichen Zusammenhang unmissverständlich klargestellt, dass keine Einwilligung erteilt wird und dies auch zukünftig nicht geschehen werde (E-Mail v… R… O… in Anlage K 23).

e. Da es sich jedenfalls bei den Kapiteln 6 bis 8 in ihrer Gesamtheit um eine unfreie Bearbeitung des Tagebuchs der Anne Frank handelt, können die Beklagten sich zur Rechtfertigung auch nicht auf die urheberrechtliche Schranke des Zitatrechts aus § 51 UrhG berufen. Denn es geht schon im Ausgangspunkt nicht um die Zitierung einzelner Stellen des Tagebuchs der Anne Frank, sondern um dessen „Nacherzählung“ jedenfalls in wesentlichen Kernbereichen. Eine solche Art einer umfassenden Übernahme, die den Charakter einer unfreien Bearbeitung zur Folge hat, kann schon im Ausgangspunkt nicht durch die Inanspruchnahme des Zitatrechts gerechtfertigt sein. Dies bedarf nach Auffassung des Senats keiner näheren Begründung. f. Die Beklagten sind für diese Urheberrechtsverletzung gemeinsam verantwortlich.

aa. Die Beklagte zu 1. haftet unmittelbar als Täterin wegen der Vervielfältigung und Verbreitung des Verletzungsmusters.

bb. Die Beklagte zu 2. haftet jedenfalls als Teilnehmerin.

aaa. Sie hat die Erstellung des Verletzungsmusters in Auftrag gegeben und ist unstreitig Mitinitiatorin des Projekts (Anlage K 32). Im Verletzungsmuster selbst wird darauf hingewiesen, dass das Verletzungsmuster in enger Zusammenarbeit mit der Beklagten zu 2. entstanden ist (vgl. Impressum, Anlage HL 11). Auch nach dem Vortrag der Beklagten hat die Beklagte zu 2. jedenfalls die Verwertungsrechte am Verletzungsmuster koordiniert und der Beklagten zu 1. durch das Memorandum of Agreement vom 29.10.2009 (Anlage HL 10) alle zur Publikation erforderlichen Rechte einräumen wollen. Ohne diese Rechteinräumung hätte keine Veröffentlichung stattfinden können. Darüber hinaus hat sich die Beklagte zu 1. in diesem Memorandum of Agreement unter Ziffer 3. dazu verpflichtet, das Verletzungsmuster zu publizieren.

bbb. Die Beklagte zu 1. ist dementsprechend durch die Beklagte zu 2. nicht nur unwesentlich unterstützt worden. Vielmehr hat die Beklagte zu 2. gegen die Beklagte zu 1. – soweit der Lizenzvertrag bestehen bleibt – sogar einen Anspruch darauf, dass diese das Verletzungsmuster veröffentlicht. Letztlich ist sie auch selbst an den Einnahmen aus der Verwertung des Verletzungsmusters fortlaufend wirtschaftlich beteiligt. Dies ergibt sich aus Ziffer 7. des Memorandum of Agreement.

g. Es bestand bis zum 31.12.2015 auch die in § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG vorausgesetzte Wiederholungsgefahr. Diese wird bereits durch die erfolgte Rechtsverletzung indiziert. Unabhängig davon haben die Beklagten stets ihre Absicht betont, die „Grafische Biografie“ weiter auf den Markt zu bringen. Der vorgerichtlichen Abmahnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 27.01.2011 (Anlage K 6) waren die Beklagten-Vertreter mit Schriftsatz vom 11.02.2011 ausdrücklich entgegen getreten (Anlage K 7). Auch im Anschluss an das landgerichtliche Urteil haben sich die Beklagten im Rahmen der Vergleichsgespräche der Parteien nicht im Ansatz zu einer vollständigen Abstandnahme, sondern allenfalls dazu verstehen können, die von dem Landgericht konkret beanstandeten Passagen zu entfernen.

3. Dieser Unterlassungsanspruch des Klägers bestand nach allgemeinen Grundsätzen ohne weiteres für Nutzungs- bzw. Verwertungshandlungen, die in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen worden sind. Ebenso zweifelsfrei sind Rechtshandlung, die im Ausland – in der Republik Österreich und/oder in der Schweiz – unmittelbar vorgenommen worden sind, nach den gestellten Klageanträgen nicht mehr Gegenstand dieses Rechtsstreits. Soweit der Kläger unverändert beantragt, den Beklagten auch Rechtshandlungen „von der Bundesrepublik Deutschland aus ins Ausland“ zu untersagen, steht ihm ein derartiger Anspruch zu, solange und soweit diese Rechtshandlungen (z.B. ein Angebot oder ein Versand) selbst unmittelbar auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen werden. Denn damit unterfallen derartige Rechtshandlungen nach dem Schutzlandprinzip dem deutschen Urheberrechtsgesetz. Der Versand von Werkexemplaren ins Ausland ist als urheberrechtsverletzendes Inverkehrbringen im Inland anzusehen. Dies hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Tonträgerpiraterie durch CD-Export“ (BGH GRUR 2004 421, 424 – Tonträgerpiraterie durch CD-Export), auf die im Übrigen Bezug genommen wird, zutreffend festgestellt. Ein rechtsverletzendes Angebot im Inland liegt selbst dann vor, wenn im Inland zum Erwerb im Ausland aufgefordert wird und der im Auslandsstaat stattfindende Veräußerungsvorgang dort kein Urheberrecht verletzt (BGH GRUR 2007, 871, 873 Rn. 26, 28 ff – Wagenfeld-Leuchte). Auf derartige inländische Handlungen – und nur hierauf – bezieht sich die von dem Senat tenorierte Verurteilung für die Vergangenheit. Alle sonstigen Rechtshandlungen mit Auslandsbezug sind davon hingegen nicht umfasst.

VI. Dieses zulässige und begründete Unterlassungsbegehren des Klägers besteht indes seit dem 01.01.2016 nicht mehr für nach diesem Zeitpunkt begangene Rechtsverletzungen. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass das von dem Kläger wahrgenommene Urheberrecht an dem Originaltagebuch mit Ablauf des 31.12.2015 gemäß § 64 UrhG erloschen ist. Dementsprechend ist der von dem Kläger erhobene Antrag auf Feststellung der Erledigung für die Zukunft gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig und inhaltlich ebenfalls begründet.

VII. Weitergehende Unterlassungsansprüche von Textübernahmen in ihrer Gesamtheit, die der Kläger auf ihm zustehenden Nutzungsrechte an den deutschen Übersetzungen des Tagebuchs der Anne Frank durch A… S… einerseits und M… P… andererseits stützt, stehen dem Kläger gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG nach dem insoweit gestellten Hauptantrag zu Ziff. 1.b. gegen die Beklagten hingegen nicht zu.

1. Die Inanspruchnahme der Beklagten aus den von ihm wahrgenommenen Rechten an den deutschen Textübersetzungen war Gegenstand des von dem Kläger im Berufungsrechtszug mit Schriftsatz vom 21.12.2015 angekündigten Antrags zu Ziff. 1.b. („in der deutschen Übersetzung dieser Kapitel“). Insoweit hat der Kläger in der Senatsverhandlung am 20.01.2016 eine veränderte Antragstellung vorgenommen. Er stellt nunmehr diesen Antrag – mit einer weiteren, hier nicht relevanten Modifikation – nur noch hilfsweise. Hauptweise stellt der Kläger einen entsprechenden Antrag, jedoch ohne den dem obigen Zitat nachfolgenden Satzteil „wie sie in Anlage K 26 im Einzelnen aufgelistet ist“.

2. Die Erhebung eines neuen Hauptantrages im Berufungsrechtszug stellt sich auch dann als Klageänderung im Sinne von § 533 ZPO dar, wenn dieser neue Hauptantrag aus einem bereits zuvor gestellten Hilfsantrag hervorgegangen ist. Denn damit wird ein neuer Streitgegenstand in den Rechtsstreit eingeführt. Diese von dem Kläger vorgenommen Klageänderung ist indes unzulässig. Die Beklagten haben ihre Einwilligung hierzu nicht erteilt (Nr. 1). Die Entscheidung kann allenfalls zum Teil, in erheblichem Umfang jedoch nicht auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zu Grunde zu legen hat (Nr. 2). Da dem neuen Hauptantrag zudem die erforderliche Bestimmtheit i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO fehlt, ist die darin liegende Klageänderung auch nicht sachdienlich (Nr. 1).

a. Mit dem ursprünglichen Hauptantrag zu Ziff. 1.b. – nunmehr Hilfsantrag zu Ziff. 1.b. – hatte der Kläger eine rechtsverletzende Übernahme der deutschen Übersetzung des Tagebuchs der Anne Frank in der deutschen Fassung der Kapitel 6 bis 8 der „Grafischen Biografie“ ausdrücklich nur insoweit angegriffen, „wie sie in Anlage K 26 im Einzelnen aufgelistet ist“. Die von dem Kläger als Anlage K 26 vorgelegte tabellarische Übersicht enthält eine chronologisch sortierte Gegenüberstellung von 89 bzw. 90 konkreten Textzitaten des Tagebuchs der Anne Frank einerseits und der „Grafischen Biografie“ andererseits (einer Zitatstelle fehlt die konkrete Zuordnung). Nach dem eindeutigen Wortlaut dieses Antrags hatte der Kläger damit ausschließlich die rechtsverletzende Übernahme dieser konkreten Textpassagen beanstandet. Diese Beanstandung ist darüber hinaus ausschließlich und ausdrücklich nur auf der Grundlage der (späteren) Übersetzung von M… P… erfolgt. In der ersten Zelle der Tabelle findet sich bei dem Wort „Tagebuch“ ein Sternchenhinweis, der auf Seite 17 der Anlage K 26 wie folgt aufgelöst wird: „Sämtliche Seitenangaben beziehen sich auf die Taschenbuchausgabe von „Anne Frank, Tagebuch“ erschienen im F… Taschenbuch Verlag Frankfurt a.M., 13. Auflage 2008“. Dies ist die als Anlagen K 1 (und in Buchform) vorgelegte Übersetzung von M… P…. Dementsprechend war Gegenstand des ursprünglichen Hauptantrags nicht eine rechtsverletzende Übernahme sonstiger Bestandteile der „Grafischen Biografie“, die nicht ausdrücklich in der Anlage K 26 aufgeführt waren. Ebenfalls war Gegenstand des ursprünglichen Hauptantrags nicht die frühere Übersetzung von A… S…. Denn insoweit enthält die Anlage K 26 keinerlei Hinweise auf die von dieser Übersetzerin gewählte Sprachfassung, die bei einer Inanspruchnahme der Urheberrechte eines Übersetzers für die Beurteilung einer Rechtsverletzung jedoch unverzichtbar ist. Damit hatte der ursprüngliche Hauptantrag einen klar umrissenen, eingegrenzten Inhalt. Die Behauptung des Klägers, er habe die in der Anlage K 26 aufgeführten Textstellen lediglich „beispielhaft“ erwähnt, findet in der konkreten Antragsfassung der zweiten Instanz keine Entsprechung. Ein derartiges Begehren wäre ersichtlich auch in zivilprozessualer Hinsicht nicht ausreichend bestimmt.

b. Diesen klar umrissenen Inhalt enthält der neue Hauptantrag des Klägers indes nicht mehr. Indem der Kläger den Verweis auf die Anlage K 26 fallen gelassen hat, fehlt jede Bezugnahme zu dem von dem Kläger beanstandeten Verletzungsgegenstand. Nach dem Wortlaut des neuen Hauptantrag wird nicht mehr die Übernahme einzelner konkret übersetzter Textpassagen, sondern letztlich eine Übernahme der gesamten deutschsprachigen Übersetzung des Tagebuchs der Anne Frank angegriffen. Darüber hinaus fehlt zudem jeder Hinweis auf die in Bezug genommene Art der Übersetzung. Während die Anlage K 26 die Beanstandung auf die Übersetzung von M… P… konkretisierte, ist dieser Verweis in dem neuen Hauptantrag entfallen. Damit erfasst der neue Hauptantrag sowohl die Übersetzung von M… P… als auch diejenige von A… S…. Dies ist auch nicht eine unbeabsichtigte Folge der Antragsumstellung, sondern nach den Ausführungen des Kläger-Vertreters in der Senatsverhandlung ausdrücklich beabsichtigt.

c. Die Zulassung eines derartigen Hauptantrages im Berufungsrechtszug kann in Bezug auf die Übersetzung von A… S… schon deshalb nicht erfolgreich sein, weil insoweit nicht im Sinne von §§ 533 Nr. 2, 529 ZPO auf Tatsachen zurückgegriffen werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung ohne hin zu Grunde zu legen hat.

aa. Allerdings hat sich der Kläger stets auch darauf berufen, die Urheberrechte der Übersetzerin A… S… wahrnehmen zu können und dies auch zu wollen. Die Frage, ob der Kläger insoweit die erforderliche Rechtsinhaberschaft dargelegt hat (vgl. Anlagen K 11 und K 12 sowie Anlagen K 27 und K 29), bedarf an dieser Stelle jedoch keiner näheren Erörterung.

bb. Denn der Kläger hat sich selbst zu keinem Zeitpunkt ausreichend substantiiert gerade mit der Übersetzung von A… S… im Einzelnen auseinandergesetzt. Er hat seine Beanstandungen vielmehr stets maßgeblich auf die Übersetzung von M… P… gestützt. aaa. Die Textfassung der Übersetzung von A… S… ist dementsprechend auch nicht etwa von dem Kläger, sondern von den Beklagten als Anlage HL 19 zur Akte gereicht worden. Die Beklagten haben in ihrer Anlage HL 18, die sie der klägerischen Anlage K 26 entgegenhalten, der Tagebuchübersetzung M… P… zu jeder einzelnen Textstelle die Tagebuchübersetzung von A… S… gegenübergestellt.

bbb. Demgegenüber hat sich der Kläger weder insgesamt noch in einer der Anlage K 26 entsprechenden Form mit der früheren Übersetzung von A… S… auseinandergesetzt. Insbesondere hat er nicht dargelegt, welche Textpassagen dieser früheren Übersetzung in rechtsverletzender Weise konkret in die „Grafische Biografie“ übernommen worden sein sollen.

ccc. Vor diesem Hintergrund fehlt es in dem Sachvortrag des Klägers an der maßgeblichen Beurteilungsgrundlage, die erforderlich wäre, um im Rahmen des neuen Hauptantrags zu Ziff. 1.b. auch nur im Ansatz feststellen zu können, ob in Bezug auf die Übersetzung von A… S… eine Verletzung der Übersetzer-Urheberrechte durch die „Grafische Biografie“ stattgefunden hat.

ddd. Die von dem Kläger-Vertreter im Prozessverlauf geäußerte Bitte um die Erteilung eines gerichtlichen Hinweises für den Fall, dass der Senat Zweifel an der Schutzfähigkeit der Übersetzung von M… P… im Hinblick auf die frühere Übersetzung von A… S… hegt, betraf ersichtlich nicht die hier erörterte Sachverhaltsgestaltung. Denn dazu bedurfte es nicht des Vergleichs mit der späteren Übersetzung, sondern zunächst der Darlegung, aus welchen Gründen die Kapitel 6 bis 8 der „Grafischen Biografie“ als solche Rechte an der früheren Übersetzung verletzen. Hierzu hat der Kläger keinerlei substantiierte Angaben gemacht und diese ersichtlich auch nicht machen wollen, weil er sich im bisherigen Prozessverlauf letztlich ausschließlich auf die Übersetzung von M… P… konzentriert hat. Zu der von ihm angefragten Situation war ein gerichtlicher Hinweis indes nicht erforderlich, weil die Beklagten in dem von dem Kläger substantiiert vorgetragenen Umfang ihrerseits beide Übersetzungen von A… S… und M… P… in der Anlage HL 18 gegenübergestellt hatten, so dass dem Senat insoweit eine ausreichende Beurteilungsgrundlage eröffnet war. Ein Hinweis des Senats gem. § 139 Abs. 2 ZPO dahingehend, dass die bei Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte Umformulierung von Haupt- und Hilfsantrag umfassenden ergänzenden Vortrag zu Übersetzung von A… S… erforderlich machen würde, war hingegen nicht mehr veranlasst. Denn aus § 533 Nr. 2 ZPO ergibt sich, dass in einem derartigen Fall die Klageänderung von vornherein nicht zulässig sein konnte.

cc. Es fehlt damit insoweit an der gem. § 533 Nr. 2 ZPO erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung einer Klageänderung in der Berufungsinstanz. Vor diesem Hintergrund kann angesichts der nicht erteilten Zustimmung der Beklagten die erstmalige Verfolgung eines derart formulierten Klageantrags in zweiter Instanz auch nicht sachdienlich im Sinne von § 533 Nr. 1 ZPO sein.

d. Für die Frage der Zulassung eines derartigen Hauptantrages im Berufungsrechtszug in Bezug auf die Gesamtübersetzung von M… P… – unabhängig von den in der Anlage K 26 konkret gegenübergestellten Textstellen – gilt entsprechendes. Auch insoweit fehlt es in dem bisherigen Sachvortrag des Klägers an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der gesamten Übersetzung von M… P… des gesamten Tagebuchs der Anne Frank, ohne Beschränkung auf einzelne Textstellen. Durch die Umstellung des bisherigen Hauptantrags zum Hilfsantrag und die Formulierung eines neuen Hauptantrags hat die Beschränkung auf die in der Anlage K 26 genannten Textstellen nach dem Willen des Kläger-Vertreters gerade entfallen sollen. Diese Antragsumstellung kann sich indes nicht auf den insoweit erforderlichen Sachvortrag stützen. Zwar hatte sich der Kläger in anderem Zusammenhang – insbesondere auf Seite 17 ff. seines Schriftsatzes vom 13.02.2012 – umfassend mit einem „Bild-Text“-Vergleich befasst. Der neue Hauptantrag bezieht sich nach seinem Wortlaut aber ausdrücklich auf eine „Übersetzung“. Hiermit ist die rechtsverletzende Übernahme von Texten gemeint, an denen die Übersetzerin M… P… allein Urheberrechte geltend machen kann, da ihr Urheberrechte an dem inhaltlichen Geschehen nicht zustehen. Die Transformation in eine Bildsprache im Rahmen der „Grafischen Biografie“ ist davon nicht – zumindest nicht ausreichend eindeutig – erfasst. Es kann deshalb auch in Bezug auf die Übersetzung von M… P… im Ganzen nicht gem. §§ 533 Nr. 2, 529 ZPO auf Tatsachen zurückgegriffen werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung ohne hin zu Grunde zu legen hat.

3. Selbst wenn man die Zulässigkeit einer derartigen Klageänderung im Berufungsrechtszug anders als der Senat beurteilen wollte, könnte der Kläger aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG jedoch zumindest materiell-rechtlich aus seiner Rechtsposition an der Übersetzung von M… P… nicht die Unterlassung in dem mit dem neuen Hauptantrag verlangten umfassenden Umfang als rechtsverletzend beanspruchen.

a. Der Kläger ist allerdings hinsichtlich der P…-Übersetzung aktivlegitimiert.

aa. Auch der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrecht ist hinsichtlich verletzter Nutzungsrechte aktivlegitimiert (Dreier/Schulze/Specht, UrhG, 5. Aufl., § 97 Rn. 19). Die als Zeugin benannte Übersetzerin M… P… hat dem Kläger ausweislich der Anlage K 10 alle bei ihr liegenden Nutzungsrechte ausschließlich einräumen wollen. Dieses Dokument enthält unter Ziffer 7. und 8. Lizenzvereinbarungen, die auf eine umfassende Rechteinräumung gerichtet sind. Dass die zu übertragenden Nutzungsrechte dabei nicht im Einzelnen bezeichnen worden sind, ist im vorliegenden Fall unschädlich. Die umfangreiche Rechteeinräumung lässt sich auch unter Berücksichtigung der im Urheberrecht geltenden Zweckübertragungslehre aus dem Vertragszweck herleiten, der von den Parteien erkennbar verfolgt worden ist. Aus Ziffern 7. und 8. der Anlage K 10 ergibt sich, dass es dem Kläger darauf ankam, alle Rechte zu erwerben, die für die Veröffentlichung durch Verlage erforderlich sind. Dies umfasst auch ein eventuelles Bearbeitungsrecht dieses Textes, welches vorliegend verletzt worden sein könnte.

bb. Der Kläger wiederum hat dem S. F… Verlag mit Lizenzvertrag vom 28.09.1990 das alleinige und ausschließliche Recht eingeräumt, die Übersetzung zu drucken und zu veröffentlichen (Anlage K 28). Damit ist auch das Vervielfältigungsrecht übertragen worden, das vorliegend durch die Textübernahmen nach Auffassung des Klägers verletzt worden ist. Mit Schreiben vom 03.11.2011 (Anlage K 29) hat der S. F… Verlag dem Kläger aber nicht nur die Prozessführungsbefugnis eingeräumt, sondern den Kläger zudem als gewillkürten Prozessstandschafter eingesetzt. Ein Unterlassungsanspruch kann auch in gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemacht werden (vgl. etwa BGH GRUR 2002, 248, 250 – SPIEGEL-CD-ROM; Dreier/Schulze/Specht, UrhG, 5. Aufl., § 97 Rn. 21). In dem Schreiben heißt es u.a.:

„Sofern sich aus letzterem irgendwelche Rechte ableiten lassen, die betreffend der Übersetzung P… bei der S. F… Verlag GmbH liegen könnten, überträgt die S. F… Verlag GmbH hiermit treuhänderisch und unwiderruflich dem Anne Frank Fonds/Basel das Recht, diese Rechte gerichtlich und außergerichtlich wahrzunehmen und zu vertreten.“

Damit ist dem Kläger zum einen die Prozessführungsbefugnis eingeräumt worden („zu vertreten“). Zum anderen ist er als gewillkürter Prozessstandschafter eingesetzt worden („wahrzunehmen“). Dem Kläger steht auch das hierfür nötige eigene schutzwürdige Interesse an der Rechtsverfolgung zur Seite (vgl. Schack, UrhR, 6. Aufl., Rn. 820). Der Kläger ist über Lizenzeinnahmen wirtschaftlich an der Vermarktung der P…-Übersetzung im S. F…-Verlag beteiligt. Daneben hat er auch ein ideelles Interesse daran, dass die Rechte an der in Bundesrepublik Deutschland vertriebenen Übersetzung des Tagebuchs der Anne Frank nicht verletzt werden. Denn es ist das Anliegen des Klägers, das Andenken an Anne Frank und ihr Tagebuch weltweit zu wahren. Dieses Interesse besteht unabhängig davon, ob das Verletzungsmuster letztlich als Ersatz für das Tagebuch und damit auch der P…-Übersetzung dienen soll oder nicht.

b. Auch die Übersetzung von M… P… ist ein urheberrechtlich geschütztes Sprachwerk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 S. 1 UrhG. Die P…-Übersetzung in ihrer Gesamtheit ist sprachlich hinreichend individuell geprägt. Der Kläger weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass im Rahmen einer Übersetzung häufig zwischen mehreren möglichen Übersetzungsalternativen gewählt werden muss. Aus dem holländischen Originaltext folgt deshalb keine allein einzig denkbare und deshalb vorgegebene Übersetzung. Vielmehr ist der konkrete Übersetzungstext das Ergebnis einer individuellen Interpretation des Übersetzers und damit hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung eine eigene schöpferische Leistung. Es ist von den Parteien nicht konkret vorgetragen und für den Senat auch im Übrigen nicht ersichtlich, dass sich die Übersetzung von M… P… einerseits und diejenige von A… S… andererseits in ihrer jeweiligen Gesamtheit so ähnlich sind, dass der späteren P…-Übersetzung in weiten Teilen der urheberrechtliche Schutz an der konkreten sprachlichen Gestaltung versagt bleiben müsste. Dagegen sprechen auch schon die objektiven Umstände. Entsprechend der vertraglichen Vereinbarungen (Ziff. 1 der Anlage K 10) sollte M… P… gegenüber der bestehenden Übersetzung von A… S… gerade eine „neue populäre Fassung“ schaffen. Auch in Bezug auf die inhaltliche Vorlage weichen beide Übersetzungen nicht unerheblich voneinander ab. Während die Übersetzung von A… S… auf der erst nachträglich geschaffenen Version c beruht (Anlage K 38, S. 205), war es die vertragliche Vorgabe für die Übersetzung von M… P…, ausschließlich die Version a und Version b zu verwenden. Schon aus diesen Gründen sind nicht unerhebliche sprachliche Abweichungen vorgegeben, die wiederum dem späteren Übersetzer einen ausreichenden Spielraum für eine eigenschöpferische Gestaltung ermöglichen.

c. Die Kapitel 6 bis 8 der Grafischen Biografie verstoßen jedoch nicht in ihrer Gesamtheit gegen das Urheberrecht an der P…-Übersetzung. Ein derart weitgehender Unterlassungsanspruch steht dem Kläger nicht zu.

aa. Der urheberrechtliche Schutz an einer Übersetzung erstreckt sich lediglich auf die konkrete sprachliche Gestaltung. Nur sie beruht auf einer eigenen schöpferischen Leistung des Übersetzers und an dieser individuellen Prägung erlangt er sein Urheberrecht. Weil immer noch wesentliche Teile des ursprünglichen Sprachwerke (etwa Handlungsfaden, Fabel, inhaltliche Auswahl) Teil der Übersetzung sind, handelt es sich auch um eine abhängige Bearbeitung i.S.d. § 23 UrhG. Allgemein ausgedrückt erlangt der neue Werkschöpfer immer nur an denjenigen Elementen ein Urheberrecht, die von ihm der Gesamtkomposition hinzugefügt wurden oder die er ausgetauscht hat (vgl. Dreier/Schulze, UrhR, 5. Aufl., § 3 Rn. 50). Daraus folgt auch, dass gemeinfreie Quellen immer frei bleiben (BGHZ 44, 288, 293 – Apfelmadonna; BGH GRUR 1991, 533 – Brown Girl II; BGH GRUR 1982, 37, 39 f. – WK-Dokumentation; OLG Hamburg, ZUM-RD 1997, 217, 221 – Troades; LG Frankfurt a. M., UFITA 22 (1956) 372, 375 – Schwedenmädel; Dreier/Schulze, UrhR, 5. Aufl., § 24 Rn. 4). Dasselbe gilt für gemeinfrei gewordene Elemente nach Ablauf des Urheberrechts. Andernfalls könnte ein einmal entstandener Urheberschutz an einem Sprachwerk vollumfänglich perpetuiert werden, indem jeweils eine neue Übersetzung geschaffen wird. Insoweit kommt ein auf Übersetzer-Urheberrechte gestützter Unterlassungsanspruch, bezogen auf die Übernahme des Handlungsfadens, der Erzählstruktur oder sonstigen schutzfähigen Elementen der Originalfassung nicht in Betracht.

bb. In die Kapitel 6 bis 8 des Verletzungsmusters sind zwar – unstreitig – Textstellen aus der P…-Übersetzung übernommen worden. Ein Unterlassungsanspruch gestützt auf die sprachliche Gestaltung der Übersetzung kann sich allerdings nur auf diese Textübernahmen erstrecken und sich nicht auf die Kapitel 6 bis 8 in ihrer Gesamtheit beziehen. Hierauf wird im Folgenden noch näher einzugehen sein. Denn neben diesen Textübernahmen bestehen die Kapitel auch aus Bildelementen. Die konkrete sprachliche Gestaltung geht bei der Überführung in die Werkform „Bild“ zwangsläufig verloren. Selbst wenn der geschützte Text in ein Bild übersetzt wurde, reicht ein Recht an der sprachlichen Gestaltung nicht aus, um das Bild verbieten zu können, weil sich im Bild nicht die sprachliche Gestalt wiederfindet, sondern der Inhalt des Textes. An diesem hat der Übersetzer – wie dargestellt – gerade kein Urheberrecht.

cc. Ebenso wenig ergibt sich aus dem Urheberrecht an der P…-Übersetzung ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich aller konkret beanstandeten Textübernahmen in den Kapiteln 6 – 8 des Verletzungsmusters. Denn auch diese Textübernahmen sind auch in ihrer Summe keine Vervielfältigung oder Bearbeitung der P…-Übersetzung („Summenwirkung“).

aaa. Auch mehrere einzelne Textübernahmen können in ihrer Summe zwar eine Urheberrechtsverletzung an einem ursprünglich umfangreicheren Sprachwerk sein. Dies gilt selbst dann, wenn die Übernahmen sich im Einzelnen auf für sich alleine nicht schutzfähige Textpassagen beziehen (BGH, GRUR 2011, 134 Rn. 37 – Perlentaucher).

bbb. Diese grundsätzliche Möglichkeit verhilft dem Kläger vorliegend jedoch auch nach Maßgabe des abgewandelten Hauptantrages nicht zum Erfolg. Denn entscheidend ist, ob im Einzelfall die Übernahmen quantitativ zumindest einen schutzfähigen Teil des übernommenen Sprachwerkes ausmachen und qualitativ keine so umfangreichen Änderungen enthalten, dass sie insgesamt nicht einmal mehr eine abhängige Bearbeitung des Ursprungstextes i.S.d. § 23 UrhG sind und die übernommenen Textpassagen in der Gesamtkomposition des neuen Werkes auch nicht verblassen (es gelten die allgemeinen Grundsätze, vgl. BGHZ 122, 53, 60 – Alcolix; BGH, GRUR 2004, 855, 857 – Hundefigur). Obgleich aus der von dem Kläger vorgelegten Anlage K 26 ersichtlich ist, dass insgesamt 90 Textstellen (davon 82 in den Kapiteln 6 bis 8, die sich von S. 70 bis 119 erstrecken) aus der Übersetzung von M… P… in das Verletzungsmuster identisch oder weitgehend identisch übernommen worden sind, stellen auch diese Textstellen in ihrer Gesamtheit – ihre Übernahme in der von dem Kläger dargelegten Weise zu seinen Gunsten unterstellt – keine Bearbeitung i.S.d. § 23 UrhG oder gar eine Vervielfältigung i.S.d. § 16 UrhG der P…Übersetzung als solcher mit der Folge dar, dass damit die Kapitel 6 bis 8 insgesamt das Übersetzerurheberrecht verletzten.

(1) Eine Vervielfältigung scheidet aus, weil die Textübernahmen auch in ihrer Summe jedenfalls keine identische oder fast identische Vervielfältigung der gesamten P…-Übersetzung oder eines einzelnen Teils sind. Darüber hinaus ergibt sich aus der Gegenüberstellung etwa in den Anlagen K 26 oder HL 18, dass die Textstellen regelmäßig zumindest leicht verändert wurden, so dass in der Summe ein abgewandelter Text entsteht. Deshalb käme allenfalls eine Bearbeitung in Betracht.

(2) Die Textübernahmen sind in ihrer Summe jedoch ebenso wenig als Bearbeitung der P…-Übersetzung in ihrer Gesamtheit zu werten.

(a) Die einzelnen übernommenen Textstellen stammen nicht aus einem eng begrenzten Textbereich innerhalb der P…-Übersetzung, sondern ihre Herkunft verteilt sich über das gesamte Tagebuch. Als bearbeitetes Ausgangswerk ist deshalb auf die gesamte P…-Übersetzung abzustellen und nicht etwa nur auf einen Teilabschnitt.

(b) Aus der P…-Übersetzung als Ganzes ist quantitativ nur ein geringer Teil der sprachlichen Gestaltung in das Verletzungsmuster übernommen worden. Schon daraus folgt, dass sich auch nur ein geringer Teil der individuellen sprachlichen Gesamtprägung in dem Verletzungsmuster wiederfindet. Weil es sich bei den Übernahmen weitgehend nur um einzelne Sätze oder gar nur Satzteile handelt, werden – bezogen auf die einzelne Textstelle – von vornherein auch nur verhältnismäßig gering individuell geprägte sprachliche Gestaltungen in das Verletzungsmuster aufgenommen. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass innerhalb der übernommenen Sätze nicht etwa jedes Wort eine individuelle Prägung der Übersetzerin aufweisen könnte, sondern nur die Wendungen, die überhaupt einer Interpretation zugänglich sind. Letztlich werden damit lediglich Sätze übernommen, die zumeist keine bis nur eine geringe individuelle Prägung aufweisen. Dies wird im Folgenden bei der Betrachtung der einzelnen Textstellen noch näher auszuführen sein. Dieser Umstand beeinflusst zwangsläufig auch das Ausmaß derjenigen individuellen Züge, die aus der P…-Übersetzung in das Verletzungsmuster übernommen worden sind und als Grundlage für die Bewertung dienen müssen, ob eine abhängige Bearbeitung vorliegt. Je weniger individuell die Übernahme ist, desto schneller verblasst sie letztlich auch in der neuen Gesamtkomposition.

(c) Auch qualitativ besteht ein erheblicher Abstand zwischen der P…-Übersetzung und den in das Verletzungsmuster übernommenen Textpassagen bei der von dem Kläger angemahnten „Summenbetrachtung“. Die übernommenen Textpassagen sind teilweise in einer anderen Reihenfolge angeordnet, als sie in der P…-Übersetzung vorkommen. Diese Abweichung wirkt sich zwar nicht entscheidend auf den Handlungsfaden aus. Bezogen auf den Vergleich der sprachlichen Gestaltungen, die insgesamt nur eine geringe individuelle Prägung aufweisen, fällt sie allerdings ins Gewicht.

(d) Der Abstand der beiden Werke ergibt sich jedoch entscheidend daraus, dass die aus der Übersetzung von M… P… übernommenen Textstellen (auch) in der Summe ohne die Bebilderung des Verletzungsmusters mehr oder minder unverständlich bleiben. Die einzelnen Textübernahmen haben teilweise keinerlei Bezug zueinander. Sie bleiben damit sind ohne die ergänzende bildliche Darstellung letztlich nichts anderes als „Sprachfetzen“. Darüber hinaus werden die übernommenen Textstellen häufig durch weitere Satzteile oder Sätze eingeleitet. Beides führt dazu, dass die individuelle sprachliche Gestaltung erheblich gebrochen wird und im Vergleich zur P…Übersetzung der sich aus der Summenwirkung ergebende Text sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht einen großen Abstand zum Ausgangswerk hat.

(3) Schließlich ergibt sich aus dem Umstand, dass für das Verständnis der übernommenen Textstellen die ergänzende Bebilderung erforderlich ist, auch, dass die individuelle sprachliche Gestaltung in der Gesamtkomposition des Verletzungsmusters verblasst. Dies gilt zwar nicht notwendigerweise bezogen auf jede einzelne Textübernahme. Anders verhält es sich jedoch in Hinblick auf den sich ergebenden und beanstandeten Gesamttext, der sich aus der Summenwirkung ergibt. Ein individuell sprachlich geprägter Gesamttext ist wegen der vielen Brüche und der für das Verständnis notwendigen, ergänzenden Betrachtung der Bebilderung für den Leser nicht erkennbar. Dies gilt schon für den sich ergebenden Text in dem Verletzungsmuster allein und erst Recht im Vergleich zu der P…-Übersetzung in ihrer Gesamtheit. Deren individuelle Prägung ist für den Leser im Verletzungsmuster nicht erkennbar.

ccc. Im Ergebnis könnte der Kläger deshalb auch materiell-rechtlich mit seinem Hauptantrag zu Ziff. 1.b. selbst unter dem Gesichtspunkt der „Summenwirkung“ einer rechtsverletzenden Übernahme nicht erfolgreich sein, soweit er – ohne Beschränkung auf einzelne Textstellen – ein Verbot des gesamten Abschnitts der Kapitel 6 bis 8 der „Grafischen Biografie“ aus einem Übersetzerurheberrecht begehrt.

VI. Weitergehende Unterlassungsansprüche einzelner Textübernahmen, die der Kläger auf ihm zustehenden Nutzungsrechte an der deutschen Übersetzung des Tagebuchs der Anne Frank durch M… P… stützt, stehen dem Kläger gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG i.V.m. §§ 16, 17, 23 UrhG gegen die Beklagten auch nicht nach dem insoweit gestellten Hilfsantrag zu Ziff. 1.b. zu.

1. Der Senat versteht das Begehren des Klägers in diesem Zusammenhang so, dass der Kläger, wenn schon nicht ein Gesamtverbot der Kapitel 6 bis 8 der „Grafischen Biografie“ begründet ist, hilfsweise den Beklagten jedoch zumindest die Verwendung derjenigen Textstellen verboten sein soll, die in der Anlage K 26 im Einzelnen aufgeführt worden sind. Die Anlage K 26 enthält insgesamt 90 Textstellen. Hiervon liegen 8 Textstellen (laufende Nrn. 1 – 4 und 87 – 90) außerhalb des durch die Seiten 70 – 119 eingegrenzten Bereichs der Kapitel 6 bis 8. Diese 8 Textstellen können dementsprechend schon von vornherein nicht für eine Rechtsverletzung in Betracht kommen, da sich der Antragswortlaut nur auf die drei genannten Kapitel bezieht. Gegenstand der Betrachtung sind mithin lediglich die verbleibenden 82 Textstellen der laufenden Nrn. 5 – 86 der Anlage K 26. Auch diese 82 Textstellen verwirklichen indes keine Urheberrechtsverletzung zulasten der von dem Kläger wahrgenommenen Übersetzer-Urheberrechte von M… P… .

2. Der insoweit geltend gemachte Anspruch des Klägers ist bereits deshalb unbegründet, weil der Kläger die von ihm mit der Anlage K 26 gerügten Urheberrechtsverletzungen in keiner Weise sachgerecht spezifiziert hat.

a. Dazu bedurfte es zunächst einer Darlegung, aufgrund welcher konkreten Merkmale jede einzelne der in der Anlage K 26 gerügten Textstellen für sich genommen urheberrechtlichen Schutz beanspruchen kann. Da es insoweit nicht um die Erzählung von Anne Frank, sondern um die Übersetzungsleistung von M… P… geht, hätte es dem Kläger oblegen, im Einzelnen diejenigen sprachlichen Merkmale zu substantiieren, die der jeweiligen Textstelle ihr eigenpersönliches Gepräge i.S.v. § 3 UrhG geben und einen Urheberrechtsschutz des Übersetzers überhaupt erst eröffnen. Dies ist noch nicht einmal in Ansätzen geschehen. Der Kläger hat sich vielmehr ausschließlich mit inhaltlichen Fragen und Feststellungen zur Identität der Textpassagen auseinander gesetzt. Damit konnten jedoch für die wahrgenommenen Urheberrechte nicht die Schutzvoraussetzungen nach § 3 UrhG dargelegt werden.

b. Auch der Umstand, dass der Kläger einen rechtlichen Hinweis gemäß § 139 ZPO für den Fall erbeten hatte, dass der Senat eine Gegenüberstellung mit der niederländischen Sprachfassung für erforderlich hielte, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Denn es geht zunächst nicht um eine vergleichende Beurteilung durch den Senat, sondern maßgeblich um die konkrete Darlegung der Schutzvoraussetzungen für eine urheberrechtsfähige Sprachübertragung durch den Kläger selbst. Bereits dies ist nicht geschehen. Hierzu bedurfte es nicht notwendigerweise der Vorlage einer niederländischen Sprachfassung, sondern vor allem eigener wertender Darlegungen des Klägers, die in einem ersten Schritt als Darlegung der Schutzfähigkeit grundsätzlich auch anhand des deutschen Textes möglich gewesen wären.

c. Mangels substantiierter Darlegung der urheberechtlichen Anspruchsvoraussetzung muss der zum Gegenstand des Hilfsantrags zu Ziff. 1.b. gemachte Unterlassungsanspruch deshalb schon aus diesem Grunde erfolglos bleiben und unterliegt der Abweisung. Die fehlende Substantiierung ist vom Standpunkt des klägerischen Anspruchsbegehrens in gewisser Weise auch konsequent, denn der Kläger hat stets in erster Linie ein Gesamtverbot der Kapitel 6 bis 8 auf Grund einer „Summenwirkung“ der aufgezählten Textstellen, nicht aber eine Einzelbetrachtung angestrebt.

3. Selbst wenn man – anders als der Senat – der Auffassung sein wollte, dem Kläger wäre auch in Bezug auf dieses Substantiierungserfordernis durch das Landgericht oder den Senat ein rechtlicher Hinweis gem. § 139 ZPO zu erteilen gewesen, ergäbe sich aber kein abweichendes Ergebnis. Der Klageanspruch zum Hilfsantrag zu Ziff. 1.b. wäre gleichwohl unbegründet. Denn für sämtliche Textstellen fehlt es bereits an einer relevanten Urheberrechtsverletzung zulasten der Übersetzerin M… P… i.S.v. § 3 UrhG, weil sich in diesen – bei isolierter Betrachtung – keine persönliche geistige Schöpfung der Übersetzerin offenbart. Dies vermag der Senat aus eigener Sachkunde zu beurteilen. Die nachfolgenden Ausführungen erfolgen vor dem dargestellten Hintergrund lediglich vorsorglich.

a. Grundsätzlich gilt in Bezug auf die hier im Rahmen der Anlage K 26 in Frage stehenden Textstellen, dass auch Teile eines Werkes Urheberrechtsschutz genießen können, sofern sie für sich genommen eine persönliche geistige Schöpfung i.S. des § 2 Abs. 2 UrhG darstellen (BGH GRUR 2011, 134, 139 – Perlentaucher; BGH GRUR 2009, 1046 – Kranhäuser; BGH GRUR 1953, 299, 301 – Lied der Wildbahn I). Unter dieser Voraussetzung kann auch kleinen Teilen eines Sprachwerkes urheberrechtlicher Schutz zukommen (vgl. zu Art. 2 lit. a der Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22. 5. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ferner EuGH GRUR 2009, 1041 – Infopaq/DDF). Allerdings wird bei sehr kleinen Teilen eines Sprachwerkes – wie einzelnen Wörtern oder knappen Wortfolgen – Urheberrechtsschutz meist daran scheitern, dass diese für sich genommen nicht hinreichend individuell sind. Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Perlentaucher“ erneut bekräftigt (BGH GRUR 2011, 134, 139 – Perlentaucher, unter Bezugnahme auf BGH GRUR 1953, 299 – Lied der Wildbahn I)

b. Allerdings bedarf es auch und gerade bei der Frage der Schutzfähigkeit kleiner bzw. kleinster Textteile stets einer Betrachtung, inwieweit gerade der zu beurteilende Textteil für sich genommen – d.h. isoliert, unabhängig von seiner Einbettung in einen Gesamttext und einer später gegebenenfalls üblich gewordenen Zitierung – das notwendige Maß einer eigenpersönlichen Schöpfung offenbart. Am Beispiel gängiger von Sprichwörtern hat Raue (GRUR 2011,1088 – „Das kleinste Kleinzitat“) hierzu unter anderem zutreffend ausgeführt:

„Dabei darf der Werkbegriff nicht definiert werden aus der Erkenntnis, dass diese Sätze allgemeines deutsches Sprachgut geworden, dem Denken und Reden in der deutschen Sprache eingewoben sind. Aus dem Sprichwortcharakter eines Satzes darf auf dessen Gestaltungshöhe nicht (kurz)geschlossen werden. Auch die Zugkraft oder Werbewirksamkeit eines Werbeslogans begründen noch keine persönliche geistige Schöpfung. Entscheidend ist vielmehr, ob der Schöpfungsvorgang, ob die geistige Leistung und die erforderliche Gestaltungshöhe im Zeitpunkt des Verfassens derartiger Texte Werkqualität hatten. Ist diese Frage zu bejahen, so genießen auch das Werklein, das Sätzchen, der Gedankensplitter über die gesamte Dauer der Schutzfrist den Schutz des Urheberrechtsgesetzes.“

Es geht dabei wie stets im Urheberrecht um den Schöpfungsvorgang als solchen, nicht um das, was sehr viel später, unabhängig vom Schöpfungsakt (etwa durch die gesellschaftliche Verarbeitung, wie z.B. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“) daraus geworden ist. Dieser Maßstab muss auch bei der Beurteilung der Schöpfungshöhe einzelner Worte, Sätze oder Textteile aus dem Tagebuch von Anne Frank berücksichtigt werden.

c. Vorliegend steht indes im Rahmen der Anlage K 26 nicht der Wortlaut des Originals der Schöpfung zur Beurteilung. Anne Frank hat ihr Tagebuch in niederländischer Sprache geschrieben. Die Anlage K 26 enthält die Textstellen in deutscher Übersetzung von M… P…. Auch solche sind grundsätzlich urheberrechtsschutzfähig. Die Voraussetzungen für die Schutzfähigkeit von Übersetzungen i.S.v. § 3 UrhG werden von der Rechtsprechung nicht sehr hoch angesetzt. Der Bundesgerichtshof führt in der Entscheidung „Comic-Übersetzungen II“ unter anderem aus (BGH GRUR 2000, 144 – Comic-Übersetzungen II):

„Das Urheberrechtsgesetz geht – indem es in § 3 die Übersetzung als Beispiel einer urheberrechtlich geschützten Bearbeitung nennt – davon aus, daß Übersetzungen geschützter Sprachwerke in der Regel eine eigenschöpferische Leistung des Übersetzers darstellen und daher auch ihrerseits Gegenstand des urheberrechtlichen Schutzes sein können. Denn die neue Sprachform erfordert im allgemeinen ein besonderes Einfühlungsvermögen und eine gewisse sprachliche Ausdrucksfähigkeit (vgl. Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 2. Aufl., § 3 UrhG Rdn. 21; OLG Zweibrücken GRUR 1997, 363). Sie läßt sich nicht allein durch eine mechanische Übertragung der einzelnen Begriffe bewerkstelligen, sondern muß den Sinngehalt vollständig erfassen und auch Zwischentöne des Originals wiederzugeben versuchen.“

d. Bei dieser Beurteilung muss jedoch auch für das Urheberrecht des Übersetzers – wie stets bei Werkteilen – die erforderliche Schöpfungshöhe nicht nur in Bezug auf das Gesamtwerk, sondern zugleich in Bezug auf jede einzelne Textstelle gegeben sein. Der Umstand etwa, dass es dem Übersetzer gelungen ist, in Bezug auf das gesamte Werk den Sinngehalt vollständig zu erfassen und auch die Zwischentöne des Originals im Sinne der genannten Rechtsprechung wiederzugeben, bedeutet nicht spiegelbildlich, dass sich diese Voraussetzungen einer eigenschöpferischen Leistung bei der gebotenen urheberrechtlichen Betrachtung auch in jedem einzelnen Satz offenbaren. Ein für das Gesamtwerk erworbener Übersetzer-Urheberschutz „strahlt“ nicht auf jede einzelne Textpassage in ihrer vereinzelten Betrachtung aus. Dabei ist weiterhin zu berücksichtigen, dass die „Fabel“ einer Geschichte, die Gedankenführung bzw. die konkrete sprachliche Formulierung des Originalwerks keine Umstände sind, die von vornherein der Übersetzung urheberrechtlichen Schutz im Sinne von § 3 UrhG verleihen. Dieser kann sich vielmehr allein aus der sprachlichen Übertragung des vorgegebenen Originals in eine fremde Sprache ergeben. Während bei einem Gesamtwerk wie demjenigen des Tagebuchs der Anne Frank erheblicher Spielraum für eine eigenschöpferische Leistung des Übersetzers besteht, ist dieser bei der Betrachtung einzelner Sätze oder Satzteile aus der Natur der Sache in der Regel gering. Denn insoweit kann es nicht mehr um die Frage des Erfassens des Gesamtzusammenhangs in der Originalsprache gehen, sondern letztlich nur darum, in wieweit dem Übersetzer bei dem konkreten Textteil ein Spielraum für eine eigenschöpferische Übertragung von einer Sprache in die andere zur Verfügung gestanden und wie weit er diesen Spielraum in urheberrechtlich relevanter Weise genutzt hat. Jedenfalls in diesem Zusammenhang vermag auch eine gem. § 10 Abs. 1 UrhG zu Gunsten von M… P… streitende Urhebervermutung kein abweichendes Ergebnis zu rechtfertigen. Denn diese bezieht sich auf das (Gesamt)„Werk“, nicht jedoch – zumindest nicht in Bezug auf die hier allein streitige Schöpfungshöhe – auf jeden noch so kleinen Werkteil in seiner Vereinzelung.

e. Vor diesem Hintergrund hat der Senat jede einzelne Textstelle der Anlage K 26 betrachtet und gewürdigt, die nach der klarstellenden Angabe des Kläger-Vertreters in der Senatssitzung zueinander in einem „und/oder“-Verhältnis stehen sollen. Dabei ergibt es sich aus der Natur der Sache, dass die Leistung eines Übersetzers nach der konkreten Darlegung der schutzbegründenden Merkmale jedenfalls in einem zweiten Schritt in der Regel nur durch einen Vergleich mit dem Original – hier in niederländischer Sprache – bewertet werden kann. Gleichwohl kann der Senat die erforderliche Beurteilung aus eigener Sachkunde vornehmen, ohne dass es der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf.

aa. Für die Beurteilung bedarf es keines Rückgriffs auf die von den Beklagten als Anlage HL 53 vorgelegte Gegenüberstellung der deutschen und niederländischen Fassungen. Diese unterliegt nicht der prozessualen Verwertung, weil der Kläger insoweit keine Gelegenheit zur Stellungnahme hat. Dieser bedurfte es auch nicht. Ebenfalls bedurfte es aus den bereits dargelegten Gründen nicht eines von dem Kläger erbetenen rechtlichen Hinweises gemäß § 139 ZPO für den Fall, dass der Senat eine Gegenüberstellung mit der niederländischen Sprachfassung für erforderlich hielte.

bb. In einer erheblichen Zahl der Fälle ergibt sich die fehlende Schutzfähigkeit der Übersetzung bereits aus der Betrachtung der deutschen Übersetzung der in der Anlage K 26 wiedergegebenen, in roter Schrift hervorgehobenen Textstelle. So sind etwa Wendungen wie „Vater wurde in Frankfurt geboren“ oder „So gingen wir zusammen“ oder „Verstecken“ oder „in einer Hütte“ schon in der übersetzten Fassung dermaßen knapp und letztlich banal, dass sich hierin schon aus der Natur der Sache kein schöpferischer Schritt des Sprachübersetzers aus dem Original offenbaren kann. Denn es ist letztlich ausgeschlossen, dass insoweit ein urheberrechtsrelevanter Spielraum bestanden haben kann. Diese Überlegungen betreffen die laufenden Nrn. 5, 8, 10, 20, 22, 25, 30, 36, 37, 42, 43, 48, 49, 59, 61, 62, 80, 81, 83 (19 Textstellen).

cc. Bei der überwiegenden Zahl der weiteren Textstellen ergibt sich die fehlende Schutzfähigkeit zwar noch nicht unmittelbar aus der Kürze oder Alltäglichkeit der übertragenen Formulierung.

aaa. Auch diese Textstellen sind jedoch zumeist nicht ausreichend lang, um eine schöpferische Gestaltung zu offenbaren, und zudem in ihrer Wortwahl zunächst ohne unmittelbar erkennbaren schöpferischen Gehalt. Gleichwohl bedarf die abschließende Beurteilung eines Vergleichs mit dem holländischen Original. Ein derartiger Vergleich ist dem Senat unmittelbar selbst möglich. Denn die Klägerin hat als Anlage K 38 die umfangreiche textkritische Gegenüberstellung von Version a, Version b und Version c „Die Tagebücher der Anne Frank“ und als Anlage K 37 dazu das entsprechend niederländische Original „De Dagboeken van Anne Frank“ zur Akte gereicht. Da die Texte in diesen Werken zeitlich chronologisch sortiert sind und in der Textfassung von M… P… die Tagebucheinträge ebenfalls mit einem konkreten Datum versehen sind, ist es dem Senat unschwer möglich, zu jeder in der Anlage K 26 zitierten Textstelle in der Anlage K 37 den Originalwortlaut in niederländischer Sprache aufzufinden und diesen mit der Übersetzung von M… P… zu vergleichen. Ohne vertiefte Kenntnisse der niederländischen Sprache lässt sich zwar möglicherweise nicht die zutreffende Bedeutung jedes einzelnen Wortes beurteilen. Es lässt sich bei einer Gegenüberstellung für den Senat aber gleichwohl mit der erforderlichen Gewissheit erkennen, ob die Übertragung der einzelnen Textstelle aus der niederländischen in die deutsche Sprache bei einer isolierten Betrachtung die erforderliche Schöpfungshöhe erreichen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Mitglieder des Senats über umgangssprachliche Kenntnisse der niederdeutschen (plattdeutschen) Sprache verfolgen, die dem Niederländischen in Teilen ähnlich ist.

bbb. Die Formulierung zu der laufenden Nr. 6 „Ich werde mit dem Augenblick beginnen als ich dich bekommen habe“ lautet im niederländischen Original der Version a „Ik zal maar beginnen vanaf het ogenblik dat ik je gekregen heb“. Ein Vergleich der Sprachversionen ergibt ohne weiteres, dass es sich hierbei um eine mehr oder weniger unmittelbare Übertragung von einer Sprache in die andere handelt, die jedenfalls in der Kürze einer derartigen Passage selbst dann keine urheberrechtsschutzfähige Schöpfungshöhe offenbart, wenn hinsichtlich einzelner Worte durchaus Variationsmöglichkeiten bei der Wortwahl bestehen sollten. Wörter etwa wie „ich“, „mit“, „an“, „in“, von“ oder „dich“ lassen ohnehin überhaupt keinen Spielraum für eine eigene schöpferische Leistung. Die Liste mit Beispielwörtern ließe sich umfangreich fortführen. Dies allein kann aus Sicht des Senats den Urheberrechtsschutz des Übersetzers im Sinne von § 3 UrhG an kleineren Textstellen noch nicht begründen.

ccc. Auch Textstellen, die in der deutschen Übersetzung eine gewisse Originalität zu scheinen haben, gehen letztlich schon auf entsprechend originelle Formulierungen von Anne Frank zurück. So lautet etwa die Übertragung zu Nr. 27 „Herr D…, […] entpuppt sich als der altmodischste Erzieher und hält ellenlange Predigten über Manieren“ im Original der Version b: „ M. Pf. (Anmerkung: Hier noch als Herr P… bezeichnet), [… ] ontpopt zich als de meest ouderwetse opvoeder en preker van ellenlange manierenreeksen.“ Auch insoweit ergibt sich, dass nicht nur die Wortwahl, sondern auch der Satzaufbau praktisch vollständig dem Original folgt, so dass auch hier – bei isolierter Betrachtung der Textstelle – ein eigenschöpferische Spielraum der Übersetzerin entweder nicht bestanden hat oder nicht wahrgenommen worden ist.

ddd. Auch Übersetzungen wie etwa „Lulatsch“ (statt „Bursche“ wie in der S…Übersetzung) aus dem niederländischen Wort „slungel“ in der Textpassage Nr. 13 offenbaren keine ausreichende schöpferische Höhe, da es insoweit allenfalls um einzelne Worte geht. Dies gilt auch z.B. für das Wort „wegschenke“ in Textpassage Nr. 68 gegenüber „weggeef“ im niederländischen Original. Gleiches gilt etwa bei Textpassage Nr. 23 für die Übersetzung „Untertaucher“ aus den niederländischen Begriffen „schuiler“ (Version b) bzw. „onderduiker“ (Version c) oder für die Übersetzung von „Beschwerdestelle“ in Textpassage Nr. 27 aus „overbriefdadres“ (Version b) bzw. „overbrengadres“ (Version c). Beide sind in der niederländischen Vorlage gleichermaßen vorhanden. Dies betrifft etwa auch das im Deutschen altmodische und von daher heutzutage nicht mehr übliche Wort „Backfisch“ in der Textpassage Nr. 53 („bakvis“ in Versionen a bis c).

eee. Auch die Übersetzung der Textstelle Nr. 66 („Ich konnte nicht sprechen, der Genuß war zu groß“) folgt praktisch wörtlich dem niederländischen Original („ik kon niet veel spreken, he genot was te groot“, Version a). Entsprechendes gilt für die Textstelle Nr. 12. Insoweit handelt es sich zwar um mehrere Textpassagen, die durch nicht übernommene Formulierungen unterbrochen sind. Auch diese Übersetzung folgt jedoch nahezu wörtlich dem niederländischen Original, wie sich anhand von S. 489/490 der Anlage K 37 unmittelbar nachvollziehen lässt („Nie haben wir von ihnen ein Wort gehört, das auf die Last hinweist, die wir doch sicher für sie sind“ – „Nooit hebben wij één woord gehoord, dat op de last duid, de wij toch zeer zeker zijn“). Dies gilt auch für die Textstelle Nr. 17. Diese enthält zwar eine unzweifelhaft eigenschöpferische Gedankenführung von Anne Frank, die auch einer Übersetzung möglicherweise einigen Spielraum lässt, wie die Übertragung dieser Textstelle durch A… S… belegt. Demgegenüber folgt die Übersetzung von M… P… auch insoweit nahezu wortwörtlich dem Original („Das runde Flecken, auf dem wir stehen, ist noch sicher, aber die Wolken rücken immer näher“ – „Het ronde, afgebakende plekje, waarop wij staan is nog veilig, maar de wolken rukken steeds dichter“).

fff. Der Senat verkennt nicht, dass eine derartige Art der Übertragung häufig gerade erwünscht ist und deshalb einem Übersetzer-Urheberrecht an dem Gesamtwerk nicht entgegensteht, sondern unter Umständen die besondere Qualität der Übersetzung belegt. Auf eine isolierte Betrachtung einzelner Textstellen kann eine derartige Wertung jedoch nicht entsprechend übertragen werden.

Die vorstehendenden Überlegungen betreffen die laufenden Nrn. 6, 7, 9, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 23, 24, 27, 28, 29, 31, 32, 38, 39, 44, 45, 46, 47, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 60, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 82, 84, 85, 86 (54 Textstellen).

dd. In den Textpassagen der laufenden Nrn. 11, 26, 33, 34, 40, 41, 50 (7 Textstellen) könnte sich bei einer entsprechend sehr niedrig angesetzten Schutzschwelle möglicherweise eine ausreichende geistige Schöpfungshöhe einer Übersetzung offenbaren. Für die Textpassage Nr. 26 (vom 17.10.1942) folgt dies etwa daraus, dass diese in der Art der Anpreisung eines Reiseprospekts formuliert ist. Denn diese Textpassagen lassen wegen der Eigentümlichkeit des Originals für den Übersetzer einen gewissen Spielraum, sofern er nicht auch hier – was allerdings häufig nahe liegt – bestrebt ist, das Original möglichst Wort für Wort identisch zu übersetzen. Ein Übersetzer-Urheberrecht gem. § 3 UrhG an diesen Textpassagen – in ihrer Vereinzelung – kann M… P… gleichwohl nicht zustehen.

aaa. Denn bei der rechtlichen Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass M… P… nicht als erste und unbefangen aus dem niederländischen Originaltext in die deutsche Sprache übersetzt hat. Zum Zeitpunkt ihres Schaffens lag bereits eine vollständige Übersetzung „Das Tagebuch der Anne Frank“ von Anneliese Schütz aus dem Jahr 1955 vor, die die Beklagten als Anlage HL 19 zur Akte gereicht haben. Diese Übersetzung war M… P… unstreitig bekannt. Der ihr erteilte Übersetzungsauftrag (Anlage K 10) zielte gerade darauf ab, in Abgrenzung zu der bestehenden Übersetzung von A… S… eine „neue populäre“ Übersetzung zu erstellen.

bbb. Die eigenschöpferische Leistung eines Übersetzers liegt in der Übertragung eines Textes aus einer fremden Sprache. Sofern für die betreffende Textpassage eine vollständige und auch als zutreffend anerkannte Übersetzung – wie hier durch A… S… – bereits vorliegt, könnte sich schon im Ausgangspunkt eine eigenschöpferische Leistung der späteren Übersetzung nur darin offenbaren, dass sich diese in wesentlichen Zügen von der früheren Übersetzung unterscheidet. Stimmen beide Übersetzungen indes im Wesentlichen überein, ist zumindest in der Person des späteren Übersetzers ein eigenschöpferischer Schritt mit der erforderlichen Schöpfungshöhe, der die Zuerkennung eines Urheberrechtsschutzes rechtfertigen könnte, nicht ersichtlich (vgl. Dreier/Schulze, a.a.O, § 3 Rn. 12). Denn eine schöpferische Übertragung des niederländischen Originals in die deutsche Sprache ist in diesem Fall bereits durch den früheren Übersetzer erfolgt. In einer weitgehend identischen Wortwahl kann ein späterer Übersetzer keine eigene Schaffensleistung offenbaren. Dies gilt jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art, bei der nur relativ kurze Textpassagen in Rede stehen, die nicht oder nur in untergeordnetem Umfang aus dem Gesamtzusammenhang des zu übersetzenden Werks zu interpretieren sind.

ccc. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen verbleibt auch für die genannten 9 Textstellen kein ausreichender schöpferischer Schaffensakt in der Übersetzung von M… P…. Denn die frühere Übersetzung von A… S… ist zu praktisch allen Textstellen entweder wortgleicht oder weicht nur in einem so geringen Umfang ab, der urheberrechtlich keine Relevanz beanspruchen kann. Dies ergibt ein Vergleich der entsprechenden Textstellen aus „Anne Frank Tagebuch“ von M… P… (Anlage K 1) und „Das Tagebuch der Anne Frank“ von A… S… (Anlage HL 19).

(1) Die Übertragungen der Textpassagen Nrn. 11, 26, 34, 40, 41, 50 durch A… S… einerseits und M… P… andererseits sind – unbeschadet geringfügiger Abweichungen im Einzelnen – in einer Weise ähnlich, dass die späteren Übersetzung von M… P… einen eigenschöpferischer Schritt der Übertragung aus dem Niederländischen jedenfalls im Ergebnis jeweils nicht für sich in Anspruch nehmen kann.

(2) Zu der Textpassage Nr. 33 ergibt der Vergleich mit der Übersetzung von A… S… zwar, dass diese den niederländischen Text bereits nahezu entsprechend übersetzt hat. Allerdings findet sich das von Anne Frank gezielt verwendete Wort „Mansa“ statt „Mama“ allein in der P…-Übersetzung. Dieser Umstand reicht indes nicht aus, um der P…-Übersetzung die erforderliche Schöpfungshöhe zu verleihen. Dies schon deshalb nicht, weil das Wort „Mansa“ bereits im niederländischen Original enthalten ist (Versionen b und c) und deshalb keine Leistung des Übersetzers enthält.

ddd. Ob wegen der erörterten Textstellen eine rechtsverletzende Verwendung der Übersetzung von A… S… vorliegt, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn der Kläger hat die in der Anlage K 26 angeführten Textstellen – wie bereits ausgeführt – ausdrücklich und ausschließlich auf die Übersetzung von M… P… gestützt. Damit ist im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag zu Ziff. 1.c. ausschließlich eine Rechtsverletzung dieser Übersetzung streitgegenständlich.

ee. Zu der laufenden Nr. 21 enthält die Anlage K 26 selbst keine Originalfundstelle. Eine Rechtsverletzung kann deshalb auch aus Sicht des Klägers nicht vorliegen. Die Tatsache allein, dass in dem Buch der Beklagten ein Text in Anführungszeichengesetzt worden ist, indiziert keine rechtswidrige Entnahme aus dem Tagebuch der Anne Frank.

ff. Die Textpassage zu Nr. 35 enthält den Ausschnitt eines längeren Gedichts von O… F… zu Anne Franks Geburtstag. Insoweit können M… P… schon deshalb keine Übersetzer-Urheberrechte zustehen, weil es in der deutschen Textfassung hierzu heißt: „Da Pim in Deutsch dichtete, musste M… sich ans Übersetzen machen.“ Zwar ist das Gedicht in der niederländischen Synopse (Anlage K 37) in holländischer Sprache abgedruckt. Da das von M… P… übersetzte „Anne Frank Tagebuch“ im Vorspann aber auch einen ausdrücklich auf O… F… hinweisenden Copyright-Vermerk enthält, ist nichts dafür ersichtlich und auch den vom Kläger nicht vorgetragen, dass die deutsche Fassung des Gedichts nicht – was unmittelbar naheliegt – unmittelbar von dem Verfasser O… F… beigesteuert worden ist, sondern ebenfalls auf einer Übersetzungsleistung von M… P… beruht. Dementsprechend steht dem Kläger auch insoweit jedenfalls auf der Grundlage der Anlage K 26 ein Anspruch nicht zu.

VIII. Ein Unterlassungsanspruch steht dem Kläger gegen die Beklagten gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG i.V.m. §§ 16, 17, 23 UrhG im Ergebnis auch nicht nach dem insoweit gestellten Hauptantrag zu Ziff. 1.c. wegen der Verwendung des Ausschnitts eines Gedichts von O… F… zu.

1. Die Aktivlegitimation des Klägers als Rechtsnachfolger von O… F… ist zwischen den Parteien ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die wiedergegebene Textstelle wörtlich einem Gedicht von O… F… entnommen worden ist, das dieser in deutscher Sprache verfasst hat. Das Gedicht ist als Sprachwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG urheberrechtsschutzfähig. Dem Umstand, dass nicht das vollständige – wesentlich längere – Gedicht, sondern nur ein Ausschnitt davon Verwendung gefunden hat, steht der Urheberrechtsschutzfähigkeit nicht entgegen. Auch die verwendete Textstelle als solche kann die erforderliche Schöpfungshöhe für sich in Anspruch nehmen.

2. Eine Einwilligung in die Verschwendung im Rahmen der Grafischen Biografie hat der Kläger nicht erteilt. Allein der Umstand, dass dieses Gedicht in dem Tagebuch der Anne Frank wiedergegeben worden ist (Tagebucheintrag vom 13.06.1943, Seite 110), rechtfertigt nicht eine Übernahme durch die Beklagten.

3. Gleichwohl stellt die Nutzung dieses Gedichtausschnitts im Rahmen der „Grafischen Biografie“ keinen Verstoß gegen Urheberrechte des Klägers dar. Denn die Verwendung durch die Beklagten ist durch das urheberrechtliche Zitatrecht im Rahmen eines kleinen Zitats im Sinne von § 51 UrhG gedeckt.

a. Nach dieser Norm sind die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats zulässig, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. Weil es sich bei den in Frage stehenden Textübernahmen lediglich um einen verhältnismäßig kleinen Teil des Gedichts von O… F… handelt – dieses soll nach der Darstellung von Anne Frank insgesamt 2 Seiten lang gewesen sein -, finden die Maßgaben zum sog. „Kleinzitat“ Anwendung.

b. Auch wenn § 51 Satz 2 Nr. 2 UrhG ausdrücklich nur die Übernahme in ein Sprachwerk regelt, gelten diese Maßgaben auch für den vorliegenden Fall. Der Gesetzgeber hat § 51 Satz 1 UrhG durch das „Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26.10.2007“ (BGBl. I, S. 2513) an Art. 5 Abs. 3 lit. d) der Richtlinie 2001/29/EG angeglichen und als Generalklausel ausgestaltet. Damit hat er bewusst eine vorsichtige inhaltliche Öffnung der Zitatschranke bewirkt. Nunmehr kommt ein zulässiges Kleinzitat in allen Werkkategorien in Betracht, ohne dass an der Möglichkeit dieser erweiternden Auslegung noch Zweifel bestehen können (vgl. Dreier/Schulze, UrhG, 5. Aufl., § 51 Rn. 23).

c. Ob und in welchem Umfang ein Kleinzitat zulässig ist, ergibt sich zum einen aus dem Verhältnis der Länge des Zitats und dem Umfang des teilweise zitierten Werkes. Zum anderen kommt es auch auf die Länge des jeweiligen Zitats an (vgl. etwa BGH GRUR 1986, 59 f. – Geistchristentum). Maßgebliches Gewicht kommt darüber hinaus dem mit dem Zitat verfolgten Zweck zu. Nur wenn die Übernahme unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt ist, kann sich der Übernehmende erfolgreich auf die Zitat-Schranke nach § 51 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 UrhG berufen.

d. So verhält es sich im vorliegenden Fall. Allerdings findet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gedicht von O… F… in der „Grafischen Biografie“ nicht statt. Dieses wird auf Seite 97 als Teil von Anne Franks Tagebuch schlicht wiedergegeben, allerdings mit der Besonderheit, dass dieses Gedichtfragment im Wege einer „Sprechblase“ O… F… unmittelbar „in den Mund gelegt“ wird. Diese Darstellung ist ohne weiteres zulässig und von dem Zitatzweck gedeckt.

aa. Das Verletzungsmuster ist ein selbständiges Werk, in welches Texte grundsätzlich als Zitate aufgenommen werden können. Selbstständig ist das zitierende Werk, wenn es urheberrechtlich vom zitierten Werk unabhängig ist, es sich also nicht um eine Bearbeitung oder sonstige Umgestaltung des Werkes i.S.d. § 23 handelt (Wandtke/Bullinger/Lüft, UrhR, 4. Aufl., § 51 Rn. 8). Wie dargestellt sind die Kapitel 6 bis 8 weder insgesamt noch im Hinblick auf die übernommenen Textpassagen in ihrer Summe eine unfreie Bearbeitung in Bezug auf solche Textstellen, die nicht dem Urheberrecht von Anne Frank selbst unterfallen.

bb. Der Umfang eines Zitats darf auch nicht so weitgehend sein, dass hierdurch die Verwertung des Werks an sich durch den Urheber unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BGHZ 28, 234, 243 – Verkehrskinderlied; BGH GRUR 1986, 59 – Geistchristentum; BGH GRUR 1987, 362, 364 – Filmzitat; BGHZ 50, 147, 153 – Kandinsky I). Da sich die übrigen von dem Kläger beanstandeten Textübernahmen nach Maßgabe der Anlage K 26 im Ergebnis nicht als rechtsverletzend darstellen, handelt es sich bei dem Gedicht von O… F… um die einzige Passage im Rahmen der gesamten „Grafischen Biografie“, die im Ausgangspunkt rechtsverletzend aus dem Tagebuch der Anne Frank übernommen worden ist. Sie ist als wörtliches Zitat kenntlich gemacht.

cc. Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung überwiegen die Interessen der Beklagten an der Verwendung des Zitats. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass allein hierdurch berechtigte Interessen des Klägers beeinträchtigt sein könnten. Weder wird der Inhalt, die Aussage oder der historische Wert des Tagebuchs der Anne Frank verfälscht oder nachteilig berührt noch werden kommerzielle Verwertungsinteressen des Klägers allein durch dieses einzelne Zitat gestört. Insbesondere kann sich hierin ersichtlich nicht die Befürchtung des Klägers verwirklichen, Leser der „Grafischen Biografie“ würden sich nicht mehr für das Originaltagebuch der Anne Frank interessieren. Sofern eine solche Situation tatsächlich eintreten könnte, steht diese jedenfalls in keinem denkbaren Zusammenhang mit dem Einzelzitat eines Gedichtauszugs von O… F….

e. Zumindest könnten sich die Beklagten aber insoweit erfolgreich auf einen durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erweiterten Zitatzweck berufen.

aa. Der Anwendungsbereich des Zitatrechts gemäß § 51 Satz 2 Nr. 2 UrhG ist bei Kunstwerken weiter ist als bei nichtkünstlerischen Sprachwerken (vgl. hierzu BGH GRUR 2012, 819 Rn. 14 ff. – Blühende Landschaften). Die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geforderte kunstspezifische Betrachtung verlangt, bei der Auslegung und Anwendung des § 51 Satz 2 Nr. 2 UrhG die innere Verbindung der zitierten Stellen mit den Gedanken und Überlegungen des Zitierenden über die bloße Belegfunktion hinaus auch als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung anzuerkennen (BVerfG GRUR 2001, 149, 151 – Germania 3). Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu weiter aus (S. 152):

„Die Zulässigkeit der Verwendung des fremden Textes im Rahmen eines Kunstwerks hängt nicht davon ab, ob der Künstler sich damit „auseinander setzt“, maßgeblich ist vielmehr allein, ob es sich funktional in die künstlerische Gestaltung und Intention seines Werks einfügt und damit als integraler Bestandteil einer eigenständigen künstlerischen Aussage erscheint.“

bb. So verhält es sich auch hier. Die Autoren der „Grafischen Biografie“ legen das Originalzitat O… F… diesem in einer Darstellung von Annes 14. Geburtstag in einer grafischen Gestaltung in der Weise in den Mund, dass Vater und Tochter nebeneinander sitzend gezeigt werden, während der Vater von einem Blatt abliest und der Gedichttext dabei in einer „Sprechblase“ als gesprochene Wiedergabe des abgelesenen Textes erscheint.

[Abbildung]

Dabei bringen die Autoren der „Grafischen Biografie“ gestalterisch eine auf den Vortrag des Gedichts bezogene Nähesituation zum Ausdruck, die in dieser konkreten Ausgestaltung nicht auf einer Vorlage des Tagebuchs beruht. Diese Gestaltung erscheint dem Senat jedenfalls im Rahmen der Übernahme eines derartigen Kleinzitats zumindest im Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als ausreichend künstlerische Ausdrucksform geschützt und damit im Rahmen eines erweiterten Zitatzweck gerechtfertigt.

4. Im Ergebnis muss das Klagebegehren des Klägers deshalb auch nach Maßgabe des Hauptantrags zu Ziff. 1.c. erfolglos bleiben.

Berufung der Beklagten

Die zulässige Berufung der Beklagten ist ebenfalls zum Teil auch begründet.

I. In der Berufungsinstanz haben die Beklagten bereits insoweit Erfolg, als die Klägerin die ihr vom Landgericht zugesprochenen Ansprüche nicht weiter verfolgt hat. Insoweit wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die bisherigen Ausführungen Bezug genommen.

II. Die Berufung der Beklagten ist weiterhin in Bezug auf die sich aus § 98 UrhG ergebenden Nebenansprüche begründet.

1. Ein Anspruch auf Rückruf hergestellter Vervielfältigungsstücke und deren endgültige Entfernung aus dem Vertriebsweg steht dem Kläger gemäß § 98 Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 UrhG seit dem 01.01.2016 nicht mehr zu.

a. Dabei ist davon auszugehen, dass die Vervielfältigung und Verbreitung der „Grafischen Biografie“ durch die Beklagten in der Vergangenheit eine schwere Verletzung des dem Kläger zustehenden Urheberrechts an dem Tagebuch der Anne Frank verwirklicht hat, so dass derartige Beseitigungsansprüche grundsätzlich begründet gewesen sein dürften.

b. Diese bestehen jedoch zumindest jetzt nicht mehr für die Zukunft.

aa. Das Tagebuch der Anne Frank ist nach der übereinstimmenden Beurteilung beider Parteien mit Ablauf des 31.12.2015 gemeinfrei geworden. Eine Rechtsverletzung nach diesem Zeitpunkt konnte und kann nicht mehr eintreten. Dementsprechend hat der Senat auf den Klageantrag zu Ziffer 1.a.β. für die Zukunft insoweit die Erledigung der Hauptsache ausgesprochen, als auf den Kläger übergegangene Urheberrechtsansprüche von Anne Frank an dem Tagebuch selbst infrage stehen.

bb. Die Erfüllung eines Rückruf- bzw. Entfernungsanspruchs für bis zum 31.12.2015 von den Beklagten begangene Rechtsverletzungen ist in der Vergangenheit nicht mehr möglich. Dies gilt jedenfalls insoweit, als der Kläger in der Vergangenheit einen für vorläufig vollstreckbar erklärten Ausspruch nicht bereits vollstreckt hat.

cc. Allerdings ist es grundsätzlich denkbar, dass auch gegenwärtig – im April 2016 – noch Vervielfältigungsstücke auf dem Markt sind, die bis zum 31.12.2015 – und damit rechtsverletzend – in Umlauf gebracht worden sind. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass solche Vervielfältigungsstücke auch heute noch zurückgerufen und aus den Vertriebswegen entfernt werden können. Ein derartiger Anspruch steht dem Kläger gleichwohl auf der Grundlage von § 98 Abs. 2 UrhG nicht zu.

aaa. Ein solcher Anspruch wäre bereits mit dem Gesetzeszweck von § 98 UrhG nicht in Einklang zu bringen. Denn die Vorschrift soll dem Verletzten eine wirksame Möglichkeit geben, bei einer urheberrechtlichen Verletzungshandlung neben Schadensersatz nach § 97 auch Abhilfemaßnahmen gegen den widerrechtlichen Zustand verlangen zu können. Sinn und Zweck der Regelung besteht vor allem in der Aufhebung eines dem Zuweisungsgehalt des Immaterialgüterrechts widersprechenden Zustandes (BGH NJW 2003, 668, 670 – P-Vermerk; Bohne in Wandtke/Bullinger, UrhG, 4. Aufl., § 98 Rdn. 1). Der Rückruf und die endgültige Entfernung aus dem Vertriebsweg soll das Ziel des Klägers fördern, die beanstandeten Verletzungsmuster vom Markt zu entfernen und so zu verhindern, dass die Öffentlichkeit das Verletzungsmuster zur Kenntnis nehmen oder es erwerben kann.

bbb. Dieser Gesetzeszweck ist im Jahr 2016 ersichtlich nicht mehr erreichbar. Denn seit dem 01.01.2016 sind die Beklagten berechtigt, ohne Urheberrechtsverstoß zulasten des Tagebuchs von Anne Frank ihre „Grafische Biografie“ in Deutschland auf den Markt zu bringen. Vor diesem Hintergrund kann es jedenfalls angesichts der Besonderheiten der vorliegenden Fallkonstellation nicht entscheidend sein, ob neben zulässigerweise neu auf den Markt gebrachten Exemplaren auch noch zunächst unzulässigerweise bis zum 31.12.2015 verbreitete Exemplare auf dem Markt sind. Jedenfalls mit Ablauf des Jahres 2015 realisiert sich dadurch nicht mehr ein dem Zuweisungsgehalt des Immaterialgüterrechts widersprechender Zustand.

ccc. Die im Patentrecht vertretene Gegenauffassung, andernfalls könne ein Rechtsverletzer schon vor Schutzrechtsablauf die rechtswidrigen Vervielfältigungsstücke in den Markt einführen und sich dadurch einen Vorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern verschaffen, die sich urheberrechtskonform verhalten (vgl. Benkard/Grabinski/Zülch, PatG, 11. Aufl., § 140a Rn. 9; Kühnen, GRUR 2009, 288, 291 f), teilt der Senat für das Urheberrecht wegen einer insoweit abweichenden Interessenlage nicht (ebenso: Schack, a.a.O., Rn. 802).

ddd. Selbst wenn man die Sachlage in rechtlicher Hinsicht abweichend als der Senat beurteilen wollte, wäre ein solcher Anspruch aber zumindest gemäß § 98 Abs. 4 UrhG ausgeschlossen, denn eine derartige Rückruf- bzw. Entfernungsmaßnahme wäre jedenfalls aus den genannten Gründen zulasten der Beklagten unverhältnismäßig.

c. Dementsprechend muss der Senat in diesem Zusammenhang auch nicht dazu Stellung nehmen, ob dem Kläger ein Rechtsanspruch darauf zur Seite gestanden hat, einen Rückruf bzw. eine Entfernung aus dem Vertriebsweg auch in Bezug auf solche Vervielfältigungsstücke zu verlangen, die von der Bundesrepublik Deutschland aus in andere Staaten angeboten und verbreitet worden sind. Steht dem Kläger ein derartiger Anspruch für das Schutzland Bundesrepublik Deutschland nicht mehr zu, kann ein derartiger Anspruch für ausländische Territorien erst recht nicht begründet sein.

2. Entsprechende Grundsätze gelten ebenfalls in Bezug auf den von dem Kläger gemäß § 98 Abs. 1 UrhG geltend gemachten Vernichtungsanspruch. Auch dieser ist jedenfalls nunmehr unbegründet (geworden). Insoweit ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass eine etwaige Vernichtung vor einer rechtskräftig abschließenden Entscheidung ohnehin unverhältnismäßig und damit unzumutbar wäre. Selbst wenn man – anders als der Senat – das Zitat des Gedichtabschnitts von O… F… für rechtsverletzend hielte, stünde insoweit eine Schwärzung als mögliche und zumutbare Alternative zur Verfügung. Eine Vernichtung der Bücher wäre in jedem Fall unverhältnismäßig.

III. Die weitergehende Berufung der Beklagten ist demgegenüber unbegründet.

1. Soweit sich die Beklagten gegen den Unterlassungsanspruch des Klägers in dem Umfang wenden, in welchem ihm der Senat stattgegeben hat, bleibt ihr Rechtsmittel ohne Erfolg. Dies gilt auch hinsichtlich eines zeitlich begrenzten Unterlassungsausspruchs und einer Feststellung der Erledigung für die Zukunft. Auch insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die bisherigen Ausführungen im Rahmen der Anschlussberufung des Klägers Bezug

2. Unbegründet ist die Berufung der Beklagten auch insoweit, als sich diese gegen ihre Verurteilung zur Auskunftserteilung- und Rechnungslegung wenden. Die von dem Landgericht insoweit zugesprochenen Ansprüche stehen dem Kläger gegenüber den Beklagten in der ausgeurteilten Reichweite, zeitlich aber beschränkt auf den Zeitraum bis zum 31.12.2015, aus §§ 242, 259 BGB i.V.m. § 101 Abs. 1, Abs. 3 UrhG zu. Der Kläger benötigt diese Informationen, um einen ihm ggf. zustehenden Schadensersatzanspruch beziffern zu können. Substantiierte Einwendungen machen die Beklagten auch mit ihrer Berufung insoweit nicht geltend.

3. Vor dem Hintergrund der Ausführung vorstehend unter Ziff. II ist der von den Beklagten erstinstanzlich begehrte Ausspruch auf Gewährung einer Aufbrauchfrist ebenfalls gegenstandslos. Er wäre angesichts des eingetretenen Zeitablaufs und der insoweit im Urheberrecht bestehenden Voraussetzungen auch nicht begründet gewesen.

Nebenentscheidungen

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

3. Der Senat lässt gem. § 543 Abs. 2 ZPO die Revision gegen diese Entscheidung zu. Der Rechtsstreit hat grundsätzliche Bedeutung (Nr. 1). Die Fortbildung des Rechts erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts (Nr. 2).

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